Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 7. März 2023 aufgehoben, soweit darin über die Teilabweisung des Klageantrags zu 7 und die Abweisung des Klageantrags zu 11 hinaus zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Im Zuge der Trennung vereinbarten sie im Jahre 2016 in notarieller Urkunde die Teilung ihres gemeinsamen Hauses in Meißen in Wohnungseigentum. Dabei wurden drei Wohnungen gebildet, von denen der Beklagte zwei Wohnungen (Nr. 2 und Nr. 3) und die Klägerin eine Wohnung erhielt. Die Parteien bewilligten sich gegenseitig dingliche Vorkaufsrechte. Unter anderem wurde für die Klägerin im Dezember 2016 ein Vorkaufsrecht an der Wohnung Nr. 3 in das Grundbuch eingetragen. Im Jahre 2019 verkaufte der Beklagte seine beiden Wohnungen an Dritte. Für die Wohnung Nr. 3 (im Folgenden: Wohnung) wurde ein Kaufpreis von 27.000 € vereinbart. Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 25. Juni 2019 an den beurkundenden Notar die Ausübung des Vorkaufsrechts für die Wohnung, die bereits vor Aufteilung in Wohnungseigentum an einen Dritten (nachfolgend Mieter) vermietet worden war. Der Mieter übte das Mietervorkaufsrecht gegenüber dem Beklagten aus. Im Oktober 2019 schlossen der Beklagte und der Mieter einen notariellen Vertrag, in dem die Einzelheiten zu dem durch den Vorkauf zustande gekommenen Kauf geregelt wurden. Der Mieter wurde als Eigentümer in das Wohnungsgrundbuch eingetragen. Am 31. März 2022 wurde das für die Klägerin eingetragene Vorkaufsrecht gelöscht. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wies der Senat das Grundbuchamt an, einen Widerspruch gegen die Löschung des Vorkaufsrechts einzutragen (Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863).
Rz. 2
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - von dem Beklagten die Auflassung des Eigentums an der Wohnung Zug um Zug gegen Zahlung von 27.000 € und Bewilligung der Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch (Antrag 1), Zahlung von weiteren 5.600 € nebst Zinsen wegen vereinnahmter Mieten bis Juni 2021 (Antrag 5), Zahlung einer Nutzungsentschädigung von 280 € im Monat nebst Zinsen ab Juni 2021 (Antrag 6) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für eventuelle weitere Schäden wegen der Nichtübereignung der Wohnung (Antrag 8). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten auf den Antrag zu 7 verurteilt, an die Klägerin 4.610,90 € nebst Zinsen zu zahlen, und die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter, soweit sie bislang erfolglos geblieben sind, mit Ausnahme der Teilabweisung des Klageantrags zu 7 und der Abweisung des Klageantrags zu 11.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Auflassung der Wohnung, da ein Kaufvertrag durch die Ausübung ihres dinglichen Vorkaufsrechts nicht zustande gekommen sei. Die Klägerin habe das Vorkaufsrecht zwar fristgerecht ausgeübt und der Notar sei auch empfangsberechtigt gewesen. Der Wirksamkeit stehe aber das Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 Abs. 1 BGB entgegen. Dieses sei nicht nach § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil der Beklagte die Wohnung nicht an die Klägerin, sondern an Dritte verkauft habe. Das Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 BGB gehe dem gewillkürten dinglichen Vorkaufsrecht jedenfalls dann vor, wenn letzteres - wie hier - bei Überlassung der Wohnung noch nicht bestanden habe. Auf die zeitliche Reihenfolge der Ausübung der Vorkaufsrechte komme es nicht an. Der Mieter habe das Vorkaufsrecht fristgerecht ausgeübt. Mangels Kaufvertrags zwischen der Klägerin und dem Beklagten seien auch die weiteren geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich der Wohnung nicht gegeben.
II.
Rz. 4
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Auflassung nicht verneint werden.
Rz. 5
1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich ein Anspruch der Klägerin auf Auflassung des Wohnungseigentums nur aus einem durch die Ausübung des dinglichen Vorkaufsrechts zwischen ihr und dem Beklagten zustande gekommenen Kaufvertrag (i.V.m. § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB) ergeben kann. Richtig ist auch, dass das Zustandekommen eines solchen Kaufvertrags voraussetzt, dass - wovon das Berufungsgericht offenbar ausgeht und was jedenfalls für die Revisionsinstanz zu unterstellen ist - die Klägerin ihr Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hat und dass das dingliche Vorkaufsrecht der Klägerin gegenüber dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters Vorrang genießt. Dann käme die Klägerin in den Genuss der Vormerkungswirkung nach § 1098 Abs. 2 BGB i.V.m. § 883 Abs. 2, § 888 BGB und wäre die zugunsten des Mieters vorgenommene Verfügung des Beklagten ihr gegenüber unwirksam (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863 Rn. 37). Die zu Unrecht erfolgte (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, aaO Rn. 7 ff., 37) Löschung des Vorkaufsrechts hätte die Vormerkungswirkung nicht beseitigt (vgl. Senat, Urteil vom 15. Dezember 1972 - V ZR 76/71, BGHZ 60, 46 zur Auflassungsvormerkung; Grüneberg/Herrler, BGB, 83. Aufl., § 883 Rn. 19 aE). Die Klägerin könnte von dem Beklagten weiterhin die Auflassung des Wohnungseigentums Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises verlangen. Dieser wäre aufgrund der relativen Unwirksamkeit der Veräußerung an den Dritten auch in der Lage, den Anspruch zu erfüllen und der Klägerin das Eigentum zu verschaffen.
Rz. 6
2. Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, diese Voraussetzungen lägen nicht vor, weil das Vorkaufsrecht des Mieters gegenüber dem dinglichen Vorkaufsrecht der Klägerin Vorrang genieße.
Rz. 7
a) Wie der Senat zwischenzeitlich in einem zwischen der hiesigen Klägerin und dem Mieter als Beteiligten geführten Rechtsbeschwerdeverfahren entschieden hat (Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863), genießt das dingliche Vorkaufsrecht jedenfalls dann Vorrang vor dem Vorkaufsrecht des Mieters, wenn es von dem Eigentümer zu Gunsten eines Familienangehörigen i.S.v. § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB bestellt wurde. So liegt es hier, denn Eheleute sind auch dann als Familienangehörige im Sinne dieser Regelung anzusehen, wenn sie geschieden sind (Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, aaO Rn. 31 mwN).
Rz. 8
b) Soweit die Revisionserwiderung mit dem Berufungsgericht der Ansicht ist, das für den Familienangehörigen bestellte dingliche Vorkaufsrecht könne jedenfalls dann keinen Vorrang vor dem gesetzlichen Vorkaufsrecht des Mieters haben, wenn es - wie hier - bei Überlassung der Wohnung an den Mieter noch nicht bestanden habe, trifft dies ebenso wenig zu wie die Annahme der Revisionserwiderung, der Senat habe diese Frage noch nicht entschieden. Der Beschluss des Senats vom 27. April 2023, der keine Einschränkung hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge enthält, ist just zu dem auch in diesem Verfahren gegenständlichen Sachverhalt ergangen, und ihm lässt sich zweifelsfrei entnehmen, dass der Vorrang des dinglichen Vorkaufsrechts des Familienangehörigen auch dann gilt, wenn dieses erst nach Überlassung der Wohnung an den Mieter bestellt wurde. Der Senat begründet die Vorrangigkeit des für den Familienangehörigen bestellten dinglichen Vorkaufsrechts nämlich mit dem gesetzgeberischen Regelungskonzept in § 577 BGB und der wertungsmäßigen Gleichstellung des Verkaufs der an den Mieter überlassenen Wohnung durch den Vermieter an eine ihm nahestehende Person mit der Bestellung eines Vorkaufsrechts für eine solche Person (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, NJW-RR 2023, 863 Rn. 34 f.). Wenn der Vermieter das Wohnungseigentum auch nach Überlassung der Wohnung an den Mieter direkt an den Familienangehörigen verkaufen könnte, ohne dass der Mieter zum Vorkauf berechtigt wäre, ist nicht ersichtlich, warum das Mietervorkaufsrecht Vorrang gegenüber einem nach Überlassung der Wohnung an den Mieter für einen Familienangehörigen bestellten dinglichen Vorkaufsrecht haben sollte (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2023 - V ZB 58/22, aaO Rn. 35). Für die Annahme, der Senat habe sich mit dieser Konstellation nicht befasst, ist somit kein Raum.
III.
Rz. 9
1. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil noch weitere Feststellungen zu treffen sind. Mangels Entscheidungsreife ist die Sache daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 10
2. Das Berufungsgericht wird nunmehr die Voraussetzungen des Auflassungsanspruchs zu prüfen und sich dann gegebenenfalls auch mit den weiteren Klageanträgen zu befassen haben, die es bislang - aus seiner Sicht folgerichtig - schon mangels Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen den Parteien als unbegründet angesehen hat.
Brückner Haberkamp Hamdorf
Malik Schmidt
Fundstellen
Dokument-Index HI16632490 |