Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschuldenshaftung des Architekten für Schäden aus Grundstücksvertiefung und aus Immissionseinwirkungen durch Bodenerschütterungen
Leitsatz (amtlich)
- Zur Frage einer Verschuldenshaftung des Architekten für Schäden aus Grundstücksvertiefung und aus Immissionseinwirkungen durch Bodenerschütterungen.
- Wird durch eine Grundstücksvertiefung ohne Verschulden des Eigentümers dem Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze entzogen, so kommt gegen ihn ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch des geschädigten Eigentümers in Betracht (im Anschluß an BGHZ 72, 289).
- Sind Grundstückseigentümer und Architekt für ein und dieselbe Schadensursache verantwortlich, so haften sie auch dann als Gesamtschuldner (§840 BGB), wenn den Eigentümer eine nachbarrechtliche Ausgleichspflicht und nur den Architekten eine Haftung aus unerlaubter Handlung trifft.
Normenkette
BGB §§ 840, 906, 909
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 20. Januar 1981 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 5 des Landgerichts Berlin vom 27. Juni 1980 in Höhe eines gegen die Beklagten zu 2 und 4 gerichteten Klageanspruches von 91.745,47 DM nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Davon ausgenommen ist die Entscheidung über die den Beklagten zu 1 und 3 in den Vorinstanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten sowie über die Hälfte der dort entstandenen Gerichtskosten; diese Kosten hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des Eckgrundstücks G.
Straße ... und .../N. Straße ... in B.-W. Dieses Grundstück ist mit einem fünfgeschossigen Wohnhaus bebaut, das im Jahre 1907 errichtet und im zweiten Weltkrieg beschädigt worden ist. Die Giebelmauer des Hauses steht an der Grenze zu dem der Beklagten zu 4 gehörenden Grundstück G. Straße ... Auf diesem Grundstück und ihren dahinter liegenden Grundstücken B. Straße ... baute die Beklagte zu 4 im Jahre 1979 ein Geschäftshaus (Supermarkt) mit einer Tiefgarage. Die Bauplanung und Bauleitung übertrug sie dem Beklagten zu 2.
Die Garage wurde in einem Grenzabstand von 3,50 m errichtet und etwa 1,50 m tiefer gegründet als die Giebelsohle des Hauses des Klägers. In dem dazwischenliegenden 3,50 m breiten Geländestreifen entlang der Grenze wurde die Garagenrampe angelegt, und zwar - entgegen der ursprünglichen Planung - oberhalb der Fundamentsohle der benachbarten Giebelwand. Zur Prüfung der Bodenverhältnisse des Baugrundstücks hatte der Beklagte zu 2 sechs Tiefbohrungen vornehmen lassen und über den Bodenbefund ein Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Bodenmechanik an der Technischen Universität B. eingeholt. Die Baugrube für die Tiefgarage wurde sodann in Übereinstimmung mit der baubehördlich geprüften Statik durch einen sogenannten Berliner Verbau abgestützt. Dieser Verbau - bestehend aus senkrechten Stahlträgern mit einer waagerechten Holzausfachung - wurde in der Weise ausgeführt, daß in einem Grenzabstand von 2,65 m die dort befindliche Geschiebelehmschicht durchbohrt und in die Bohrlöcher von 40 cm Durchmesser die Stahlträger mittels eines Rüttelgeräts ("Vibrationsbär") bis zu einer Tiefe von sieben bis acht Metern unterhalb der Baugrubensohle in den Boden getrieben wurden. Nach Fertigstellung der Tiefgarage und Verfüllung des Arbeitsraumes der Baugrube wurden die Träger - ausgenommen die im Rampenbereich einbetonierten - wiederum unter Verwendung des Vibrationsbärs herausgezogen.
Nach der Behauptung des Klägers sind durch unsachgemäße Ausführung dieser Gründungsarbeiten Schäden an seinem Haus entstanden. Er hat deswegen die Beklagten zu 2 und 4 sowie die frühere Beklagte zu 3 als bauausführendes Unternehmen und die frühere Beklagte zu 1 als deren Subunternehmerin auf Schadensersatz in Höhe von 131.745,47 DM (nebst Zinsen) verklagt; darüber hinaus hat er die Feststellung beantragt,
daß die vier Beklagten auch zum Ersatz seines weitergehenden Schadens verpflichtet seien.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers - mit dem auf 134.103,09 DM erhöhten Zahlungsanspruch - hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger Revision eingelegt, jedoch das gegen die Beklagten zu 1 und 3 gerichtete Rechtsmittel zurückgenommen. Mit der Revision gegen die Beklagten zu 2 und 4 verfolgt er seinen Zahlungsanspruch (Jetzt vermindert um den früher geltend gemachten merkantilen Minderwert) in Höhe eines Betrages von 91.745,47 DM nebst anteiligen Zinsen weiter.
Die beiden Beklagten beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht führt aus: Zwar könne davon ausgegangen werden, daß an dem Haus des Klägers nach Beginn der Arbeiten auf dem Nachbargrundstück der Beklagten zu 4 eine "Verschlechterung der Bausubstanz" eingetreten sei; das Klagevorbringen lasse jedoch die nötige Differenzierung derjenigen Schäden vermissen, die in dem jeweiligen Verantwortungsbereich der Beklagten lägen. Da die zur Abstützung der Baugrube gewählte Methode des "Berliner Verbaues" sachgerecht erschienen und die Ausführung fortlaufend überwacht worden sei, komme eine Haftung des Beklagten zu 2 nur für solche Schäden in Betracht, die erst in dem Zeitraum entstanden seien, nachdem der Kläger auf Schäden hingewiesen habe. Insoweit fehle es aber an der Darlegung dieses Schadensanteils. Gleiches gelte für die Beklagte zu 4. Auch für einen gegen sie möglichen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch aus §906 Abs. 2 Satz 2 BGB, der indessen auf die durch den Einsatz des Rüttelgeräts herbeigeführten Beeinträchtigungen beschränkt sei, habe der Kläger den gerade auf dieser Ursache beruhenden Schadensanteil nicht dargetan.
II.
Die Revision ist begründet.
1.
Beklagter zu 2:
a)
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts spricht der zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen den Gründungsarbeiten auf dem Baugrundstück der Beklagten zu 4 und dem Eintritt von Schäden an dem Nachbargebäude des Klägers für die Annahme, daß diese Schäden "durch die Eingriffe in den Baugrund" bei Errichtung der 1,50 m unterhalb des Giebelfundaments gegründeten Tiefgarage verursacht worden sind. Damit kommt eine Haftung des Beklagten zu 2 als des mit der Bauplanung und Bauleitung betrauten Architekten wegen unerlaubter Grundstücksvertiefung gemäß §§823 Abs. 2, 909 BGB in Betracht. In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, daß §909 BGB für jeden gilt, der ein Grundstück vertieft oder daran mitwirkt, somit auch für den vom Bauherrn beauftragten Architekten (vgl. BGH Urteile vom 4. Dezember 1964, VI ZR 184/63, LM BGB §909 Nr. 4 a und vom 27. Juni 1969, V ZR 41/66, LM BGB §909 Nr. 9 = NJW 1969, 2140, 2142; MünchKomm/Säcker §909 Rdn. 25; Palandt/Bassenge, BGB 42. Aufl. §909 Anm. 1).
Für die Anwendung des §909 BGB genügt jede Einwirkung auf das Grundstück, die zur Folge hat, daß der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliert oder daß dort die Festigkeit der unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt wird (BGHZ 44, 130, 135; 63, 176, 179; BGH Urteile vom 10. November 1977, III ZR 121/75, NJW 1978, 1051, 1052 und vom 19. September 1979, V ZR 22/78, NJW 1980, 224, 225). Vertiefungsauswirkungen dieser Art auf die Standfestigkeit seines Hauses behauptet der Kläger. Das Berufungsgericht hält sie für möglich. Davon ist mithin im Revisionsverfahren auszugehen.
Die Frage, ob infolge einer Vertiefung der Boden des Nachbargrundstücks die im Sinne des §909 BGB erforderliche Stütze verliert, beurteilt sich danach, welche Befestigung das Nachbargrundstück nach seiner tatsächlichen Beschaffenheit benötigt. Rechtswidrig ist eine Vertiefung somit auch dann, wenn sie - wie möglicherweise im vorliegenden Fall - zu einer Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Nachbarhauses nur in Anbetracht seiner schon durch Alter und Kriegseinwirkung bedingten Schadensanfälligkeit führt (vgl. Senatsurteile BGHZ 44, 130, 137; vom 19. Oktober 1965, V ZR 171/63, NJW 1966, 42, 43 = WM 1966, 33, 37 und vom 27. Juni 1969 aaO; BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. §909 Rdn. 6).
Was das nach §823 BGB erforderliche Verschulden des Beklagten zu 2 anbelangt, so beurteilt das Berufungsgericht dessen Verantwortlichkeit nach dem gleichen Maßstab, den es an die Tätigkeit der mit der Ausschachtung und Abstützung der Baugrube beauftragten früheren Beklagten zu 1 anlegt. Das ist rechtlich verfehlt, wie die Revision zutreffend rügt.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird ein Verschulden des Beklagten zu 2 nicht schon dadurch in Frage gestellt, daß die zur Abstützung der Baugrube gewählte Methode des sogenannten Berliner Verbaues - einer Bohlwand aus senkrecht mit einem Rüttelgerät ("Vibrationsbär") bis zu einer Tiefe von sieben bis acht Metern unter die Gründungssohle in den Boden getriebenen Stahlträgern und aus einer waagerechten, hinterfüllten Holzausfachung - nach den Bodenverhältnissen des Baugrundstücks und nach der baubehördlich geprüften Statik sachgemäß erschien und daß die Ausführung dieses Verbaues fortlaufend durch Fachleute überwacht worden ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der für die Bauplanung und Bauleitung verantwortliche Beklagte zu 2 von vornherein auch die besondere Gefahrenlage bedacht hatte, die sich aus dem Bauzustand des damals schon 72 Jahre alten und durch Kriegsschäden belasteten Nachbargebäudes bei der hier gewählten Art der Baugrubenabstützung ergab. Bei einer Grundstücksvertiefung in Grenznähe eines bebauten Nachbargrundstücks sind an die Sorgfaltspflicht des Architekten strenge Anforderungen zu stellen. Das gilt erst recht unter der vorliegenden Voraussetzung einer ersichtlichen Baufälligkeit des Nachbargebäudes. Wenn daher das Berufungsgericht unterstellt, daß von dem Einsatz des Rüttelgeräts wesentliche Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers ausgegangen seien, "die durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen hätten vermieden werden können", so hätte sich die Frage aufdrängen müssen, ob der Beklagte zu 2 diese Maßnahmen nicht gerade deshalb als notwendig hätte erkennen und anwenden müssen, weil der ungünstige Bauzustand des Nachbargebäudes zur Verhinderung von Vertiefungsschäden unter allen Umständen die Wahl der sichersten Methode geboten hätte. Insoweit verweist die Revision auf die von dem Sachverständigen Böttcher aufgezeigten wirksameren Möglichkeiten einer Giebelunterfangung oder auch eines "B. Verbaues" im Bohrpfahlverfahren (Gutachten Seite 20). Auch wenn daher die Bodenverhältnisse auf dem Baugrundstück und die statischen Berechnungen einen "Berliner Verbau" im Spundwandverfahren unbedenklich erscheinen ließen, so wurde der Beklagte zu 2 dadurch nicht der eigenen Pflicht enthoben, sich über den Bauzustand des Nachbarhauses zu vergewissern und danach mit der erforderlichen Sorgfalt zu entscheiden, ob nicht hier die sicherste Methode angebracht war. Feststellungen dazu trifft das Berufungsurteil nicht. Die baubehördliche Genehmigung des gewählten Verfahrens entlastet den Beklagten zu 2 nicht (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1979, V ZR 100/75, LM BGB §909 Nr. 21 = WM 1979, 950).
b)
Für Schäden an dem Haus des Klägers, die zwar aus Anlaß der Grundstücksvertiefung, aber nicht durch Verlust der für das Haus erforderlichen Bodenstütze, sondern durch Bodenerschütterungen - also durch Immissionen - verursacht worden sind, scheidet §909 BGB (in Verbindung mit §823 Abs. 2 BGB) als Anspruchsgrundlage aus (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1966, V ZR 155/63, LM BGB §909 Nr. 7 = WM 1966, 712, 713). Eine Haftung des Beklagten zu 2 für diese Schäden kommt aber gemäß §823 Abs. 1 BGB wegen fahrlässiger Eigentumsverletzung in Betracht.
Das Berufungsgericht unterstellt, daß durch die Rüttelarbeiten bei Errichtung der die Baugrube abstützenden Stahlspundwand - und möglicherweise auch bei ihrem späteren Abbau - Bodenerschütterungen ausgelöst und dadurch Schäden an dem Haus des Klägers verursacht wurden, die durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen hätten verhindert werden können. Deshalb ist für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß dieser Schaden auf einer nicht von §906 Abs. 1 oder Abs. 2 Satz 1 BGB gedeckten, folglich widerrechtlichen Immissionseinwirkung beruhte.
Fahrlässig handelte der mit der Planung und Leitung des Bauvorhabens beauftragte Beklagte zu 2, wenn er bei Anwendung der von einem Architekten zu erwartenden Sorgfalt die Gefahr hätte voraussehen und vermeiden können, welche ein "B. Verbau" im Spundwandverfahren wegen der damit verbundenen Rüttelarbeiten und der hierdurch bedingten Bodenerschütterungen für das Haus des Klägers zur Folge haben konnte. Insoweit kommt, wie bereits dargelegt, besondere Bedeutung dem Umstand zu, daß dieses Haus schon durch Alter und Kriegsschäden gefährdet war. Die vom Tatrichter zu prüfende Frage ist daher, ob nicht in dieser außergewöhnlichen Lage für den Beklagten zu 2 ein erkennbarer Anlaß bestand, das Risiko zu berücksichtigen, dem das Haus bei starken Bodenerschütterungen ausgesetzt war, und ob er deshalb nicht das Erfordernis einer anderen, sichereren Art der Bodenabstützung hätte vorhersehen können.
Aber auch wenn dem Beklagten zu 2 aus der Wahl des "B. Verbaues" nach dem ihm damals möglichen Erkenntnisstand kein Schuldvorwurf gemacht werden könnte, so hätte er sich ab Baubeginn als Bauleiter selbständig und eigenverantwortlich davon überzeugen müssen, ob und in welchem Ausmaße durch den Einsatz des Rüttelgeräts Bodenerschütterungen auf das Nachbargrundstück ausgingen. Gerade auch an die Überwachungspflicht des bauleitenden Architekten sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Beklagte zu 2 durfte sich nicht damit begnügen, daß der Verbau in der bei Verwendung einer Spundwand üblichen Weise fachgerecht ausgeführt wurde. Was nach Ansicht des Berufungsgerichts für die den Verbau ausführende frühere Beklagte zu 1 gilt, daß nämlich deren Arbeiter "nach den vorangegangenen und den fortlaufenden Überprüfungen durch Fachleute" nicht mit nachteiligen Auswirkungen der Rüttelarbeiten auf die "Bausubstanz" des Nachbargebäudes hätten zu rechnen brauchen, gilt nicht in gleicher Weise auch für den Beklagten zu 2. Denn er war, wie die Revision mit Recht geltend macht, selbst Fachmann und als verantwortlicher Bauleiter gehalten, sich von Anfang an und ständig Gewißheit über die tatsächlichen Auswirkungen des mit erheblichen Bodenerschütterungen verbundenen Arbeitsvorganges auf den ohnehin schon durch Alter und Kriegsschäden gefährdeten Zustand des Nachbarhauses zu verschaffen. Auch hierzu hat das Berufungsgericht Feststellungen nicht getroffen.
c)
Unter diesen Umständen ist die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Beklagte zu 2 lediglich für die Schäden hafte, die noch in der Zeit nach der ersten Schadensanzeige des Klägers entstanden seien, rechtlich unhaltbar.
Da somit eine Haftung des Beklagten zu 2 sowohl für Vertiefungsschäden als auch für Immissionsschäden (Bodenerschütterungen) in Betracht kommt, bedurfte es schon aus diesem Grunde seitens des Klägers keiner Aufgliederung der Schäden auf die eine oder andere Ursache und auch nicht auf die Zeiträume vor und nach der Schadensmitteilung.
Aber auch wenn der Beklagte zu 2 nur für einen Teil der bei Ausführung des Bauvorhabens entstandenen Schäden haften sollte, läßt sich die Klage nicht einfach mit der Begründung abweisen, der entsprechende Schadensanteil sei nicht dargetan. Vielmehr muß dann das Berufungsgericht von der im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität gegebenen Möglichkeit der Schadensschätzung nach §287 ZPO Gebrauch machen (vgl. BGHZ 66, 70, 76; BGH Urteile vom 8. Dezember 1977, III ZR 46/75, VersR 1978, 281, 283 und vom 28. April 1982, IV a ZR 8/81, VersR 1982, 756). Gleiches gilt für die Abgrenzung der kriegsbedingten Vorschäden des Hauses, deren Umfang sich zudem aus einem Vergleich der gutachtlichen Feststellungen ergeben könnte, die der Sachverständige Georgi am 16. Mai 1979 zur Ermittlung der Altschäden und der Sachverständige Böttcher am 31. Januar 1980 zur Ermittlung der in diesem Zeitpunkt bestehenden Schäden getroffen hat. Bei Unaufklärbarkeit der nach Ausscheidung dieser Vorschäden verbleibenden Verursachungsanteile im Verhältnis zwischen dem Beklagten zu 2 und der Beklagten zu 4 käme §830 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Zuge (vgl. dazu nachfolgend unter 2. a).
2.
Beklagte zu 4:
a)
Eine Verschuldenshaftung (§§823, 909 BGB) der Beklagten zu 4 - der Grundstückseigentümerin - verneint das Berufungsgericht für diejenigen Schäden, die in der Zeit vor den Beanstandungen des Klägers eingetreten sind. Insoweit bestehen aus Rechtsgründen keine Bedenken. Auch die Revision bringt dagegen nichts vor. Unklar ist allerdings, ob das Berufungsgericht eine Verschuldenshaftung der Beklagten zu 4 für etwa nach den Beanstandungen noch verursachte Schäden annimmt. Wäre das der Fall, so käme eine Haftung der Beklagten zu 4 gemäß §830 Abs. 1 Satz 2 BGB gesamtschuldnerisch für den vollen Schaden in Frage, sofern sich der von ihr verursachte Schadensanteil nicht ermitteln ließe und der Beklagte zu 2 nicht aus erwiesener Verursachung für den ganzen Schaden haften sollte (BGHZ 67, 14, 19 f; 72, 355, 358).
b)
Verschuldensunabhängig ist der vom Berufungsgericht in Erwägung gezogene nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte zu 4 aus §906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Diese Vorschrift regelt zwar nur die Ausgleichspflicht des Grundstückseigentümers für Immissionsb eeinträchtigungen, worunter hier lediglich die durch Bodenerschütterungen (§906 Abs. 1 BGB) verursachten Schäden, nicht jedoch Vertiefungsschäden (§909 BGB) fallen würden; indessen kommt - was das Berufungsgericht verkennt - in entsprechender Anwendung des §906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch auch für andere als durch Immissionen herbeigeführte Beeinträchtigungen in Betracht (BGHZ 58, 149, 159; 62, 361, 366 f; 72, 289). Er erfaßt alle von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück ausgehenden Einwirkungen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß §1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Unter diesen Voraussetzungen besteht ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch auch für Schäden aus einer nach §909 BGB unzulässigen Grundstücksvertiefung, wenn dafür mangels Verschuldens keine Schadensersatzpflicht nach §823 Abs. 2 BGB gegeben ist (BGHZ 72, 289, 292; vgl. auch schon das von der Möglichkeit eines solchen Ausgleichsanspruchs ausgehende Senatsurteil vom 5. November 1976, V ZR 93/73, LM BGB §909 Nr. 16 = NJW 1977, 763, 764 unter Ziff. IV; ebenso Erman/Hagen, BGB 7. Aufl. §909 Rdn. 5; MünchKomm/Säcker §909 Rdn. 28).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht auszuschließen, daß die Vertiefung des Grundstücks der Beklagten zu 4 dem Nachbargrundstück des Klägers die erforderliche Bodenstütze entzogen und dadurch Schäden an seinem Haus herbeigeführt hat. Diese Vertiefungsfolge braucht der Kläger nicht entschädigungslos zu tragen. Zwar wäre er befugt gewesen, gemäß §1004 Abs. 1 BGB von vornherein Unterlassung der widerrechtlichen Vertiefung zu verlangen; dazu hatte er jedoch zunächst keine Veranlassung, weil er darauf vertrauen durfte, daß die von der Baubehörde genehmigte Baumaßnahme unter Beachtung aller nötigen Sicherheitsvorkehrungen geplant worden sei und dementsprechend für sein Grundstück gefahrlos ausgeführt werden würde. Auch in einem solchen Fall eines nicht durch eine nachbarrechtliche Duldungspflicht (§1004 Abs. 2 BGB), sondern durch triftige tatsächliche Gründe ausgeschlossenen Abwehranspruches greift der Ausgleichsanspruch ein (BGHZ 72, 289, 294; Erman/Hagen a.a.O. §906 Rdn. 30).
Derartige tatsächliche Hinderungsgründe standen hier auch einer Abwehr der von den Rammarbeiten ausgehenden - rechtswidrigen - Immissionsbeeinträchtigungen entgegen, zumal diese Arbeiten offenbar in so kurzer Zeit abgeschlossen waren, daß dem Kläger keine hinreichende Frist für die Prüfung der Frage zur Verfügung stand, ob Bodenerschütterungen mit nachteiligen Auswirkungen auf sein Haus zu erwarten waren.
Erst als sich Schäden zeigten, hätte der Kläger die Notwendigkeit erkennen können, weitere schädliche Einwirkungen auf sein Grundstück gemäß §1004 Abs. 1 BGB durch Klage oder einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung abzuwehren. Nach seinen Angaben sind ihm Ende Juni 1979 von Mietern seines Hauses Schadenshinweise gegeben worden, woraufhin er am 2. Juli 1979 auf Einstellung der Rüttelarbeiten gedrängt haben will. Indessen waren nach dem Tatbestand des Berufungsurteils in diesem Zeitpunkt die Rammarbeiten in dem seinem Grundstück benachbarten Geländebereich schon beendet, so daß nunmehr Abwehrmaßnahmen die bereits eingetretenen Schäden nicht mehr hätten verhindern können. Daß dann ab 28. September 1979 - wie das Berufungsgericht feststellt - die Stahlträger der Spundwand wiederum unter Verwendung des Vibrationsgeräts herausgezogen wurden und daß dabei erneut Schäden drohten, brauchte der nicht fachkundige und mit der Art sowie dem zeitlichen Ablauf der Arbeitsvorgänge nicht vertraute Kläger nicht ohne weiteres in Erwägung zu ziehen.
Da mithin die Beklagte zu 4 sowohl für etwaige Vertiefungsschäden als auch für Immissionsschäden durch Bodenerschütterungen ausgleichspflichtig ist, kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit die Schäden auf die eine oder die andere Ursache zurückzuführen sind. Davon auszunehmen sind lediglich die alters- und kriegsbedingten Vorschäden des Hauses, die notfalls durch Schätzung nach §287 ZPO zu ermitteln sind (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt 1 c betr. den Beklagten zu 2).
Der Inhalt dieses nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches bestimmt sich nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung (vgl. BGHZ 49, 148, 155; 62, 361, 371; 64, 220, 225; vgl. auch Kreft, Bemessung der Enteignungsentschädigung nach der Rechtsprechung des BGH, WM-Sonderbeilage Nr. 7/1982).
3.
Für den Fall, daß an dem Haus des Klägers Schäden durch Vertiefung des Grundstücks der Beklagten zu 4 und durch die dort vorgenommenen Rüttelarbeiten oder durch einen dieser Vorgänge entstanden sind, haften die Beklagten zu 2 und 4 gemäß §840 BGB als Gesamtschuldner, weil sie beide nebeneinander für jede dieser Ursachen verantwortlich wären, wenn von dem bisher festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird. Insoweit spielt es keine Rolle, daß allein den Beklagten zu 2 der Vorwurf einer unerlaubten Handlung trifft, die Beklagte zu 4 hingegen nur gemäß §906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgleichspflichtig ist.
Zwar gilt §840 BGB seinem Wortlaut nach nur für eine von mehreren Personen begangene "unerlaubte Handlung"; dieser Begriff ist jedoch im Interesse des Geschädigten in einer über die Tatbestände der §§823 ff BGB hinausreichenden Bedeutung zu verstehen (vgl. BGB-RGRK/Nüßgens a.a.O. §840 Rdn. 6; MünchKomm/Mertens §840 Rdn. 5; Palandt/Thomas a.a.O. §840 Anm. 1). Demgemäß wird diese Regelung auch auf die Gefährdungshaftung und auf den Fall angewendet, daß eine Person aus Gefährdungshaftung, eine andere aus unerlaubter Handlung ersatzpflichtig ist (vgl. BGHZ 11, 170, 171; 12, 213, BGH Urteil vom 18. Januar 1957, VI ZR 303/55, LM BGB §840 Nr. 5). Gleiches gilt grundsätzlich für enteignungsrechtliche Entschädigungsansprüche (BGHZ 72, 289, 297).
Für nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche gegen mehrere Personen aus unterschiedlichen Ursachen wird allerdings auch dann, wenn die jeweilige Ursache für sich allein geeignet war, den ganzen Schaden herbeizuführen, keine gesamtschuldnerische, sondern nur eine gleichmäßige Haftung der beteiligten Verursacher angenommen (vgl. BGHZ 72, 289, 297/298). Vorliegend jedoch geht es darum, daß mehrere Beteiligte für ein und dieselbe Einwirkung verantwortlich sind. Denn auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts sind beide Beklagten sowohl für einen Vertiefungs als auch für einen Immissionsschaden haftbar. In einem derartigen Fall ist eine solidarische Haftung zumindest in entsprechender Anwendung von §840 BGB auch für nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche gerechtfertigt (so schon RGZ 167, 14, 39; vgl. auch BGB-RGRK/Nüßgens a.a.O. §840 Rdn. 10; MünchKomm/Mertens §840 Rdn. 5). Nichts anderes kann dann gelten, wenn bei gleicher Schadensursache der eine Beklagte aus nachbarrechtlicher Ausgleichspflicht und der andere aus unerlaubter Handlung haftet, wie im vorliegenden Fall. Denn auch in dieser Lage greift der für die Gesamtschuldregelung des §840 BGB maßgebende Gesichtspunkt ein, daß der Geschädigte nicht mit dem Risiko belastet werden darf, dem er bei nur anteilmäßiger Haftung mehrerer Schadensverursacher ausgesetzt wäre (vgl. BGB-RGRK/Nüßgens a.a.O. §840 Rdn. 3).
Die Gesamtschuld der beiden Beklagten ist jedoch - wie auch in sonstigen Fällen eines unterschiedlichen Umfanges der Ersatzpflicht - auf die Höhe des Zahlungsanspruches beschränkt, der gegen die Beklagte zu 4 nach dem für sie geltenden enteignungsrechtlichen Entschädigungsmaßstab besteht.
4.
Das Berufungsurteil ist mithin, soweit es die Beklagten zu 2 und 4 betrifft, in dem angefochtenen Umfang aufzuheben und die Sache zur Klärung über Grund und Höhe des noch strittigen Klageanspruches an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Soweit der Senat über die Kosten der durch Revisionsrücknahme ausgeschiedenen Beklagten zu 1 und 3 für die Vorinstanzen und über einen Teil der dort angefallenen Gerichtskosten erkannt hat, beruht diese Entscheidung auf §§91, 97 Abs. 1 ZPO. Im übrigen bleibt die Kostenentscheidung - auch hinsichtlich des Revisionsverfahrens - dem Berufungsgericht vorbehalten.
Unterschriften
Dr. Thumm
Dr. Eckstein
Hagen
Linden
Räfle
Fundstellen
Haufe-Index 1456519 |
BGHZ, 375 |
JZ 1983, 452 |
Englert / Grauvogl / Maurer 2004 2004, 909 |