Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Juli 2003 wird mit der Maßgabe verworfen, daß im Fall II. C der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung entfällt. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist und im gesamten Strafausspruch.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
1. Die Strafkammer hat folgendes festgestellt:
- Der Angeklagte lockte am Abend des 14. Oktober 1995 die 17 Jahre alte Geschädigte F unter einem Vorwand auf einen Waldweg und zwang sie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter anderem zum Oralverkehr (Fall II. B der Urteilsgründe).
- Weiterhin lockte der Angeklagte am Abend des 7. September 1996 die 16 Jahre alte Nebenklägerin T unter demselben Vorwand in den Wald, wo er sie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter anderem zum außerehelichen Beischlaf zwang und mit einem Gürtel schlug (Fall II. C der Urteilsgründe).
2. Den ersten Fall hat die Strafkammer als sexuelle Nötigung gemäß § 178 Abs. 1 StGB a.F. gewertet. Hierfür hat sie eine Einzelstrafe von acht Jahren verhängt. Den zweiten Fall hat die Strafkammer als Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 177 Abs. 1 StGB a.F., § 223 StGB a.F., § 52 StGB gewertet und eine Strafe von neun Jahren und sechs Monaten verhängt. Aus den genannten Strafen ist eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten gebildet worden. Von Maßregeln der Besserung und Sicherung hat die Strafkammer abgesehen.
3. Gegen dieses Urteil richtet sich die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten, die auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützt ist.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, nur dagegen, daß keine Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.
Die Revision des Angeklagten hat teilweise, die der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zugleich dazu, daß der Strafausspruch zugunsten des Angeklagten aufzuheben war.
Entscheidungsgründe
II.
Zur Revision des Angeklagten:
1. Hinsichtlich des im Fall II. C der Urteilsgründe tateinheitlich abgeurteilten Vergehens nach § 223 StGB a.F. ist Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Tat wurde am 7. September 1996 begangen. Eine verjährungsunterbrechende Handlung, der Erlaß eines Durchsuchungsbeschlusses für die Wohnung des Beschuldigten durch das Amtsgericht Tiergarten in Berlin (vgl. § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB), erfolgte erst am 18. Februar 2002 (Bd. III Bl. 129 d. A.). Zu diesem Zeitpunkt war die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) bereits abgelaufen.
Dies führt zur Reduzierung des Schuldspruchs.
2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Die nach § 338 Nr. 3 StPO erhobene Verfahrensrüge, die sich auf eine Mitwirkung der abgelehnten Richter an einer Haftentscheidung vom 22. Mai 2002 stützt, geht fehl. Die Ablehnung und die Entscheidung darüber geschahen vor Eröffnung des Hauptverfahrens. Das Kammergericht hat die sofortige Beschwerde, die sich gegen den die Ablehnung zurückweisenden Beschluß des Landgerichts richtete, verworfen. Der Beschwerdeführer kann sich nicht mit der Revision gegen den bereits rechtskräftigen Ablehnungsbeschluß der Strafkammer wenden (§ 336 StPO; vgl. Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 28 Rdn. 7).
b) Die auf § 244 Abs. 2 und 4 StPO, § 338 Nr. 8 StPO gestützte Rüge, zwei Beweisanträge zur Bestellung eines weiteren Sachverständigen seien zu Unrecht abgelehnt worden, ist unzulässig. Entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO werden die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen nur teilweise mitgeteilt. So werden die Gutachten der Sachverständigen Dr. B. vom 7. März 2003 und Dr. R vom 13. September 2000 ebenso nur auszugsweise mitgeteilt wie der in bezug genommene Beweisantrag vom 22. Januar 2003.
c) Die Rüge, das Landgericht habe entgegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO einen Beweisantrag auf erneute Vernehmung der Geschädigten F. zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, die Beweisbehauptung sei bereits erwiesen, ist ebenfalls unzulässig. Die von der Revision in bezug genommene polizeiliche Vernehmung der Geschädigten F und die Einlassung des Angeklagten vom 27. August 2002 werden nur auszugsweise, das ebenfalls in bezug genommene Sachverständigengutachten von Dr. B wird überhaupt nicht mitgeteilt.
d) Die Aufklärungsrüge, das Landgericht hätte Strafanzeigen und polizeiliche Vorgänge beiziehen müssen, weil nach deren Inhalten „eine sehr reale Möglichkeit bestand, daß der Angeklagte dort zu jener Zeit Prostituierten begegnet ist”, teilt entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO das erwartete Beweisergebnis nicht klar genug mit und ist damit nicht zulässig erhoben. Das genannte Vorbringen der Revision ist nicht anders zu bewerten als ein Vorbringen, das ein bestimmtes Ergebnis nur als möglich bezeichnet oder das behauptet, weitere Ermittlungen hätten vielleicht ein anderes Beweisergebnis erbracht (vgl. hierzu nur BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 1; BGH NStZ-RR 2003, 71; w. Nachw. bei Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 51).
e) Die weitere Aufklärungsrüge ist unbegründet, da sich die vermißte Beweiserhebung dem Gericht nicht aufdrängen mußte. Das Landgericht war nicht gehalten, durch Einholung einer Auskunft aus der kriminalpolizeilichen personenbezogenen Sammlung und durch zeugenschaftliche Äußerung des Fachbeamten der Kriminalpolizei zu ermitteln, daß sich in Berlin durchschnittlich mindestens in einem Fall pro Jahr der Täter einer Vergewaltigung als Polizeibeamter ausgibt, der die Betroffene von einer Anzeigeerstattung mit dem Hinweis darauf abzuhalten versucht, daß er über Dienstcomputer die Anzeigeerstattung erfahren und die Betroffene identifizieren könne. Das Landgericht hatte zu dieser Frage zulässigerweise im Wege des Freibeweises eine Auskunft der Dienststellenleiterin eingeholt, wonach eine solche Sammlung nicht existiere, und zudem die Ermittlungsbeamten J und G. nach ähnlichen Fällen befragt.
3. Die weitere Sachrüge bleibt erfolglos.
Die Beweiswürdigung hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.
Es ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, die Beweise zu würdigen. Das Revisionsgericht kann die tatrichterliche Beweiswürdigung auf die Sachbeschwerde nur unter dem Gesichtspunkt würdigen, ob sie Rechtsfehler enthält. Dies ist dann der Fall, wenn die im Urteil mitgeteilten Überlegungen des Tatrichters in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind oder sie gegen Denkgesetze oder anerkannte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Solches ist hier nicht gegeben.
Das Landgericht hat in seiner sehr sorgfältigen Beweiswürdigung sich im ersten Fall von der Täterschaft des Angeklagten vor allem anhand der vom Angeklagten stammenden DNA-Spuren an der Kleidung des Opfers überzeugt. Im zweiten Fall hat es seine Überzeugung auf eine Vielzahl von Parallelen zum ersten Fall gestützt, die – jedenfalls in ihrer Gesamtheit – den Schluß zulassen, den Angeklagten als der Tat überführt anzusehen. Diese Wertung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, da sie keinen Rechtsfehler enthält.
Soweit sich die Revision gegen die Erwägungen der Strafkammer im Zusammenhang mit einer Kurzsichtigkeit des Angeklagten wendet, stützt sie sich im wesentlichen auf eigene, von den Urteilsgründen abweichende Wertungen oder Feststellungen, mit denen sie im Revisionsverfahren nicht gehört werden kann. Der Sachverständige Dr. K hat nicht festgestellt, der Angeklagte könne sich im Dunkeln im Wald nicht vorwärts bewegen, sondern er könne nicht schnell durch ein absolut dunkles Waldgebiet laufen; die Nebenklägerin hat nach den Urteilsfeststellungen nicht bekundet, der Täter habe mehrere Meter von ihr entfernt gestanden, als sie tanzen mußte. Die Erwägung des Tatrichters, der Angeklagte könne bei der Tat Kontaktlinsen verwendet haben, auch wenn er sie sonst in seinem privaten Umfeld nicht getragen habe, zeigt eine denkbare Möglichkeit auf, zumal sich der Angeklagte auch einen künstlichen Vollbart besorgt hatte, den er sonst nicht getragen hatte. Ein Erfahrungssatz, wonach es dem Angeklagten aus physischen oder psychischen Gründen unmöglich gewesen wäre, vorübergehend Kontaktlinsen zu tragen, besteht nicht.
Hinsichtlich der Täterbeschreibung durch die Geschädigte F und die Nebenklägerin T hat der Tatrichter dargelegt, daß die Angaben zu Alter, Staatszugehörigkeit, Frisur und Figur auf den Angeklagten zutreffen. Lediglich hinsichtlich der Körpergröße bestehe eine Abweichung von etwa 10 bis 12 Zentimetern, was damit erklärt wird, daß die Zeuginnen den Täter nur kurz gesehen haben, die Geschädigte F Körpergrößen schlecht schätzen könne und der Täter sich zuvor am Telefon selbst mit der von ihr genannten Körpergröße beschrieben habe. Diese vom Tatrichter gezogenen Schlüsse sind möglich und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen.
Auch die weiteren Einzelausführungen der Revision zur Beweiswürdigung zeigen keinen Rechtsfehler auf.
Die Strafzumessungserwägungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
Im Fall II. B stellt sich bei der gebotenen konkreten Abwägung § 177 StGB gegenüber § 178 StGB a.F. nicht als das mildere Gesetz dar. Der erzwungene Oralverkehr hätte nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB einen Strafrahmen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren eröffnet, während der Strafrahmen des § 178 Abs. 1 StGB a.F. nur ein Jahr bis zehn Jahre betrug.
Der als straflose Vorbereitungshandlung gewertete Fall II. A ist in den Urteilsgründen nicht strafschärfend berücksichtigt worden.
Im Fall II. C durfte die festgestellte tateinheitlich begangene Körperverletzung, auch wenn sie verjährt ist, strafschärfend berücksichtigt werden (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 46 Rdn. 38b). Mit einem zu hohen Gewicht hat die Strafkammer sie bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt.
Soweit die Revision rügt, daß eine rechnerische Logik bei der Festsetzung der Einzelstrafen nicht zu erkennen sei, ist dieser Einwand unbegründet. Eine solche Mathematisierung widerspräche dem Wesen der Strafzumessung. Auch ein Vergleich mit der Höhe der im Jahre 1986 verhängten Strafen kann die Revision nicht rechtfertigen. Der Tatrichter muß die im Einzelfall zu beurteilende Tat ohne Bindung an weitere Fixpunkte als die Ober- und Untergrenze des Strafrahmens in den gefundenen Strafrahmen einordnen. Maßgeblich ist dabei das Gesamtspektrum aller strafzumessungsrelevanten Umstände (Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 624, 625). Diesen Anforderungen genügt das Urteil. Unter Berücksichtigung der erheblichen einschlägigen Vorstrafen und der Tatbegehung während des Freigangs liegen die verhängten Strafen innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsrahmens (vgl. BGHSt 34, 345, 349).
III.
Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Das Landgericht hat sowohl im Hinblick auf frühere Verurteilungen des Angeklagten als auch im Hinblick auf die hier abgeurteilten Taten die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB, § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht.
Der Tatrichter hat dennoch die Voraussetzungen für die Verhängung von Sicherungsverwahrung verneint. Die hier zur Verurteilung stehenden Taten hätten zwar auf einem Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten beruht. Auch vermöge „die Kammer eine Änderung der Persönlichkeit des Angeklagten bzw. einen therapeutischen Erfolg nicht zu erkennen” und folge insofern den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Bü. Jedoch sehe „sich die Kammer daran gehindert, derzeit einen bei dem Angeklagten noch vorliegenden Hang zu solchen Straftaten anzunehmen, weil über einen Zeitraum von gut fünf Jahren, die der Angeklagte nach Begehung der (letzten) Tat in Freiheit gelebt habe, keine weiteren Straftaten bekannt” geworden seien. Der Regelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB sei der Rechtsgedanke zu entnehmen, daß eine straffreie Führung über einen Zeitraum von fünf Jahren von erheblicher Bedeutung sei. Wäre es zu einer zeitnahen Verurteilung gekommen, hätte „die Kammer das Vorliegen eines Hanges angenommen.”
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand:
2. Allerdings ergeben die Urteilsgründe nicht, daß die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 3 StGB vorliegen. Die Vorschrift des § 66 Abs. 3 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160) findet nur Anwendung, wenn der Täter eine der Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art nach dem 31. Januar 1998 begangen hat (BGH NStZ-RR 1999, 294; Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 11), was hier nicht der Fall ist.
3. Unabhängig davon liegen aber jedenfalls die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB vor. Neben den beiden der Verurteilung im hiesigen Verfahren zugrunde liegenden Taten sind die Taten heranzuziehen, wegen derer der Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. April 1986 wegen der Begehung von zwölf Sexualstraftaten (Vergewaltigung in zehn Fällen, versuchte Vergewaltigung sowie versuchte sexuelle Nötigung) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren unter gleichzeitiger Anordnung von Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist. Wegen der dort zuletzt festgestellten Tat vom 4. Juni 1985 ist der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Rückfallverjährung gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB ist insoweit nicht eingetreten, weil sich der Angeklagte seit dieser Tat bis zum 20. August 1995 in Untersuchungs- und Strafhaft und hieran anschließend bis zum 26. Juni 1997 im Freigang befand und die Zeit, die der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist, nach § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB in die Frist nicht eingerechnet wird.
4. Die Begründung des Tatrichters, mit der er einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint hat, begegnet rechtlichen Bedenken. Das Merkmal „Hang” verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. Hangtäter ist danach derjenige, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist oder der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (vgl. u. a. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1). Das Vorliegen eines solchen Hanges hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). An dieser Rechtsprechung hat sich das Landgericht nicht orientiert. Dem Hinweis auf die seit der letzten Tat vergangene Zeit kommt für sich allein genommen keine entscheidende Bedeutung zu. Der Tatrichter hätte sich in diesem Zusammenhang näher mit den Vorverurteilungen und den Umständen, unter denen es zu diesen wie auch zu den verfahrensgegenständlichen Taten kam, auseinandersetzen müssen. Der Umstand, daß der Angeklagte trotz langjähriger Strafverbüßung wegen Sexualdelikten und trotz gewährten Freigangs erneut zwei ihm völlig fremde Frauen gewaltsam zu sexuellen Handlungen gezwungen hat, läßt das Vorliegen einer Willensschwäche, die ein wesentliches Indiz für einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sein kann (Hanack in LK StGB 11. Aufl. § 66 Rdn. 92), als naheliegend erscheinen. Der Tatrichter hätte deshalb die Ausführungen des Sachverständigen erkennbar berücksichtigen müssen, wonach „ein Zeitraum von gut fünf Jahren im Hinblick auf die Vortaten und die Persönlichkeit des Angeklagten nicht ausreichend sei, um davon ausgehen zu können, es liege kein Hang mehr vor” (UA S. 90) und der die früher mit dem Angeklagten durchgeführte Sexualstraftätertherapie „keinesfalls als geeignet” (UA S. 88) bewertet hat.
Weiterhin ist die Ansicht des Landgerichts, der Angeklagte habe seit der letzten Tat gut fünf Jahre in Freiheit gelebt und wegen des Rechtsgedankens des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB sei ein Hang nunmehr zu verneinen, unzutreffend.
Zum einen befand sich der Angeklagte, der am 12. Februar 2002 erneut inhaftiert worden ist, weniger als fünf Jahre in Freiheit. Der bis zum 26. Juni 1997 gewährte Freigang ist als Verwahrung in einer Anstalt im Sinne des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB anzusehen. Freiheitsstrafe soll nach Maßgabe von § 10 Abs. 1 StVollzG in der Form des offenen Vollzuges durchgeführt werden. Daneben gibt es Vollzugslockerungen, die zu einer Verminderung der Kontrolle über den Gefangenen führen, nämlich Außenbeschäftigung, Freigang und Ausgang (§ 11 Abs. 1 StVollzG) sowie Urlaub aus der Haft (§ 13 StVollzG). Der Umstand, daß hierbei planmäßig lediglich abgeschwächte oder nur zeitweise bzw. punktuell vorgenommene Maßnahmen zur Überwachung der Bewegungsfreiheit des Betroffenen vorgenommen werden, führt nicht zu einer Beendigung oder Unterbrechung der Verwahrung in einer Anstalt. Demgemäß ist es in der Rechtsprechung anerkannt, daß Freigang, jedenfalls wenn die tägliche Rückkehr des Betroffenen an den Verwahrungsort vorgesehen ist und dies kontrolliert wird, die Gefangeneneigenschaft des Betroffenen im Sinne des § 120 StGB nicht entfallen läßt (vgl. BGHSt 37, 388, 392; Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 15 i.V.m. § 120 Rdn. 4). Auch der der Vorschrift des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB zugrunde liegende Gedanke, daß in die Fünfjahresfrist die Zeit nicht eingerechnet werden soll, in der der Täter keine Gelegenheit hat, sich in der Freiheit zu bewähren (vgl. BGH NJW 1969, 1678, 1679), spricht für die hier vorgenommene Auslegung. Wer kontrolliert wird, ist nicht frei. Darüber hinaus erfordert die Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB eine Sicherheit bei der Berechenbarkeit der Fristen. Dies gebietet es ebenfalls, als Verwahrungszeit auch die Zeit anzusehen, in der solche Formen der Vollzugslockerung gewährt werden.
Zum anderen hindert § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB nicht, im Rahmen der Prüfung, ob beim Angeklagten ein Hang vorliegt, alle Vorverurteilungen des Angeklagten in die erforderliche Gesamtwürdigung einzubeziehen. Der Umstand, daß Vortaten wegen Eintritts der Rückfallverjährung nicht mehr als Symptomtaten herangezogen werden können, hindert nicht ihre Verwertung als sonstiges Beweisanzeichen für die Hangtäterschaft im Rahmen der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1999, 502).
5. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Dies zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs – insoweit allerdings nur zugunsten des Angeklagten – nach sich; es ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, daß die Strafe – wäre zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt worden – niedriger ausgefallen wäre.
Unterschriften
Harms, Häger, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2558279 |
NStZ 2005, 265 |