Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments
Leitsatz (amtlich)
a) Zum Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments durch einen Ehegatten ist erforderlich, daß dem abwesenden anderen Ehegatten eine Ausfertigung (nicht Abschrift oder vom Gerichtsvollzieher beglaubigte Abschrift) der Widerrufsverhandlung übermittelt wird.
b) Übernimmt es der Notar in einem solchen Falle, dem anderen Ehegatten eine Ausfertigung der Widerrufsverhandlung durch den Gerichtsvollzieher zustellen zu lassen, so wird die hierzu erforderliche Tätigkeit (Auftrag an den Gerichtsvollzieher, Prüfung der Zustellung) Teil seines Amtsgeschäfts, das er persönlich zu erledigen hat und nicht ohne nähere Weisung und Überwachung dem Büropersonal überlassen darf.
c) Für ein Versehen bei der Ausführung haftet der Notar als „Dritten” denjenigen, die beim Erbfall als gesetzliche Erben oder testamentarisch Bedachte Erbrechte oder erbrechtliche Ansprüche geltend machen könnten, falls der Widerruf wirksam wäre.
Normenkette
BGB §§ 839, 2271, 2296; RNotO v. 13. Februar 1937; RGBl. I 191 § 21
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Koblenz vom 2. Mai 1958 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger sind drei von insgesamt 12 Kindern des Steingraveurs Friedrich Wilhelm K… und seiner Ehefrau Lina, geb. D… (Erblasserin). Die Eltern hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament vom 4. November 1927 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Durch ein weiteres gemeinschaftliches Testament vom 20. November 1945 das sie vor dem Beklagten als Notarverweser errichteten, hoben sie das frühere Testament auf, wiederholten die gegenseitige Einsetzung als Alleinerben und trafen eine Teilungsanordnung für den Nachlaß des Letztversterbenden. Später kam es zu Differenzen zwischen den Eheleuten. Der Ehemann K… hatte ein ehebrecherisches Verhältnis, aus dem ein Kind hervorging. Die Erblasserin erfuhr im Juli 1947 von der Untreue ihres Ehemannes. Am 21. August 1947 erklärte der Ehemann K… zu Protokoll des Beklagten einen Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments vom 20. November 1945 und bat, eine Ausfertigung der Verhandlung der Erblasserin zuzustellen. Am 18. September 1947 widerrief die Erblasserin ihrerseits zu Protokoll des Beklagten das gemeinschaftliche Testament vom 20. November 1945 und bat ebenfalls, eine Ausfertigung ihrem Ehemann zuzustellen. In beiden Fällen wurde durch den Gerichtsvollzieher jedoch nicht eine Ausfertigung, sondern eine beglaubigte Abschrift zugestellt, und zwar der Erblasserin am 9. September 1947, ihrem Ehemann am 28. Oktober 1947.
Die Erblasserin errichtete am 17. März 1950 ein privatschriftliches Testament, in dem sie die Kläger und drei Enkel als alleinige Erben einsetzte, neben weiteren Bestimmungen ihren Ehemann von der Erbfolge ausschloß und ihm wegen seiner ehelichen Verfehlungen den Pflichtteil entzog. Sie verstarb am 21. August 1954.
Der Kläger zu 3) beantragte bei dem Nachlaßgericht die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins für die durch das Testament vom 17. März 1950 berufenen Erben. Das Nachlaßgericht lehnte den Antrag durch Beschluß vom 31. Januar 1955 ab mit der Begründung, das Testament vom 17. März 1950 sei unwirksam, weil das gemeinschaftliche Testament vom 20 November 1945 nicht wirksam widerrufen worden sei; denn es seien den Erklärungsempfängern lediglich beglaubigte Abschriften der Widerrufsverhandlungen mitgeteilt worden, während die Übermittlung von Ausfertigungen geboten gewesen sei. Die Beschwerde und die weitere Beschwerde wurden mit im wesentlichen übereinstimmender Begründung zurückgewiesen.
Am 6. September 1955 erteilte das Nachlaßgericht dem Ehemann K… einen Erbschein, der ihn als alleinigen Erben der Erblasserin auswies. Der Nachlaß bestand im wesentlichen aus den Anteilen der Erblasserin an vier Grundstücken, die im Miteigentum je zur Hälfte der Eheleute standen, sowie an dem gemeinschaftlichen Hausrat. Der Ehemann K… veräußerte drei der Grundstücke. Er verstarb am 9. Juni 1955 und hinterließ ein notarielles Testament vom 8. November 1954, in dem er bestimmte, daß die Kläger nur den Pflichtteil erhalten sollten. Das Nachlaßgericht ordnete zunächst die Nachlaßverwaltung an; am 24. April 1956 wurde wegen Überschuldung des Nachlasses das Nachlaßkonkursverfahren eröffnet.
Im Juni 1956 erhoben die Kläger gegen den Konkursverwalter Klage mit dem Antrage, über den in der Konkursmasse enthaltenen Nachlaß der Erblasserin Rechnung zu legen und ihn an die Erben nach dem Testament vom 17. März 1950 herauszugeben; sie begründeten diesen Antrag damit, daß das gemeinschaftliche Testament vom 20. November 1945 der Anfechtung unterliege, weil sich die Erblasserin bei seiner Errichtung in einem wesentlichen Irrtum befunden habe. Die Klage wurde mit Urteil vom 14. November 1956 rechtskräftig abgewiesen, weil die Anfechtung dem Nachlaßgericht gegenüber hätte erklärt werden müssen, dies aber sei nicht rechtzeitig geschehen; die im Prozeß erklärte Anfechtung genüge nicht.
Nunmehr nehmen die Kläger den Beklagten auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihnen dadurch erwachsen sei, daß sie nicht Erben der Erblasserin nach dem Testament vom 17. März 1950 geworden seien. Der Beklagte habe seine Amtspflichten als Notarverweser dadurch verletzt, daß er – entgegen der ausdrücklich übernommenen Verpflichtung – nicht eine Ausfertigung der Widerrufsverhandlung vom 18. September 1947 dem Ehemann K… habe zustellen lassen oder sich nach Eingang der Zustellungsurkunde nicht vergewissert habe, ob der Gerichtsvollzieher den Auftrag richtig ausgeführt habe. Die Kläger haben den durch Verlust ihrer Erbteile entstandenen Schaden mit mindestens 23.500 DM angegeben und hiervon in erster Linie einen Teilbetrag von 15.000 DM, hilfsweise die Kläger 1) und 3) je 3.750 DM, der Kläger zu 2) 7.500 DM, jeweils mit 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1955 gefordert.
Der Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Er hat eine Verletzung von Amtspflichten geleugnet und die Höhe des Schadens bestritten.
I.
Im Revisionsrechtszug stehen nur noch die Hilfsansprüche der Kläger zur Erörterung. Das Berufungsgericht hat sie dem Grunde nach für berechtigt gehalten und hierzu ausgeführt:
1.) Für eine Verletzung seiner Amtspflichten hafte der Notarverweser dem Geschädigten neben der Reichsnotarkammer. Welche Körperschaft an die Stelle der im Jahr 1947 nicht mehr bestehenden Reichsnotarkammer getreten sei, könne dahingestellt bleiben, weil der Beklagte gesamtschuldnerisch hafte und deshalb von den Klägern unmittelbar in Anspruch genommen werden könne (§ 421 BGB). Der Beklagte habe allgemeine Pflichten seines Amtes verletzt. Der Vollzug der Urkunde – hier der Zustellung eine Ausfertigung des Widerrufs – nach Abschluß der eigentlichen Beurkundung habe zur allgemeinen Amtstätigkeit des Beklagten gehört. Frau K… habe allerdings ihre Widerrufserklärung auch selbst durch einen Gerichtsvollzieher zustellen lassen könne; wenn es aber in der beurkundeten Verhandlung heiße:
„Ich bitte, eine Ausfertigung dieser Verhandlung meinem Ehemann durch den Gerichtsvollzieher zuzustellen”,
so habe der Beklagte die zu Vollzug der Urkunde erforderliche Zustellung übernommen. Sie sei damit zu einer amtlichen Obliegenheit geworden, für deren schuldhafte, nicht ordnungsgemäße Erledigung der Beklagte einzustehen habe.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme den Hauptantrag der Kläger abgewiesen, weil zwischen den Klägern eine Forderungsgemeinschaft nicht bestehe, es hat jedoch die mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Einzelansprüche der Kläger dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, mit der Maßgabe, daß die Kläger zu 1) und 3) sich jeweils 1.965 DM und der Kläger zu 2) sich 3.930 DM anrechnen lassen müßten; das Landgericht hat ein mitwirkendes Verschulden nach § 254 Abs. 2 BGB darin gesehen, daß die Kläger versäumt hätten, den Schaden durch eine rechtzeitige, ordnungsgemäße Anfechtung des Testaments vom 20. November 1945 zu mindern.
Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, auf die Berufung der Kläger aber deren Ansprüche ohne Einschränkung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Die Kläger bitten, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Da es sich hier um die Beurteilung von Vorgängen aus dem Jahre 1947 handelt, ist das Berufungsgericht bei seiner Prüfung mit Recht nicht von den Bestimmungen der Notarordnung für Rheinland-Pfalz vom 3. September 1949, die mit ihrer Verkündung am 6. September 1949 in Kraft getreten ist, sondern von den §§ 21, 40 der Reichsnotarordnung (RNotO) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 der Ersten Ausführungsverordnung hierzu ausgegangen.
Dem ist zuzustimmen. Übernimmt der Notar die Weiterleitung einer von ihm entworfenen oder beurkundeten Erklärung, dann ist auch das Inhalt seiner übernommenen Amtspflichten und nicht etwa Gegenstand eines besonderen Geschäftsbesorgungsvertrages. In derartigen Fällen sind alle diese Maßnahmen – hier Beurkundung und Vollzug – als ein einheitliches Amtsgeschäft aufzufassen (Urt. des Senats vom 18. November 1957 – III ZR 106/56 –).
2.) Die ihm bei dem Vollzug des Widerrufs obliegende Amtspflicht – so hat das Berufungsgericht weiter angenommen – habe der Beklagte nicht ordnungsgemäß erfüllt. Nach den §§ 2271, 2296 BGB werde ein gemeinschaftliches Testament durch eine gerichtlich oder notariell zu beurkundende Erklärung widerrufen. Als empfangsbedürftige Erklärung müsse der Widerruf dem anderen Ehegatten zugehen, einem Abwesenden also übermittelt werden. Da die Urschrift der Urkunde bei den Akten verbleibe, könne schriftlich nur eine Ausfertigung übermittelt werden, weil diese im Rechtsverkehr die Urschrift vertrete. Die Übermittlung einer beglaubigten Abschrift, die hier unstreitig vorgenommen worden sei, genüge nicht. Dies sei die einhellige Ansicht von Rechtsprechung und Schrifttum.
Hiergegen wendet sich die Revision. Sie meint, daß die Zustellung einer beglaubigten Abschrift zum Wirksamwerden des Widerrufs genüge, und beruft sich hierfür auf die Erläuterungen von Staudinger-Herzfelder (9. Aufl. 1928, zu § 2296, Anm. 3) und Planck-Greiff (4. Aufl. 1930, zu § 2296, Anm. 3); jedenfalls aber sei die Rechtsfrage im Jahre 1947 noch nicht abschließend geklärt gewesen, so daß der Beklagte der mit guten Gründen von führenden Kommentaren vertretenen Ansicht habe folgen dürfen.
Die Rüge bleibt erfolglos. Nach den §§ 2271, 2296 BGB können die wechselbezüglichen Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments zu Lebzeiten des anderen Ehegatten durch Erklärung diesem gegenüber widerrufen werden; die Erklärung bedarf der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung. Dem Erfordernis der notariellen Beurkundung ist hier Genüge geschehen. Wenn aber – wie im vorliegenden Fall – der andere Ehegatte bei der Beurkundung nicht anwesend ist, bedarf die Erklärung der Übermittlung an ihn. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht (§ 130 BGB); sie gilt auch dann als zugegangen, wenn sie durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers zugestellt worden ist (§ 132 BGB). Die Zustellung ist – wie der Wortlaut des § 132 BGB („gilt … als zugegangen”) ergibt – ein gesetzliches Ersatzmittel für den Zugang der Erklärung (RGRK, 11. Aufl. 1959, zu § 132, Anm. 1), das selbst dann wirksam wird, wenn die zuzustellende Erklärung den Empfänger – etwa in den Fällen der Ersatzzustellung – tatsächlich nicht erreicht hat. Diese im Gesetz selbst begründete Unterscheidung zwischen dem Zugehen (§ 130 BGB) und dem Ersatzmittel der Zustellung (§ 132 BGB) verkennt die Revision, wenn sie unter Hinweis auf Staudinger-Herzfelder (a.a.O.) ausführt, für die Übermittlung der Erklärung an den anderen Teil sei eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, die Urkunde könne also vorgelesen, übergeben oder zugestellt, ihr Inhalt könne auch sonstwie mitgeteilt werden. Richtig verstanden besagt dies nicht mehr, als daß die Erklärung nicht der Zustellung (§ 132 BGB) bedarf, vielmehr auch wirksam wird, sobald sie in anderer Weise dem Empfänger zugegangen ist. Jedoch muß die beurkundete Erklärung dem Empfänger zugehen oder zugestellt werden, denn nur sie ist eine wirksame Erklärung nach § 2296 BGB. Die beurkundete Erklärung liegt in der Urschrift der Beurkundung. Diese wird für den Rechtsverkehr ersetzt durch eine Ausfertigung, die denselben öffentlichen Glauben trägt wie die Urschrift, während eine beglaubigte Abschrift nicht mehr als die Übereinstimmung der Abschrift mit einer Urkunde beweist (Keidel, FGG, 7. Aufl. 1959, zu § 182 Anm. 1), also nicht die empfangsbedürftige Erklärung selbst ist.
Auf diesen Überlegungen beruht die heute allgemeine Ansicht, daß der Rücktritt vom Erbvertrag oder der Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments durch Übermittlung der Urschrift oder einer Ausfertigung (nicht einer einfachen oder beglaubigten Abschrift) der gerichtlichen oder notariellen Urkunde vollzogen wird (KG DNotZ 1933, 578; OLG Düsseldorf NJW 1949, 789; OLG Köln DNotZ 1955, 395; RGRK, 10. Aufl. 1956, zu § 2296, Anm. 2; Palandt, 18. Aufl. 1959, zu § 2296, Anm. 1; Erman, 2. Aufl. 1958, zu § 2296, Anm. 1). Es ist auch nicht richtig, wenn die Revision meint, daß im Jahre 1947, als die hier fragliche Beurkundung stattfand, von führenden Kommentaren eine andere Ansicht vertreten worden oder die Rechtsfrage noch offen geblieben sei. Schon das Reichsgericht hatte in RGZ 65, 270, 274 die Wirksamkeit des Widerrufs nur unter dem Gesichtspunkt der „Zusendung der Ausfertigung” behandelt. Auf den Kommentar von Planck-Greiff (4. Aufl. 1930, zu § 2296, Anm. 3) beruft sich die Revision zu Unrecht; denn dort heißt es:
„Für die weitere Übermittlung der Erklärung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, es genügt formlose Übergabe oder Zusendung der beurkundeten Erklärung oder einer dem Erblasser erteilten Ausfertigung.”
Diese Stelle spricht also gerade gegen die Rechtsansicht der Revision. Der Reichsgerichtsrätekommentar (9. Aufl. 1940, zu § 229,6 Anm. 2) und Palandt (3. Aufl. 1940, zu § 2296, Anm. 1) bezeichneten ebenfalls – beide bereits unter Hinweis auf KG DNotZ 1933, 578 – die Übermittlung der Erklärung in Urschrift oder Ausfertigung (nicht in Abschrift) gemäß den §§ 130 ff. BGB als geboten.
3.) Wenn der Beklagte – so hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt – gleichwohl im Zweifel über die Erfordernisse gewesen sein sollte, so habe er jedenfalls den Weg wählen müssen, der die größte Sicherheit für das Wirksamwerden des Widerrufs bot (vgl. hierzu die Zusammenstellung der Rechtsprechung des Senats in DRiZ 1959, 136), also eine Ausfertigung zustellen müssen. Der Beklagte könne an diesem Erfordernis aber auch gar nicht gezweifelt haben; denn er habe selbst die Bitte der Erblasserin um Zustellung einer „Ausfertigung” beurkundet. Im Zusammenhang mit der Widerrufserklärung des Ehemannes K… habe der Beklagte den Gerichtsvollzieher beauftragt, eine „Ausfertigung” zuzustellen. Der Auftrag an den Gerichtsvollzieher in der Sache der Erblasserin sei zwar nicht mehr vorhanden; doch könne unterstellt werden, daß der Beklagte ebenso verfahren sei, da ein Grund für eine abweichende Behandlung nicht bestanden habe. Der Beklagte habe aber versäumt, sich zu vergewissern, ob der Gerichtsvollzieher den Auftrag richtig ausgeführt habe. Da der Vollzug der Urkunde zu seiner Amtstätigkeit, die der Notar stets in eigener Person vornehmen müsse, gehört habe, habe er die Prüfung, ob der Gerichtsvollzieher den Auftag richtig ausführte, nicht seinem Büropersonal überlassen dürfen.
Unrichtig ist demgegenüber die Ansicht der Revision, der Beklagte habe schon mit der Weisung an den Gerichtsvollzieher, eine Ausfertigung der Verhandlung zuzustellen, alles getan, was ihm obgelegen habe. Der Beklagte hatte es übernommen, eine Ausfertigung der Widerrufsverhandlung dem Ehemann K… durch den Gerichtsvollzieher zuzustellen. Sein Auftrag beschränkte sich also nicht darauf, dem Gerichtsvollzieher eine entsprechende Weisung zu geben, sondern er trug die Verantwortung dafür, daß eine Ausfertigung auch wirklich zugestellt würde. Damit war der Beklagte verpflichtet zu überwachen, ob der Gerichtsvollzieher die Weisung richtig ausführte. Daß der Gerichtsvollzieher ein unter eigener Verantwortung handelndes Organ der Rechtspflege ist – wie die Revision zutreffend hervorhebt –, befreite den Beklagte von dieser Verpflichtung nicht, er blieb gleichwohl der Erblasserin gegenüber verpflichtet, die Erfüllung der Anweisung zu überwachen, weil er für den Erfolg, nämlich des Wirksamwerden des Widerrufs durch Zustellung einer Ausfertigung, einzustehen hatte. Unrichtig ist auch die Ansicht der Revision, eine Pflichtverletzung des Beklagten entfalle schon deshalb, weil er die Überwachung der Zustellung als rein mechanische Aufgabe seinem Büropersonal habe überlassen dürfen. Grundsätzlich hat der Notar seine Amtspflichten persönlich zu erfüllen, weil ihm deren ordnungsgemäße Erledigung von Gesetzes wegen, nicht kraft eines besonderen Schuldverhältnisses obliegt (LM Nr. 1 zu § 35 RNotO); das gleiche gilt für den Notarverweser. Bedient sich der Notar für die bürotechnische Erledigung der Amtsgeschäfte im inneren Betrieb der Mitwirkung von Bürogehilfen, die unter seiner ständigen Aufsicht arbeiten, so muß er durch wirksame Einrichtungen und eine wirksame Überwachung die reibungslose Ausführung sicherstellen (Daimer, Die Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars, 2. Aufl. 1955 S. 393). Keinesfalls durfte der Beklagte die Angelegenheit für sich als erledigt betrachten und die Überwachung dem Büropersonal überlassen, weil es sich – wie die Revision meint – eine rein mechanisch zu erledigende Angelegenheit gehandelt habe, denn in Wirklichkeit war die Sache nicht auf den ersten Blick zu überschauen und mechanisch zu erledigen. Die richtige Behandlung setzte rechtliche Überlegungen und die Kenntnis der verschiedenen Bedeutung einer vom Notar erteilten Ausfertigung und einer (vom Gerichtsvollzieher) beglaubigten Abschrift voraus. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß die Widerrufserklärungen beider Ehegatten – auch die des Ehemannes K… vom 21. August 1947 – falsch behandelt wurden und daß die Urschriften beider Verhandlungen den Eingangsstempel des Gerichtsvollziehers tragen (Bl. 19 und 25 der Testamentsakten). Der Beklagte hat nichts dafür vortragen können, daß er das Personal darüber belehrt hätte, worauf es bei diesen Zustellungen ankam, oder daß er Weisung gegeben hätte, ihm den Vorgang mit der Zustellungsurkunde nochmals vorzulegen. Jedenfalls in dieser Unterlassung liegt eine Verletzung seiner Amtspflichten.
4.) Zutreffend hat das Berufungsgericht weiter angenommen, daß die Amtspflicht des Beklagten, für das Wirksamwerden des Widerrufs zu sorgen, ihm auch den Klägern gegenüber oblag. „Dritte” im Sinne des § 839 BGB sind nicht nur die bei dem Amtsgeschäft unmittelbar Beteiligten, sondern – nach gesicherter Rechtsprechung – alle Personen, deren Interesse nach der besonderen Natur des Amtsgeschäfts durch dieses berührt wird und in deren Rechtskreis dadurch eingegriffen werden kann, auch wenn sie durch die Amtsausübung nur mittelbar und unbeabsichtigt betroffen werden (RGZ 138, 309, 313; BGHZ 20, 53, 56). Bei der Errichtung letztwilliger Verfügungen besteht eine Amtspflicht des Notars nicht nur gegenüber dem Erblasser, sondern auch gegenüber dem eingesetzten Erben oder sonst Bedachten (BGHZ 27, 274, 275; Seybild-Hornig-Lemmens, Reichsnotarordnung 3. Aufl., S. 259). Im Falle eines fehlerhaft beurkundeten Erbverzichts hat das Reichsgericht eine Amtspflichtverletzung auch gegenüber denjenigen angenommen, denen der wirksame Erbverzicht zugute gekommen wäre, denn der Erbverzicht diene mit seinem Zweck, dem Erblasser die volle Freiheit der letztwilligen Verfügung zu schaffen, wesentlich auch den Interessen derjenigen, um deretwillen er den Erbverzichtsvertrag schließen wollte (RG JW 1909, 139; vergl. Daimer, Die Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars, 2. Aufl. 1955, S. 379 f.). Ähnlich liegt es, wenn ein Ehegatte ein gemeinschaftliches Testament widerrufen will. Auch er strebt danach, die Freiheit der letztwilligen Verfügung wiederzugewinnen. Aus der Natur und dem Zweck des Widerrufs aber ergibt sich, daß das Rechtsgeschäft nicht allein dem Interesse des Erblassers dient, vielmehr die Interessen derjenigen berührt, denen er seinen Nachlaß – sei es im Wege der gesetzlichen oder der testamentarischen Erbfolge – zuwenden oder die er sonst bedenken will. Selbst wenn bei der Widerrufsverhandlung ein Begünstigter nicht genannt wird, ist es für den Notar aus der Sache heraus ersichtlich, daß er bei seiner Amtshandlung neben dem Interesse des widerrufenden Erblassers das Interesse „Dritter” zu bedenken und zu wahren hat, denen der Widerruf zugute kommen soll. Das sind die Personen, die beim Erbfall entweder als gesetzliche Erben oder als testamentarisch Bedachte eine Erbrecht oder einen erbrechtlichen Anspruch haben würden, wenn der Widerruf wirksam wäre. Zu diesem Kreise geschützter Dritter gehören die Kläger, die in dem Testament vom 17. März 1950 bedacht worden sind.
Demgegenüber geht der Hinweis der Revision auf das Urteil des Landgerichts in München vom 18. Oktober 1954 (DNotZ 1955, 101) fehl. Denn in dem Fall des Landgerichts in München handelte es sich (anders als im vorliegenden Fall) – wie das Urteil ausdrücklich hervorhebt – um „eine sonstige Betreuung auf dem Gebiete vorsorgender Rechtspflege”, die der Notar dem dortigen Kläger gegenüber nicht übernommen hatte. In dem vorliegenden Fall aber ergibt sich die Amtspflicht nach Umfang und Auswirkung aus dem beurkundeten Rechtsgeschäft selbst, das seinem Zweck und der Sache nach die Interessen der Kläger erkennbar mitbetraf.
II.
Das Berufungsgericht hat weiter angenommen, daß den Klägern durch die Amtspflichtverletzung des Beklagten ein Schaden entstanden sei; denn wegen der Unwirksamkeit des Widerrufs habe das Testament der Erblasserin vom 17. März 1950, in dem die Kläger unter Ausschluß des Ehemanns K… bedacht waren, nicht zum Zuge kommen können. Die Erblasserin habe nicht nur das gemeinschaftliche Testament von 1945, sondern auch das von 1927 widerrufen wollen. Nach § 36 Abs. 2 TestG (= § 2258 Abs. 2 BGB) lebe durch den Widerruf des späteren Testament das frühere Testament allerdings „im Zweifel” auf. Hier aber bestehe ein solcher Zweifel nicht. Die Erblasserin habe erreichen wollen, daß ihr Ehemann nicht Testamentserbe bleibe; das ergebe sich aus dem handschriftlichen Testament von 1950. Ihr Wille sei nicht dahin gegangen, das Testament von 1927 wieder wirksam werden zu lassen.
Die Rügen, die die Revision demgegenüber erhebt, sind nicht begründet.
1.) Der Widerruf müsse – so führt die Revisionsbegründung aus – nach Treu und Glauben als wirksam angesehen werden. Das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, daß der Ehemann K… selbst vorher am 21. August 1947 das gemeinschaftliche Testament vom 20. November 1945 widerrufen und daß dieser Widerruf den der Erblasserin veranlaßt habe. Wenn der Ehemann K… den Widerruf seiner Frau nicht gelten lassen wolle, setze er sich mit seinem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch, denn auch er habe die Unwirksamkeit des Testaments herbeiführen wollen und dürfe sich nicht auf dessen Gültigkeit berufen. Man werde in seinem Verhalten einen Verzicht auf die Zustellung einer Ausfertigung sehen müssen.
Diese Rüge geht fehl. Allerdings hat schon das Reichsgericht in mehreren Entscheidungen (RGZ 153, 59; 157, 207; 169, 73; 170, 203) die Einwirkung des Grundsatzes von Treu und Glauben auf Rechtsgeschäfte, die der gesetzlichen Form ermangeln, behandelt und schließlich ganz allgemein ausgesprochen, die Berufung auf Formmängel sei nach § 242 BGB unzulässig, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen Treu und Gauben widerspreche, die Vertragsansprüche an dem Formmangel scheitern zu lassen. In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (OGHZ 1, 217) die Anwendbarkeit des § 242 BGB bei formnichtigen Rechtsgeschäften zwar grundsätzlich bejaht, jedoch ausgeführt, das Gebot, Rechtsgeschäfte, die der gesetzlichen Form ermangeln als nichtig zu behandeln, verlange grundsätzliche Anerkennung; nur in Ausnahmefällen, zur Vermeidung schlechthin untragbarer Ergebnisse, dürfe hiervon auf Grund des § 242 BGB abgewichen werden, dann nämlich, wenn bei grundsätzlicher Anerkennung der Nichtigkeit des Geschäftes ausnahmsweise gerade die Verweigerung oder Beseitigung des dem Vertrag entsprechenden Erfüllungszustandes durch den Vertragsgegner mit Treu und Glauben unvereinbar erscheine. Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (BGHZ 16, 334, 336; 20, 172, 173) und sie unter den behandelten Voraussetzungen nicht nur bei schuldrechtlichen Verträgen, sondern auch bei einem Erbvertrag für anwendbar gehalten (BGHZ 23, 249, 254). Jedoch sagt dies nicht zugunsten des Beklagten. Denn in dem vorliegenden Fall liegt ein Mangel der Form nicht vor, die Widerrufserklärung der Erblasserin war notariell beurkundet worden, wie § 2296 Abs. 2 Satz 2 BGB es vorschreibt. Was fehlt, ist nicht die gesetzliche Form der Erklärung, sondern ihr Zugang; die empfangsbedürftige einseitige Erklärung (§ 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB) hat ihren Empfänger nicht erreicht. Eine Bindung der Beteiligten durch Treu und Glauben auch ohne die gesetzliche Form – wie sie in den genannten Entscheidungen vorausgesetzt wird – kommt bei dieser Sachlage nicht in Betracht; sie könnte allenfalls in der, dem Beklagten nachteiligen Richtung liegen, da beide Eheleute zu dem gemeinschaftlichen Testament von 1945 stehen sollten, so lange es nicht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise widerrufen war. Überdies vermag der Senat auch den dem Vertrag des Beklagten keine Umstände zu finden, die es als treuwidrig erscheinen lassen, daß der Ehemann K… sich auf die Unwirksamkeit des Widerrufs berufen hat. Daß in seinem Verhalten kein Verzicht auf den Zugang (auch hier spricht die Revision unzutreffend von einem Verzicht auf die Form) einer Widerrufserklärung liegen kann, bedarf keiner weiteren Erörterung.
2. Irrig ist die Ansicht der Revision, daß die Wirksamkeit des Widerrufs der Sache der Kläger nichts genützt haben würde, weil dann das gemeinschaftliche Testament von 1927 aufgelebt wäre, in dem sich die Eheleute K… ebenfalls gegenseitig als Erben eingesetzt hatten.
Bei der Prüfung dieser Frage ist das Berufungsgericht zutreffend von § 36 TestG ausgegangen, der wörtlich dem heutigen § 2258 BGB entspricht und für gemeinschaftliche Testamente anwendbar ist (RGRK 10. Aufl. 1956, zu § 2258 Anm. 4). Nach dieser Bestimmung wird durch die Errichtung eines Testaments (hier Testament von 1945) ein früheres Testament von 1927) insoweit aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht (Abs. 1); wird das spätere Testament widerrufen, so ist im Zweifel das frühere Testament in gleicher Weise wirksam, wie wenn es nicht aufgehoben worden wäre (Abs. 2). Durch die Einfügung der Worte „im Zweifel” in die Fassung des § 2258 BGB hat § 36 Abs. 2 TestG eine widerlegbare Vermutung geschaffen; das frühere Testament soll durch einen Widerruf des späteren Testament nur dann aufleben, wenn kein gegenteiliger Wille des Erblassers anzunehmen ist (so die amtliche Begründung DJ 1938, 1254, 1258; RGRK, a.a.O., zu § 2258, Anm. 3 und § 2257, Anm. 3). Ein Zweifel, der die Anwendung der Vermutung rechtfertigt, besteht also nicht schon dann, wenn mehrere Möglichkeiten denkbar sind; vielmehr kann die Vermutung erst zum Zuge kommen, wenn eine Auslegung versagt. Die Auslegung des Berufungsgerichts, die Erblasserin habe durch ihren Widerruf des späteren Testaments nicht das Testament von 1927 wieder aufleben lassen wollen, ist als Auslegung einer untypischen Einzelerklärung für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend; sie kann nur in der Richtung geprüft werden, ob die Auslegung möglich ist und keine Auslegungsgrundsätze verletzt (RGZ 104, 219). Insoweit ergeben sich keine Bedenken. Es ist nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht für die Auslegung auch das spätere Verhalten der Erblasserin – den aus dem privatschriftlichen Testament von 1950 ersichtlichen Wunsch, ihren Ehemann von der Erbfolge auszuschließen – berücksichtigt hat, zumal die Revision selbst an anderer Stelle auf den inneren Zusammenhang zwischen dem Testament von 1950 und der Widerrufserklärung hinweist.
Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte von dem Testament von 1927 wußte. Die Fragen, die das Berufungsurteil und die Revisionsbegründung in diesem Zusammenhang behandeln, können daher unerörtert bleiben.
III.
Daß die Kläger nicht auf andere Weise Ersatz ihres Schadens erlangen können, hat das Berufungsgericht zutreffend begründet. Die Angriffe der Revision hiergegen sind erfolglos.
Wenn die Revision ausführt, der Begriff der „anderweiten Ersatzmöglichkeit” müsse weit ausgelegt werden, er umfasse auch die Umstände, durch die der Schaden selbst rückwirkend beseitigt oder gemindert werden könne – im vorliegenden Fall also auch die von den Klägern versäumte Möglichkeiten, die Testamente von 1945 und 1927 anzufechten –, § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB sei eine dem § 254 BGB vorgehende Spezialvorschrift, so verkennt sie, daß beide Bestimmungen verschiedene Voraussetzungen haben. Für das Vorhandensein einer anderweiten Ersatzmöglichkeit ist entscheidend, ob der Geschädigte aus demselben Tatsachenkreise heraus, aus dem die Klageforderung entstanden ist, einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens, gleichviel welcher Art, erlangt hat (RGZ 170, 37). Demgemäß geht § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB von der Feststellung eines Schadens aus und stellt auf das objektive Vorhandensein eines anderweiten Ersatzanspruchs oder wenigstens einer tatsächlichen Ersatzmöglichkeit ab (Urt. des Senats vom 3. Juni 1954 – III ZR 387/52 –), während § 254 BGB die Frage behandelt, wie weit der Geschädigte selbst den Schaden schuldhaft mitverursacht hat oder wie weit er den Schaden hätte abwenden können und müssen. Die Bestimmungen behandeln daher durchaus verschiedene Tatbestände und decken sich nicht. Die Annahme der Revision, § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB sei eine Spezialvorschrift gegenüber § 254 BGB, ist abwegig; denn Spezialität setzt voraus, daß das verdrängende Gesetz sämtliche Merkmale der allgemeinen Norm enthält und diesen noch ein besonderes Merkmal zur Bildung seines Tatbestandsbegriffs hinzufügt (BGHZ 13, 88, 95). Wenn wie im vorliegenden Fall schon zu Beginn des Rechtsstreits feststeht, daß der Weg der Anfechtung des Testaments versperrt ist, dann erhellt daraus ohne weiteres, daß eine Ersatzmöglichkeit auf diesem Wege objektiv nicht gegeben ist, und es kann sich lediglich fragen, ob die Kläger insoweit etwas versäumt haben. Das Berufungsgericht hat daher die Frage der Anfechtbarkeit der beiden gemeinschaftlichen Testamente mit Recht nicht unter dem Gesichtspunkt einer anderweiten Ersatzmöglichkeit, sondern unter dem eines mitwirkenden Verschuldens erörtert.
Zu Unrecht glaubt die Revision ferner, die Kläger auf einen Anspruch gegen den Staat, der für das Versehen des Gerichtsvollziehers haften würde (Art. 131 WRV, Art. 34 GG). verweisen zu können – aus RGZ 141, 283 zu schließen sei, daß bei einem Zusammentreffen von Staats- und Notarhaftung im Interesse des Geschädigten die Staatshaftung vorgehe. RGZ 141, 283, 286 spricht lediglich den vom Reichsgericht in fester Rechtsprechung entwickelten Grundsatz aus, daß bei fahrlässiger Herbeiführung eines Schadens durch mehrere Beamte die Vorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht dazu dienen könne, die Haftung des einen Beamten auf den anderen abzuwälzen. Diesen Grundsatz hat das Reichsgericht in RGZ 169, 317, 320 wiederholt und hinzugefügt, er gelte auch dann, wenn anstelle der Haftung des Beamten die des Staates oder einer anderen Körperschaft trete; es bestehe eine Gesamthaftung nach § 840 Abs. 1 BGB, der eine Haftpflichtige könne sich auf die Möglichkeit des Geschädigten, von dem anderen Haftpflichtigen Ersatz des Schadens zu erlangen, nicht berufen (RGZ 165, 91, 105). Der Senat hat diese Rechtsprechung übernommen; schon das Urteil vom 13. November 1952 – III ZR 72/52 – spricht von einer „Gesamtschuld” mehrerer fahrlässig handelnder Beamter, die nicht als eine anderweite Ersatzmöglichkeit angesehen werden könne. Eine Einschränkung zugunsten der Gebührenbeamten ist hierbei nicht gemacht worden; sie ist auch aus der Sache heraus nicht vertretbar. Bei der Gesamtschuld aber kann der Gläubiger jeden seiner Schuldner nach seinem Belieben (§ 421 BGB) in Anspruch nehmen. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht unerörtert gelassen, ob auch der Gerichtsvollzieher sich einer Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat.
IV.
Im Gegensatz zum Landgericht hat das Berufungsgericht ein mitwirkendes Verschulden der Kläger im Sinne von § 254 Abs. 2 BGB verneint und hierzu ausgeführt:
Ein Verschulden der Kläger könnte vorliegen, wenn sie versäumt hätten, die gemeinschaftlichen Testamente von 1945 und 1927 durch eine wirksame Anfechtung zu beseitigen. Vorausgesetzt, daß diese Testamente anfechtbar seien, würde dann das handschriftliche Testament der Erblasserin vom 17. März 1950 wirksam werden und die Kläger hätten den Nachlaß ihrer Mutter, soweit noch vorhanden, aus der Konkursmasse aussondern können. Der Beklagte, der sich auf ein mitwirkendes Verschulden der Kläger berufe, müsse jedoch beweisen, daß die Kläger die gemeinschaftlichen Testamente wirksam hätten anfechten und dadurch den von ihm verursachten Schaden hätten mindern können.
Die Revision greift dies zu Unrecht an. Ihre Auffassung, der Kläger hätte zu beweisen, daß die Voraussetzungen einer Anfechtung der Testamente nicht vorgelegen hätten, beruht auf der – wie bereits ausgeführt – unzutreffenden Annahme, daß die Anfechtung der Testamente eine anderweite Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB eröffne. Daß die Voraussetzungen eine mitwirkenden Verschuldens, die hier in Wirklichkeit geprüft werden, von dem Beklagten zu beweisen sind, ist außer Streit und wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.
Ob die Kläger – so hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt – die Testamente mit Erfolg hätten anfechten können, sei ungewiß. Es sei möglich, daß die Erblasserin ihren Ehemann deshalb bedacht habe, weil sie als selbstverständlich davon ausgegangen sei, er werde ihr die eheliche Treue halten. Möglich sei es aber auch, daß sie sich in dieser Hinsicht überhaupt keine Gedanken gemacht habe. Ihr späteres Verhalten lasse darauf schließen, daß die Frage der ehelichen Treue bei der Errichtung der Testamente nicht bestimmend gewesen sei; denn sie habe unstreitig schon im Juli 1947 von den Beziehungen ihres damals 75-jährigen Ehemannes zu einer anderen Frau und davon, daß diese angeblich ein Kind erwarte, erfahren, gleichwohl aber erst am 28. September 1947 das gemeinschaftliche Testament widerrufen, nachdem ihr eine beglaubigte Abschrift des entsprechenden Widerrufs ihres Ehemannes vom 21. August 1947 zugestellt worden war. Das spreche dafür, daß nicht die eheliche Untreue ihres Mannes, sondern dessen Widerruf die Veranlassung für ihren Widerruf gewesen sei. Hierfür hätten die Kläger auch Beweis angeboten; dieser habe aber nicht erhoben zu werden brauchen, weil der Beklagte beweispflichtig sei. Wenn es hiernach ungewiß sei, ob die Kläger die Testamente erfolgreich hätten anfechten können, dann seinen sie zu einer Anfechtung nicht verpflichtet gewesen, nachdem sie schon das Erbscheinverfahren in drei Instanzen durchgeführt hätten, um die Anerkennung des Testaments vom 17. März 1950 zu erreichen, habe ihnen nicht zugemutet werden könne, einen mit Beweisschwierigkeiten verbundenen und daher unsicheren Prozeß zu führen. Daß die Kläger die gemeinschaftlichen Testamente nicht rechtzeitig angefochten hätten, was zur Abweisung ihrer Klage 3 0 152/56 durch das Landgericht geführt habe, gehe daher nicht zu Lasten der Kläger, denn sie seien zu einer solchen Anfechtung überhaupt nicht verpflichtet gewesen.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis den Angriffen der Revision stand. Das Berufungsgericht ist bei seiner Prüfung der Anfechtbarkeit der Testamente richtig davon ausgegangen, daß auch sog. „unbewußte Vorstellungen” als Anfechtungsgrund nach § 2078 Abs. 2 BGB in Betracht kommen können (LM Nr. 3 und 4 zu § 2078 BGB). Es hat seine Auffassung, daß die Vorstellung künftiger ehelicher Treue des Ehemannes für die Erblasserin die Errichtung der Testamente nicht wesentlich gewesen sein dürfte, eingehend und ohne Verstoß gegen die Denkgesetze aus dem späteren Verhalten der Erblasserin begründet. Insoweit liegt nicht – wie die Revision meint – eine Verletzung des § 286 ZPO darin, daß das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang das Testament vom 17. März 1950 nicht angeführt hat. Denn es liegt in der Tat nahe, die Veranlassung für den Widerruf der Erblasserin vom 18. September 1947 in dem Widerruf ihres Ehemannes zu sehen, dessen Abschrift ihr am 9. September 1947 zugestellt worden war, nicht in seiner ehelichen Untreue, von der sie unstreitig seit zwei Monaten wußte. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Vertiefung. Im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB waren die Kläger verpflichtet, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach der Auffassung des Lebens von einem ordentlichen Menschen hätten angewandt werden müssen, um den Schaden abzuwenden (BGH NJW 1951, 797). Diese Anforderungen dürfen nicht überspannt werden; so hat der Senat in BGHZ 15, 305, 315 ausgeführt, es dürfe dem geschädigten Staatsbürger nicht zum Verschulden gereichen, wenn er nicht klüger ist als die Beamten, und wenn er deshalb einen Weg, schnell zum erstrebten Ziele zu kommen, ebenso wie die mit der Sache befaßten Beamten nicht erkannt hat. Dieser Gedanke trifft hier zwar nicht unmittelbar zu, er begrenzt aber in allgemeiner, auch hier zutreffender Weise das, was von einem ordentlichen Menschen nach der Auffassung des Lebens erwartet werden muß. Wenn ein Oberlandesgericht nach reiflicher Prüfung aller Vorgänge zu dem Ergebnis gelangt ist, der Erfolg einer Anfechtung sei allzu ungewiß, um deswegen einen Prozeß zu wagen, dann kann es den Klägern nicht als Verschulden angerechnet werden, daß sie hiervon absahen. Die weitere Folgerung des Berufungsgerichts, wenn die Kläger nicht zur Anfechtung verpflichtet waren, könne auch in der Versäumung der Anfechtungsfrist kein Verschulden liegen, ist unangreifbar. Überdies kann es den rechtskundigen Klägern nicht zum Verschulden gereichen, wenn sie sich über Form und Frist einer Testamentsanfechtung im Unklaren befanden und deshalb zu spät einen Rechtsanwalt aufsuchten.
V.
Hiernach mußte die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückgewiesen werden.
Fundstellen
BGHZ 31, 5 |
BGHZ, 5 |
NJW 1960, 33 |
NJW 1960, 475 |
DNotZ 1960, 260 |
MDR 1960, 33 |