Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung im schweren Fall in zwei Fällen (§§ 121 Abs. 1 und 2 Ziff. 3, 63 Abs. 2 StGB-DDR) sowie versuchter Vergewaltigung in zwei Fällen (§§ 177 Abs. 1 a.F., 22, 23, 53 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.
Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet.
I. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen begann der in Wittenburg (Mecklenburg-Vorpommern) lebende Angeklagte bereits im Jahre 1973, seine am 27. November 1960 geborene Tochter Cornelia sexuell zu mißbrauchen. Etwa seit Herbst 1973 kam es mindestens einmal wöchentlich zum ungeschützten Geschlechtsverkehr, wobei der Angeklagte, wenn sich seine Tochter dem widersetzte, Gewalt und Drohungen einsetzte. Im Sommer 1982 wurde die Geschädigte vom Angeklagten schwanger; sie brachte am 7. März 1983 ihren Sohn Andy zur Welt.
Gegenstand der Verurteilung sind vier weitere, in der Folgezeit begangene sexuelle Übergriffe:
1. Kurz nach der Entbindung, im April 1983, zwang der Angeklagte seine Tochter in der gemeinsamen Wohnung, mit ihm den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß durchzuführen. Ihren Widerstand brach er, indem er den vier Wochen alten Säugling Andy mit der Bemerkung: "Ich kann auch anders" in die Backröhre des Gasherdes legte und die Gaszufuhr öffnete.
2. Im Juli 1983 führte der Angeklagte mit seiner Tochter gegen deren Willen erneut den Geschlechtsverkehr durch, wobei er "die von ihm in der Vergangenheit regelmäßig geschaffene Bedrohungssituation (ausnutzte)" und der Geschädigten mehrfach damit drohte, ihrem Kind oder ihrer Mutter - der Ehefrau des Angeklagten - etwas anzutun.
3. und 4. Am 9. und 10. September 1991 versuchte der Angeklagte, mit seiner Tochter Cornelia in der gemeinsamen Wohnung gewaltsam den Geschlechtsverkehr durchzuführen. In beiden Fällen erlitt die Geschädigte einen zur Bewußtlosigkeit führenden Krampfanfall, der dem Angeklagten die Ausführung seines Vorhabens unmöglich machte.
II. Die Strafverfolgung der dem Angeklagten auf der Grundlage dieser Feststellungen angelasteten Taten ist nicht verjährt. Dies gilt auch, soweit das Landgericht für die im Jahre 1983 in der ehemaligen DDR begangenen Straftaten § 121 Abs. 1, 2 Ziff. 3 StGB-DDR als das - im Verhältnis zu § 177 StGB a.F. - mildere Gesetz i.S. d. § 2 Abs. 3 StGB angewandt hat.
1. Die Beurteilung der Verfolgungsverjährung von DDR-Alttaten richtet sich nach Art. 315 a EGStGB i.d.F. des Einigungsvertrages (BGHSt 40, 48, 56). Soweit die Strafverfolgungsverjährung nach dem Recht der DDR bis zum Wirksamwerden des Beitritts - also bis zum 3. Oktober 1990 - nicht eingetreten war, bleibt es danach dabei (Art. 315 a Abs. 1 Satz 1 EGStGB). Jedoch wurde an diesem Tag gemäß Art. 315 a Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz EGStGB der Lauf der Verjährung kraft Gesetzes unterbrochen; ab diesem Zeitpunkt gelten die §§ 78 ff. StGB (vgl. König NStZ 1991, 566; Lemke/Hettinger NStZ 1992, 21, 22; Schneiders NDR 1990, 1049, 1051). Ist die Strafdrohung nach dem anzuwendenden Recht ermittelt, bemißt sich die Länge der seit dem 3. Oktober 1990 laufenden Verjährungsfrist somit nach § 78 StGB. Aus der so festgelegten Verjährungsfrist folgt auch der Zeitpunkt des Eintritts der absoluten Verjährung (Art. 315 a Abs. 1 Satz 3 letzter Halbsatz i.V.m. § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB), der nach § 78 a StGB von der Beendigung der Tat an zu berechnen ist (Jähnke in LK-StGB 11. Aufl. § 78 c Rdn. 43 m.w.N.).
2. Das Landgericht geht ersichtlich davon aus, daß für die vom Angeklagten im Jahre 1983 begangenen Vergewaltigungen nach § 82 Abs. 1 Ziff. 3 StGB-DDR eine achtjährige Strafverfolgungs-Verjährungsfrist gilt (UA 14). Das träfe zu, wenn § 121 Abs. 1 StGB-DDR, der für den Normalfall der Vergewaltigung Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren vorsah, anwendbar wäre. Dann wäre Strafverfolgungsverjährung eingetreten: Zwar wäre die Strafverfolgung am 3. Oktober 1990 noch nicht verjährt gewesen; an diesem Tage wäre die Verfolgungsverjährung unterbrochen worden. Da ab diesem Zeitpunkt aber die §§ 78 ff. StGB gelten, wäre zehn Jahre nach Beendigung der Taten, das heißt im April/Juli 1993, absolute Verjährung eingetreten (§§ 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4, 78 a Satz 1, 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB; vgl. Letzgus NStZ 1994, 57, 58; Otto Jura 1994, 611 f.).
Daran könnte auch das am 30. September 1993 in Kraft getretene 2. Verjährungsgesetz (BGBl I 1657) nichts ändern, das die Verfolgung von vor dem 31. Dezember 1992 im Beitrittsgebiet begangenen Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, bis (mindestens) zum Ablauf des 31. Dezember 1997 ermöglicht (vgl. hierzu Lemke NJ 1993, 529 ff.). Diese Regelung (Art. 315 a Abs. 2 EGStGB) gilt nach Art. 2 des 2. Verjährungsgesetzes nämlich nicht für Taten, deren Verfolgung am 30. September 1993 bereits verjährt war.
3. Indes stellt der als Verbrechenstatbestand (§ 1 Abs. 3 Satz 2 StGB-DDR) ausgestaltete § 121 Abs. 2 StGB-DDR trotz der Bezeichnung als "schwerer Fall" einen eigenständigen Qualifikationstatbestand dar (vgl. DDR-Lehrbuch Strafrecht AT, 1978, 5. 133 ["Qualifizierung"]; so auch BGH NStZ 1996, 275 für § 148 Abs. 2 StGB-DDR mit Anm. Dölling NStZ 1997, 77; vgl. auch Strafrecht der DDR, Lehrkommentar Bd. II, 1969, zu § 213 Abs. 2 Ziff. 4 [a.F.] Anm. 6 [mehrfacher ungesetzlicher Grenzübertritt: "Tatbestandsmerkmal"]); deshalb ist wegen Vergewaltigung im schweren Fall zu verurteilen (vgl. Heymann, Pompoes, Schindler NJ 1968, 458; BGH, Beschluß vom 21. Juni 1996 - 3 StR 76/96). Aufgrund der erhöhten Strafdrohung des § 121 Abs. 2 StGB-DDR (Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren) ist gemäß § 82 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 3 Satz 2 StGB-DDR von einer fünfzehnjährigen Strafverfolgungs-Verjährungsfrist auszugehen (vgl. BGH, Beschluß vom 19. November 1996 - 5 StR 491/96 zu § 121 Abs. 2 Ziff. 1 StGB-DDR). Diese Frist ist am 3. Oktober 1990 gemäß Art. 315 a Abs. 1 Satz 3 erster Halbs. EGStGB unterbrochen worden. Da es sich bei § 121 Abs. 2 StGB-DDR um einen selbständigen Tatbestand handelt, beträgt die ab dem 3. Oktober 1990 laufende Verjährungsfrist (§ 78 c Abs. 3 Satz 1 StGB) nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre. Verjährung tritt somit frühestens im Jahre 2000 ein, absolute Verjährung erst im Jahre 2003 (§§ 78 Abs. 3 Nr. 3, 78 a, 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB). § 78 Abs. 4 letzter Halbsatz StGB, wonach Schärfungen, die für besonders schwere Fälle vorgesehen sind, bei der Verjährungsfrist nicht berücksichtigt werden dürfen, steht dem nicht entgegen, weil diese Bestimmung auf eigenständige Qualifikationstatbestände keine Anwendung findet (vgl. Tröndle StGB 48. Aufl. § 78 Rdn. 5).
III. Die auf die Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge, das Gericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, daß es kein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten eingeholt habe, ist unbegründet. Weder das Tatgeschehen noch die Person des Angeklagten mußten der Strafkammer Veranlassung geben, sich insoweit sachverständig beraten zu lassen (vgl. BGHR StGB § 21 Sachverständiger 8 m.w.N.).
IV. Die Sachrüge führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Soweit der Angeklagte wegen versuchter Vergewaltigung in zwei Fällen verurteilt worden ist, hat die Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Der Verurteilung für die im Jahre 1983 begangenen Taten hat das Landgericht rechtsfehlerfrei das Strafrecht der DDR - § 121 Abs. 1, 2 Ziff. 3 StGB-DDR - als das für den Angeklagten günstigere (vgl. BGHSt 37, 320, 322; 38, 18, 20) zugrundegelegt, nachdem es ohne Rechtsfehler davon ausgegangen ist, daß minder schwere Fälle der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 StGB a.F.) nicht vorliegen (vgl. BGH, Beschluß vom 19. November 1996 - 5 StR 491/96). Im Hinblick darauf, daß bei beiden Taten aus dem Jahre 1983 die Voraussetzungen des § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrAndG vom 1. Juli 1997 (BGBl I 1607) vorliegen, begegnet diese Wertung auch nach neuem Recht keinen Bedenken.
Allerdings ist Tatbestandsmerkmal des schweren Falles der Vergewaltigung nach § 121 Abs. 2 Ziff. 3 erste Alt. StGB-DDR, daß der Täter mehrfach eine Vergewaltigung begangen hat (vgl. Biebl/Holtzbecher/Schröder NJ 1972, 322, 324 f.; Schlegel/Amboss/Michalski NJ 1985, 401 f.); der Angeklagte ist daher hinsichtlich der beiden im Jahre 1983 begangenen Taten (nur) wegen einer Vergewaltigung im schweren Fall zu verurteilen (vgl. BG Schwerin NJ 1968, 733 f.; Schlegel/Amboss/Michalski a.a.O. S. 402).
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil der Angeklagte sich gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als bisher hätte verteidigen können.
2. Die Änderung des Schuldspruchs im Hinblick auf die Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe (DDR-Alttaten) führt zur Aufhebung der beiden für diese Taten festgesetzten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Der Senat hebt auch die beiden für die Fälle 3 und 4 (Taten im Jahre 1991) festgesetzten Einzelstrafen auf, weil nicht auszuschließen ist, daß die Höhe dieser Strafen von den übrigen Einzelstrafen beeinflußt worden ist; auch ist bei der Strafzumessung nunmehr die Neuregelung des § 177 StGB zu beachten (§ 354 a StPO). Der jetzt zur Entscheidung berufene Tatrichter wird aus den drei neu festzusetzenden Einzelstrafen eine Gesamtstrafe gemäß §§ 53, 54 StGB zu bilden haben (vgl. BGH NStZ 1996, 275; Lackner StGB 22. Aufl. § 2 Rdn. 30 a).
Fundstellen
Haufe-Index 2993494 |
NStZ 1998, 36 |