Leitsatz (amtlich)

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Deliktszinsen).

 

Normenkette

BGB §§ 826, 849

 

Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Urteil vom 07.07.2020; Aktenzeichen 6 U 127/18)

LG Potsdam (Entscheidung vom 04.07.2018; Aktenzeichen 8 O 55/18)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 7. Juli 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Urteils der 8. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 4. Juli 2018 zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus einem Betrag von 17.999,04 € vom 29. Oktober 2011 bis zum 4. April 2018 verurteilt worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten wird die Klage unter teilweiser Abänderung des Urteils der 8. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 4. Juli 2018 auch insoweit abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt der Kläger zu 60%, die Beklagte zu 40%. Die Kosten des Revisionsrechtszugs trägt der Kläger.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin des von ihm am 28. Oktober 2011 von einem Dritten zu einem Kaufpreis von 33.700 € erworbenen Pkw VW Tiguan Sport & Style 2,0 l TDI 103 KW (140 PS) auf Schadensersatz in Anspruch. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA189 verbaut, dessen Software bewirkte, dass beim Durchfahren des sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand ein anderer Betriebsmodus als im normalen Fahrbetrieb aktiv wurde. Im auf dem Prüfstand aktiven Betriebsmodus ("Betriebsmodus 1") kam es aufgrund einer höheren Abgasrückführung zur Verringerung der Stickoxidemissionen, wohingegen die Abgasrückführung im normalen Straßenbetrieb ("Betriebsmodus 0") geringer und die Stickoxidemissionen damit höher waren. Im Februar 2016 wurde der Kläger von der Beklagten über das Vorhandensein der dargestellten Software informiert, ließ in der Folgezeit das von der Beklagten diesbezüglich angebotene Software-Update aufspielen und nahm den Verkäufer des Fahrzeugs unter dem Gesichtspunkt eines Mangels der Kaufsache erfolglos gerichtlich in Anspruch. In der Meinung, gegen die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung zu haben, hat der Kläger die Beklagte mit dieser am 5. April 2018 zugestellter Klage auf Ersatz des Kaufpreises in Höhe von 33.700 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. Oktober 2011 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Ersatz der Aufwendungen für die erfolglose Inanspruchnahme des Verkäufers, Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Anspruch genommen.

Rz. 2

Das Landgericht hat der Klage insoweit stattgegeben, als es die Beklagte unter Anrechnung von Nutzungsvorteilen zur Zahlung von 20.978,79 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Januar 2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verurteilt und den Annahmeverzug festgestellt hat; die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts auf die Berufung beider Parteien unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungen dahingehend abgeändert, dass es die Beklagte zur Zahlung von 17.999,04 € nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent jährlich vom 29. Oktober 2011 bis zum 4. April 2018 sowie weiteren Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. April 2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von (Delikts-) Zinsen für die Zeit vom 29. Oktober 2011 bis zum 4. April 2018. Der Kläger hat die von ihm zunächst eingelegte Revision wieder zurückgenommen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 3

Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der im Revisionsverfahren alleine noch streitgegenständlichen Zinsen in Höhe von vier Prozent jährlich aus 17.999,04 € für die Zeit vom 29. Oktober 2011 bis zum 4. April 2018 im Wesentlichen ausgeführt, der dahingehende Anspruch des Klägers folge aus §§ 849, 246 BGB. Die Norm erfasse jeden Sachverlust durch ein Delikt. Auch die freiwillige Zahlung des Kaufpreises durch den Kläger sei vom Anwendungsbereich des § 849 BGB gedeckt. Die Entziehung einer Sache im Sinne des § 849 BGB liege nämlich auch dann vor, wenn es sich um jegliche Form von Geld handle und der Geschädigte durch die unerlaubte Handlung bestimmt werde, dieses wegzugeben. Der Anwendung des § 849 BGB stehe dabei nicht entgegen, dass der Fahrzeugerwerber einen möglicherweise gleichwertigen Pkw erhalte.

II.

Rz. 4

Die Revision der Beklagten hat Erfolg.

Rz. 5

1. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten in Bezug auf den alleine noch streitgegenständlichen Zinsanspruch für die Zeit vom 29. Oktober 2011 bis zum 4. April 2018 revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach ständiger, freilich erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung können Deliktszinsen nach § 849 BGB nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte - wie hier - für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält; in diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; - VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 20 ff.; vom 9. März 2021 - VI ZR 13/20, VersR 2021, 849 Rn. 12; vom 6. Juli 2021 - VI ZR 1146/20, VersR 2021, 1510 Rn. 11; vom 2. November 2021 - VI ZR 731/20, NJW 2022, 472 Rn. 7; vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 455/20, NJW 2022, 1093 Rn. 9; - VI ZR 212/20, VersR 2022, 393 Rn. 11).

Rz. 6

2. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Insbesondere steht dem Kläger der ihm vom Berufungsgericht für den Zeitraum vom 29. Oktober 2011 bis zum 4. April 2018 zugesprochene Zinsanspruch nicht aus § 288 Abs. 1 BGB zu. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger von der Beklagten stets die Erstattung des gesamten Kaufpreises in Höhe von 33.700 € verlangt, ohne sich darauf die von ihm gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen zu lassen, und die Übergabe und Übereignung des Pkws hiervon abhängig gemacht; Schuldnerverzug scheidet unter diesen Umständen aus (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 86).

Rz. 7

3. Entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV oder eine Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs nicht veranlasst. (Primäres oder sekundäres) Unionsrecht, das trotz fehlenden Verzuges die Verzinsung des Schadensersatzanspruchs des Klägers gebieten könnte, ist - auch unter Berücksichtigung des sogenannten "Effektivitätsgrundsatzes" - nicht ersichtlich ("acte claire").

III.

Rz. 8

Da die Aufhebung des Urteils im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hatte der Senat in der Sache selbst zu entscheiden.

Seiters     

von Pentz     

Offenloch

Allgayer     

Linder     

 

Fundstellen

Haufe-Index 15472901

JR 2023, 394

VersR 2023, 199

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