Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. November 2001
- in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß der Angeklagte V wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe, der Angeklagte R wegen Beihilfe zum Totschlag verurteilt ist,
- in den Strafaussprüchen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen beider Angeklagter werden verworfen.
3. Die Sache wird zur Neufestsetzung der Strafen und zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten V – unter Freisprechung im übrigen – wegen Mordes in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu lebenslanger Freiheitsstrafe und den Angeklagten R wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten führen mit den Sachrügen zur Änderung der Schuldsprüche und Aufhebung der Strafaussprüche. Im übrigen bleiben sie erfolglos.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte V besuchte am 16. März 2001 gegen 2.15 Uhr mit seinem Bekannten B nach mehreren anderen Lokalen die von dem später Getöteten Z geführte Gaststätte T trotz eines bestehenden Lokalverbots. Der Wirt erlaubte ihnen, ein Bier zu trinken. Gleichwohl begannen die über das Lokalverbot verärgerten Männer alsbald handgreiflichen Streit, auch mit anderen Gästen. Z setzte sich zur Wehr, schlug mit einer Pistole dem B mehrfach auf den Kopf und brachte ihm mindestens eine blutende Platzwunde bei. Nachdem sie – B erheblich verletzt, V unverletzt – aus dem Lokal geflüchtet waren und sich getrennt hatten, wollte sich der über den Hinauswurf massiv verärgerte, zudem leicht reizbare, bei einer Blutalkoholkonzentration von höchstens 1,3 Promille alkoholbedingt enthemmte Angeklagte V rächen. Er wollte Z erschießen, bewaffnete sich mit einem zur scharfen Schußwaffe umgebauten Schreckschußrevolver nebst neun Patronen und rief um 2.35 Uhr den Angeklagten R an, der ihn mit einem Pkw Audi 80 zurück zum Lokal T fuhr. Z, der auf das am Lokal vorbeifahrende Fahrzeug aufmerksam geworden war, lud seine Pistole durch und begab sich seinerseits mit drei Begleitern zu seinem dem Lokal gegenüber geparkten Pkw VW Golf Variant. Als Z gerade sein Fahrzeug starten wollte, näherte sich erneut das Fahrzeug der Angeklagten sehr langsam fahrend von hinten. V hatte die Scheibe der Beifahrertür heruntergekurbelt und den mit fünf Patronen geladenen Revolver im Anschlag. Als er sah, daß Z. sich anschickte, seinen Pkw zu starten, wies er R an, schnell in Höhe des Pkw Golf zu fahren und neben diesem zu halten. R, der spätestens jetzt damit rechnete, daß V auf einen oder mehrere Insassen des Pkw Golf schießen würde, ihm gleichwohl dabei helfen wollte, beschleunigte den Wagen stark und brachte ihn fast genau in Höhe des Pkw Golf, wenige Zentimeter nach hinten versetzt in einem maximalen Seitenabstand von einem Meter zum Stehen. V gab auf Z einen ersten Schuß ab, der die linke hintere Seitenscheibe des Pkw Golf durchschlug und, den Fahrer Z knapp verfehlend, hinter seiner Kopfstütze vorbei in der Innenseite des Fahrzeugs steckenblieb. Z öffnete die Tür und begann zurückzuschießen. Indes wurde er bereits beim Aussteigen von einem weiteren vom Angeklagten V abgefeuerten Geschoß unterhalb der Achselhöhle getroffen. Das Geschoß drang in die linke Brusthöhle ein und zerriß lebenswichtige Blutgefäße. Z gab seinerseits auf das Fahrzeug der Angeklagten in rascher Folge sechs Schüsse ab. Mehrere Geschosse durchschlugen die Beifahrertür, ein Schuß traf den Angeklagten V … in den Bauch, zwei weitere Schüsse trafen den Angeklagten R im Bereich der Arme. Z verstarb nach notärztlicher Versorgung noch am Ort des Geschehens an innerem Verbluten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
1. Mit Aufklärungsrügen und sachlichrechtlichen Einwänden wenden sich die Revisionen gegen die Feststellungen zur Abfolge der Schüsse. Sie machen übereinstimmend geltend, aus der fotografisch festgehaltenen nur diagonalen Zerstörung des linken hinteren Seitenfensters des Pkw Golf, mit der sich das Landgericht in diesem Zusammenhang nicht hinreichend auseinandergesetzt habe, ergebe sich in Zusammenschau mit den getroffenen Feststellungen zur möglichen Höhe der Schußabgabe des Angeklagten V. und zur Trefferhöhe im Innenraum des Pkw Golf ein im Vergleich zur Annahme des Urteils deutlich engerer Spielraum für den Winkel des – tatsächlich nahezu rechtwinklig erfolgten – Einschusses des Angeklagten V. in den Pkw Golf. Unter dieser Voraussetzung sei aus dem festgestellten Einschußwinkel des ersten Schusses des später getöteten Z. in das Fahrzeug der Angeklagten abzuleiten, daß die Fahrzeuge bei Abgabe dieses Schusses einen größeren Abstand voneinander gehabt haben müßten als beim ersten vom Angeklagten V abgegebenen Schuß; Z. müsse mithin bereits bei Annäherung des Fahrzeugs der Angeklagten als erster geschossen haben. Diese Schlußfolgerung liege bereits bei rechtem Verständnis der Urteilsgründe nahe. Ein weiteres kriminaltechnisches Sachverständigengutachten – welches die Revisionen vorlegen – hätte dies ebenfalls belegt. Bei zutreffender Auswertung der Feststellungen zur Beschädigung des Seitenfensters des Pkw Golf hätte sich das Landgericht seinerseits zur Einholung eines derartigen Gutachtens gedrängt sehen müssen.
Diese Rügen bleiben erfolglos.
a) Der Senat kann folgende grundsätzliche Bedenken dahinstehen lassen:
– ob das Rügevorbringen, das wesentlich auf ein in Vorbereitung der Revisionsbegründung eingeholtes neues Gutachten gestützt ist, von vornherein an den in BGHR StPO § 261 Sachverständiger 7 angegebenen Grundsätzen scheitern muß;
– ob die Aufklärungsrügen den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO deshalb nicht genügen, weil die Revisionen, die das bislang im Zusammenhang mit der Thematik der Schußreihenfolge erstattete kriminaltechnische Gutachten und die Ergebnisse der polizeilichen Untersuchungen lediglich anhand des Urteils referieren, die erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen für die erstrebte weitere Gutachtenerstattung aus den Ermittlungsakten nicht vollständig darlegen (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 5);
– ob Lichtbilder von der Teilzerstörung der Seitenscheibe des Pkw Golf, die im Urteil (UA S. 55) erwähnt sind, schon auf diese Weise durch eine deutliche und zweifelsfreie Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. BGHSt 41, 376, 382) zum Gegenstand des Urteils gemacht wurden, so daß sachlichrechtliche Einwände unmittelbar hierauf gestützt werden können;
– ob schließlich mangels weitergehender Verwertung von Erkenntnissen aus der Zerstörung jener Seitenscheibe tatsächlich eine genauere Ermittlung des Einschußwinkels, als im Urteil erfolgt, möglich gewesen wäre.
b) Selbst wenn insoweit eine unvollständige Beweisauswertung unterstellt wird, würde die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Schußreihenfolge hierauf im Ergebnis nicht beruhen. Daher läge hierin jedenfalls kein durchgreifender Sachmangel. Vielmehr gilt für die entsprechenden sachlichrechtlichen Einwände der Revisionen folgendes:
Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Schußreihenfolge beruht maßgeblich auf der Zeugenaussage der in dem Pkw Golf hinter dem später getöteten Fahrer Z sitzenden Begleiterin, ferner wesentlich auf den Wahrnehmungen der Insassen eines zufällig unmittelbar vor Tatbegehung vorbeifahrenden Polizeifahrzeugs zum Fahr- bzw. Startverhalten der beteiligten Fahrzeuge, zur Stellung der Fahrzeuge zueinander und zum Ablauf des Schußwechsels sowie schließlich auf den nach der Tat auch mit sachverständiger Hilfe getroffenen Feststellungen zum Zustand der Fahrzeuge, insbesondere des vollständig heruntergekurbelten Beifahrerfensters im Pkw Audi vor Beginn des Schußwechsels, und zur Anzahl der abgegebenen Schüsse. Die hieraus rechtsfehlerfrei abgeleiteten Folgerungen auf die Schußreihenfolge befand das Landgericht als im Einklang stehend mit den aus Lichtbildern und kriminaltechnischem Gutachten ermittelten Erkenntnissen zu den Einschußwinkeln. Durch eine geringere Bandbreite der Varianten für den Winkel des Einschusses ins Fahrzeuginnere des Pkw Golf, die indes die im Urteil zugrundegelegte erweiterte Bandbreite in keiner Richtung überschreitet, wird diese Beweiswürdigung sachlich nicht in Frage gestellt.
Dies gilt namentlich unter der wesentlichen, von den Revisionen vernachlässigten Voraussetzung, daß es an näheren Erkenntnissen über die genauen Positionen der jeweiligen Schützen bei Abgabe der einzelnen Schüsse fehlte (vgl. UA S. 47, 48, 54, 66). Dem Angeklagten V., der auf dem Beifahrersitz saß, stand bei Schußabgabe die gesamte Breite des geöffneten Seitenfensters von über einem Meter zur Verfügung. Danach muß sich nicht der Pkw Audi – entgegen dem Inhalt der Zeugenaussagen – während der Abgabe der Schüsse noch bewegt haben, sondern der Angeklagte V kann in seiner Position ohne jeden Einfluß auf den Versetzungsabstand der Fahrzeuge den tödlichen Schuß abgegeben haben. Bezogen auf den später Getöteten Z ergibt sich eine – vom Landgericht zutreffend gesehene – besondere Unsicherheit für die Feststellung seiner Schußposition in der Situation der Bewegung beim Aussteigen aus seinem Fahrzeug.
c) Eben mangels genauer Kenntnis über die Positionen der Schützen mußte sich das Landgericht auch nicht zu einer näheren Aufklärung durch eine weitergehende Berechnung der Versetzungsabstände zwischen den beteiligten Fahrzeugen bei Abgabe der einzelnen Schüsse im Sinne des mit den Revisionen übersandten neuen Gutachtens, die zu abweichenden Rückschlüssen auf die Schußreihenfolge hätte führen können, gedrängt sehen. In dem mit den Revisionen vorgelegten neuen Gutachten wird insoweit für beide Schützen jeweils eine Position der Schußhand in der hinteren Hälfte der jeweiligen Fahrzeugtür unterstellt. Grundlagen für eine derartige Prämisse, die zugrundezulegen sich dem Landgericht hätte aufdrängen müssen, werden weder dargelegt, noch sind sie sonst ersichtlich.
2. Die Verfahrensrügen, mit denen die Revisionen übereinstimmend einen Verstoß gegen das Gebot fairer Verfahrensgestaltung geltend machen, bleiben ebenfalls erfolglos. Auch insoweit kann der Senat letztlich dahinstehen lassen, ob sie – was freilich mangels näherer Darstellung der Gesamtheit der von der Verteidigung gestellten Hilfsanträge eher fernliegt – überhaupt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen.
Zwar kann der Tatrichter verpflichtet sein, erkannte Mißverständnisse der Verteidiger über die Grundlagen von ihnen gestellter Hilfsbeweisanträge durch einen Hinweis auszuräumen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 30 und BGH bei Kusch NStZ 1993, 228; dazu Basdorf StV 1995, 310, 319). Die Voraussetzungen für einen derartigen besonders gelagerten prozessualen Sachverhalt liegen hier indes nicht vor.
So hat die Verteidigung zwar zwei Hilfsbeweisanträgen Darlegungen zugrundegelegt, die denjenigen des Kriminalbeamten Dy in einem polizeilichen Bericht zu Einschußwinkeln entsprachen, die jedoch, wie der Kriminalbeamte in seiner Zeugenaussage ausweislich des Urteils (UA S. 49 f.) klargestellt hatte, auf einer unrichtigen Auswertung der vom technischen Sachverständigen Re vorgenommenen Winkelmessungen beruhten. Mit dieser Antragstellung verfolgte die Verteidigung weiterhin eine – im Widerspruch zu den eigenen Einlassungen der Angeklagten (UA S. 25 ff.) stehende – Theorie, Z habe aus seinem Pkw Golf auf den Pkw Audi der Angeklagten bereits geschossen, als sich dieses Fahrzeug von hinten genähert, aber mit der vorderen Stoßstange noch nicht einmal die hintere Stoßstange des Pkw Golf erreicht hätte (UA S. 49).
Wenngleich die Ergebnisse der (vom Gericht als überholt angesehenen) Winkelmessungen des Zeugen Dy die Grundlage für diese „Theorie” bildeten, lag ein leicht nachvollziehbares, durch einen gerichtlichen Hinweis ohne weiteres zu beseitigendes Mißverständnis der Verteidigung über den Ablauf der Beweisaufnahme zu dieser Thematik nicht auf der Hand. Hierzu ist nämlich nicht nur der Zeuge Dy, sondern nach ihm der kriminaltechnische Sachverständige Re vernommen worden, insbesondere waren auch Lichtbilder in diesem Zusammenhang Gegenstand der Beweisaufnahme. Daß die Verteidigung nach einer so eingehenden und vielschichtigen Beweisaufnahme verkannt haben könnte, daß die ursprünglichen Bewertungen Dy s als überholt angesehen werden könnten, mußte das Landgericht danach nicht in Erwägung ziehen. Die hierzu vorgelegte, auf angeblich undeutliche Einwände des Vorsitzenden während der Vernehmung des Zeugen Dy abstellende anwaltliche Versicherung des Verteidigers Rechtsanwalt D., auf die zurückzugreifen wegen des grundlegenden Verbots einer Rekonstruktion der Hauptverhandlung ohnehin prinzipiellen Bedenken begegnet (vgl. BGHSt 43, 212, 214), vernachlässigt die dargelegte Gesamtheit der einschlägigen Beweisaufnahme.
Das Landgericht konnte danach von einem Festhalten an der Verteidigungslinie auf der Grundlage der Auffassung des Zeugen Dy aus dem Ermittlungsverfahren trotz ihrer augenfälligen Widerlegung durch zahlreiche Beweismittel in der Hauptverhandlung und trotz ausdrücklicher Aufgabe der Auffassung durch den Zeugen selbst ausgehen. Einem solchen Prozeßverhalten der Verteidigung durfte das Gericht ohne vorherigen Hinweis im Urteil als sachlich aussichtslos begegnen. Anders als ein erkanntes – schon im Blick auf die Flüchtigkeit des Wortes bei einer Aussage verständliches – Mißverständnis begründet nicht etwa jede deutlich erkennbare abweichende Bewertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch die Verteidigung eine gerichtliche Hinweispflicht aus Gründen fairer Verfahrensgestaltung. Dies gilt – nicht anders als im Fall bewußter unrichtiger Behauptungen über Ergebnisse der Beweisaufnahme (vgl. BGH bei Kusch NStZ 1993, 228) – jedenfalls auch bei Fehlbewertungen der Verteidigung aufgrund von Uneinsichtigkeit oder nachhaltiger Unaufmerksamkeit. Allzu weitgehenden Eingriffs- und Reaktionspflichten des Gerichts auf die Wahrnehmung von Verfahrensrechten durch die Verteidigung stünde letztlich der Grundsatz entgegen, daß die Verteidigung bei deren Ausübung prozeßrechtlich eigenverantwortlich handelt (vgl. BGHSt 13, 337, 343; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. vor § 137 Rdn. 1; Basdorf StV 1997, 488, 489).
3. Die weiteren vom Angeklagten R erhobenen Aufklärungsrügen im Zusammenhang mit einem behaupteten, vom Landgericht als widerlegt angesehenen Tankvorgang unmittelbar vor der Schießerei scheitern an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, da es jedenfalls an einer hinreichend präzisen Darlegung des zu erwartenden Beweisergebnisses fehlt. Zudem wird nichts dafür vorgetragen, warum sich insoweit eine weitere Beweisaufnahme nach dazu bereits erfolgten Beweiserhebungen und nach einer Erledigungserklärung hinsichtlich eines Hilfsbeweisantrages mit gleichartiger Zielrichtung durch den Antragsteller selbst hätte aufdrängen müssen.
4. Die Sachrüge des Angeklagten V hat im übrigen zum Schuldspruch teilweise Erfolg. Zwar ist dieser Angeklagte rechtsfehlerfrei der rechtswidrig und uneingeschränkt schuldhaft verübten vorsätzlichen Tötung überführt worden. Seine Verurteilung wegen Mordes hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt, begegnet – wie die Revision zu Recht geltend macht – durchgreifenden Bedenken.
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen belegen nicht, daß das rechtsfehlerfrei angenommene tragende Motiv für die Erschießung des Z., sich für den Hinauswurf aus dem Lokal T zu rächen, seinerseits auf niedrigen Beweggründen beruhte (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 28; BGH StV 2001, 571). Das wäre nur dann der Fall, wenn diese Gefühlsregung jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehrte (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8, 16, 22; BGH StV 2001, 571). So verhält es sich hier jedoch nicht: Soweit das Landgericht dem Angeklagten in diesem Zusammenhang schon das bloße Aufsuchen des Lokals T trotz Lokalverbots – in erheblich alkoholisiertem Zustand nach vorangegangenen anderen Lokalbesuchen – anlastet, läßt es die naheliegende – später auch tatsächlich eingetretene – Möglichkeit außer acht, der Angeklagte könne davon ausgegangen sein, der Wirt werde nicht auf dem Verbot bestehen. Danach bleibt kein Raum für mehr als eine eher wertneutrale Würdigung des Verstoßes gegen das Lokalverbot. Daß das Landgericht weiterhin auf einen selbstverschuldeten Hinauswurf aus dem Lokal abgestellt hat, erweist sich gleichfalls letztlich nicht als tragfähig. Die Umstände des Lokalverweises, insbesondere die erheblichen Verletzungen des Begleiters B., überschritten ihrerseits die Grenzen einer erforderlichen Verteidigung der Gesundheit anderer Gäste, des Hausrechts und des Geschäftsbetriebs und trugen die Züge einer Bestrafungsaktion. Vor dem Hintergrund der persönlichkeitsbedingt leichten Reizbarkeit des Angeklagten V bei Hinzutreten nicht ganz unerheblicher Alkoholisierung war der Ärger hierüber die Grundlage für den in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang gefaßten und verwirklichten Entschluß, Z aus Rache für sein Verhalten zu erschießen. Ein so begründetes Tatmotiv entbehrte – zumal unter Berücksichtigung der subjektiven Befindlichkeit des Angeklagten V (vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 31, 34) – nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes und ist daher noch nicht als niedrig zu bewerten. Diese Betrachtungsweise gilt jedenfalls im Blick auf das eigene Verhalten des Opfers Z unmittelbar vor dem Tatgeschehen: Z begab sich ersichtlich aggressiv und selbst massiv bewaffnet bewußt in die gefährliche Konfliktsituation mit den Angeklagten (UA S. 16).
5. Auch die Sachrüge des Angeklagten R hat zum Schuldspruch einen Teilerfolg.
a) Entgegen der Auffassung der Revision tragen die Feststellungen allerdings die Annahme eines Förderns der Haupttat und eines Gehilfenvorsatzes. Daß das Verbringen des Schützen in die Schußposition angesichts des sich entfernenden Opfers hier ein entscheidendes Tatmittel war (vgl. BGHSt 42, 135, 138; 46, 107, 109), liegt auf der Hand. Die aus den Umständen der Anfahrt und der Tatausführung des V für den Vorsatz gezogenen Schlüsse sind jedenfalls möglich und nachvollziehbar (vgl. BGHSt 36, 1, 14). Es gibt – abweichend von der von der Revision herangezogenen Entscheidung BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 20 – vorliegend keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Angeklagte R auf einen glücklichen Ausgang des Geschehens vertraut hätte.
b) Eine Verurteilung des Angeklagten R wegen Beihilfe zum Mord scheidet in Ermangelung rechtsfehlerfreier Annahme des beim Haupttäter V. angenommenen Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe aus. Auf darüber hinaus bestehende Zweifel an der Auffassung des Tatrichters, daß R als Gehilfe seinen Tatbeitrag in Kenntnis der niedrigen Beweggründe des Haupttäters V erbracht und selbst ebenfalls aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe, kommt es danach gar nicht mehr an.
6. Der Senat schließt aus, daß sich aufgrund neuer Hauptverhandlung noch weitere Feststellungen treffen lassen, die bei den Angeklagten ein Handeln aus „niedrigen Beweggründen” ergeben könnten. Daß die Tat im Zusammenhang mit einer Schutzgelderpressung stand – von deren Versuch V. rechtskräftig freigesprochen wurde –, hat das Landgericht nicht nachzuweisen vermocht. Es erscheint ausgeschlossen, daß insoweit sichere Aufklärungsmöglichkeiten für einen neuen Tatrichter bestehen könnten. Auch von den Nebenklägern ist insoweit nichts weiter vorgebracht worden. Anhaltspunkte für weitere mordqualifizierende Merkmale – Heimtücke schied aus, da Z in der Tatsituation auf einen Anschlag gefaßt war – bestehen nicht; solche werden auch in der zugelassenen Anklage nicht angenommen. Der Senat ändert daher die Schuldsprüche von sich aus dahin, daß der Angeklagte V des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) und der Angeklagte R der Beihilfe zum Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB, § 27 Abs. 1 StGB) schuldig ist.
7. Die Schuldspruchänderungen ziehen die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich. Dagegen sind sämtliche auch rechtsfolgenrelevanten Feststellungen – namentlich diejenigen zur jeweils uneingeschränkten Schuldfähigkeit der Angeklagten – rechtsfehlerfrei getroffen worden; sie können deshalb bestehenbleiben. Für beide Angeklagte werden für die geänderten Schuldsprüche auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen und etwaiger weiterer, den ersteren aber nicht widersprechender Umstände die Strafen neu zu bestimmen sein. Bei dem Angeklagten V wird ungeachtet des Verhaltens des Opfers angesichts des massiven, mehreren Mordmerkmalen nahekommenden Tatbildes nur eine aus dem obersten Bereich des Strafrahmens aus § 212 Abs. 1 StGB zugemessene Strafe in Betracht kommen.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2559233 |
NStZ-RR 2003, 147 |