Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob ein Mitglied aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werden kann, das bei der Betriebsratswahl auf einer nicht von der Gewerkschaft unterstützten Liste kandidiert (Bestätigung von BGHZ 71, 126).

 

Normenkette

BGB § 39; BetrVG § 20; GG Art. 9

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 07.01.1980; Aktenzeichen 1 U 30/79)

LG Hannover (Urteil vom 26.04.1979)

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 7. Januar 1980 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 26. April 1979 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsund Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die fünf Kläger wenden sich mit ihrer Feststellungsklage gegen den Ausschluß aus der verklagten Gewerkschaft. Am 14. April 1978 hatten Betriebsratswahlen stattgefunden. Im Betrieb der Gebrüder K. Kunststoffwerke GmbH K. Chemische Fabrik KG in Pirmasens, in dem die Kläger damals beschäftigt waren und mit Ausnahme des inzwischen wegen Invalidität ausgeschiedenen Klägers zu 2 noch beschäftigt sind, stellten die Vertrauensleute der Beklagten zwei Wahllisten mit insgesamt 32 Kandidaten für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der „Industrie-Gewerkschaft Chemie-Papier-Keramik” auf. Die Kläger kandidierten trotz ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten auf anderen Listen, die sie – ebenfalls getrennt nach Arbeitern und Angestellten – zusammen mit nicht organisierten Betriebsangehörigen aufgestellt hatten. Von den insgesamt 27 Kandidaten dieser Listen waren 19 Mitglieder der Beklagten. Wegen dieser Kandidatur leitete die Beklagte am 17. April 1978 das Ausschlußverfahren gegen die Kläger ein. Am 12. Juli 1978 beschloß der Hauptvorstand der Beklagten, die Kläger aus der Gewerkschaft auszuschließen, weil sie durch ihre Kandidatur auf nicht vom gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörper aufgestellten Listen gegen § 7 Nr. 1 a und b der Satzung und Nr. 16 der vom Hauptvorstand der Beklagten erlassenen „Richtlinien für Betriebsrätewahlen” verstoßen hätten. Den gegen diesen Beschluß eingelegten Einspruch der Kläger wies der Beschwerdeausschuß der Beklagten durch Beschluß vom 6. Oktober 1978 zurück: Die Kläger hätten durch ihre Kandidatur auf einer Liste zusammen mit nicht organisierten Arbeitnehmern nicht nur formell gegen die Satzung und die Richtlinien verstoßen; es liege bei ihnen vielmehr ein gewerkschaftsfeindliches Verhalten vor, das die gewerkschaftliche Solidarität zerstört habe. § 7 Nr. 1 der Satzung der Beklagten lautet:

„Ein Mitglied kann ausgeschlossen werden, wenn es

  1. die Gewerkschaft oder die Interessen der Mitglieder gröblich geschädigt hat;
  2. den Anordnungen des Hauptvorstandes, soweit diese auf der Satzung oder auf Beschlüssen der zuständigen Organe beruhen, nicht folgt.”

In Nr. 16 der genannten Richtlinien heißt es:

„Mitglieder der IG Chemie-Papier-Keramik kandidieren nur auf Listen, die von der Organisation bestätigt wurden. Sie dürfen keine andere Liste unterstützen. Das Kandidieren auf anderen oder gegnerischen Listen ist gewerkschaftsschädigendes Verhalten im Sinne des § 7 der Satzung und zieht das Ausschlußverfahren nach sich.”

Die Kläger halten ihren Ausschluß für unwirksam. Sie sind der Auffassung, die Beklagte habe sie unter Verletzung von § 20 Abs. 2 BetrVG in ihrer Wahlfreiheit beeinträchtigt. Eine Kandidatur auf der von der Beklagten unterstützten Liste sei ihnen nicht zumutbar gewesen. Der Betriebsrat habe sich in der vorausgegangenen Amtsperiode in zwei Gruppen gespalten gehabt, deren eine von den Klägern zu 1 und 2 und die andere von dem späteren gewerkschaftlichen Spitzenkandidaten für die Betriebsratswahl 1978, B., angeführt worden seien. Es habe ständige Reibereien gegeben, in die die Beklagte sich über ihre zuständige Verwaltungsstelle eingemischt habe; eine sachliche Betriebsratsarbeit sei schließlich nicht mehr möglich gewesen. B. sei für einen unnötigen Konfrontationskurs gegen die Betriebsleitung eingetreten, mit der er fortlaufend Differenzen gehabt habe, die für eine am Interesse der Belegschaft orientierte Betriebsratsarbeit hinderlich gewesen seien. Aus diesen Gründen sei zu befürchten gewesen, daß B. weiterhin eine sachliche Betriebsratsarbeit behindern würde. Die Liste der Kläger sei mithin nicht gegen die Organisation, sondern gegen die Personen der Spitzenkandidaten der Beklagten gerichtet gewesen.

Der Klage auf Feststellung, daß die Ausschließungsbeschlüsse unwirksam und die Kläger weiterhin Mitglieder der Beklagten seien, hat das Landgericht stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen (vgl. NJW 1980, 1009). Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstreben die Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen keine Bedenken. Insbesondere kann die Ansicht der Beklagten nicht gebilligt werden, das vorliegende Verfahren sei eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit, weshalb die Revision vom Berufungsgericht hätte zugelassen werden müssen, um statthaft zu sein. Der Senat hat in seinem Urteil vom 27. Februar 1978 (BGHZ 71, 126) dargelegt, daß ein Gewerkschaftsmitglied durch den Ausschluß aus der Gewerkschaft ideell betroffen und wirtschaftlich durch den Verlust sozialer Schutzrechte und erworbener Anwartschaften erheblich beeinträchtigt wird. Das Interesse der Kläger an der Mitgliedschaft bei der Beklagten ist daher auch vermögensrechtlicher Art (vgl. auch BGHZ 13, 5, 9). Es handelt sich deshalb im vorliegenden Falle um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Da die Beschwer der Kläger 40.000 DM übersteigt, ist ihre Revision statthaft.

Die Revision ist auch begründet und führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts verstößt der Ausschluß der Kläger gegen § 20 Abs. 2 BetrVG und ist deshalb gemäß § 134 BGB nichtig.

Nach § 20 Abs. 2 BetrVG darf niemand die Wahl des Betriebsrats dadurch beeinflussen, daß er Nachteile androht oder zufügt. Die Beklagte hat eine solche Beeinflussung zumindest versucht, indem sie ihren Mitgliedern unter Androhung des Ausschlusses verbot, auf anderen als von ihr unterstützten Listen zu kandidieren. Der als Sanktion gegen die Mißachtung dieses Verbots in Nr. 16 der „Richtlinien für Betriebsrätewahlen” vom 15. Juli 1977 angedrohte und später gegen die Kläger verhängte Ausschluß ist aus den oben dargelegten Gründen für diese ein Nachteil. Der Tatbestand des § 20 Abs. 2 BetrVG ist daher erfüllt.

Dennoch hält das Berufungsgericht den Ausschluß der Kläger für berechtigt. Ihr Verhalten sei allein wegen ihrer Kandidatur auf der unabhängigen Liste geeignet gewesen, der Beklagten zu schaden. Dagegen dürfe sich diese zur Wehr setzen. Zu dem durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich der Betätigung der Gewerkschaften im Betriebsverfassungswesen gehöre grundsätzlich auch die Möglichkeit, sich mit den vereinsrechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Störungen und Gefahren zu wenden, die der Koalition aus den Reihen der eigenen Mitglieder drohten. Der Verband müsse daher auch gegen solche Mitglieder vorgehen können, die durch ihre Kandidatur eine Liste unterstützten, deren Ziel es sei, den Einfluß der Gewerkschaft auf die Angelegenheiten des Betriebs zu verringern. Nicht nur die Kandidatur auf einer „gegnerischen” Liste richte sich im Wahlkampf gegen die eigene Organisation, sondern auch die Kandidatur auf einer anderen Liste, wenn sie in Konkurrenz zur gewerkschaftlich unterstützten Liste stehe und darauf abziele, dieser Stimmen zu entziehen und damit die Repräsentanz der Gewerkschaft im Betrieb zu schwächen. Deshalb sei auch die Kandidatur eines Gewerkschaftsmitgliedes auf einer „anderen” Liste im Regelfalle mit der Treue- und Loyalitätspflicht des Mitglieds gegenüber seiner Gewerkschaft nicht vereinbar. Diese einschränkende Auslegung des Verbots der unzulässigen Wahlbeeinflussung durch § 20 Abs. 2 BetrVG zugunsten der Disziplinargewalt der Gewerkschaften findet im Gesetz keine Stütze.

Der Senat hat sich bereits in den Urteilen vom 13. Juni 1966 (BGHZ 45, 314) und vom 27. Februar 1978 (BGHZ 71, 126) mit der Frage befaßt, ob eine Gewerkschaft ihren Mitgliedern unter Androhung des Ausschlusses verbieten kann, bei Betriebsratswahlen auf anderen als von der Gewerkschaft bestätigten Listen zu kandidieren. Er hat dies verneint, wenn die andere Liste zwar mit einer gewerkschaftlich unterstützten Liste konkurriert, aber über den Wettbewerb um die Stimmen hinaus keine gegnerische Tendenz hat. Daran wird festgehalten.

Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitionsfreiheit nur in ihrem Kernbereich schützt. Das Grundrecht räumt den geschützten Personen und Vereinigungen nicht mit Verfassungsrang einen inhaltlich unbegrenzten und unbegrenzbaren Handlungsspielraum ein; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers, die Tragweite der Koalitionsfreiheit dadurch zu bestimmen, daß er die Befugnisse der Koalitionen im einzelnen gestaltet und näher regelt. Dabei kann er den besonderen Erfordernissen des jeweils zu gestaltenden Sachverhalts Rechnung tragen. Allerdings dürfen dem Betätigungsrecht der Koalitionen nur solche Schranken gezogen werden, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind. Regelungen, die nicht in dieser Weise gerechtfertigt sind, tasten den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kerngehalt der Koalitionsbetätigung an (BVerfGE 50, 290 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch für die Betätigung der Koalitionen im Bereich des Betriebsverfassungsrechts (BVerfGe aaO).

Mit dem Verbot der Wahlbeeinflussung in § 20 Abs. 2 BetrVG hat der Gesetzgeber die Grenzen der Koalitionsbetätigung im Bereich des Betriebsverfassungsrechts unter Beachtung der vorstehenden verfassungsrechtlichen Grundsätze in zulässiger Weise bestimmt.

Daß sich das Verbot auch gegen Gewerkschaften richtet, kann nicht zweifelhaft sein. Schon der Wortlaut ist eindeutig und keiner Auslegung fähig: „Niemand … darf die Wahl des Betriebsrats … beeinflussen.” Es ergibt sich aber auch aus der Entstehungsgeschichte. § 20 BetrVG geht auf die früheren Betriebsrätegesetze zurück, die ausschließlich gegen den Arbeitgeber gerichtete Verbote enthielten. Dementsprechend sah der Regierungsentwurf für das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 gleichfalls nur vor, daß der Arbeitgeber sich jeder Einflußnahme auf die Wahl des Betriebsrats zu enthalten habe (BT-Drucks I Nr. 1546 S. 8). Erst in den Ausschußberatungen wurde die Vorschrift dahin erweitert, daß sie sich gegen jeden richtet, der die Betriebsratswahl behindert oder durch Androhung oder Zufügung von Nachteilen oder Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflußt (BT-Drucks. I Nr. 3585 S. 5; vgl. auch Günther/Hase in Demokratie und Recht 1979, 308). Daraus folgt, daß der Gesetzgeber die Betriebsratswahl nach allen Seiten hin vor unzulässiger Beeinflussung schützen und damit den innerbetrieblichen Charakter der Betriebsratswahlen sichern wollte. Daß die innerbetrieblichen Belange im Vordergrund der betriebsverfassungsrechtlichen Regelung stehen, ergibt sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG. Danach arbeiten Arbeitgeber und Betriebsrat vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammen. Leitgedanke der Betriebsratstätigkeit und damit auch der Betriebsratswahl ist somit das Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs. Deshalb sollten die Arbeitnehmer möglichst diejenigen unter ihren Kollegen in den Betriebsrat wählen können, denen sie nach ihren Eigenschaften und Fähigkeiten am ehesten eine für die Arbeitnehmer und den Betrieb optimale Amtsführung zutrauen (Reuter, ZGR 1980, 101, 127). Aus diesem Grunde soll selbst die Gewerkschaftsmitgliedschaft grundsätzlich kein Hindernis bilden dürfen, auf einer anderen als der gewerkschaftlich unterstützten Liste zu kandidieren, wenn das Mitglied der Ansicht ist, dies diene eher dem Wohle der Arbeiternehmer und des Betriebes. Die damit zwangsläufig verbundene Einschränkung der Möglichkeit, von dem Recht auf Koalitionsbetätigung durch Einsatz von vereinsrechtlichen Zwangsmitteln gegen die Mitglieder mit einem jeweils im Verbandssinne denkbaren Höchstmaß von Effizienz Gebrauch zu machen, erschien dem Gesetzgeber geboten, um den innerbetrieblichen Belangen entsprechend dem Ziel des Betriebsverfassungsgesetzes den Vorrang zu verschaffen.

Die Kritik, die in einem Teil des Schrifttums – neben einer Reihe zustimmender Äußerungen – gegen die Rechtsprechung des Senats erhoben worden sind (vgl. Günther/Hase aaO; Urteilsanm. v. Herschel in AuR 1978, 318, zu BGHZ 71, 126 u. in JZ 1967, 32 zu BGHZ 45, 314; Popp, ZfA 1977, 401 u. JuS 1980, 798) und die auch das Berufungsgericht teilt, greift nicht durch. So geht insbesondere die Auffassung, in den hier in Betracht kommenden Fällen sei unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz (Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 12. Aufl. § 20 Anm. 18) jeweils abzuwägen, ob der inneren Ordnung des Betriebes oder der Funktionsfähigkeit der Koalition der stärkere Schutz zukomme, an der positiven Regelung des § 20 BetrVG und der Tatsache vorbei, daß darin eine solche Güter- und Interessenabwägung bereits zugunsten der betrieblichen Wahlfreiheit getroffen ist. Gewiß will diese Vorschrift nicht die „Binnenstruktur” der Gewerkschaften regeln (Günther/Hase aaO). Sie verbietet aber jedermann, bei Betriebsratswahlen durch Ausübung von Druck auf Betriebsangehörige in den Betrieb hineinzuwirken, auch wenn dies mit Hilfe gewerkschaftsinterner Mittel – wie hier dem Einsatz der Verbandsstrafgewalt – geschieht. Hierin liegt zugleich ein Rechtfertigungsgrund für persönliche Entscheidungen von Gewerkschaftsangehörigen im Rahmen ihres aktiven und passiven Wahlrechts, die mit einem von ihrer Gewerkschaft geförderten Wahlvorschlag nicht übereinstimmen, einschließlich aller Versuche, solche Entscheidungen im üblichen Rahmen eines Wahlkampfes durchzufechten. Damit ist es den Gerichten versagt, im Einzelfall frei darüber zu befinden, ob der Verbandsdisziplin oder der vom Gesetz geschützten Freiheit der Betriebsratswahl das größere Gewicht beizumessen ist. Denn es ist nicht die Aufgabe der Rechtsprechung, Befugnisse zuzubilligen, die der Gesetzgeber bewußt nicht gewährt hat (so zutreffend Schaub, DB 1965, 1326, 1327).

Deshalb kann sich lediglich fragen, ob es aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, § 20 Abs. 2 BetrVG für den Fall, daß Gewerkschaftsangehörige wegen ihrer Kandidatur auf einer „freien” Liste mit dem Ausschluß bedroht werden, gegen Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck einschränkend dahin auszulegen, daß die Vorschrift in diesem Fall unanwendbar ist. Auch insoweit sieht der Senat keinen Anlaß, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen, wonach der Kernbereich der Koalitionsbetätigung durch eine solche Kandidatur noch nicht beeinträchtigt ist, sofern sich die betreffende Liste weder durch ihr Programm noch durch überbetriebliche Bindungen oder ihre personelle Besetzung über den Wettbewerb um die Stimmen hinaus gegen die Gewerkschaft richtet. Dabei verkennt er nach wie vor nicht, daß die Gewerkschaften ein verfassungsmäßig geschütztes Recht darauf haben, ihre betriebsverfassungsrechtliche Betätigung auch auf die Betriebsratswahlen zu erstrecken, indem sie namentlich über ihre im Betrieb beschäftigten Mitglieder ihren Einfluß geltend machen und für bestimmte Kandidaten werben. Dem trägt das Gesetz dadurch Rechnung, daß es den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften gerade auch im Zusammenhang mit den Betriebsratswahlen Befugnisse einräumt, die der wirksamen Wahrnehmung eigener Aufgaben und zugleich dem Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes dienen sollen (vgl. etwa § 2 Abs. 2, § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 3, § 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Ein eigenes Vorschlagsrecht ist den Gewerkschaften allerdings, außer im Falle des § 14 Abs. 7 BetrVG, nicht gegeben. Dies wurde bei den Gesetzesberatungen als tragbar angesehen, weil es ausreichend erschien, daß eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft über die Betriebsräte oder ihre Mitglieder Vorbereitung und Durchführung der Wahl beeinflussen könne (BT-Drucks. I Nr. 3585 S. 17).

Eine Gewerkschaft ist daher darauf angewiesen, aber auch berechtigt, sich mit Hilfe ihrer Mitglieder auf dem Weg über die Wahlvorschläge um eine angemessene Repräsentation im Betriebsrat zu bemühen. Sie hat jedoch kein Anrecht darauf, ausschließlich durch von ihr selbst ausgesuchte Bewerber repräsentiert zu sein und deshalb unter Androhung von Verbandsmaßregeln verbindlich bestimmen zu können, daß eine von ihr aufgestellte Liste die einzige sei, auf der ihre Mitglieder kandidieren dürften. Denn das liefe darauf hinaus, ihr im Ergebnis doch ein eigenes Vorschlagsrecht zuzugestehen, das bei Einsatz organisatorischer Zwangsmittel überdies nicht nur das Vorschlagsrecht der Betriebsangehörigen (§ 14 Abs. 5 BetrVG), soweit sie ihre Mitglieder sind, sondern zugleich auch deren passives Wahlrecht praktisch verdrängen würde. Ein so weitreichender Einfluß auf das innerbetriebliche Geschehen ist den Gewerkschaften von Verfassungs wegen nicht gewährleistet. Es mag sein, daß es auf Kosten der inneren Geschlossenheit und Schlagkraft einer Gewerkschaft gehen und als Mangel an Solidarität empfunden werden kann, wenn Mitglieder eine andere als die von den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten aufgestellte Liste durch ihre Kandidatur unterstützen, und daß dies gerade auch dann der Fall sein kann, wenn dies zusammen mit nicht organisierten Arbeitnehmern geschieht. jedoch trifft es nicht zu, daß eine solche Beschränkung der Verbandsgewalt auf einem, wenn auch wichtigen, Teilgebiet zugunsten der vom Gesetz noch höher bewerteten Wahlfreiheit im Betrieb die Möglichkeit eines erfolgreichen gewerkschaftlichen Wirkens ernstlich gefährde und damit in den Kernbereich der Koalitionsfreiheit eingreife. Eine genügende Chance, im Betriebsrat angemessen repräsentiert zu sein, verbleibt einer Gewerkschaft auch dann noch, wenn sich Mitglieder, wie hier, nicht auf der rein gewerkschaftlichen Liste, sondern auf einer anderen Liste gemeinsam mit solchen Betriebsangehörigen bewerben, die nicht gewerkschaftlich gebunden sind, ohne daß sie jedoch die Gewerkschaften überhaupt oder diejenige Gewerkschaft, in der ihre Mitbewerber organisiert sind, über die in einer Wahl notwendige Abgrenzung hinaus bekämpfen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Im Ausschlußverfahren hat die Beklagte lediglich festgestellt, daß die Kläger auf einer nicht von ihr unterstützten Liste zusammen mit nicht organisierten Arbeitnehmern kandidiert haben, und damit den Ausschluß begründet. Das festgestellte Verhalten rechtfertigte nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen den Ausschluß nicht. Wird aber ein zum Ausschluß berechtigender Sachverhalt im verbandsrechtlichen Verfahren nicht festgestellt, so kann dies im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden, weil das auf eine nachgeschobene und deshalb unzulässige neue Begründung des Ausschließungsbeschlusses hinausliefe (vgl. die Senatsentscheidung v. 13. 6. 66 aaO). Auf den von der Revisionserwiderung mit Rügen aus § 286 ZPO aufgegriffenen Vortrag der Beklagten über einzelne Vorgänge im Wahlkampf kommt es infolgedessen nicht an. Das Landgericht hat deshalb mit Recht der Feststellungsklage stattgegeben.

 

Unterschriften

Fleck, Dr. Schulze, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Bundschuh

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237615

NJW 1981, 2178

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