Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Tenor
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Landau vom 2. März 1999 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines rechtskräftigen Urteils zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, daß das Landgericht rechtsfehlerhaft keinen bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen geriet der durch Alkohol- und Haschischgenuß enthemmte Angeklagte in „stark gereizter Stimmung” mit dem ihm an Körperkräften überlegenen Lebensgefährten seiner Mutter in einen sich aus „gegenseitigen Provokationen” heraus entwickelnden Streit. Bei der sich anschließenden tätlichen Auseinandersetzung zog der Angeklagte sein Klappmesser mit einer 9 cm langen Klinge aus der Tasche und stach mehrfach auf sein Opfer ein, wobei er viermal traf. Die Stiche wurden „tangential” zum Körper von oben nach unten geführt. Einer traf den Geschädigten im Rücken, zwei Stiche verletzten ihn im Bereich der linken Schulter, und der vierte Stich traf seinen linken Unterarm. Dem Angeklagten war bewußt, daß die Messerstiche lebensgefährdend sein konnten. Bei geringfügig geänderter Stichführung wären der Stich in den Rücken und ein Stich in die Schulter lebensgefährlich gewesen. Tatsächlich erlitt der Geschädigte keine lebensbedrohlichen Verletzungen.
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Handeln des Angeklagten mit bedingtem Tötungsvorsatz verneint, lassen Rechtsfehler nicht erkennen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt der Täter (bedingt) vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, daß er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt; hingegen ist bewußte Fahrlässigkeit gegeben, wenn er mit der als möglich erkannten Todesfolge nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, sie werde nicht eintreten. Da diese Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft werden. Insbesondere die Beurteilung der Frage, ob der Täter einen tödlichen Ausgang billigend in Kauf nahm, muß sich mit dessen Persönlichkeit befassen und auch die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände in Betracht ziehen. Geboten ist somit eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (BGHSt 36, 1, 9 f.; vgl. auch BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 41 sowie BGH, Urteil vom 8. Juni 1999 - 1 StR 163/99). Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil:
a) Die Jugendkammer hat nicht übersehen, daß es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen – wie hier – naheliegt, daß der Täter die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs erkennt und diese Folge seines Tuns billigend in Kauf nimmt. Unter „Gesamtabwägung aller Beweisanzeichen” hat das Landgericht aber nicht ausschließen können, daß der Angeklagte auf einen „glücklichen Ausgang” vertraute. Hierbei hat es – sachverständig beraten – zum einen berücksichtigt, daß die Stiche vom Angeklagten so geführt wurden, daß eine „erhebliche Wahrscheinlichkeit” dafür bestand, daß es nicht zu tödlichen Verletzungen kommen würde. Zum anderen hat es gewertet, daß es dem zur Tatzeit 18-jährigen, noch unreifen Angeklagten nach seiner Motivationslage darauf angekommen sei, in der „affektiven Erregungsphase”, in der er sich befunden habe, dem Lebensgefährten seiner Mutter einen „Denkzettel” zu verpassen und ihn „in die Schranken zu weisen”. Der Angeklagte habe sich so innerhalb der Familie „Freiräume” verschaffen, nicht aber – durch die Tötung des Lebenspartners der Mutter – die Familie zerstören wollen. Aus dem Vorsatz, „dem ‚Stiefvater’ die Grenzen aufzuzeigen”, vermochte die Jugendkammer – unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten – nicht den Schluß zu ziehen, daß er auch „die höhere Hemmschwelle gegenüber einer möglichen Tötung überwunden (habe)”.
b) Die landgerichtliche Beweiswürdigung weist einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht auf:
Der Einwand der Beschwerdeführerin, das Landgericht sei von einem falschen Maßstab zur Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit ausgegangen, geht fehl. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, daß die Jugendkammer nicht ausschließen konnte, daß der Angeklagte nicht nur vage, sondern ernsthaft auf den Nichteintritt der Todesfolge vertraute. Daß dem Angeklagten beim Zustechen mit dem Messer die „Gefährlichkeit seines Tuns” bewußt war, belegt den vom Landgericht angenommenen Vorsatz, eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nrn. 2, 5 StGB) begehen zu wollen, nicht aber ohne weiteres einen Tötungsvorsatz (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41). Die von der Revision vermißte „Gesamtschau” aller objektiven und subjektiven Tatumstände hat das Landgericht vorgenommen; den Bestand des Urteils gefährdende Widersprüche, Lücken oder Denkfehler in der Beweiswürdigung sind nicht vorhanden. So steht der Feststellung, daß bei geringfügig geänderter Stichführung die Gefahr lebensgefährlicher Verletzungen vorgelegen habe, der Schluß des Landgerichts nicht entgegen, daß durch die konkret – „tangential” zum Körper von oben nach unten – gesetzten Stiche eine erhebliche (überwiegende) Wahrscheinlichkeit dafür sprach, „dass es nicht zu lebensgefährlichen Verletzungen (kam), auch wenn diese Möglichkeit durchaus bestand.”
Soweit die Revision beanstandet, frühere Drohungen des Angeklagten seien nicht zureichend in die Beweiswürdigung einbezogen worden, muß ihr der Erfolg ebenfalls versagt bleiben: Das Landgericht hat dazu ausgeführt, daß die Äußerungen des Angeklagten mehrere Monate vor der Tat, er werde den Lebenspartner der Mutter „abstechen”, wenn dieser ihn (den Angeklagten) erneut schlage, bzw. er werde ihn „umschießen”, als „Beleg” für den Tötungsvorsatz nicht geeignet seien; denn es lasse sich nicht feststellen, daß hinter diesen Äußerungen mehr stecke als „verbale Übertreibungen” wie sie zum Sprachgebrauch innerhalb der Familie des Angeklagten gehörten. Diese Erwägung läßt keinen Rechtsfehler erkennen und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. Soweit die Beschwerdeführerin aus diesen Äußerungen andere Folgerungen zieht als das Landgericht und eine eigene „Gesamtwürdigung” vornimmt, kann sie damit im Revisionsverfahren nicht gehört werden.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Tolksdorf, Kuckein, Athing
Fundstellen