Leitsatz (amtlich)
1. Wenn ein Amtsträger bei dienstlicher Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr einen Verkehrsunfall verursacht, trifft den Dienstherrn die Amtshaftung ohne Verweisungsprivileg. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Amtsträger keine Sonderrechte nach § 35 StVO in Anspruch nimmt.
2. Zur Hemmung der Verjährung durch "pactum de non petendo" während eines Verfahrensstillstands.
3. Der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO - Fehlen von Gründen - greift auch dann ein, wenn in den Entscheidungsgründen auf eine Einrede als selbständiges Verteidigungsmittel überhaupt nicht eingegangen ist.
Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 28.06.1974) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Juni 1974 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt ist. Die Anschlußrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Sozialversicherer des Kraftfahrers Wilhelm H., der am ... 1959 bei einem von dem Fahrer eines britischen Panzerspähwagens (allein) verschuldeten Verkehrsunfall verletzt wurde. Die Klägerin hat an H. vom 1. September 1959 bis 31. Mai 1974 Renten und Beiträge zur Rentnerkrankenversicherung (RKV) gezahlt, und zwar zuletzt eine monatliche Rente von 365,20 DM und einen RKV-Beitrag von monatlich 101,98 DM.
Die zuständige Ortskrankenkasse hat dem Verletzten Heilbehandlungskosten von 762,44 DM erstattet. Weiter bezieht der Verletzte von einer Berufsgenossenschaft eine Unfallrente, die sich im Januar 1974 auf monatlich 1.034,50 DM belief.
Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht (§ 1542 RVO) vollen Ersatz der Leistungen, die sie dem Verletzten aus Anlaß des Unfalls bis zum 31. Mai 1974 zu gewähren hatte. Weiter beansprucht sie für die Zeit ab 1. Juni 1974 die Zahlung einer Kapitalentschädigung von 50.000,00 DM mit der Begründung, hierfür bestehe ein "wichtiger Grund" im Sinne der §§ 13 Abs. 2 StVG, 843 Abs. 3 BGB, weil sich ihre Leistungen ständig erhöhten, andererseits aber der alte Haftungshöchstbetrag des § 12 StVG a.F. (hier: 50.000,00 DM) gelte.
Das zuständige Amt für Verteidigungslasten (AVL) hat eine Haftung für Unfallschäden, soweit Ersatzansprüche auf die Klägerin übergegangen sind, gemäß §§ 7, 12 StVG dem Grunde nach voll anerkannt. Es hat der Klägerin für ihre bis zum 31. Mai 1974 erbrachten Leistungen 34.395,15 DM erstattet und für die Folgezeit bis zum 30. November 1988 - am 27. November 1988 vollendet der Verletzte das 65. Lebensjahr - eine monatliche Entschädigung von 246,19 DM anerkannt. Der AOK hat sie die Heilbehandlungskosten von 762,44 DM voll erstattet. Ersatzansprüche der Berufsgenossenschaft hat das AVL abgelehnt, weil die Anmeldefrist nicht eingehalten worden sei. Die Berufsgenossenschaft hat hiergegen keine Klage erhoben.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 57.242,12 DM nebst Zinsen (aus unterschiedlichen Beträgen) zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, daß die Haftung auf die Höchstbeträge des StVG a.F. beschränkt sei, die danach geschuldeten Beträge richtig berechnet seien und daß ein wichtiger Grund für die Gewährung einer Kapitalabfindung statt einer Rente nicht bestehe. Im übrigen sei die Klageforderung verjährt, weil die Klägerin den Rechtsstreit mehr als drei Jahre nicht betrieben habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 2.142,39 DM nebst Zinsen unter Abweisung des weitergehenden Begehrens stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren im zweiten Rechtszug gestellten Antrag weiter. Sie bittet in erster Linie um Zurückverweisung der Sache, um ihre Anträge der geänderten Rechtslage anpassen zu können.
Die Beklagte hat sich der Revision angeschlossen und beantragt,
die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision der Klägerin
1.
Für ihre bis zum 31. Mai 1974 erbrachten Leistungen fordert die Klägerin noch einen Betrag von 7.242,12 DM nebst Zinsen. Das Berufungsgericht hat hiervon nur 2.142,39 DM nebst Zinsen zugesprochen. Zur Begründung der Abweisung der restlichen Forderung hat es ausgeführt: Die Haftung der Beklagten beschränke sich auf 50.000,00 DM Kapital- oder 3.000,00 DM Jahresrente (§ 12 StVG in der Fassung des hier anwendbaren Gesetzes vom 16. Juli 1957 - BGBl I 710). Für die Vergangenheit habe die Klägerin in zulässiger Weise Erstattung in Kapitalform gewählt. Bei Berücksichtigung der Forderung der AOK (762,44 DM) und bei Kapitalisierung des die Haftungshöchstrente übersteigenden Teils der Leistungen der Klägerin stehe dieser jedoch für die Vergangenheit nur noch ein Anspruch von 2.142,39 DM zu (36.537,54 DM ./. Erstattungen von 34.395,15 DM).
Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis mit Erfolg.
a)
Es bedarf nicht der Entscheidung, ob die vom Berufungsgericht vorgenommene Berechnung des Anspruchs den bei der Anwendung des § 12 StVG zu beachtenden Grundsätzen entspricht. Eine Beschränkung der Haftung auf einen Höchstbetrag kommt nämlich nicht in Betracht, weil die Beklagte auch aus unerlaubter Handlung haftet (Art. 8 Finanzvertrag i.V.m. § 839 BGB, Art. 34 GG, vgl. dazu Senatsurteil in VersR 1968, 664).
Nach den von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist das Mitglied der Klägerin durch fahrlässiges Verhalten eines Angehörigen der (britischen) Stationierungsstreitkräfte, der sich auf einer Dienstfahrt befand und am allgemeinen Straßenverkehr teilnahm, verletzt worden (vgl. die Bescheinigung der Dienstfahrt durch die zust. militärische Stelle). Dies führte zur Haftung nach den Bestimmungen des deutschen Rechts, nach denen sich die Haftung der Bundesrepublik für Pflichtverletzungen ihrer Beamten bestimmt (Art. 8 Abs. 4 Finanzvertrag). In den Fällen fahrlässiger Amtspflichtverletzung besteht eine Haftung grundsätzlich nur, soweit der Geschädigte nicht anderweit Ersatz erlangen kann (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dieses Verweisungsprivileg war nach der früheren Rechtsprechung des erkennenden Senats zu beachten, wenn der Beamte bei einer in Erfüllung militärischer Aufgaben ausgeführten Dienstfahrt einen anderen Verkehrsteilnehmer schädigte (vgl. BGHZ 42, 176). Hiervon ist das Berufungsgericht ersichtlich ausgegangen und hat folgerichtig nicht erwogen, daß Ansprüche aus Amtshaftung entstanden und auf die Klägerin übergegangen sein können.
MitUrteil vom 27. Januar 1977 (III ZR 173/74 = BGHZ 68, 217) hat der erkennende Senat seine Rechtsprechung geändert. Er wendet seitdem die Subsidiaritätsklausel (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) nicht mehr an, wenn ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr - jedenfalls soweit er Sonderrechte nach § 35 StVO nicht in Anspruch nimmt - schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht (vgl. auchSenatsurteil vom 10. November 1977 - III ZR 79/75 = WM 1978, 249). Auf die gesonderte Frage, ob der Sozialversicherer im Sinne von § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB "Dritter" ist (vgl. dazu das vorstehende Urteil), kommt es daher hier nicht an.
Es bestehen keine Bedenken, die geänderte rechtliche Betrachtungsweise auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Die Grenzen zulässiger Rückwirkung bei Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung könnten hierdurch allenfalls dann überschritten werden, wenn die Rechtsfortbildung die Auslegung einer Norm betrifft, die den Erwerb oder die Bewahrung einer Rechtsstellung von einem bestimmten Verhalten des Rechtsinhabers oder -erwerbers abhängig macht, und dies nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nur an der jeweiligen Norminterpretation gemessen werden dürfte. Das kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die Entscheidung, ob eine Amtshaftung ohne Verweisungsprivileg anzunehmen ist, nicht von Umständen abhängt, auf die der Schadensstifter seinerzeit durch sein Verhalten hätte Einfluß nehmen können (vgl.Senatsurteil vom 14. Juli 1978 - III ZR 177/76).
b)
Übergegangene Ansprüche aus unerlaubter Handlung sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verjährt. Die Klägerin hat sich zwar im März 1970 mit der Anregung des Berufungsgerichts, die Sache bis zur Entscheidung anderer Rechtsstreite gleichen Rubrums durch die Revisionsinstanz ruhen zu lassen, einverstanden erklärt und hat erst am 22. April 1974 ihren Willen bekundet, das Verfahren fortzusetzen. Ob der eingetretene Verfahrensstillstand nach § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB zu beurteilen ist, was zu einer Beendigung der durch Klageerhebung erfolgten Unterbrechung der Verjährung (§ 209 BGB) geführt hätte, kann dahinstehen. Jedenfalls ist die Verjährung während des (tatsächlichen) Ruhens des gerichtlichen Verfahrens gehemmt gewesen, diese Zeitspanne also in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen (§ 205 BGB). Die Zustimmung beider Parteien zur Anregung des Gerichts, das Verfahren bis zur Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen in bereits laufenden Revisionsverfahren ruhen zu lassen, hatte hier die Bedeutung eines Stillhalteabkommens (pactum de non petendo), das die Beklagte berechtigte, die mit der Klage beanspruchte Leistung vorübergehend zu verweigern (vgl. BGB-RGRK 12. Aufl. § 202 Rdn. 14). Die Beklagte hat zwar der Anregung zunächst widersprochen, dann aber die vom Gericht gegebene Begründung, ein Abwarten sei aus materiell-rechtlichen und aus Kostengründen sinnvoll, mit stillschweigender Billigung hingenommen. Diese Übereinkunft der Parteien hemmte die Verjährung jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Januar 1974 in der Sache III ZR 17/72 (vgl. Schrifts. der Klägerin vom 25. April 1974).
c)
Eine Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz nach Art. 8 Abs. 4 Finanzvertrag i.V.m. § 839 BGB, Art. 34 GG ist somit zu bejahen. Die Parteien sind sich weiter darin einig, daß die unfallbedingten Aufwendungen der Klägerin im gesamten Abrechnungszeitraum (1. September 1959 bis 31. Mai 1974) durch übergegangene (§ 1542 RVO) Ansprüche des Verletzten gedeckt sind (Berufungsurteil S. 9). Trotzdem sieht der Senat davon ab, über die Höhe dieses (nicht an Haftungshöchstbeträge gebundenen) Anspruchs selbst zu entscheiden. Bei der zur vergleichsweisen Erledigung der Sache durchgeführten Erörterung der Sach- und Rechtslage im Revisionsverfahren haben sich Unstimmigkeiten über die Höhe der von der Beklagten bisher erstatteten Beträge ergeben (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 20. Juni 1978).
Da den Parteien Gelegenheit gegeben werden muß, sich auch in diesem Punkt auf die geänderte Rechtslage einzustellen, erscheint es angemessen, die Feststellung der Anspruchshöhe dem Berufungsgericht zu übertragen.
2.
Den Anspruch der Klägerin, ihr für die Zukunft eine Kapitalabfindung (von 50.000,00 DM) zuzubilligen, hat das Berufungsgericht mit der Begründung verneint, daß hierfür ein "wichtiger Grund" im Sinne von § 13 Abs. 2 StVG, § 843 Abs. 3 BGB nicht bestehe.
Die Revision hat dies zunächst mit der Rüge angegriffen, ein "wichtiger Grund" liege darin, daß sich die Leistungen der Klägerin an den Verletzten ständig erhöhten, andererseits für sie aber noch der alte Höchstbetrag des § 12 StVG a.F. Anwendung finde. Diese Gründe entfallen, weil die Klägerin, wie ausgeführt, nicht auf die Haftungshöchstbeträge des § 12 StVG a.F. beschränkt ist. In der Revisionsverhandlung hat die Klägerin erklärt, daß sie keinen Anspruch auf Kapitalabfindung für die Zukunft mehr erhebe, sondern den Antrag mit aufgelaufenen Rückständen begründe. Unter diesen Umständen ist auch die Entscheidung über diesen Teil der Klageforderung in die Aufhebung einzubeziehen.
II.
Die Anschlußrevision der Beklagten
1.
Die Beklagte rügt zutreffend, daß ein absoluter Revisionsgrund im Sinne von § 551 Nr. 7 ZPO vorliege, weil das Berufungsurteil zur Frage der Verjährung nicht mit Gründen versehen ist. Ein absoluter Revisionsgrund dieser Art besteht auch, wenn in den Entscheidungsgründen - wie hier - auf eine Einrede als selbständiges Verteidigungsmittel überhaupt nicht eingegangen ist (BGHZ 39, 333, 337; Stein/Jonas/Grunsky ZPO 20. Aufl. § 551 Rdn. 25). Dies nötigt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Da insoweit die Aufhebung des Berufungsurteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Entscheidung reif ist (vgl. dazu die Ausführungen oben S. 6 f), hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), hier also auszusprechen, daß der Klageanspruch nicht verjährt ist.
Damit erweist sich die Anschlußrevision im Ergebnis als unbegründet.
III.
Auf die Revision der Klägerin ist daher das Berufungsurteil im Kostenpunkt und insoweit aufzuheben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist. In diesem Umfang ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Anschlußrevision der Beklagten ist zurückzuweisen.
Fundstellen