Leitsatz (amtlich)
Die Beweislastregelung in § 34 Ziff. 2 BetrOBLG verstößt gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, soweit sie sich auf Schäden bezieht, die dem Ladungsbeteiligten dadurch entstehen, daß Güter während der Einlagerung in den Kaischuppen der Beklagten verloren gehen.
Normenkette
BetriebsO der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft (BetrOBLG) § 34 Ziff. 2; BGB §§ 242, 282; Allg. Geschäftsbedingungen
Verfahrensgang
OLG Bremen (Urteil vom 20.01.1972) |
LG Bremen |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 20. Januar 1972 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte betreibt neben Lagergeschäften (Lagerverkehr) den Güterumschlag in den Häfen der Stadt B. (Durchgangsverkehr). Für den Durchgangsverkehr bestimmt § 34 ihrer Betriebsordnung (BetrOBLG):
„1. Die Gesellschaft haftet nicht bei Gütern, die nach Brauch, Bestimmung oder Vereinbarung im Freien, in offenen oder sonst nicht vollständig witterungssicher hergestellten Gebäuden oder in solchen Räumen untergebracht sind, in denen nach § 33 dem Verfügungsberechtigten oder dessen Beauftragen die Behandlung seiner Güter gestattet ist, für den Schaden, der aus dieser Unterbringung erwächst, – namentlich wenn er durch Witterungseinflüsse oder durch Entwendung oder durch äußerliche Beschädigung herbeigeführt wird. Dabei ist gleichgültig, ob die Räume unter Aufsicht und Verschluß der Gesellschaft stehen oder nicht.
2. Konnte ein Schaden den Umständen nach aus einer der in Ziffer 1 bezeichneten Gefahren entstehen, so wird vermutet, daß er aus dieser Gefahr entstanden sei.
3. Die Gesellschaft kann sich durch Berufung auf Ziffer 1 von der Haftung nicht befreien, wenn der Schaden durch ihr Verschulden entstanden ist.
4–6. …”
Die nach Ziffer 1 gestattete Behandlung besteht nach dem in den bremischen Hafenanstalten üblichen Umfang (§ 33 Ziff. 2 BetrOBLG) insbesondere darin, daß die Verfügungsberechtigten oder ihre Beauftragten in den für den Durchgangsverkehr bestimmten Kaischuppen, die der Beklagten für diesen Zweck von der Stadt B. Überlassen worden sind, die Güter unter Aufsicht der Beklagten bemustern, verwiegen, markieren, umpacken und selbst verladen dürfen.
Am 25. März 1970 nahm die Beklagte von einem Schiff aus Übersee drei Partien Schellack von 540, 500 und 75 Sack in einen für den Durchgangsverkehr bestimmten Kaischuppen auf. Dasselbe geschah mit zwei weiteren Partien dieser Ware von je 500 Sack am 6. November 1970. Die Aufnahme erfolgte jeweils aufgrund von sogenannten Aufsetzanträgen (§ 36 Ziff. 1 BetrOBLG) der Schiffer. Empfängerin der Ware war in beiden Fällen die Firma K. GmbH P.&S., Zweigniederlassung B..
Bei der Auslieferung der ersten Sendung in der Zeit vom 2. bis 7. April 1970 wurde festgestellt, daß 12 Sack fehlten. Von der zweiten Sendung, die am 7. und 10. November 1970 ausgeliefert wurde, fehlten 11 Sack. Die Klägerin hat der Empfängerin als deren Transportversicherer Ersatz für den entstandenen Schaden geleistet, und zwar für den Verlust aus der ersten Sendung 1.554,70 DM und für den Verlust aus der zweiten Sendung 434,50 DM.
Die Klägerin fordert Erstattung dieser Beträge nebst Zinsen von der Beklagten. Sie ist der Auffassung, es gehe nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu Lasten der Beklagten, daß sie sich hinsichtlich des Verlustes der 23 Sack Schellack nicht zu entlasten vermöge. Die hiervon abweichende Beweislastverteilung in § 34 Ziff. 2 BetrOBLG verstoße gegen die Grundsätze von Treu und Glauben und sei daher unwirksam. Ihre Klagebefugnis begründet die Klägerin damit, der Schadensersatzanspruch der Empfängerin der Ware sei kraft Gesetzes auf sie übergegangen. Außerdem hat sie sich die Ansprüche der Verfrachter gegen die Beklagte abtreten lassen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, der Haftungsausschluß in § 34 Ziff. 1 wie auch die Vermutung des § 34 Ziff. 2 BetrOBLG fänden ihre Rechtfertigung in der teilweisen Öffentlichkeit der Kaischuppen und in den Gefahren, denen dort lagernde Güter deshalb ausgesetzt seien. Auf diesen Gefahren könne den Umständen nach auch der hier eingetretene Verlust beruhen. Eine fahrlässige Verbringung der Säcke und auch Diebstahl könnten nicht ausgeschlossen werden.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte hafte auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 325 BGB. Aufgrund des Kaivertrages, den in beiden Fällen die Schiffer namens der Verfrachter mit ihr abgeschlossen hätten, sei sie zur Verwahrung und vollständigen Auslieferung des übernommenen Gutes verpflichtet gewesen. Die Verpflichtung zur Auslieferung jedenfalls stelle eine Hauptpflicht dieses gegenseitigen Vertrages dar. Der Beklagten sei die Erfüllung dieser Verpflichtung teilweise unmöglich geworden. Sie habe die Unmöglichkeit zu vertreten, da sie den ihr nach § 282 BGB obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt habe. Nach den von ihr geschilderten Verhältnissen ihres Betriebes liege es nahe, daß ihre Leute, für die sie einzustehen habe, die in Verlust geratenen Säcke fehlgeleitet hätten. Die Wahrscheinlichkeit eines Diebstahls durch Dritte sei dagegen schon nach der Art der Ware wesentlich geringer. Auf die Haftungsbeschränkung in § 34 BetrOBLG könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Die darin enthaltene Beweislastregelung, daß der geschädigte Ladungsbeteiligte dartun und beweisen müsse, der Verlust beruhe auf Umständen, welche die Beklagte zu vertreten habe, verstoße gegen die Gebote von Treu und Glauben und sei deshalb unwirksam, soweit es um den Verlust von Gütern gehe, welche die Beklagte in Kaischuppen aufgenommen habe.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
II. Nach Auffassung der Revision kommt es auf die vom Berufungsgericht für unwirksam gehaltene Beweislastregelung in § 34 Ziff. 2 BetrOBLG nicht an, weil der unstreitige Sachverhalt ergebe, daß die Beklagte ihre sich aus dem Kaivertrag ergebenden Obhuts- und Sorgfaltspflichten erfüllt habe. Dem kann nicht gefolgt werden.
Es mag zwar zutreffen, daß die von der Beklagten geschilderte Organisation ihres Betriebes, soweit die Aufbewahrung von Gütern in den für den Durchgangsverkehr bestimmten Schuppen in Frage steht, einen Mangel nicht ohne weiteres erkennen läßt. Dies braucht jedoch den Umständen nach noch nicht zu bedeuten, daß die Beklagte das zur Vermeidung von Verlusten Erforderliche tatsächlich tue. Sie selbst macht im Grunde nur geltend, verstärkte Aufsichts- und Kontrollmaßnahmen würden höhere Kosten verursachen. Es gehört aber zu ihren vertraglichen Pflichten, daß sie den Gefahren, die sich in den Kaischuppen für die dort aufbewahrten Güter ergeben, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns begegnet (§ 17 Nr. 1 BetrOBLG). Der Umstand, daß von den hier in Rede stehenden Sendungen 23 Sack zu je 75 kg verschwunden sind, läßt vermuten, daß sie es an dieser Sorgfalt hat fehlen lassen. Mit der Erwägung, die Aufbewahrung von Gütern in den Durchgangsschuppen sei wesentlich billiger als die Einlagerung in Lagerhäusern, kann ein geringeres Maß an Sorgfalt allein nicht gerechtfertigt werden.
Den Feststellungen des Berufungsgerichts kann entgegen der Annahme der Revision nicht entnommen werden, die Ladungsbeteiligten seien mit einem geringeren Maß an Sorgfalt einverstanden. Daß sie an einem flüssigen Ablauf des Betriebs in den Lagerschuppen interessiert sind und möglicherweise auch die Haftungsvorschriften der Beklagten kennen, denen sie sich notwendigerweise unterwerfen müssen, läßt diesen Schluß nicht zu. Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall, daß Handelsware aus einem auf einem bewachten Parkplatz abgestellten Personenkraftwagen entwendet wurde (BGH NJW 1968, 1718 ff), ist damit nicht vergleichbar. Wenn in dieser Entscheidung die teilweise Freizeichnung des Parkplatz-Unternehmens von der Haftung für diesen Schaden gebilligt wurde, so lag dem vor allem die Erwägung zugrunde, daß selbst ein bewachter Parkplatz kein geeigneter Aufbewahrungsort für wertvolle Handelsware sei (aaO S. 1720). In einem anderen von der Revision angezogenen Falle, in dem der Bundesgerichtshof die Haftung eines Warenhausunternehmens für die Beschädigung eines Personenkraftwagens in der Tiefgarage dieses Unternehmens verneinte (BGH NJW 1972, 150 ff), lagen besondere Umstände vor, die den Schluß zuließen, daß die Benutzer der Tiefgarage keinen lückenlosen Schutz ihrer dort untergestellten Fahrzeuge gegen Beschädigungen durch andere Benutzer der Garage erwarten konnten (aaO S. 152). Eine weitere Besonderheit dieses Falles bestand darin, daß das Warenhaus als Unternehmer der Tiefgarage den Parkkunden einen ausreichenden Versicherungsschutz gewährte. Im Streitfall sind besondere Umstände dieser Art nicht gegeben. Daß die Ladungsbeteiligten die Möglichkeit haben, eine Transportversicherung abzuschließen und sich damit auch gegen in den Durchgangsschuppen der Beklagten auftretende Verluste zu schützen, berechtigt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu der Annahme, daß sie mit einer weniger sorgfältigen Verwahrung ihres Umschlagsgutes in den Kaischuppen der Beklagten einverstanden seien.
Die Beklagte hat auch nicht ausgeräumt, daß der Verlust durch ein Verschulden ihrer Leute entstanden sein kann (§§ 276, 278 BGB; § 17 Ziff. 2 BetrOBLG). Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht begründet, weshalb eine Fehlleitung durch Leute der Beklagten naheliege, lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Der Revision kann nicht zugegeben werden, daß hierbei die Befugnis der Verfügungsberechtigten, die Güter selbst verladen zu lassen, nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Auch schließt der Umstand, daß es sich hier um den verhältnismäßig schwer zu kontrollierenden Abtransport einer großen Zahl von Säcken handelt, ein Verschulden von Leuten der Beklagten nicht ohne weiteres aus. Denn der Fehler kann schon darin liegen, daß das Gut nicht übersichtlich genug gelagert und dadurch der Abtransport durch Nichtberechtigte ermöglicht worden ist. Daß die Empfängerin mehr erhalten habe, als buchmäßig erfaßt worden sei, behauptet die Beklagte selbst nicht; der Verlust von 23 Sack ist unstreitig.
III. Der Revision kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie geltend macht, die Beweislast dafür, daß der Schaden durch ein von der Beklagten zu vertretendes Verschulden entstanden sei, liege schon nach den gesetzlichen Vorschriften bei der Klägerin. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es dabei nicht darauf an, ob die Vorschriften über den Lagervertrag anzuwenden sind, wonach der Lagerhalter für den Verlust oder die Beschädigung des in seiner Verwahrung befindlichen Gutes verantwortlich ist, wenn er nicht nachweist, daß der Schaden auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht abgewendet werden konnten (§§ 417 Abs. 1, 390 Abs. 1 HGB). Denn auch für die Haftung aus sonstigen Verträgen, wie Aufträgen und Werkverträgen, die eine Verwahrung fremden Gutes mit sich bringen, gilt, daß sich der zur Herausgabe Verpflichtete entlasten muß, wenn ihm die Leistung unmöglich wird. Dies folgt schon aus § 282 BGB, (vgl. BGHZ 3, 162, 174).
Aus der in Bremen geltenden Übung, den Verfügungsberechtigten oder ihren Beauftragten in den Durchgangsschuppen das Bemustern, Verwiegen, Markieren, Umpacken und Selbstverladen zu gestatten, läßt sich entgegen der Auffassung der Revision keine andere Beurteilung der Beweislastfrage entnehmen. Wenn damit auch verbunden ist, daß dritte Personen in verstärktem Maße Zugang zu den Schuppen haben, so bleiben die dort eingelagerten Güter doch im Gewahrsam der Beklagten. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, dürfen Verfügungsberechtigte und ihre Beauftragten die Kaischuppen nicht ohne Erlaubnis der Beklagten betreten. Sie müssen sich anmelden. Ihre Tätigkeit im Schuppen unterliegt der Aufsicht der Beklagten. Diese überwacht auch den Abtransport der Güter und läßt diesen nur aufgrund besonderer Auslieferungsanträge zu (§ 36 Ziff. 2 BetrOBLG). Daß nicht mehr aufgeladen wird, als abgeholt werden soll, überprüft die Beklagte jedenfalls durch Stichproben. Ferner hält sie, wie sie selbst vorträgt, die Tore der Schuppen außerhalb der Schichtzeiten verschlossen. Sie muß auch, wie ausgeführt, für die Abwendung der sich aus dem Durchgangsverkehr ergebenden Gefahren sorgen. Die in den Kaischuppen lagernden Güter befinden sich nach alledem jedenfalls in ihrem Gefahrenkreis und Verantwortungsbereich, was allein die Anwendung der Beweislastregel des § 282 BGB rechtfertigt (vgl. BGHZ 8, 239, 241).
IV. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit davon ab, ob sich die Beklagte mit Erfolg auf den Haftungsausschluß nach § 34 Ziff. 1, 2 BetrOBLG berufen kann.
1. Das Berufungsgericht erblickt die Unbilligkeit dieses Haftungsausschlusses insbesondere in der Beweislastregelung nach Ziffer 2. Der geschädigte Ladungsbeteiligte müsse dartun und beweisen, daß der Verlust nicht auf den in Ziffer 1 genannten Gefahren, sondern auf Umständen beruhe, die die Beklagte zu vertreten habe, obwohl ihm die Aufklärung der Verlustursachen in aller Regel unmöglich sei. Er werde dadurch praktisch rechtslos gestellt.
2. Die Nachprüfung dieser Frage ist dem Revisionsgericht nicht verwehrt. Zwar ist nicht ersichtlich, daß sich der Anwendungsbereich der streitigen Klausel über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstrecke (§ 549 Abs. 1 ZPO). Sie muß daher als nicht revisibel angesehen werden. Dies hat jedoch nur Bedeutung für ihre Auslegung; diese ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe zu Unrecht einen Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben angenommen, rügt sie hingegen die Verletzung allgemeiner, nicht nur im Bereich des Berufungsgerichts geltender Rechtssätze, was zulässig ist (vgl. RGZ 100, 210, 211; BGH NJW 1954, 1081; BGH LM Nr. 1 zu Berl. Altbaumieten-VO).
3. Die Angriffe der Revision sind jedoch auch insoweit nicht begründet.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB danach zu beurteilen sind, ob sie mit den Grundsätzen von Treu und Glauben im Einklang stehen. Das gilt auch für darin enthaltene Beweislastregelungen. Sie sind am Gerechtigkeitsgehalt der sonst anwendbaren gesetzlichen Dispositivnorm zu messen. Aus dieser Erwägung hat der Bundesgerichtshof Allgemeine Lagerbedingungen insoweit für unwirksam erklärt, als sie dem Einlagerer die Beweislast dafür aufbürdeten, daß eine Beschädigung des in der Obhut des Lagerhalters stehenden Gutes vom Lagerhalter oder seinen Beauftragten verschuldet sei, und statt dieser Beweislastregelung die §§ 390 Abs. 1, 417 Abs. 1 HGB angewandt (BGHZ 41, 151, 155 f). In einem anderen Falle, der Allgemeine Bedingungen der Hafenschiffahrt betraf, wurde beanstandet, daß sich Frachtführer von der ihnen die Entlastungspflicht auferlegenden gesetzlichen Beweislastregelung des § 58 BinSchG freigezeichnet hatten (BGH LM Nr. 30 Allg. Geschäftsbedingungen; vgl. ferner zur Betriebsordnung für die öffentlichen Kaianlagen in Hamburg Urteil des erkennenden Senats vom 19. Februar 1971 in VersR 1971, 617). Als nicht mehr angemessen und unzumutbar erscheint danach insbesondere, daß dem sich den Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterwerfenden Vertragspartner die Beweislast für Umstände aufgebürdet wird, die im Verantwortungsbereich der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendenden Partei liegen. Der die Dienste eines solchen Unternehmens in Anspruch nehmende Auftraggeber ist in der Regel gar nicht in der Lage, diese Umstände aufzuklären, und wird darum praktisch oft rechtlos gestellt.
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts trifft dies auch für den vorliegenden Fall zu. Güter, welche die Beklagte zur Aufbewahrung in den Kaischuppen übernimmt, befinden sich in ihrer Obhut und in ihrem Verantwortungsbereich. Wenn es auch im Interesse einer reibungslosen und kostensparenden Abwicklung des Hafenbetriebs liegt, daß sie, der in B. geltenden Übung entsprechend, Ladungsbeteiligten und ihren Beauftragten das Bemustern, Verwiegen, Markieren, Umpacken und Selbstverladen der Güter in den Kaischuppen gestattet, so werden diese Tätigkeiten doch von ihr überwacht. Sie hat die Ordnung ihres Schuppenbetriebes darauf abgestellt, und sie muß mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes dafür sorgen, daß Schäden durch Entwendung oder fahrlässige Verbringung von Gütern nach Möglichkeit nicht entstehen. Hieraus folgt, daß nur sie in der Lage ist, die Verhältnisse in den Kaischuppen zu übersehen. Sie weiß, ob und in welcher Weise, an welcher Stelle und in welchem zeitlichen Zusammenhang mit einem etwaigen Verlust Verfügungsberechtigte oder deren Beauftragte in den Schuppen tätig geworden sind und kann am ehesten aufklären, ob der Verlust auf Umständen beruht, die sie nach § 34 Ziff. 1 BetrOBLG nicht zu vertreten hat, oder auf anderen Ursachen. Der Ladungsbeteiligte kann sich demgegenüber weder gegen Verluste in den Kaischuppen der Beklagten schützen noch ist er im Regelfall in der Lage, sie aufzuklären. Er würde daher praktisch rechtlos gestellt, wenn er die Ursächlichkeitsvermutung des § 34 Abs. 2 BetrOBLG entkräften müßte. Dies erscheint umso unbilliger, als sich die Beklagte nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gegebenenfalls auch durch den Nachweis entlasten kann, der Verlust habe sich trotz Anwendung kaufmännischer Sorgfalt nicht vermeiden lassen.
c) Soweit die Revision geltend macht, ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben könne deshalb nicht angenommen werden, weil sich vergleichbare, in ihrer Rechtsgültigkeit noch niemals in Zweifel gezogene Regelungen in § 83 EVO, Art. 17 Ziff. 4, 18 Ziff. 1, 2 des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), § 608 HGB und § 59 BinSchG befänden, kann ihr nicht gefolgt werden. Denn diese Regelungen unterscheiden sich sowohl in ihren tatsächlichen Voraussetzungen wie auch in ihrer rechtlichen Tragweite erheblich von der hier im Streit befindlichen Bestimmung. So enthält § 608 HGB, auf den sich die Revision vor allem beruft, zwar auch eine für den Verfrachter günstige Ausnahmeregelung. Dieser wird aber nur befreit von der Haftung für bestimmte typische Gefahren der Seefahrt (Abs. 1). Demgemäß beschränkt sich die Ursächlichkeitsvermutung in Absatz 2 dieser Vorschrift auf näher bezeichnete besondere Umstände. Der Verfrachter muß darlegen und beweisen, daß eine dieser besonderen Gefahren bestanden hat und daß der Schaden hieraus entstanden sein kann. Es müssen konkrete Tatsachen gegeben sein, die im Einzelfall nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises die Wahrscheinlichkeit für einen zum Schaden führenden typischen Ursachenverlauf ergeben (vgl. Schlegelberger/Liesecke, HGB § 608 Rdn. 11). Damit sind nicht nur die Voraussetzungen der Freizeichnungsvermutung strenger, sondern es wird auch durch die Darlegungspflicht des Verfrachters dem Ladungsbeteiligten die Widerlegung der Vermutung erleichtert, während sich im Streitfall die Gefahren, denen Güter in den Kaischuppen der Beklagten ausgesetzt sind, gewissermaßen von selbst verstehen sollen und daher auch eine Widerlegung der Vermutung kaum möglich erscheint.
Nicht wesentlich anders zu beurteilen ist das Verhältnis der streitigen Freizeichnungsklausel zu den anderen von der Beklagten noch genannten gesetzlichen Vorschriften. Auch in diesen Fällen gilt die gegen den geschädigten Auftraggeber sprechende Ursächlichkeitsvermutung jeweils nur für bestimmte Gefahren, die darzulegen und zu beweisen sind. Nach § 83 Abs. 2 Satz 2 EVO und Art. 18 Ziff. 3 CMR ist die Freizeichnungsvermutung im übrigen noch in der Weise eingeschränkt, daß sie nicht bei außergewöhnlich großem Abgang oder bei Verlust von ganzen Stücken Platz greift. Letzteres ist anzunehmen, wenn, wie es hier zutrifft, ganze Säcke verschwinden (vgl. Finger, EVO 4. Aufl. § 83 Bem. 10 c).
d) Wenn die Beklagte, wie sie geltend macht, für die Aufbewahrung von Gütern in den Lagerschuppen eine geringere Vergütung fordert als für die Einlagerung in Lagerhäusern, so ist das noch keine Rechtfertigung für unbillige Bedingungen (vgl. BGHZ 22, 90, 98; 33, 216, 219). Ebenso kann sie sich in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Möglichkeit bestehe, Schäden dieser Art durch den Abschluß einer Transportversicherung abzudecken. Dieser Gesichtspunkt kann nur unter besonderen Umständen, die hier nicht vorliegen, eine andere Beurteilung rechtfertigen (vgl. BGHZ 33, 216, 219).
e) Dahinstehen kann, ob sich die Beklagte vom Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen in ihren Geschäftsbedingungen hätte frei zeichnen können. Sie hat das, aus welchen Gründen auch immer, jedenfalls nicht getan. Im übrigen müßte sie dann, wenn sie sich auf einen solchen Haftungsausschluß berufen wollte, darlegen und beweisen, daß der Schaden auf einem Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen beruhe (BGH LM Nr. 30 Allg. Geschäftsbedingungen).
V. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht angenommen, daß die Beweislastregelung in § 34 Ziff. 2 BetrOBLG insoweit nicht wirksam ist, als sie sich auf Verluste bei der Unterbringung von Gütern in den Kaischuppen der Beklagten bezieht. Aus der Unwirksamkeit dieser Klausel ergibt sich, daß § 282 BGB eingreift. Da die Beklagte den ihr danach obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht hat, ist sie zu Recht zur Schadensersatzleistung verurteilt worden. Die Aktivlegitimation der Klägerin wird auch von der Revision nicht bezweifelt.
Die Revision war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Alff, Sprenkmann, Merkel, Schönberg, Schwerdtfeger
Fundstellen
Haufe-Index 947887 |
NJW 1973, 1192 |
Nachschlagewerk BGH |