Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 67.446,74 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Rückabwicklung von drei in den Jahren 1998 und 1999 nach dem sogenannten Policenmodell geschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherungsverträgen.
Rz. 2
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten erteilte hierüber die Versicherungsscheine vom 10. November 1999 mit Versicherungsbeginn zum 1. November 1999, vom 25. Juni 1998 mit Versicherungsbeginn zum 1. August 2000 und ebenfalls vom 25. Juni 1998 mit Versicherungsbeginn zum 1. August 2001. Im zum 1. November 1999 geschlossenen Versicherungsvertrag befindet sich im Policenbegleitschreiben als letzter Absatz eine durchgängig in Fettdruck gehaltene Widerspruchsbelehrung, die lautet:
"Nach § 5a Versicherungsvertragsgesetz steht Ihnen ein 14-tägiges Widerspruchsrecht zu. Die Versicherung gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als geschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen der Versicherung widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung".
Rz. 3
Die Klägerin zahlte in der Folge jeweils die Prämien. Mit Schreiben vom 2. August 2019 erklärte sie den Widerspruch gegen die drei Versicherungsverträge. Sie ist unter anderem der Ansicht, die in Fettdruck gehaltenen Belehrungen im Policenbegleitschreiben der ersten Versicherung beziehungsweise in den Versicherungsscheinen zu den beiden weiteren Versicherungen seien inhaltlich fehlerhaft, weil in ihnen kein Hinweis auf die erforderliche Schriftform des Widerspruchs enthalten sei.
Rz. 4
Mit der Klage verlangt die Klägerin die Auszahlung der Fondsguthaben nach deren Stand bei Erhebung der Klage, die Rückzahlung der nicht auf die Sparanteile entfallenden Prämienanteile und die Herausgabe von Nutzungen abzüglich des Wertes des faktisch genossenen Versicherungsschutzes, insgesamt 67.446,74 €.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 7
I. Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch der Klägerin aufgrund erklärten Widerspruchs gemäß den §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 BGB verneint. Die drei Versicherungsverträge seien nach dem sogenannten Policenmodell gemäß § 5a VVG in der hier maßgeblichen Fassung vom 21. Juli 1994 (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) zustande gekommen.
Rz. 8
Die entscheidenden im Policenbegleitschreiben und in den Versicherungsscheinen jeweils enthaltenen Widerspruchsbelehrungen seien drucktechnisch hinreichend hervorgehoben. Zwar enthielten sie jeweils keinen Hinweis darauf, dass der Widerspruch schriftlich zu erheben war. Das führe jedoch nicht dazu, dass der Klägerin im Jahr 2019 noch ein Recht zum Widerspruch zugestanden hätte. Denn nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei nicht jede unrichtige Information über die Form der Erklärung des Widerspruchs als fehlerhafte Belehrung anzusehen. Werde dem Versicherungsnehmer durch die Belehrung, selbst wenn sie fehlerhaft sei, nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen. Der unzureichende Hinweis auf die einzuhaltende Schriftform habe der Klägerin hier nicht die Möglichkeit genommen, ihr Rücktritts- beziehungsweise Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Überdies werde ein Versicherungsnehmer jeweils dem hier maßgeblichen § 15 der Allgemeinen Bedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung (im Folgenden: AVB) entnehmen, dass Erklärungen in Bezug auf den Versicherungsvertrag stets schriftlich zu erfolgen haben. Die Klägerin sei mithin zutreffend über das Widerspruchsrecht belehrt worden. Zur Klärung dieser Frage sei auch keine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erforderlich, weil dieser bereits die entscheidungserhebliche Frage erschöpfend beantwortet habe.
Rz. 9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 BGB kann der Klägerin nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.
Rz. 10
1. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Beklagte die Klägerin nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrte. Die Widerspruchsbelehrung enthielt keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Schriftform des Widerspruchs. Dieses Formerfordernis konnte die Klägerin nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. Der Belehrung lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass die Textform abbedungen und dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eines Widerspruchs auch in mündlicher Form eingeräumt werden sollte (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 10; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24).
Rz. 11
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, einem fortbestehenden Widerspruchsrecht der Klägerin stehe entgegen, dass der Belehrungsfehler im Streitfall nicht geeignet gewesen sei, die Klägerin von der Ausübung eines fristgerechten Widerspruchs abzuhalten.
Rz. 12
a) Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung mit Urteil vom 15. Februar 2023 (IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer durch eine fehlerhafte Information in der Widerspruchsbelehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht.
Rz. 13
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde der Klägerin jedoch hier durch den fehlenden Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 29. Juli 1994 gültigen Fassung erforderliche Schriftform des Widerspruchs die Möglichkeit genommen, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Wie der Senat ebenfalls nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 15. März 2023 (IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, liegt kein geringfügiger Belehrungsfehler im oben genannten Sinne vor, wenn eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Form (hier: Schriftform) enthielt. Allein dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass zur Wahrung der Frist rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung genüge, wird der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, dass ein Widerspruch in Schriftform erforderlich ist. Vielmehr wird er - anders als das Berufungsgericht meint - annehmen, dass ein formloser Widerspruch ebenfalls genügt (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2023 aaO Rn. 16 ff.).
Rz. 14
Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht deshalb, weil in § 15 AVB jeweils der Hinweis auf die notwendige Schriftform enthalten war, denn die Belehrung dort ist drucktechnisch nicht hervorgehoben und erfüllt damit ebenso nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung (vgl. Senatsurteil vom 1. Juni 2016 - IV ZR 482/14, VersR 2017, 275 Rn. 20).
Rz. 15
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung sowie zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 16
Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zum Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist im Streitfall auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) und des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 22. Juli 2022 (VersR 2022, 1252) nicht veranlasst, da jedenfalls der Senat vorliegend keine abschließende Entscheidung trifft und derzeit noch offen ist, ob es auf den Einwand von Treu und Glauben für eine abschließende Entscheidung ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - I ZR 46/12, GRUR 2016, 171 Rn. 49 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat zunächst im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung festzustellen, ob besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen, mit der Folge, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen könnte (Senatsurteil vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 25).
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15989219 |