Entscheidungsstichwort (Thema)
schwere räuberische Erpressung
Leitsatz (amtlich)
Die Einwirkung zur Fortsetzung der Prostitutionsausübung setzt nicht voraus, daß die Person, auf die eingewirkt wird, den aktuellen Willen hat, die Prostitutionsausübung zu beenden. Es reicht vielmehr, daß der Täter auf die Person einwirkt, weil er davon ausgeht, daß sie möglicherweise die Prostitution beenden will.
Normenkette
StGB § 180 b Abs. 2 Alt. 2
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Aktenzeichen 26 KLs 21 Js 9334/98) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 18. Januar 1999 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Förderung der Prostitution in Tateinheit mit Menschenhandel und Zuhälterei (Fall II.1. der Urteilsgründe), wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen (Fälle II.2. bis II.5. der Urteilsgründe) und wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II.6. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts geltend macht. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts vom 18. Mai 1999 unzulässig bzw. unbegründet. Die Sachrüge hat keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler aufgedeckt.
Näherer Erörterung bedarf nur, daß sich der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe auch des Menschenhandels nach § 180 b Abs. 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht hat.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte bei P. an der Bundesstraße 71 sowie in der Nähe von G. an der Bundesstraße 4 jeweils ein Straßenbordell, wo sich Frauen in Wohnwagen oder in Kleintransportern prostituierten. Der Angeklagte besorgte für die Prostituierten Wohnraum und ließ sie von Mitarbeitern (sog. Platzmännern) täglich von dort zu den Bordellen hinfahren, wo sie zu vom Angeklagten festgesetzten Zeiten und Entgelten zu arbeiten und dem Angeklagten für die Gewährung der Wohnung und der Arbeitsmöglichkeit den weit überwiegenden Anteil des Dirnenlohnes zu zahlen hatten. Nach Ablauf der Arbeitszeit ließ der Angeklagte die Prostituierten wieder in die Wohnungen zurückbringen. Die Prostituierten wurden von den Platzmännern auch regelmäßig begleitet, wenn sie tagsüber etwas zu erledigen hatten oder nach der Arbeit noch in ein Lokal gehen wollten. Den Platzmännern hatte der Angeklagte private Beziehungen zu den Prostituierten strikt untersagt bzw. von seiner Zustimmung abhängig gemacht. Er wollte mit dieser Überwachung die vorhandene Abhängigkeit der Prostituierten festschreiben, insbesondere private Kontakte der Frauen zu nicht dem Prostitutionsmilieu zuzurechnenden Personen verhindern, um ein Entfliehen der Frauen aus der Prostitution in eine private Liebesbeziehung zu verhindern und so seine Einnahmen aus der Tätigkeit der Prostituierten zu sichern. Er erreichte damit auch, daß die Frauen keine privaten Kontakte zu Dritten aufbauen konnten.
Das Landgericht ist davon überzeugt, daß in der Zeit von Mitte 1994 bis März 1998 viele Frauen unter diesen Bedingungen für den Angeklagten gearbeitet haben. Grundlage der Verurteilung sind die Taten zum Nachteil von 14 Frauen, hinsichtlich derer das Landgericht die Einzelheiten der Prostitutionsausübung festgestellt hat. Während neun der Frauen aus Deutschland oder aus Polen stammten, hatte sich der Angeklagte die anderen fünf Frauen aus Kreisen organisierter Krimineller aus den GUS-Staaten zuführen lassen. Die Frauen waren jeweils im Heimatland auf die Möglichkeit angesprochen worden, als Prostituierte in der Bundesrepublik Geld zu verdienen, und hatten hierin eingewilligt. Konnten die Frauen kein Visum erlangen, wurden sie von Mitgliedern der Organisation nach Polen in die Nähe der deutschen Grenze gebracht. Dort wurden sie davon unterrichtet, daß sie nunmehr einen mit ihrem Lichtbild verfälschten polnischen Paß erhalten würden, durch den in Verbindung mit jeweils gefälschten Ein- und Ausreisestempeln immer wieder eine dreimonatige Aufenthaltserlaubnis vorgetäuscht werden konnte. Für den Paß hatten die Frauen 2.500 DM zu zahlen. Die erste Hälfte mußten sie noch in Polen im Wege der Prostitution „verdienen”, die andere Hälfte hatten sie nach Aufnahme der Prostitution in der Bundesrepublik zu zahlen. Nach dem illegalen Grenzübertritt mußten sie ihre eigenen Personaldokumente abgeben und erhielten dafür einen verfälschten polnischen Paß. Soweit Frauen ein Visum erhalten hatten, mußten sie nach einem Flug nach Berlin dort ebenfalls ihr eigenes Personaldokument gegen einen verfälschten polnischen Paß austauschen. Die Frauen waren durch diese Vorgehensweise vollständig in der Hand der Organisation bzw. der Betreiber derjenigen Bordelle, in denen sie sodann arbeiteten. Sie sprachen praktisch kein Deutsch, hatten keine persönlichen Kontakte in der Bundesrepublik und konnten, da sie nur im Besitz des verfälschten polnischen Passes waren, weder direkt nach Hause fliegen noch über Polen auf dem Landweg fahren, weil die Grenzbeamten wegen ihrer russischen bzw. ukrainischen Sprache die Zusammenhänge sofort entdeckt hätten. Dem Angeklagten waren diese Zusammenhänge bekannt. Ihm war die daraus resultierende Unbeweglichkeit und die Unfähigkeit der Frauen, ihre Entscheidung, der Prostitution nachzugehen, zu ändern, bewußt. Er schätzte die von der Organisation „bezogenen” Prostituierten besonders, weil sie am wenigsten Probleme aufwarfen, und „bestellte” von dort deshalb seit Anfang 1996 regelmäßig Frauen. Unter Ausnutzung dieser Umstände sowie mit den Maßnahmen der persönlichen Überwachung wirkte der Angeklagte auf die Frauen ein „und unterdrückte so bei jeder dieser Prostituierten den Versuch, sich aus der Prostitution zu lösen, bereits im Keim” (UA S. 14). Der Beeindruckung der Prostituierten diente auch die brutale Mißhandlung des Zeugen S. Ende April / Anfang Mai 1997 durch den Angeklagten und zwei Mittäter (Fall II. 3. der Urteilsgründe). Der Angeklagte hatte die Tat vor dem Straßenbordell bei P. ausgeführt, um den anwesenden Prostituierten deutlich zu machen, daß es einem so ergehe, „wenn man sich gegen die Regeln verhalte” (UA S. 33).
2. Zurecht hat das Landgericht den Angeklagten deswegen auch wegen Menschenhandels nach § 180 b Abs. 2 Nr. 1 1. Alternative StGB verurteilt. Der Angeklagte hat auf die fünf Frauen in Kenntnis deren auslandsspezifischer Hilflosigkeit eingewirkt, um sie zur Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen. Die Einwirkung i.S. dieser Tatalternative setzt nicht voraus, daß die Person, auf die eingewirkt wird, den aktuellen Willen hat, die Prostitutionsausübung zu beenden. Es reicht vielmehr, daß der Täter auf die Person einwirkt, weil er davon ausgeht, daß sie möglicherweise die Prostitution beenden will.
a) Die Frauen waren „auslandsspezifisch hilflos”, nachdem sie keine Kenntnisse der deutschen Sprache und keine Möglichkeit hatten, die Bundesrepublik zu verlassen und wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Sie waren bezüglich der Unterkunft und der Fahrt zu ihrem Arbeitsplatz sowie des Aufenthalts außerhalb von Unterkunft und Bordell auf den Angeklagten angewiesen (vgl. BGH NStZ 1998, 188; 1999, 349). Unter diesen Umständen wurde die Hilflosigkeit nicht dadurch beseitigt, daß der Angeklagte den Frauen einen kleinen Teil des Dirnenlohnes zur eigenen Verfügung beließ.
b) Der Angeklagte hat auf die Frauen eingewirkt. Hierzu genügt nicht jede Form der Beeinflussung. Einwirken setzt eine gewisse Hartnäckigkeit voraus. Als Mittel dafür kommen wiederholtes Drängen, Überreden, Versprechungen, Wecken von Neugier, Einsatz der Autorität, Täuschung, Einschüchterung, Drohung, aber auch Gewaltanwendung in Betracht (BGHR StGB § 180 a IV Einwirken 1 und 2; BGH NJW 1985, 924 - jeweils zu § 180 a Abs. 4 2. Alternative StGB a.F.). Neben einer unmittelbaren psychischen Beeinflussung kann aber auch mit einer nur mittelbaren, von dem Betroffenen nicht bemerkten suggestiven Steuerung, so z.B. mit der Schaffung von bestimmten Lebensumständen, auf das Opfer eingewirkt werden. Dies hat der Angeklagte getan, weil er sich zum einen die Zwangssituation, die durch seine Geschäftspartner mit dem Austausch der Personaldokumente geschaffen worden war, zu eigen machte und sie ausnutzte, indem er gerade von diesen Geschäftspartnern der leichteren Lenkbarkeit der Frauen wegen immer wieder Prostituierte „bestellte”, und zum andern die Frauen kontinuierlich überwachte und unkontrollierte Kontakte zur Außenwelt weitgehend unterband, sobald die Frauen in seinen Einflußbereich gekommen waren. Auch wenn nicht sicher festgestellt werden kann, ob und welche der Frauen vom Angeklagten zu Augenzeugen der Mißhandlung des Zeugen S. gemacht worden waren, so zeigt der Vorfall doch, daß der Angeklagte nicht nur mit seiner Autorität als Betreiber der Bordelle sondern auch mit Einschüchterungen auf die Prostituierten einwirkte.
c) Das Einwirken erfolgte jeweils in der Absicht („um”), die Frauen dazu zu bestimmen, die Prostitution fortzusetzen.
Die Prostitution setzt fort, wer die Prostitution bereits ausübt und mit dieser Tätigkeit weitermacht. Zur Fortsetzung bestimmt werden kann nur, wer den Willen hat, die Prostitutionsausübung zu beenden. Der Tatbestand des Einwirkens setzt aber nicht voraus, daß das Opfer, auf welches eingewirkt wird, jeweils den aktuellen Willen hat, die Prostitutionsausübung zu beenden. Dies folgt aus der Tatbestandsstruktur und dem Zweck der Vorschrift.
aa) § 180 b Abs. 2 StGB i.d.F. des 26. StrÄndG enthält eine Vielzahl von Tatbestandsvarianten. Neben zwei Opfergruppen, den auslandsspezifisch hilflosen Personen (Abs. 2 Nr. 1) und den Personen unter 21 Jahren (Abs. 2 Nr. 2), gibt es zwei Begehungsweisen, die Einwirkung auf eine Person, um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, (1. Alternative) und das Dazubringen, die Prostitution aufzunehmen oder fortzusetzen (2. Alternative). Schon aus dem Wortlaut ergibt sich, daß die Tatbestandsvarianten jeweils einen anderen Angriff auf das Rechtsgut der Norm, nämlich den Schutz der beiden in § 180 b Abs. 2 StGB als besonders schutzwürdig anerkannten Opfergruppen vor sexueller Ausbeutung, beschreiben. Bei der 2. Alternative handelt es sich um ein Erfolgsdelikt. Die Vollendung des Tatbestandes setzt voraus, daß die Person tatsächlich die Prostitution aufnimmt oder fortsetzt (vgl. BGH, Urt. vom 18. Januar 1977 - 1 StR 787/76 - zu der Vorläufervorschrift des § 180 a Abs. 4 1. Alternative StGB a.F.). Bei der 1. Alternative handelt es sich dagegen lediglich um ein Unternehmensdelikt mit einer mit der Tätigkeit verbundenen bestimmten Zielsetzung des Täters (Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 180 b Rdn. 18). Für die Vollendung genügt es bereits, wenn der Täter auf das Opfer in der erforderlichen Absicht einwirkt; zu einer Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitutionsausübung muß es nicht kommen. Der Sache nach handelt es sich um eine versuchte Anstiftung (BGH NJW 1985, 924 - zu der Vorläufervorschrift des § 180 a Abs. 4 2. Alternative StGB a.F.; Schroeder JZ 1995, 231, 235). Der Gesetzgeber erachtet die bloße Einwirkung als derart sozialgefährlich, daß er sie dem erfolgreichen Zuführen (jetzt: dem Dazubringen) zur Prostitution gleichstellt (vgl. BGH, Urt. vom 18. Januar 1977 - 1 StR 787/76; BGH NJW 1985, 924; BGHR StGB § 180 a IV Einwirken 1 - jeweils zu der Vorläufervorschrift des § 180 a Abs. 4 2. Alternative StGB a.F.).
Es kommt entscheidend auf die Vorstellung des Täters an, der – wie auch im vorliegenden Fall festgestellt – nicht genau wissen kann, welche der seiner Einwirkung ausgesetzten Prostituierten den Willen hat, sich aus der Prostitution zu lösen, der aber ein Interesse an der Fortdauer der Prostitution hat und deshalb Maßnahmen trifft, die für den Fall greifen sollen, daß eine Prostituierte mit ihrer Tätigkeit aufhören will. Strafbar ist deshalb auch der untaugliche Versuch am untauglichen Objekt, nämlich an einem Opfer, dessen Wille konkret noch nicht gebeugt werden muß.
bb) Die mit dieser Auslegung verbundene Vorverlagerung der Strafbarkeit bei der Tatvariante des Einwirkens ist im Gesetzgebungsverfahren zum 26. StrÄndG erörtert worden. Der Gesetzentwurf des Bundesrats hatte die Begehungsweisen noch getrennt geregelt: Nach § 180 b Abs. 2 StGB-E sollte bestraft werden, wer auf einen anderen einwirkt, um ihn zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen. § 180 b Abs. 3 StGB-E bedrohte mit Strafe, wer eine andere Person der Prostitutionsausübung zuführt. Der Versuch beider Begehungsweisen sollte strafbar sein (§ 180 b Abs. 4 StGB-E). Die Bundesregierung hatte in ihrer Stellungnahme die Prüfung angeregt, ob für die Strafbarkeit auch des Versuchs des Einwirkens nach § 180 b Abs. 2 StGB-E ein Bedürfnis bestehe (BTDrucks. 12/2064 S. 8). Im Gesetzgebungsverfahren sind dann die beiden Begehungsweisen im Absatz 2 zusammengeführt und an der Strafbarkeit des Versuchs ohne Einschränkung festgehalten worden. Dabei ist erörtert worden, daß bei der Tathandlung des Einwirkens der Bereich zwischen Versuch und Vollendung sehr eng ist und deshalb für die Strafbarkeit des Versuchs des Einwirkens nach § 180 b Abs. 1 StGB kaum ein Bedürfnis zu sehen ist (Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 12/2589 S. 9). Diese Erkenntnis über die Tatbestandsstruktur des Einwirkens gilt sowohl für Absatz 1 als auch für Absatz 2 der Vorschrift.
Zielsetzung des 26. StrÄndG war es, den strafrechtlichen Schutz insbesondere ausländischer Mädchen und Frauen vor sexueller Ausbeutung durch eine Erweiterung der bis dahin in § 180 a Abs. 3 bis 5 StGB enthaltenen Tatbestände zu verbessern (BTDrucks. 12/2046 S. 1). Erstrebt war auch eine Verbesserung des Schutzes solcher Personen, die zur Tatzeit bereits der Prostitution nachgehen und zu deren Fortsetzung bestimmt werden sollen (vgl. BTDrucks. 12/2589 S. 1). § 180 b StGB will diese Personen davor schützen, noch stärker in dieses Gewerbe verstrickt zu werden (vgl. BGHSt 42, 179, 180 f.).
3. Die angefochtene Entscheidung übersieht, daß bei der zum Nachteil aller 14 Frauen verwirklichten Förderung der Prostitution die Begehungsform des § 180 a Abs. 1 Nr. 1 StGB diejenige der Nr. 2 verdrängt (BGH NStZ 1990, 80, 81). Auswirkungen auf den Schuldspruch, in dem die einzelnen Begehungsformen nicht zum Ausdruck kommen, hat dies nicht. Einen Einfluß auf den Strafausspruch kann der Senat ausschließen.
Die Beurteilung des rechtlichen Zusammentreffens der Tatbestände der §§ 180 a, 180 b und 181 a StGB enthält keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler. Das Landgericht geht ohne weiteres von Tateinheit aus. Soweit dem die Vorstellung zugrundeliegen sollte, eine Überschneidung von Ausführungshandlungen zum Nachteil der einzelnen Prostituierten sei nicht auszuschließen, ist der Angeklagte dadurch jedenfalls nicht beschwert.
Unterschriften
Kutzer, Blauth, Miebach, Winkler, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 540498 |
BGHSt |
BGHSt, 158 |
NJW 1999, 3275 |
Nachschlagewerk BGH |
Kriminalistik 1999, 820 |