Leitsatz (amtlich)
Zur Berechnung der Disagioerstattung bei vorzeitiger Beendigung eines Annuitätendarlehens.
Normenkette
BGB § 607
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.04.1997) |
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 24.05.1995) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. April 1997 wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlußrevision der Beklagten wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen – das vorgenannte Urteil aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 24. Mai 1995 verkündete Urteil der 4. Zivil kammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 503,56 DM nebst 7% Zinsen seit 5. März 1994 zu zahlen. Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 96,86% und die Beklagte 3,14%.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des von der Beklagten zu erstattenden Disagios und der herauszugebenden Nutzungen.
Der Kläger – Professor für Mathematik – und seine Ehefrau nahmen im Jahre 1974 bei der Beklagten ein Annuitätendarlehen mit einer Laufzeit von ca. 30 Jahren über 75.000 DM zu jährlich 7,5% Zinsen auf. Die Kreditnehmer hatten halbjährige Zins- und Tilgungsraten zu leisten. Bei Auszahlung der Valuta behielt die Beklagte das vereinbarte Disagio von 6,75% mit 5.062,50 DM vertragsgemäß ein. Ende 1977 übten die Darlehensnehmer das eingeräumte Kündigungsrecht mit Wirkung zum 30. Juni 1978 aus und zahlten den von der Beklagten verlangten Betrag zurück.
Im Jahre 1993 forderte der Kläger die Beklagte zur Rückzahlung des unverbrauchten Disagios und eines angeblichen Guthabens wegen Übertilgung auf. Die Beklagte erstattete daraufhin am 4. März 1994 insgesamt 8.073,56 DM, wovon nach ihrer Tilgungsbestimmung 4.089,32 DM auf den herauszugebenden Teil des Disagios und 3.984,24 DM auf die daraus gezogenen Nutzungen unter Zugrundelegung eines jährlichen Durchschnittszinssatzes von 6,23% entfallen. Mit der Klage verlangt der Kläger aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau die Zahlung weiterer 16.062,49 DM nebst Zinsen.
Der Kläger ist der Auffassung: Das Disagio stelle einen von der Beklagten im voraus verlangten Zinsbestandteil dar. Dieser sei anteilig für jedes der 60 Tilgungshalb jahre mit 84,38 DM zu berücksichtigen. Der nach der – auch Zinseszinsen erfassenden – exponentiellen Berechnungsmethode zu bestimmende Bereicherungsanspruch von 6.480 DM müsse mit 8,75% p.a. verzinst werden, weil die Beklagte in dieser Höhe Nutzungen aus dem Erstattungsbetrag gezogen habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 2.441,91 DM nebst 7% Fälligkeitszinsen aus 4.402,85 DM seit 1. Mai 1997 verurteilt. Mit der – zuge lassenen – Revision verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt im Wege der Anschlußrevision, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden wurde.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet; dagegen hat die Anschlußrevision der Beklagten überwiegend Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hält einen Bereicherungsanspruch des Klägers nur im zuerkannten Umfang für gegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Nach der gefestigten neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei das Disagio in der Regel als ein laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzins aufzufassen und vom Darlehensgeber im Falle vorzeitiger Vertragsbeendigung gemäß § 812 Abs. 1 BGB anteilig zurückzuzahlen. Daß der Bundesgerichtshof das Disagio bei Abschluß des Vertrages im Jahre 1974 grundsätzlich noch als eine Art Nebenentgelt für die Kapitalbeschaffung des Darlehensgebers angesehen habe, rechtfertige keine andere Beurteilung, da die Beklagte bei ihrer eigenen Tilgungsberechnung von einer Gleichstellung des Disagios mit laufzeitabhängigen Zinsen ausgehe. Entgegen der Ansicht des Klägers aber sei das Disagio nicht erst sukzessiv je Halbjahr in gleichbleibenden Beträgen von 84,38 DM zu leisten gewesen. Dies widerspreche der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung und finde im vorliegenden Vertragswerk keine Stütze.
Soweit die Beklagte einen Anspruch auf anteilige Rückerstattung des Disagios nur im Verhältnis der tatsächlich gezahlten und der für die geplante Vertragsdauer nicht gezahlten Zinsen anerkenne, sei dem nicht zu folgen. Vielmehr sei eine lineare Verteilung des Disagios auf die vorgesehene Laufzeit vorzunehmen und eine Abrechnung pro rata temporis angezeigt. Bei einem sich bis zur Vertragsbeendigung ergebenden Verbrauch des Disagios von 13,03% habe die Beklagte insgesamt 4.402,85 DM zu erstatten, so daß dem Kläger nach der bereits erfolgten Zahlung von 4.089,32 DM insoweit noch eine Restforderung von 313,53 DM zustehe. Außerdem müßten die aus dem Betrag von 4.402,85 DM seit der Kündigung gezogenen Nutzungen herausgeben werden, deren Höhe im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO) auf durchschnittlich 7% p.a. festzusetzen sei.
Danach ergebe sich unter Zugrundelegung der von der Beklagten gezahlten Nutzungsentschädigung von 3.984,24 DM folgende Berechnung des Bereicherungsanspruchs:
7% von 4.402,85 DM |
|
für die Zeit vom 30. Juni 1978 bis zur Urteilsverkündung am 30. April 1997 (= 7.140 Tage) |
= 6.112,62 DM |
./. gezahlter |
3.984,24 DM |
noch zu zahlen: |
2.128,38 DM |
Auf die Gesamtsumme von 2.441,91 DM schulde die Beklagte Fälligkeitszinsen von 7% Zinsen aus 4.402,85 DM ab 1. Mai 1997.
II.
1. Revision des Klägers a) Der Revision des Klägers kann nicht gefolgt werden, soweit sie der Ansicht ist, daß das Disagio bis zur vorzeitigen Vertragsbeendigung nur auflösend bedingt geschuldet gewesen sei und von der Beklagten daher wegen Wegfalls des rechtlichen Grundes in einem gewissen Umfang zusammen mit den insoweit gezogenen Nutzungen gemäß §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB herausgegeben werden müsse.
aa) Allerdings ist das streitige Disagio, anders als die Revisionserwiderung meint, nicht den (laufzeitunabhän gigen) Nebenkosten, sondern den (laufzeitabhängigen) Zinsen zuzuordnen.
Das Disagio ist nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats (siehe etwa Urteile vom 12. Oktober 1993 – XI ZR 11/93, NJW 1993, 3257, 3258 und vom 8. Oktober 1996 – XI ZR 283/95, ZIP 1996, 1895, 1896, zur Veröffentlichung in BGHZ 133, 355 vorgesehen) in der Regel als ein laufzeitabhängiger Ausgleich für den vertraglich vereinbarten niedrigeren Nominalzinssatz anzusehen. Dieser Auffassung entspricht die eigene Tilgungsberechnung der Beklagten. Soweit das Berufungsgericht hieraus im Wege der Auslegung eine entsprechende Vereinbarung der Vertragsschließenden herleitet, handelt es sich um eine in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüfbare tatrichterliche Würdigung. Bei einem Disagio von 6,75% neben einem gesondert ausgewiesenen „Verwaltungskostenbeitrag” von jährlich 0,5% liegt eine von den Vertragsparteien konkludent vereinbarte Zinsvorauszahlung auch auf der Hand.
bb) Hingegen gibt es keinen Grund, der die Vertragsauslegung der Revision des Klägers rechtfertigt.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (siehe etwa Urteil vom 12. Oktober 1993 – XI ZR 11/93 aaO) wird die Verpflichtung des Darlehensnehmers zur Disagiozahlung vereinbarungsgemäß bei Kreditauszahlung sofort in vollem Umfang fällig und auch in diesem Zeitpunkt zugleich im Wege der Verrechnung voll erfüllt. Aufgrund der Verrechnung mit dem Disagio steht dem Darlehensgeber – trotz geringerer Auszahlung – ein Rückzahlungsanspruch in voller Höhe des Darlehensbetrages zu; spätere Teilzahlungen des Darlehensnehmers werden auf diesen Anspruch geleistet; sie enthalten keine anteiligen Zahlungen mehr auf das Disagio. Der Bereicherungsanspruch des Darlehensnehmers auf anteilige Disagioerstattung entsteht daher nicht abschnittsweise, sondern im Zeitpunkt der vorzeitigen Kreditvertragsbeendigung in vollem Umfang. Zwar erlaubt die schuldrechtliche Verpflichtungsfreiheit auch andere Regelungen. Aus dem Wesen des Disagios ist aber nicht, wie die Revision meint, auf eine derartige Absicht der Vertragspartner zu schließen. Da sie das mit der Vorfälligkeitsabrede in der Regel verfolgte steuerrechtliche Ziel (vgl. dazu Wehrt ZIP 1997, 481, 482) normalerweise nicht gefährden wollen, deutet im Gegenteil nichts auf die möglicherweise steuerschädliche Vereinbarung einer auflösenden Bedingung oder auf vergleichbare Abreden hin.
b) Vergebens beruft sich die Revision darauf, daß der Erstattungsbetrag nach der finanzmathematisch exakten Berechnungsmethode festgesetzt werden müsse.
Die vom Kläger für richtig gehaltene Berechnungsweise, die unterjährige Zinseszinsen berücksichtigt, liegt eher außerhalb des herkömmlichen Denkens. Das räumt der Kläger in dem von ihm zu den Akten gereichten „Gutachten in eigener Sache” ebenso ein wie die Tatsache, daß die vom Berufungsgericht angewandte Berechnungsmethode der gesetzlichen Regelung des § 355 HGB entspricht. Trotzdem ist sie nach seiner Auffassung falsch, weil sie zu einem höheren Effektivzins führe und deshalb dem Grundsatz „pacta sunt servanda” widerspreche. Dabei übersieht er, daß der Effektivzins das rechnerische Ergebnis aus dem vereinbarten Nominalzins in Verbindung mit den sonstigen vertraglichen Abmachungen – insbesondere den Aus- und Rückzahlungsmodalitäten – darstellt, nicht dagegen selbst Vertragsgegenstand ist. Im vorliegenden Fall ist im übrigen im Kreditvertrag nur der für die Zinsberechnung zugrundezulegende Nominalzins angegeben.
Ob die Benutzung des Nominalzinssatzes bei halbjähriger Zahlungsweise finanzmathematisch im Ergebnis zu einer höheren Effektivverzinsung führt, ist rechtlich bedeutungslos. Entscheidend ist allein, daß die vertraglich vereinbarten Entgeltregelungen korrekt angewendet werden. Die in neueren Gesetzen niedergelegte Pflicht zur Angabe des anfänglichen Effektivzinses ändert nichts; sie soll im Interesse des Verbrauchers lediglich die wirtschaftlichen Auswirkungen der getroffenen Abreden aufzeigen und den Vergleich der Darlehenskonditionen verschiedener Anbieter erleichtern.
Die vom Kläger maßgeblich mit entwickelte und in Publikationen für allein sachgerecht gehaltene exponentielle Berechnungsmethode verstößt gegen diese Grundsätze der Vertragsauslegung. Daß die Parteien übereinstimmend davon ausgegangen wären, die Zinsberechnung sei nach der exponentiellen Berechnungsmethode vorzunehmen, ist nicht vorgetragen und erscheint angesichts der Tatsache, daß zwischen dem Vertragsschluß im Jahre 1974 und der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs rund 15 Jahre liegen, auch als ausgeschlossen.
c) Ebenso läßt die vom Berufungsgericht nach § 287 ZPO vorgenommene Schätzung der Höhe des Bereicherungsanspruchs auf durchschnittlich 7% p.a. einen in der Revisionsinstanz allein beachtlichen Rechtsfehler nicht erkennen.
Das Revisionsgericht hat insoweit lediglich zu prüfen, ob die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht und ob wesentlicher Tatsachenvortrag der Parteien außer acht gelassen wurde (siehe etwa BGH, Urteil vom 28. April 1992 – VI ZR 360/91, NJW-RR 1992, 1050, 1051 m.w.Nachw.). Einen derartigen Ermessensfehler vermag die Revision nicht aufzuzeigen, zumal das Berufungsgericht von dem angenommenen Durchschnittszinssatz einen angemessenen Kostenanteil für den Einsatz von Personal, technischen Mitteln und „Know-how” in Abzug bringen durfte. Soweit die Revision auch in diesem Zusammenhang auf einer Berücksichtigung der exponentiellen Berechnungsmethode besteht, ist dem aus den bereits genannten Gründen nicht zu folgen.
2. Anschlußrevision der Beklagten a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der „Verbrauch” des Disagios nicht pro rata temporis zu berechnen. Vielmehr führt allein die Berechnungsmethode der Beklagten zu einem sachgerechten Ergebnis.
Bei einem Annuitätendarlehen hat der Darlehensnehmer für die gesamte Laufzeit des Vertrages bis zur vollständigen Tilgung eine gleichbleibende Jahresleistung, die sich aus einem festen Zins- und Tilgungssatz, bezogen auf das ursprüngliche Darlehenskapital, zusammensetzt, zu erbringen. Da die Jahresleistung als absoluter Betrag konstant bleibt, verschiebt sich fortlaufend das Verhältnis zwischen Zins und Tilgung in der Weise, daß der Zinsanteil entsprechend sinkt, der Kapitalanteil ständig wächst (vgl. dazu Bruchner in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch § 78 Rdn. 73). Dem trägt die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung der noch nicht verbrauchten Zinsvorauszahlung nach dem Verhältnis der für die Zeit bis zur Vertragsauflösung geschuldeten zu den durch die vorzeitige Beendigung ersparten Zinsen im Gegensatz zur linearen Berechnungsmethode in angemessener Weise Rechnung. Es unterliegt deshalb keinem Zweifel, daß sich verständige und vernünftige Vertragsparteien bei Kenntnis der vorzeitigen Vertragsbeendigung auf eine Anwendung der Berechnungsweise der Beklagten geeinigt hätten.
b) Da bis zur vorzeitigen Vertragsbeendigung am 30. Juni 1978 entsprechend der Tilgungsberechnung der Beklagten 19,21% Zinsen angefallen sind und der danach herauszugebende Teil des Disagios in Höhe von 80,79% (= 4.089,32 DM) am 4. März 1994 erstattet worden ist, ist der Bereicherungsanspruch des Klägers und seiner Ehefrau insoweit gänzlich erloschen. Indes hat der Beklagte für die Zeit vom 30. Juni 1978 bis 4. März 1994 (5.644 Tage) unter Zugrundelegung eines jährlichen Zinsertrages von 7% eine Nutzungsentschädigung von insgesamt 4.487,80 DM zu leisten, so daß nach den bereits gezahlten 3.984,24 DM noch eine Restforderung über 503,56 DM nebst beantragter Fälligkeitszinsen ab 5. März 1994 offensteht.
III.
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind.
Unterschriften
Schimansky, Dr. Schramm, Nobbe, Dr. van Gelder, Dr. Müller
Fundstellen
BB 1998, 1019 |
BB 1998, 708 |
DB 1998, 719 |
NJW 1998, 1062 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1998, 495 |
WuB 1998, 535 |
ZIP 1998, 418 |
MDR 1998, 668 |
ZBB 1998, 122 |