Leitsatz (amtlich)
Aus der Gewerkschaft kann nicht ausgeschlossen werden, wer bei der Betriebsratswahl auf einer Liste kandidiert, die zwar mit einer gewerkschaftlich unterstützten Liste konkurriert, aber über den Wettbewerb um die Stimmen hinaus nicht gewerkschaftsfeindlich ist.
Normenkette
BGB § 39; BetrVG idF vom 15. Januar 1972, BGBl I 13 § 20; GG Art. 9
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 08.12.1976) |
LG Hannover |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 8. Dezember 1976 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger wenden sich mit ihrer Feststellungsklage gegen ihren Ausschluß aus der verklagten Gewerkschaft.
Im April 1975 hatten Betriebsratswahlen stattgefunden. Im Betrieb der B. AG in H., in dem die Kläger beschäftigt sind, hatten die Vertrauensleute der Beklagten für die gewerblichen Arbeitnehmer, zu denen die Kläger gehören, eine Wahlliste aufgestellt. Unter den insgesamt 29 Kandidaten dieser Liste befanden sich 4 Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), unter ihnen als erster auf Platz 11 der Vorsitzende der DKP-Betriebsgruppe, der später aufgrund des Wahlergebnisses tatsächlich Betriebsratsmitglied wurde. Auch die Kläger ließen sich als Kandidaten aufstellen, jedoch nicht auf der genannten, von der Beklagten im Wahlkampf unterstützten Liste, sondern auf einem anderen Wahlvorschlag, den Arbeitnehmer des Betriebes unabhängig von einer Gewerkschaft gemacht hatten und der als Liste der „Unabhängigen Beiersdorfer” gekennzeichnet war.
Wegen dieser Kandidatur leitete die Beklagte noch im März 1975 das Ausschlußverfahren gegen die Kläger ein. Nach der Wahl beschloß der Hauptvorstand der Beklagten am 14. Mai 1975 den Ausschluß der Kläger mit der Begründung, sie hätten gegen § 7 Ziff. 1 a u. b der Satzung u. Ziff. 16 der vom Hauptvorstand am 16. Mai 1974 beschlossenen „Richtlinien für Betriebsrätewahlen” verstoßen. Den gegen diesen Beschluß des Hauptvorstands eingelegten Einspruch der Kläger wies der Beschwerdeausschuß der Beklagten durch Beschluß vom 13. August 1975 zurück.
§ 7 Ziff. 1 der Satzung lautet:
„Ein Mitglied kann ausgeschlossen werden, wenn es
- die Gewerkschaft oder die Interessen der Mitglieder gröblich geschädigt hat;
- den Anordnungen des Hauptvorstandes, soweit diese auf der Satzung oder auf Beschlüssen der zuständigen Organe beruhen, nicht folgt;
…”
In Ziff. 16 der genannten Richtlinien heißt es:
„Mitglieder der IG C.-P.-K. kandidieren nur auf Listen, die von der Organisation bestätigt wurden. Sie dürfen keine andere Liste unterstützen. Das Kandidieren auf anderen oder gegnerischen Listen ist gewerkschaftsschädigendes Verhalten im Sinne des § 7 der Satzung und zieht das Ausschlußverfahren nach sich.”
Die Kläger halten ihren Ausschluß für unwirksam. Sie sind der Auffassung, die Beklagte habe sie in einer gegen § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßenden Weise in ihrer Wahlfreiheit beeinträchtigt. Im Hinblick darauf, daß auf der von der Beklagten unterstützten Liste DKP-Mitglieder kandidiert hätten, habe es ihnen nicht verwehrt werden können, ihrerseits auf einer anderen Liste zu kandidieren. Die Liste der „Unabhängigen Beiersdorfer” sei vom Standpunkt der Beklagten aus keine gegnerische Liste gewesen.
Der Klage auf Feststellung, daß der Ausschluß der Kläger unwirksam sei, haben die Vorinstanzen stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Das Oberlandesgericht hat den Ausschluß der Kläger für unbegründet gehalten: Ihnen könne kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie nicht mit DKP-Mitgliedern gemeinsam auf einer Liste hätten kandidieren wollen und sich stattdessen auf dem Wahlvorschlag der „Unabhängigen Beiersdorfer” hätten aufstellen lassen. Dieser Wahlvorschlag sei im Verhältnis zur Beklagten keine gegnerische Liste. Die Kläger hätten auch aus ihrer Sicht den Eindruck haben können, es widerspreche der gewerkschaftlichen Grundauffassung, wie sie im Unvereinbarkeitsbeschluß des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Ausdruck gekommen sei, Angehörige der DKP in den von der Beklagten unterstützten Wahlvorschlag aufzunehmen.
Ob diese Begründung den Angriffen der Revision standhalten würde, kann dahingestellt bleiben. Der Ausschluß ist unabhängig von diesen Erwägungen gemäß § 134 BGB nichtig, weil er gegen § 20 Abs. 2 BetrVG verstößt.
Nach § 20 Abs. 2 BetrVG darf niemand die Wahl des Betriebsrats dadurch beeinflussen, daß er Nachteile androht oder zufügt. Zu beeinflussen hat die Beklagte die Wahl bei der Beiersdorf AG zumindest versucht, indem sie ihren Mitgliedern in den „Richtlinien” verbot, auf anderen als von ihr unterstützten Listen zu kandidieren, und gegen die Kläger noch vor den Wahlen das Ausschlußverfahren einleitete. Der später tatsächlich vollzogene Ausschluß als Sanktion für die Zuwiderhandlung ist für die Kläger ein Nachteil. Ein Gewerkschaftsmitglied wird hierdurch ideell betroffen und wirtschaftlich durch den Verlust sozialer Schutzrechte und erworbener Anwartschaften erheblich beeinträchtigt. Der Tatbestand des § 20 Abs. 2 BetrVG ist daher erfüllt.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Juni 1966 (BGHZ 45, 314) ausgesprochen hat, können vereinsrechtliche Gründe die Ausschließung nicht rechtfertigen. Außerhalb des noch zu erörternden grundgesetzlich geschützten Kernbereichs der Koalitionsbetätigung im Betriebsverfassungswesen war der Gesetzgeber frei, das Recht der Gewerkschaften, in diesem Bereich tätig zu werden, näher zu bestimmen. Er konnte daher das Verbot der Wahlbeeinflussung, wie es mit § 20 Abs. 2 BetrVG geschehen ist, gegen jedermann richten; mithin müssen es auch die Gewerkschaften gegen sich gelten lassen. Aus dem Vorrang des Gesetzes gegenüber innervereinsrechtlichen Normen ergibt sich ohne weiteres, daß die bloße Satzungsmäßigkeit des Ausschlusses der Kläger die betriebsverfassungsrechtliche Rechtmäßigkeit nicht zu begründen vermöchte. Ein Gewerkschaftsmitglied hat zwar mit dem Beitritt Satzung und Ziele der Gewerkschaft, möglicherweise auch Weisungen der Gewerkschaftsorgane im Betriebsverfassungswesen und damit zusammenhängende Vereinsstrafentscheidungen, im voraus als für sich verbindlich anerkannt. Damit hat es aber auf den Schutz des § 20 Abs. 2 BetrVG nicht rechtswirksam verzichten können. Denn die freie Wahlentscheidung wird den Betriebsangehörigen durch § 20 BetrVG vor allem im betrieblichen und Öffentlichen Interesse garantiert (BGH a.a.O.). Es kann deshalb, vielleicht von ganz besonderen Ausnahmesituationen abgesehen, auch nicht darauf ankommen, ob dem Mitglied der Verzicht auf eigene Wahlinteressen zugunsten der gewerkschaftlichen Geschlossenheit zugemutet werden kann oder nicht.
Die Wahlfreiheit endet und die Verbandstrafgewalt der Gewerkschaft setzt sich gegenüber dem Beeinflussungsverbot erst durch, wenn und soweit die Gewerkschaft in ihrem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG beeinträchtigt wird. Dieses Grundrecht schützt (auch) die Koalition als solche und in ihrem Recht, sich entsprechend ihrer Aufgabe zu betätigen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Hierzu gehört traditionell und legitim die Betätigung im Betriebsverfassungswesen (BVerfGE 19, 303, 312 ff – für Personalvertretung). Die Gewerkschaften können daher, obwohl ihnen das Gesetz für den Regelfall kein eigenes Vorschlagsrecht einräumt, nicht daran gehindert werden, über ihre im Betrieb beschäftigten Mitglieder die Kandidatenaufstellung zu beeinflussen (BAG AP BetrVG 1952, § 19 Nr. 2) und für einen bestimmten Vorschlag Wahlwerbung zu betreiben (BVerfG a.a.O). Auch insoweit gewährleistet jedoch Art. 9 Abs. 3 GG nur einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung; hierzu gehört nicht die Möglichkeit, von diesem Recht durch Einsatz von vereinsrechtlichen Zwangsmitteln gegen die Mitglieder mit einem jeweils im Verbandssinne denkbaren Höchstmaß von Effizienz Gebrauch zu machen. Allerdings muß sich eine Gewerkschaft immer auch zur Wehr setzen können, wenn eigene Mitglieder ihren Bestand und ihre prinzipiellen Zielsetzungen bekämpfen; gegen eine solche Bedrohung von innen her wird die Koalition ebenfalls durch Art. 9 Abs. 3 GG ganz allgemein (Urteile des Senats v. 28.9.1972 – II ZR 5/70 = LM GG Art. 9 Nr. 4 und v. 4.7.1977 – II ZR 30/76 = WM 1977, 1166) und selbstverständlich auch dann geschützt, wenn ein Zusammenhang mit Betriebsratswahlen besteht.
Der Senat hat deshalb bereits im schon erwähnten Urteil vom 13. Juni 1966 ausgesprochen, es könne nicht der Sinn des Beeinflussungsverbotes sein, der Gewerkschaft auch das Verbleiben solcher Mitglieder im Verband zuzumuten, die sie in einer mit der Mitgliedschaft schlechterdings nicht zu vereinbarenden Weise angreifen. Ein solcher Fall liegt nach allgemeiner Ansicht in der Rechtsprechung (BAG a.a.O) und im Schrifttum vor, wenn ein Mitglied für eine konkurrierende Gewerkschaft kandidiert, und er könnte etwa dann angenommen werden, wenn es sich auf einer Liste nominieren läßt, die von dem Programm bestimmt wird, die Gewerkschaften allgemein oder die Grundordnung, die ihre freie Betätigung garantiert, zu bekämpfen. Hiermit ist jedoch der vorliegende Fall nicht zu vergleichen, in dem die Kläger für die Betriebsratswahl auf einer Liste kandidiert haben, die sich nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts weder durch ihr Programm noch durch überbetriebliche Bindungen oder durch ihre personelle Besetzung über den Wettbewerb um Stimmen hinaus gegen ihre Gewerkschaft gerichtet hat. Gewiß ist jede andere Liste in dem Sinne eine „gegnerische”, als sie die Chance der Gewerkschaft schmälert, im Betriebsrat möglichst hoch repräsentiert zu werden. Es läßt sich auch nicht bestreiten, daß eine anderweite Kandidatur jedenfalls dann, wenn sich die Gewerkschaft selbst keinen Verstoß gegen die berechtigten Wahlinteressen von Mitgliedern zuschulden kommen läßt, als Mangel an Gewerkschaftstreue empfunden werden kann. Die bloße Schwächung der gewerkschaftlich empfohlenen Wahlvorschläge durch Unterstützung von Listen, die über den Kampf um Stimmen hinaus keine „gegnerischen” sind, beeinträchtigt aber weder das Freiheitsrecht der Gewerkschaften, sich im Betriebsverfassungswesen zu betätigen, noch ist der Mangel an Verbandsdisziplin (wenn er sich nur so äußert), schon ein Angriff auf die Gewerkschaft als solche und ihren Bestand. Insoweit ist daher aus Art. 9 Abs. 3 GG, der nicht jedes Interesse an notfalls zwangsweiser Durchsetzung der gewerkschaftlichen Geschlossenheit schützt, keine einschränkende Interpretation des Begriffes der Wahlfreiheit des § 20 Abs. 2 BetrVG zugunsten der Strafgewalt der Verbände herzuleiten. Das Betriebsverfassungsgesetz läßt auch sonst aus sich heraus in Bezug auf das Beeinflussungsverbot keinerlei Anhaltspunkte für eine über Art. 9 Abs. 3 GG hinausgehende Privilegierung der Gewerkschaften in dem Sinne erkennen, daß ihre Entscheidungen die jeweiligen Grenzen der passiven Wahlfreiheit der Mitglieder bestimmen könnten. § 20 BetrVG spricht im Gegenteil eindeutig dafür, daß der Gesetzgeber den innerbetrieblichen Charakter der Betriebsratswahlen möglichst erhalten und allzu dominierende Einflüsse von außen abdämmen wollte.
Das Wahlverhalten der Kläger durfte nach alledem von der Beklagten nicht mit dem Ausschluß geahndet werden. Soweit die Revision die Auffassung vertritt, daß eine gegenteilige Beurteilung am Platze sei, weil es sich bei der Liste „Unabhängige Beiersdorfer” um eine über den Wettbewerb bei der Wahl hinausgehende gewerkschaftsfeindliche Liste gehandelt habe, setzt sie sich in revisionsrechtlich unzulässiger Weise über die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts hinweg.
Ihr Standpunkt läßt sich auch auf Grund der von der Beklagten in den Vorinstanzen vorgetragenen Wahlkampfäußerungen der „Unabhängigen Beiersdorfer” nicht halten. Danach soll der Spitzenkandidat dieser Liste – keiner der Kläger – in einer Wahlrede gesagt haben: „Bei Beiersdorf sind bis vor gut 1–1 1/2 Jahren die Ausschüsse nur von IG-Chemie-Mitgliedern besetzt worden. Ich meine, das ist keine Demokratie …. Wie oft lassen sich Betriebsratsmitglieder der IG-Chemie im Betrieb und am Arbeitsplatz eigentlich sehen!” Auf Flugblättern sind unter anderem folgende Erklärungen verbreitet worden: „Der Betriebsrat ist die Interessenvertretung aller Arbeitnehmer und kein Gewerkschaftsbüro” und „Uns geht es nicht darum, andere unglaubwürdig zu machen, sondern eine Betriebsvertretung zu wählen, die einen Querschnitt der Belegschaft darstellen soll und die keine Einheitspolitik betreibt”. Diese Äußerungen konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler als noch im Rahmen des Wahlkampfs liegende Abgrenzung gegenüber anderen Listen werten. Daß die Werbung für die unabhängige Liste auch Argumente gegen den von der Beklagten unterstützten Wahlvorschlag enthielt, liegt im Rahmen eines freien Wahlkampfes, den § 20 BetrVG garantieren soll.
Der Ausschluß der Kläger ist daher unwirksam, und die Kläger sind Mitglieder der Beklagten geblieben. Die Revision ist zurückzuweisen.
Unterschriften
Stimpel, Dr. Schulze, Dr. Kellermann, Bundschuh, Dr. Skibbe
Fundstellen
Haufe-Index 1502378 |
BGHZ |
BGHZ, 126 |
NJW 1978, 1370 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1978, 448 |