Verfahrensgang
Tenor
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Januar 2003 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft werden der Staatskasse auferlegt. Diese hat auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine dagegen mit der Sachrüge geführte Revision bleibt erfolglos. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf eine Verfahrensrüge sowie die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, erweist sich ebenfalls als unbegründet.
Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte in der Nacht zum 3. November 2001 in dem Wohnanwesen seiner Familie seinen Vater, S. M., durch die Abgabe von acht Revolverschüssen. Unmittelbar vor der Tat hatte sich S. M., nachdem C. M., seine Ehefrau und Mutter des Angeklagten, am Nachmittag des 2. November 2001 ohne sein Wissen das Schloß der Hauseingangstür ausgewechselt hatte, durch Einschlagen eines Glaselements der Eingangstür Zutritt zum Haus verschafft. Mit der späteren Tatwaffe in der Hand ging er auf den Angeklagten zu, wobei er ihm bis in dessen Zimmer folgte. Nachdem C. M. ihren Ehemann kurzzeitig festgehalten hatte, gelang es dem Angeklagten, S. M. den Revolver zu entreißen. Als nunmehr S. M. auf den bis an die gegen überliegende Seite seines Zimmers zurückweichenden Angeklagten zustürmte, gab dieser zunächst sechs Schüsse auf ihn ab, um sich seines Angriffs zu erwehren. S. M. stürzte tödlich getroffen zu Boden. Daraufhin ging der Angeklagte auf den regungslos am Boden liegenden Vater zu und gab in der Annahme, daß er noch leben würde, aus einer Entfernung zwischen 10 und 60 cm zwei weitere Schüsse auf ihn ab. Diese beiden Schüsse haben keinen Einfluß auf den Eintritt des Todes des S. M. gehabt.
Das Landgericht sah die Abgabe der ersten sechs Schüsse als durch Notwehr gerechtfertigt an. Durch die Abgabe der beiden letzten Schüsse habe der Angeklagte einen versuchten Totschlag begangen.
I.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
Die Aussage des Landgerichts, daß bei dem Angeklagten „sowohl eine erhebliche Verminderung der Einsichtsfähigkeit als auch der Steuerungsfähigkeit vorlag”, begegnet rechtlichen Bedenken. Die Anwendung des § 21 StGB kann nicht zugleich auf seine beiden Alternativen gestützt werden. Die erste Alternative scheidet aus, wenn der Täter trotz verminderter Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seines Tuns erkennt. Fehlt ihm bei verminderter Einsichtsfähigkeit hierzu, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist, die Einsicht, kommt § 20 StGB zur Anwendung (st. Rspr.; vgl. BGHSt 21, 27, 28; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 5).
Dieser Mangel gefährdet jedoch den Bestand des Urteils nicht. Das Fehlen der Einsicht infolge verminderter Einsichtsfähigkeit wollte die Schwurgerichtskammer ersichtlich nicht bejahen. Sie hat sich – sachverständig beraten – die Überzeugung verschafft, daß „Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht vorlag”; mit dem Merkmal Schuldunfähigkeit hat sie ausdrücklich Einsichts- und Steuerungsfähigkeit angesprochen. Die Erwägungen, mit denen die Kammer ihre Überzeugung begründet hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, daß dem Angeklagten bei der Abgabe der beiden letzten Schüsse die Unrechtseinsicht gefehlt habe, hat sie nicht feststellen können. Das Verhalten des Angeklagten bei wie nach der Tat sprach vielmehr deutlich für eine Unrechtseinsicht. Damit beruht die erheblich verminderte Schuldfähigkeit allein auf der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Aufklärungsrüge, die auf eine Vernehmung des Rechtsanwalts Dr. Sch. über den von diesem im Zusammenhang mit dem Austausch des Haustürschlosses erteilten Rat zielt, ist jedenfalls unbegründet. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschreiben, die dieser auch in der Hauptverhandlung vorgetragen hat.
2. Auch die materiell-rechtlichen Rügen der Staatsanwaltschaft, mit denen diese eine Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Totschlags erstrebt, bleiben ohne Erfolg.
Soweit die Beschwerdeführerin meint, der Angeklagte habe die Tatwaffe von Anfang an selbst bereitgehalten, versucht sie, die Beweise anders als das Landgericht zu würdigen. Damit kann sie im Revisionsverfahren jedoch nicht gehört werden; durchgreifende Beweiswürdigungsfehler zeigt sie weder auf noch sind solche ersichtlich. Insbesondere hat das Landgericht, auch unter Berücksichtigung der Vorgeschichte der Tat und des Nachtatverhaltens des Angeklagten, eine umfassende Bewertung der für und gegen die Einlassung des Angeklagten sprechenden Indizien vorgenommen.
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch nicht ausschließen können, daß die Abgabe der ersten sechs Schüsse durch Notwehr gerechtfertigt war. Das Geschehen spielte sich in einem kleinen, engen Zimmer ohne Ausweichmöglichkeiten für den Angeklagten ab. Das Zustürmen des S. M. auf den Angeklagten, um ihm die Schußwaffe zu entwenden, gab diesem in der hierdurch hervorgerufenen lebensbedrohlichen Situation das Recht, sich durch die sofortige Abgabe der Schüsse zur Wehr zu setzen. Insbesondere war die Gefahr so unmittelbar, daß zur rechtzeitigen Abwehr des Angriffs die Abgabe eines Warnschusses nicht mehr ausgereicht hätte.
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Kolz, Hebenstreit
Fundstellen