Leitsatz (amtlich)
Bei Bemessung der einer Witwe eines tödlich verunglückten Arbeitnehmers für entgangenen Unterhalt zuzusprechenden Rente ist in der Regel auch eine Treueprämie zu berücksichtigen, die der Ehemann anläßlich seines 40jährigen Dienstjubiläums von seinem Arbeitgeber erhalten haben würde.
Normenkette
BGB § 844 Abs. 2, § 1360a
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 29.11.1968) |
LG Hagen (Urteil vom 26.05.1967) |
Tenor
I. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. November 1968 wird insoweit zurückgewiesen, als die Klägerin Ersatz der Aufwendungen für eine Putzhilfe und für entgangene Einnahmen aus der Gastwirtschaft verlangt.
II. Im übrigen wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es zum Nachteil der Klägerin erkannt hat, aufgehoben.
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 26. Mai 1967 wird insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen den Feststellungsanspruch dieses Urteils richtet. Jedoch erstreckt sich der Vorbehalt des Forderungsübergangs auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger auch auf die Ansprüche aus § 844 Abs. 2 BGB.
2. Die Zahlungsansprüche der Klägerin werden, soweit sie nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger übergegangen sind, dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
III. Die Sache wird zur Entscheidung über die Höhe der Zahlungsansprüche und über die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 21. Dezember 1964 fuhr der Beklagte gegen 18.40 Uhr mit seinem Personenkraftwagen (Fiat 770) außerhalb der Ortschaft in Silschede/Ennepe – Ruhr-Kreis durch die nichtbeleuchtete Gevelsberger Straße. Dabei erfaßte er die 56jährige Klägerin und deren 61jährigen Ehemann auf oder neben der 6,50 m breiten Fahrbahn, die in einen 2 m breiten Randstreifen überging. Der Anstoß geschah in Höhe der rechten Scheinwerferanlage des Fiat und oberhalb der rechten Tür; auch zersplitterte die Windschutzscheibe. Die Klägerin kam durch den Anstoß gleich zu Fall, während ihr Ehemann von dem Personenkraftwagen knapp 30 m mitgeschleift wurde; er war alsbald tot. Die vom Fahrzeug des Beklagten herrührende 30 m lange Bremsspur verläuft etwa 1 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt gradlinig. Die Straße ist durch eine kurz vor der Unfallstelle befindliche Kuppe besonders unübersichtlich. Beiderseits der Fahrbahn befanden sich unbefestigte Randstreifen. Der Beklagte fuhr mit Abblendlicht und wurde erst durch den Anprall auf die beiden Fußgänger aufmerksam. Er beging Fahrerflucht und konnte erst nach etwa fünf Wochen ermittelt werden. Infolgedessen ließ sich die Menge des von ihm genossenen Alkohols nicht mehr verläßlich feststellen.
Der Beklagte ist wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen Verkehrsunfallflucht in einem besonders schweren Fall zu einer Gesamtstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Die Klägerin behauptet, sie und ihr Ehemann hätten zunächst – in Fahrtrichtung des Beklagten gesehen – die linke Fahrbahnseite benutzt. In Höhe der Unfallstelle hätten sie, einander eingehakt, die vom Fahrverkehr freie Straße auf dem kürzesten Wege überquert, weil sie in ein gegenüber liegendes Haus hätten gehen wollen. Erst nach Überschreiten der Straßenmitte hätten sie den Lichtschein eines von rechts kommenden Fahrzeuges gesehen, weshalb sie sich noch beeilt hätten. Als sie den Randstreifen schon erreicht gehabt hätten, sei der Beklagte in äußerst schneller Fahrt herangekommen und hätte sie trotz des Versuches, sich noch in den daran anschließenden Graben zu retten, erfaßt.
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen der von ihr erlittenen Verletzungen (Gehirnerschütterung, Bruch des rechten Mittelfußknochens, Unfallschock) auf Schadensersatz in Anspruch. Sie begehrt ein Schmerzensgeld von mindestens 4.000 DM, Ersatz der Aufwendungen für eine Putzhilfe und Renten für Vergangenheit und Zukunft. Außerdem hat sie gebeten, die zukünftige Ersatzverpflichtung des Beklagten festzustellen.
Der Beklagte hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 DM anerkannt. Insoweit ist gegen ihn Anerkenntnisurteil ergangen. Im übrigen hat er seinen Antrag auf Klageabweisung damit begründet, die Klägerin habe nur leichte Verletzungen und insbesondere nicht einen Unfallschock oder seelische Depressionen erlitten; die Aufwendungen für eine Putzhilfe seien nicht unfallbedingt; unter Berücksichtigung der ihr von der Ruhrknappschaft gezahlten Rente und ihrer sonstigen Einküfte aus zwei Häusern verbleibe kein Schaden wegen entgangenen Unterhalts.
Das Landgericht hat der Klägerin weitere 2.000 DM Schmerzensgeld sowie die verlangten Aufwendungen für eine Putzhilfe zugesprochen und die Unterhaltsrückstände und laufenden Renten zu einem Teil zuerkannt; der Feststellungsklage hat es in vollem Umfang stattgegeben.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten, der in der Berufungsbegründung auch ein Mitverschulden der Klägerin und ihres Ehemannes behauptet hat, die bezifferten Klageansprüche wegen Mitverschuldens von 1/3 in vollem Umfange abgewiesen. Dem Feststellungsanspruch hat es nur in Höhe von 2/3 der künftigen Schäden stattgegeben.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Ausgehend von der Feststellung, daß die Klägerin mit ihrem Ehemann auf der rechten Fahrbahn etwa 1 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt und nicht auf dem unbefestigten Seitenstreifen erfaßt worden ist, sieht das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Klägerin und ihres Ehemannes darin, daß sie entweder gebotswidrig (§ 37 StVO) auf der rechten Straßenseite gingen oder beim Überqueren der Fahrbahn nicht die erforderliche Vorsicht walten ließen.
Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
1. In erster Linie macht die Revision geltend, der Beklagte verstoße gegen den auch im Zivilprozeß anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er sich erstmals in seiner Berufungsbegründung auf eine Mitschuld der Klägerin und ihres Ehemannes berufen habe, obschon er in der Klageerwiderung erklärt hatte, daß „Einwendungen zum Anspruchsgrund nicht erhoben werden”. Das Berufungsgericht hat von der Vorschrift des § 529 Abs. 2 ZPO, wonach neue und die Erledigung des Rechtsstreits verzögernde Verteidigungsmittel unter Umständen nicht mehr zuzulassen sind, keinen Gebrauch gemacht. Diese Entscheidung kann jetzt nicht mehr in Frage gestellt werden (BGH LM ZPO § 529 Nr. 17). Ob die Revision mit ihrem über diese Regelung hinausgehenden Vorbringen Erfolg haben könnte, kann offen bleiben. Ohnehin kann die Entscheidung des Berufungsgerichts, hier könne ein Mitverschulden festgestellt werden, nicht bestehen bleiben.
2. Allerdings läßt sich ein Verstoß gegen die Denkgesetze, wie die Revision ihn aus der Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes bezüglich der zu ermittelnden Anstoßstelle herleiten will, nicht feststellen. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, es sei aus der geradlinigen, parallel zum Fahrbahnrand verlaufenden Bremsspur zu folgern, daß der Anstoß auf der Fahrbahn und nicht auf dem Randstreifen stattfand, begegnet keinen Bedenken. Insbesondere ist darin kein Verfahrensfehler zu sehen, daß das Berufungsgericht die von der Klägerin angebotenen Beweise über die Lage der beiden Verletzten nach dem Anstoß nicht erhoben hat. Seine Erwägung, Fußgänger würden bei einem Anprall durch einen Personenkraftwagen erfahrungsgemäß von der Anstoßstelle nach einem anderen Punkt geschleudert, so daß aus der Lage des Verletzten kein sicherer Schluß auf die Anstoßstelle möglich sei, ist nicht zu beanstanden.
3. Indes kann die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin und ihren Ehemann treffe ein Mitverschulden, aus folgenden Gründen nicht gebürgt werden.
Das Berufungsgericht muß, da den Beklagten die Beweislast trifft, davon ausgehen, daß die Eheleute zunächst links gegangen waren und dann beim Überqueren der Fahrbahn von der rechten Seite des Fahrzeugs knapp 1 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt erfaßt worden sind. Das bedeutet aber, daß die Klägerin und ihr Ehemann bereits 5,50 m der zu überquerenden Strecke zurückgelegt hatten und sich auf dem letzten Meter vor dem Randstreifen, als sie von dem nunmehr über die Kuppe herankommenden Personenkraftwagen des Beklagten erfaßt wurden. Zwar dürfen Fußgänger die Straße nur auf dem kürzesten Weg und unter gebotener Beachtung des Fahrverkehrs überqueren. Sie müssen dabei auch der Sichtbehinderung durch eine Straßenkuppe, vor allem bei Dunkelheit, besonders Rechnung tragen (Floegel/Hartung, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl. § 37 StVO Anm. 6, 6 a m.w.N.). Das Berufungsgericht vermag aber nicht darzutun, worin es die den Eheleuten vorzuwerfende und ihnen nachgewiesene Außerachtlassung der gebotenen Vorsicht sieht. Die vom Beklagten eingehaltene Geschwindigkeit ist nicht festgestellt. Darum muß die Behauptung der Klägerin, der Beklagte habe sich mit hoher Geschwindigkeit erst dann genähert, als sie und ihr Ehemann die Fahrbahnmitte bereits überquert hatten, als ein möglicher Unfallablauf unterstellt werden, zumal die Sicht durch die Straßenkuppe – wie unstreitig ist – stark behindert war. Das Berufungsgericht hat nicht dargelegt, daß die Eheleute den Lichtschein des herannahenden Wagens so rechtzeitig sehen konnten, daß sie von einer Überquerung der Fahrbahn Abstand nehmen oder einen bereits begonnenen Überquerungsvorgang abbrechen konnten und mußten. Nur dies könnte ihnen aber zum Vorwurf gereichen. Selbst wenn die Ausführungen des Berufungsurteils in diesem Sinne zu verstehen wären, so hat es dafür keine Begründung gegeben. Eine solche ist nach dem Beweisergebnis auch nicht möglich. Unfallzeugen sind nicht vorhanden, so daß – da das Berufungsgericht die objektive Wahrnehmungsmöglichkeit eines sich bei Dunkelheit der Unfallstelle mit abgeblendetem Scheinwerferlicht nähernden Fiat 770 nicht festgestellt hat – nur aus den Unfallspuren und der Einlassung der Klägerin Rückschlüsse auf die vom Beklagten eingehaltene Geschwindigkeit und auf den Standort der Eheleute bei Ansichtigwerden des Lichtscheins möglich sind.
Die Einlassung der Klägerin – mag sie in einigen Punkten auch nicht richtig sein – erbringt jedenfalls keinen Beweis dafür, daß sie und ihr Ehemann den Lichtschein des herannahenden Fahrzeugs rechtzeitig wahrgenommen hatten. Der Beklagte hat selbst nicht behauptet, daß die Eheleute schon beim Betreten der Fahrbahn oder jedenfalls vor Erreichen der Fahrbahnmitte den Lichtschein des Fahrzeuges in einer sie bereits gefährdenden Weise hätten sehen können. Die Länge der Bremsspur spricht im Hinblick auf das verhältnismäßig geringe Eigengewicht des Fahrzeugs und den Verbrauch von Energie durch den heftigen Anprall an den Ehemann der Klägerin zumindest nicht für die Richtigkeit der vom Beklagten im Strafverfahren zugegebenen Geschwindigkeit von 50–55 km/h. Vielmehr läßt die 30 m lange Bremsspur unter den dargelegten Umständen die Möglichkeit einer sehr viel höheren Geschwindigkeit, insbesondere bei einem guten Zustand der Reifen, offen. Die Nichtaufklärbarkeit des genauen Unfallverlaufs, die der Beklagte durch seine Fahrerflucht im wesentlichen selbst verursacht hat, geht aber, da ihn ohnehin die Beweislast trifft, zu seinen Lasten.
Schließlich kann auch der vom Beklagten vertretenen Meinung, ein Mitverschulden der Eheleute liege schon darin, daß sie unmittelbar hinter der Kuppe die Fahrbahn überquert hätten, nicht zugestimmt werden. Die Unübersichtlichkeit einer 6,50 m breiten Straße kann zwar für den sie überquerenden Fußgänger erhöhte Sorgfaltspflichten begründen, aber nicht die Überquerung schlechthin als eine schuldhafte Selbstgefährdung verbieten.
3. Somit kann die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin wegen Mitverschuldens nur 2/3 ihrer Ersatzansprüche verlangen könne, nicht bei Bestand bleiben.
Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweiten Entscheidung über die Haftung des Beklagten dem Grunde nach war nicht angebracht. Das Berufungsgericht hat eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt. Daß es dabei ein Beweisangebot des Beklagten in einem entscheidungserheblichen Punkt übergangen hätte, ist nicht dargetan und auch nach Lage der Sache nicht anzunehmen; insbesondere verspricht die Einholung eines Sachverständigengutachtens keine Klärung, da weder die Geschwindigkeit des Fahrzeugs noch der Standort der Eheleute bei Ansichtigwerden des Lichtscheins bekannt sind. Infolgedessen war der Senat berechtigt und verpflichtet, aus dem vom Berufungsgericht ermittelten Sachverhalt die rechtlich gebotenen Schlüsse selbst zu ziehen. Sie ergeben, daß der Beklagte den ihm obliegenden Beweis nicht erbracht hat, daß der Klägerin und ihrem Ehemann der Vorwurf einer unfallursächlichen Unvorsichtigkeit gemacht werden könnte.
II.
Somit erweist sich der Feststellungsanspruch des landgerichtlichen Urteils als zutreffend. Daher war – unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils – die Berufung des Beklagten insoweit zurückzuweisen, als sie sich gegen den feststellenden Teil des landgerichtlichen Urteilsspruchs wendet. Hinsichtlich der Zahlungsansprüche der Klägerin (Schmerzensgeld und Renten) konnte es nicht bei der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Abweisung der Ansprüche in vollem Umfang bleiben, weil diese auf der irrigen Annahme beruht, daß die Klägerin nur 2/3 ihres materiellen und immateriellen Schadens verlangen könne und daß die Treueprämie von 1.800 DM nicht einzubeziehen sei. Da bei richtiger rechtlicher Beurteilung der Klägerin wahrscheinlich noch Beträge zuzusprechen sein werden, konnten ihre Zahlungsansprüche schon jetzt dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt werden.
1. Bezüglich des Schmerzensgeldes wird das Berufungsgericht erneut zu entscheiden haben, in welcher Höhe es dieses, wenn es von einer vollen Haftung des Beklagten ausgeht, für angemessen erachtet. Die insoweit gebotene Zurückverweisung gibt der Klägerin Gelegenheit, ihre in Bezug auf Umfang und Dauer ihrer Leiden (andauernde Depressionen und größere Beschwerden beim Gehen usw.) angetretenen Beweise erneut vorzubringen.
2. Hinsichtlich der von der Klägerin geforderten Renten gilt:
a) Die als Mehrbedarf (§ 843 BGB) verlangten Kosten für eine Putzhilfe hat das Berufungsgericht als nicht unfallbedingt aberkannt. Dies läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen, so daß das angefochtene Urteil insoweit die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil mit Recht zurückgewiesen hat. Auch die Revision ist auf diesen Punkt nicht mehr zurückgekommen. Gleiches gilt für die Behauptung der Klägerin, ihr seien die ab 1966 zu erwartenden erhöhten Einnahmen aus der Gastwirtschaft durch Übernahme in eigene Regie entgangen. Insoweit war die Revision zurückzuweisen.
b) Es geht sonst nur noch um den der Klägerin durch den Unfalltod ihres Ehemannes entzogenen Unterhalt (§ 844 Abs. 2 BGB).
aa) Dessen Höhe wird das Berufungsgericht neu festzusetzen haben, schon weil es, da nach seiner oben mißbilligten Ansicht die Klägerin nur zwei Drittel dieses Schadens verlangen konnte, errechnet hat, daß der Anspruch in voller Höhe auf die Ruhrknappschaft übergegangen war, weil diese der Klägerin eine höhere Rente zahlte. Kann jedoch die Klägerin vollen Ersatz verlangen, so wird ihr – jedenfalls für die Zeit ab März 1963 – noch ein vom Beklagten zu ersetzender Unterhaltsschaden entstanden sein. Der Senat hält es für angezeigt, die Bestimmung und Berechnung dieser Beträge dem Berufungsgericht zu überlassen. Dabei wird es im Hinblick auf die vom Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin bescheinigte Lohnerhöhung von 6 % ab 1. Januar 1966 auch die Berechnung des Einkommensbetrages von monatlich 765 DM für den Zeitraum ab Januar 1966 zu überprüfen haben.
bb) Zur Zurückverweisung besteht auch deshalb Anlaß, weil das Berufungsgericht den Standpunkt der Klägerin abgelehnt hat, der zu ihren Gunsten einzusetzende Arbeitslohn ihres Ehemannes sei im Jahre 1966 wegen einer im Januar 1966 auszuzahlenden „Treueprämie” für 40jährige Betriebszugehörigkeit um 1.800 DM höher gewesen. Die Revision verlangt mit Recht, daß diese Prämie bei der Ermittlung des der Klägerin entzogenen Unterhalts (§§ 1360 a Abs. 1, 844 BGB) einzuwerfen ist.
Das Berufungsgericht meint, eine Treueprämie werde üblicherweise vom Empfänger für eine besondere Anschaffung oder eine Reise verwendet, auch müßten aus ihr zunächst die Kosten der Jubiläumsfeier mit den Arbeitskollegen bestritten werden. Diese Begründung ist rechtlich bedenklich. Ob und inwieweit die Prämie zunächst für eine Jubiläumsfeier verwendet wird, betrifft allein die Frage, ob der Unterhaltsberechtigte verlangen könnte, daß die Zuwendung in voller Höhe für den Unterhalt bereitgestellt wird. Auch kommt es nicht darauf an, wie der verstorbene Ehemann der Klägerin die 1.800 DM verwendet haben würde. Nach § 844 Abs. 2 BGB kann die Klägerin nur insoweit Ersatzansprüche gegen einen Schädiger erheben, als ihr Ehemann gesetzlich verpflichtet gewesen wäre, diese Prämie – ganz oder teilweise – auch seiner Ehefrau zukommen zu lassen. Es handelt sich also um eine Frage des Unterhaltsrechts, hier der §§ 1360, 1360 a BGB.
Der „angemessene Unterhalt” i.S. des § 1360 a BGB umfaßt alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse des Ehegatten zu befriedigen. Hierzu gehören neben den Ausgaben des täglichen Bedarfs (einschließlich der Kleidung) und der Beschaffung des Wohnraums auch Anschaffungskosten für Wohnungseinrichtungsgegenstände sowie Aufwendungen für Krankheit, für Kur- und Ferienaufenthalte und allgemein zur Pflege geistiger, religiöser, politischer, kultureller und geselliger Interessen. Dabei bestimmt sich das Maß des Unterhalts nach der Lebensstellung beider Ehegatten und ihrem Lebensstil, der seine Grundlage in dem beiderseitigen Einkommen, vor allem dem Arbeitsverdienst, findet. Diesem aber sind auch alle vom Arbeitgeber gezahlten Zulagen hinzuzurechnen, soweit sie nicht durch ihren besonderen Verwendungszweck von vornherein aufgebraucht werden. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht auch das Weihnachts- und Urlaubsgeld eingeworfen, das der Arbeitgeber des verunglückten Ehemannes diesem außer dem Arbeitslohn alljährlich gezahlt hatte (Brühl, Unterhaltsrecht 2. Aufl. S. 99). Das muß aber ebenso geschehen für die aus Anlaß einer langjährigen Betriebszugehörigkeit gezahlte „Treueprämie”, die wirtschaftlich gesehen gleichfalls ein Stück des Arbeitslohnes ist (vgl. Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts S. 24; Bursch NJW 1968, 429).
Hierfür spricht schon, daß derartige Treueprämien, die den Arbeitnehmern aus Anlaß langjähriger Zugehörigkeit zum Betrieb als Anerkennung für geleistete Dienste gewährt werden, ebenso wie die Gratifikationen oder Leistungszulagen arbeitsrechtlich als zusätzliches Arbeitsentgelt behandelt werden (BAGE 1, 36, 39; 3, 132, 135; auch BArbG NJW 1963, 1893 und 1964, 1690) und zwar unabhängig davon, ob sie steuerrechtlich als Lohn erfaßt sind. Auch das steuerfreie Kindergeld wird bei der Berechnung entgangenen Unterhalts als zusätzlicher Lohn gewertet (LM BGB § 844 Abs. 2 Nr. 24). Daß eine solche, nach 40jähriger Betriebszugehörigkeit in Höhe von 1.800 DM zu zahlende Treueprämie bei der Berechnung des einer Ehefrau zustehenden Unterhaltes dem Arbeitsverdienst zuzuschlagen ist, folgt vor allem aus der familienrechtlichen Stellung der Eheleute zueinander. In aller Regel hat nicht zuletzt gerade die Ehefrau ihren Anteil daran, daß ihr Ehemann in der Lage war, durch lange Jahre hindurch ein und demselben Arbeitgeber treue Dienste zu leisten. Die Klägerin weist nicht zu Unrecht darauf hin, daß sie mit ihrem Ehemann in 34jähriger Ehe zusammengelebt und ihm ständig den Haushalt geführt hat. Haben die Eheleute, wie hier, ein Gesamteinkommen von nicht mehr als 1.200 DM monatlich, so muß davon ausgegangen werden, daß der Ehemann gesetzlich verpflichtet gewesen wäre (§ 1360 a BGB), einen Teil dieser Treueprämie seiner Ehefrau zuzuwenden. Dabei ist davon auszugehen, daß der im August 1903 geborene, am Todestag, somit 61jährige Ehemann der Klägerin die etwa ein Jahr nach dem schädigenden Ergeignis vollendete 40jährige Betriebszugehörigkeit nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge (§ 252, 842 BGB) ohne das schädigende Ereignis erlebt haben würde. Der Beklagte hat keine Anhaltspunkte für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Betrieb dargetan.
Ob der Beklagte von dieser Treueprämie allerdings der Klägerin die Hälfte oder doch 40 % hätte zukommen lassen müssen, wird der Tatrichter zu entscheiden haben. Denn der Ehemann war berechtigt, aus dieser Zuwendung zunächst die Unkosten für eine Jubiläumsfeier im Betrieb oder mit seinen Arbeitskollegen zu bestreiten, falls dies dort üblich war (vgl. auch Pentz VersR 1968, 918). Bei der Feststellung dieser näheren Umstände wird das Berufungsgericht gemäß § 287 ZPO verfahren dürfen. Den dann verbleibenden Betrag wird es auf die Eheleute aufzuteilen und, wie es dies schon im angefochtenen Urteil getan hat, auf den Verdienst des Jahres 1966 umzulegen haben. Erst dann wird es feststellen können, in welcher Höhe die Klägerin – unter Beachtung des Rechtsübergangs auf die Ruhrknappschaft – einen Unterhaltsschaden erlitten hat.
Unterschriften
Dr. Weber, Nüßgens, Sonnabend, Dunz, Scheffen
Fundstellen
Haufe-Index 1502232 |
NJW 1971, 137 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1971, 122 |