Leitsatz (amtlich)
Die Erledigung des Rechtsstreits wird auch dann verzögert, wenn der vom Berufungskläger verspätet erst in der mündlichen Verhandlung benannte Zeuge zwar präsent ist und deshalb vernommen werden könnte, seine Vernehmung aber bei einer dem Berufungskläger günstigen Aussage die Vernehmung nicht präsenter Gegenzeugen erforderlich machen würde.
Verfahrensgang
OLG Bremen (Entscheidung vom 19.05.1981) |
LG Bremen |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 19. Mai 1981 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin, ein als gemeinnützig anerkanntes Wohnungsbauunternehmen, baute auf ihr gehörendem Grundbesitz in B. 21 Reihenhäuser. Sie verkaufte den Beklagten durch notariellen Vertrag vom 4. Dezember 1975 eines der Grundstücke mit dem darauf zu errichtenden Einfamilienhaus. In § 2 des Vertrages wurde - ebenso wie in den Verträgen mit den anderen Erwerbern - u.a. folgendes vereinbart:
"(1)
Der Kaufpreis für die gemäß § 1 Abs. 2 verkauften Grundstücke und Miteigentumsanteile beträgt
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DM |
195 366,- |
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zuzügl. |
DM |
5 745.- |
Geldbeschaffungskosten |
insgesamt |
DM |
201 111,- |
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Hiervon entfallen auf
a) Grundstück einschl. Erschließung |
DM |
26 582, - |
b) Gebäude (Festpreis) |
DM |
168 784, - |
c) Geldbeschaffungskosten |
DM |
5 745, - |
(2) ...
(3) ...
(4)
Der Kaufpreis enthält anteilige Erschließungskosten einschließlich Kosten für Entwässerung und Hauptversorgungsleitungen. In diesen Kosten ist eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag gem. § 133 Abs. 3 BBauG in Höhe von 7 619,- DM enthalten.
Sollten die endgültigen Erschließungskosten höher liegen, so sind die anteiligen Mehrkosten von den Erwerbern zu zahlen. ..."
Mit Schreiben vom 16. November 1979 verlangte die Klägerin von den Beklagten unter Hinweis auf die zwischenzeitlich amtlich geprüfte Höhe der Erschließungskosten Nachzahlung eines anteiligen Betrages von 6 685 DM. Hierauf zahlten die Beklagten nur 987,90 DM.
Den Klageanspruch auf Zahlung restlicher 5 697,20 DM (nebst Zinsen) - im Berufungsrechtszug auf 5 696,19 DM ermäßigt - haben Landgericht und Oberlandesgericht abgewiesen,
Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin. Die Beklagten beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die Regelung in § 2 des Vertrages über eine Nachforderung von Erschließungskosten für "unklar oder mehrdeutig", weil sich durch Auslegung nicht feststellen lasse, ob sich die Nachzahlungspflicht nur auf die verkehrsmäßige Erschließung des Grundstücks oder auch - wie von der Klägerin geltend gemacht - auf Erschließungsanlagen anderer Art beziehe. Diese Unklarheit gehe bei dem hier von der Klägerin verwendeten Formularvertrag zu deren Lasten.
Den in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag der Klägerin auf Vernehmung des anwesenden Zeugen C. zu ihrer Behauptung, bei Vertragsabschluß habe Einigkeit zwischen den Parteien über eine anteilige Erstattung aller durch die Erschließung bedingten Kosten bestanden, hat das Berufungsgericht gemäß §§ 527, 528 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Vernehmung des Zeugen hätte im Falle einer die Behauptung der Klägerin bestätigenden Aussage den Rechtsstreit verzögert, weil dann auch eine Vernehmung der von den Beklagten schriftsätzlich benannten Gegenzeugen erforderlich gewesen wäre; die Klägerin habe die Verspätung ihres Beweisantrages auch nicht genügend entschuldigt. Unter Beschränkung auf die Zurückweisung dieses Beweisantrages hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen.
II.
Die Beschränkung der Revisionszulassung auf die Frage, ob der Beweisantrag zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden ist, ist unwirksam und daher unbeachtlich. Wird die Revision zugelassen (§ 546 Abs. 1 ZPO), dann erfaßt die Zulassung den Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat. Zwar kann die Zulassung der Revision auf einen selbständigen, durch Teilender Grundurteil (§§ 301, 304 ZPO) abtrennbaren Teil des Rechtsstreits und insoweit auch auf ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel beschränkt werden (BGHZ 53, 152, 154; 76, 397; BGH Beschluß vom 10. Januar 1979, IV ZR 76/78, NJW 1979, 767 und Urteil vom 30. September 1980, VI ZR 213/79, NJW 1981, 287); sie darf aber nicht auf einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt oder auf ein einzelnes Entscheidungselement begrenzt werden (BGH Urteile vom 30. März 1971, VI ZR 190/69, LM ZPO § 546 a.F. Nr. 77; vom 5. Juli 1978, VIII ZR 180/77, WM 1978, 1208; vom 6. Dezember 1979, VII ZR 19/79, VersR 1980, 264, 265 und Beschluß vom 17. Dezember 1980, IVb ZB 499/80, PamRZ 1981, 340). Da der vom Berufungsgericht abgelehnte Beweisantrag den ganzen Klageanspruch betrifft, unterliegt das Berufungsurteil insgesamt der revisionsrechtlichen Nachprüfung.
III.
In der Sache hat die Revision keinen Erfolg.
1.
Der zwischen den Parteien abgeschlossene notarielle Vertrag vom 4. Dezember 1975 ist ein Formularvertrag; denn die Klägerin hat ihn inhaltlich gleichlautend für eine Vielzahl von Rechtsgeschäften, nämlich für die mit allen 21 Reihenhauserwerbem geschlossenen Verträge verwendet. Dennoch ist die Auslegung, die das Berufungsgericht zu der hier fraglichen Vertragsklausel des § 2 vorgenommen hat, revisionsrechtlich nicht uneingeschränkt nachprüfbar, weil nicht ersichtlich ist, daß diese Klausel über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus (§ 549 Abs. 1 ZPO) Verwendung findet (vgl. BGHZ 62, 251, 254 m.w.N.). Die Prüfung der tatrichterlichen Auslegung beschränkt sich deshalb in gleicher Weise wie bei Individualverträgen nur darauf, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind. Dieser Prüfung hält das Berufungsurteil stand.
Die Auslegung, daß sich der in § 2 (4) Abs. 2 Satz 1 des Vertrages geregelte Vorbehalt einer Nachforderung von Erschließungskosten lediglich auf den Erschließungsbeitrag im Sinne des Bundesbaugesetzes bezieht, also auf den beitragsfähigen Aufwand für die verkehrsmäßige Erschließung des Grundstücks gemäß §§ 127, 128 BBauG (in der bei Vertragsabschluss geltenden Fassung vom 23. Juni 1960), ist möglich. Diese Auslegung kann sich darauf stützen, daß § 2 (4) Abs. 1 als im Kaufpreis enthaltene Aufwendungen zum einen "anteilige Erschließungskosten einschließlich Kosten für Entwässerung und Hauptversorgungsleitungen" und zum anderen die "Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag gemäß § 133 Abs. 3 BBauG in Höhe von DM 7 619, -" anführt. Dem Wortlaut nach ist damit allein der Erschließungsbeitrag - nicht die Höhe der sonstigen Erschließungskosten - als ein noch nicht endgültig feststehender Teil des Kaufpreises gekennzeichnet. Wenn deshalb im folgenden Absatz (Satz 1) eine Nachforderung bis zur Höhe der "endgültigen Erschließungskosten" vorbehalten ist, so kann aus dem Erklärungszusammenhang gefolgert werden, daß sich der Vorbehalt nur auf den endgültigen Erschließungsbeitrag erstreckt. Gerade weil die Klägerin in dem von ihr verwendeten Vertragsformular durch die Hervorhebung der gemäß § 133 Abs. 3 BBauG entrichteten Vorausleistung nur den Erschließungsbeitrag als einen der Höhe nach noch offenen und veränderlichen Kostenfaktor genannt hat, ist die Auslegung nicht zu beanstanden, daß der Nachforderungsvorbehalt allein den Erschließungsbeitrag erfaßt. Wenn die Revision meint, eine solche Deutung hätte eine bei den Beklagten nicht vorauszusetzende Kenntnis der Bestimmungen des Bundesbaugesetzes erfordert, so verkennt sie, daß die fragliche Vertragsklausel in ihrem objektiven Sinngehalt gerade auf ein dieser Kenntnis entsprechendes Verständnis hinzielt. Es verstößt daher nicht gegen Treu und Glauben, daß der Tatrichter die Klausel so auch ausgelegt hat. Die Notwendigkeit einer anderen Auslegung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß die Klägerin als ein gemeinnütziges und deshalb nur mit einer begrenzten Gewinnspanne arbeitendes Wohnungsbauunternehmen darauf bedacht hätte sein müssen, sämtliche Erschließungskosten - nicht nur den Erschließungsbeitrag - in voller Höhe auf die Erwerber umzulegen. Auch bei einer derartigen Interessenlage muß die Klägerin den Vertrag so gegen sich gelten lassen, wie er nach Wortlaut und objektivem Erklärungssinn geschlossen worden ist. Sie hatte es in der Hand, die von ihr vorformulierten und verwendeten Vertragsbedingungen eindeutig in dem tatsächlich gewollten Sinne zu fassen. Unklarheiten und Zweifel gehen daher zu ihren Lasten (ständige Rechtsprechung, vgl. BGHZ 47, 207, 216; 62, 83, 89; so jetzt auch § 5 des AGB-Gesetzes vom 9. Dezember 1976).
Soweit die Revision in dem nachvertraglichen Verhalten der Beklagten ein Indiz dafür sieht, daß sie ihrerseits die vertragliche Regelung zunächst nicht anders verstanden hätten als die Klägerin, läßt das auf diesen Gesichtspunkt eingehende Berufungsurteil keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Verfahrensrüge, mit der die Revision die Nichtberücksichtigung ihres in erster Instanz gestellten Antrages auf Parteivernehmung der Beklagten beanstandet, greift nicht durch. Dieser Beweisantrag ist im Berufungsverfahren nicht wiederholt worden. Die pauschale Bezugnahme in der Berufungsbegründung auf den Sachvortrag erster Instanz genügt nicht. Das Berufungsgericht konnte deshalb davon ausgehen, daß der Antrag nicht mehr geltend gemacht werde (BGHZ 35, 103, 106; BVerfGE 36, 92, 99; 46, 315).
2.
Den Beweisantrag der Klägerin (Berufungsklägerin) auf Vernehmung des Zeugen C. zu der Behauptung, bei Vertragsabschluß habe Einigkeit über eine Nachforderung auch anderer als der den Erschließungsbeitrag betreffenden Erschließungskosten bestanden, hat das Berufungsgericht zu Recht gemäß §§ 527, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen.
Dieser Antrag ist erst in der Berufungsverhandlung gestellt worden. Die Ansicht des Berufungsgerichts, eine Zulassung des neuen Beweismittels würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögert haben, ist rechtsbedenkenfrei. Der Zeuge ist zwar zum Termin gestellt worden und hätte deshalb vernommen werden können; seine Aussage hätte aber, wenn dadurch die Behauptung der Klägerin aus tatrichterlicher Sicht glaubhaft bestätigt worden wäre, dann auch eine Vernehmung der von den Beklagten schriftsätzlich benannten Gegenzeugen erforderlich gemacht. Dadurch hätte sich der Rechtsstreit verzögert. Es ist kein Unterschied, ob ein neuer Beweisantrag schon für sich allein zur Verzögerung führt oder ob erst im Hinblick auf die sich aus seiner Zulassung ergebende Notwendigkeit weiterer Beweisanordnungen eine Verzögerung eintritt. Es kommt nur darauf an, daß sich der Rechtsstreit als ursächliche Folge des verspäteten Vorbringens verzögert.
Die Auffassung der Revision, eine solche Betrachtungsweise liefe auf eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung hinaus, liegt neben der Sache. Das Gericht hat gemäß §§ 296, 527, 528 ZPO in der seit dem 1. Juli 1977 geltenden Fassung nach freier Überzeugung - insoweit anders als nach §§ 279 Abs. 1, 529 Abs. 2 ZPO a.F. - zu beurteilen, ob der Rechtsstreit durch neues Vorbringen verzögert wird. Diese Überzeugung kann es sich nur bilden, wenn es die Auswirkungen des Vorbringens auf den zeitlichen Verfahrensablauf prüft. Dazu aber gehört in dem hier vorliegenden Falle des Antrages auf Vernehmung eines präsenten Zeugen die Überlegung, ob die Beweisaufnahme bei einem Ergebnis, das der unter Beweis gestellten Behauptung entspräche, nur aus diesem Grunde weitere, den Prozeß verzögernde Beweiserhebungen erfordern würde. Die Hinnahme einer solchen, allein durch den verspäteten Beweisantrag verursachten Verzögerung wäre mit dem durch die Neuregelung der §§ 296, 527, 528 ZPO beabsichtigten Zweck einer Beschleunigung des Verfahrens unvereinbar. Dieser Ansicht des Senats steht das zu § 529 Abs. 2 ZPO a.F. ergangene Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 3. Oktober 1963, VII ZR 202/62, LM ZPO § 529 a.F. Nr. 21 = MDR 1964, 47, wonach die Vernehmung eines verspätet benannten Zeugen nicht mit der Begründung abgelehnt werden darf, der Rechtsstreit werde durch die infolge dieser Vernehmung möglicherweise nötige Vernehmung eines anderen Zeugen verzögert, schon deswegen nicht entgegen, weil die jetzt in den §§ 296, 527, 528 ZPO getroffene Regelung auf einen umfassenderen und wirksameren Ausschluß verspäteten Vorbringens als nach früherem Verfahrensrecht abzielt (vgl. BGHZ 75, 138, 141). Es kommt hinzu, daß in dem dort entschiedenen Fall der neue Zeuge schon in der Berufungsbegründung benannt war, deshalb nicht nur dieser Zeuge, sondern zugleich auch der - zudem bereits in erster Instanz vernommene - Gegenzeuge gemäß § 272 b ZPO a.F. zum Verhandlungstermin hätte geladen werden können und dadurch eine Verzögerung des Rechtsstreits vermieden worden wäre. Diese Möglichkeit hingegen bestand im vorliegenden Falle nicht, weil die Klägerin den Zeugen C. erst im Verhandlungstermin benannt hat, so daß die Vernehmung der nicht präsenten Gegenzeugen einen neuen Termin zur Beweisaufnahme nötig gemacht hätte.
Ohne Bedeutung ist, ob die rechtzeitige Benennung des Zeugen im Ergebnis zu einer gleichen Prozeßdauer geführt hätte wie der verspätete Beweisantrag. Die Frage der Verzögerung beurteilt sich nur danach, ob bei Zulassung des verspäteten Vorbringens nach der in diesem Zeitpunkt gegebenen Verfahrenslage der Rechtsstreit länger dauern würde als bei Zurückweisung dieses Vorbringens (BGHZ 75, 138, 141; 76, 133, 135).
Zutreffend ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Klägerin die Verspätung ihres Beweisantrages nicht genügend entschuldigt hat (§§ 527, 519, 296 Abs. 1 ZPO). Das wird von der Revision nicht gerügt.
3.
Die Revision der Klägerin ist demnach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018812 |
BGHZ 83, 310 - 313 |
BGHZ, 310 |
NJW 1982, 1435 |
NJW 1982, 1535-1536 (Volltext mit amtl. LS) |
ZIP 1982, 626 |
MDR 1982, 658 (Volltext mit amtl. LS) |
WuM 1982, 332-333 (Volltext mit amtl. LS) |