Leitsatz (amtlich)
Einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft sind nicht befugt, gegen – nach ihrer Darlegung rechtswidrige – Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstandes im Wege der Klage vorzugehen. Ein solches Recht kann als Eigenrecht weder aus dem Aktiengesetz (§ 90 Abs 3 S 2, Abs 5 und § 245 Nr 5) noch dem Mitbestimmungsgesetz (§ 25) hergeleitet werden. Ob es als Recht des Aufsichtsrates mit Hilfe der „actio pro socio” verfolgt werden kann, bleibt offen. Auf keinen Fall kann eine Klage aus fremdem Recht dann als gerechtfertigt angesehen werden, wenn sie dazu dient, die zwischen Mehrheit und Minderheit im Aufsichtsrat auftretenden Konflikte über den Umweg einer gerichtlichen Inanspruchnahme des Vorstandes auszutragen.
Orientierungssatz
Eingehende Darlegung der im Schrifttum vertretenen divergierenden Meinungen zum Organstreit.
Tatbestand
Die Kläger waren im Zeitpunkt der Klageerhebung Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Beklagten zu 1, deren Vorstand der Beklagte zu 2 ist. Die Beklagte zu 1, die Personenkraftfahrzeuge herstellt, beschäftigt rd. 60.000 Arbeitnehmer. Ihre Aktien befinden sich zu 100% im Eigentum der G. M. Corporation mit Sitz in De./USA (nachfolgend: GMC). Zwischen beiden Gesellschaften ist zwar kein Beherrschungsvertrag abgeschlossen worden. Unstreitig übt GMC jedoch die faktische Konzernherrschaft über die Beklagte zu 1 aus.
Im Jahre 1984 erwarb GMC die E. D. S. Corporation mit Sitz in Da./USA (nachfolgend: EDS), die darauf spezialisiert ist, Dienstleistungen auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) zu erbringen. Durch den Erwerb von EDS möchte sich GMC Zugang zu den neuesten Computertechnologien verschaffen und mit deren Hilfe die Datenerfassung und -verarbeitung in ihrem weltweiten Konzern vereinheitlichen. Nach der unternehmerischen Zielsetzung von GMC soll es nach Durchführung dieses Plans im Konzern zu Einsparungen von jährlich 100 bis 200 Mio. US-Dollar kommen. Damit die Beklagte zu 1 in dieses Vorhaben einbezogen werden kann, hat EDS die EDS Deutschland GmbH (nachfolgend: EDS GmbH) mit Sitz in R. gegründet.
Nach Überprüfung der beabsichtigten Maßnahme, über deren Ergebnis die Kläger unterrichtet wurden, beschloß der Beklagte zu 2, die gesamte Datenerfassung und -verarbeitung der Beklagten zu 1 auf die EDS GmbH zu übertragen. Dies wurde dem Aufsichtsrat der Beklagten zu 1 in der Aufsichtsratssitzung vom 6. März 1985 mitgeteilt. Nach ausführlicher Erörterung brachte der Kläger zu 8 einen Antrag ein, der im wesentlichen die Mißbilligung des Vorhabens zum Gegenstand hatte. Dieser Antrag ist gegen die Stimmen der Kläger mehrheitlich mit den Stimmen der Vertreter der Anteilseigner abgelehnt worden.
Am 26. Juli 1985 hat die Beklagte zu 1 mit der EDS GmbH einen Rahmen-Dienstleistungsvertrag abgeschlossen. Nach diesem Vertrag übernimmt die EDS GmbH ab 1. Mai 1985 alle auf dem Gebiet der kommerziellen und technischen Datenverarbeitung anfallenden Aufgaben der Beklagten zu 1. Das Vertragsverhältnis ist für unbestimmte Zeit geschlossen, kann aber innerhalb einer Frist von 12 Monaten zum Ende eines jeden Geschäftsjahres gekündigt werden. Im Falle der Kündigung ist die EDS GmbH verpflichtet, die Beklagte zu 1 in die Lage zu versetzen, sämtliche EDV-Funktionen selbst auszuüben oder durch einen Dritten ausüben zu lassen. Von der Ausgliederung der Datenerfassung und -verarbeitung sind insgesamt 590 Mitarbeiter der Beklagten zu 1 betroffen. Die EDS GmbH hat 539 von ihnen ein Angebot auf Abschluß von Arbeitsverträgen unterbreitet.
Die Kläger haben die vorliegende Klage im eigenen Namen erhoben. Sie sind der Ansicht, der Beklagte zu 2 sei aufgrund der genannten Ausgliederung außerstande, die Beklagte zu 1 gemäß § 76 Abs. 1 AktG eigenverantwortlich zu leiten, weil er in den für die Geschäftsleitung bedeutsamen Bereichen der Planung, Organisation, Produktion und Finanzierung vollkommen entmachtet werde. Die Folge sei, daß der Beklagte zu 2 die ihm gegenüber dem Aufsichtsrat obliegende Informations- und Berichterstattungspflicht i.S. des § 90 AktG nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen könne, wodurch dieser in der Ausübung seiner Überwachungspflicht nach § 111 Abs. 1 AktG erheblich beeinträchtigt werde.
Die Kläger haben in beiden Vorinstanzen beantragt,
- die Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen, ihre elektronische Datenerfassung und – verarbeitung – Hardware und Software, alle Funktionen und anfallenden Aufgaben auf dem Gebiet der kommerziellen und technischen Datenerfassung und – verarbeitung sowie der Nachrichtentechnik, insbesondere die MIS-Datenverarbeitung und die Systemplanungs-Gruppen in allen Vorstandsbereichen – aus dem Unternehmen der Beklagten zu 1 auszugliedern und auf einen Dritten, insbesondere auf die EDS GmbH zu übertragen,
die Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verurteilen:
- alle auf die Ausgliederung und Übertragung im Sinne des Antrags zu 1) gerichteten Vorbereitungshandlungen unverzüglich einzustellen;
- jede Weitergabe von auf Mitarbeiter der Beklagten zu 1 bezogenen Personaldaten an die EDS GmbH oder von ihr beauftragte Stellen zu unterlassen;
- alle im Hinblick auf die Ausgliederung und Übertragung der Datenverarbeitung im Sinne des Antrags zu 1) getroffenen Maßnahmen zu beseitigen, soweit diese Maßnahmen oder ihre Folgen dem Antrag zu 1) zuwiderlaufen,
hilfsweise
- festzustellen, daß die Ausgliederung und Übertragung der Datenverarbeitung im Sinne des Hauptantrages zu 1) unzulässig sind;
- festzustellen, daß die Weitergabe von auf Mitarbeiter der Beklagten zu 1 bezogenen Personaldaten an eine andere Stelle im Ausland, insbesondere an die EDS oder an ein im Ausland befindliches Tochterunternehmen dieser Gesellschaft unzulässig ist;
- festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, dafür Sorge zu tragen, daß die Personaldaten der bei der Beklagten zu 1 beschäftigten Mitarbeiter nicht mit Personaldaten von Arbeitnehmern der GMC oder ihrer Tochtergesellschaft verknüpft, abgeglichen oder in sonstiger Weise miteinander in Beziehung gesetzt werden;
äußerst hilfsweise,
die Beklagten zu verurteilen, bei einer Datenverarbeitung durch die EDS GmbH oder einen anderen Dritten im Auftrag das Auftragsverhältnis so auszugestalten, daß
- der Aufsichtsrat der Beklagten zu 1 seine aktienrechtlichen Informations- und Kontrollbefugnisse,
- die Betriebsräte der Beklagten zu 1 ihre betriebsverfassungsrechtlichen Informations- und Überwachungsrechte, insbesondere nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz und
- die bei der Beklagten zu 1 beschäftigten Mitarbeiter ihre individuellen Rechte, insbesondere nach § 83 Betriebsverfassungsgesetz und § 26 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz,
jederzeit uneingeschränkt wahrnehmen können.
Die Beklagten halten die Klage für unzulässig, weil das Gesetz den Klägern nicht das Recht einräume, gegen die Geschäftsführungsmaßnahme des Beklagten zu 2 vorzugehen, und diesem überdies die Rechtsfähigkeit und damit die erforderliche Parteifähigkeit i.S. des § 50 ZPO fehle. Jedenfalls sei die Klage unbegründet, weil die angegriffene Geschäftsführungsmaßnahme nicht gegen geltendes Recht verstoße.
Das Landgericht hat die Hauptanträge sowie den äußerst hilfsweise gestellten Antrag mangels Begründetheit, den Hilfsantrag wegen fehlender Zulässigkeit abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die gesamte Klage für unzulässig erachtet (die Entscheidung des Landgerichts ist in ZIP 1986, 1389, die des Oberlandesgerichts in WM 1988, 330 veröffentlicht).
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgen die Kläger zu 1, 5, 7, 8 und 9 ihr Klageziel weiter. Die übrigen Kläger haben den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und dies damit begründet, daß sie inzwischen aus dem Aufsichtsrat der Beklagten zu 1 ausgeschieden seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, den Klägern stehe für das von ihnen verfolgte Klagebegehren keine Prozeßführungsbefugnis zu. Zur Begründung führt es aus, das Aktiengesetz räume dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied in verschiedenen Vorschriften (§§ 90 Abs. 3 Satz 2, 90 Abs. 5 Satz 1 und 2, 107 Abs. 2 Satz 4, 109 Abs. 1 und 2, 110 Abs. 1 und 2, 118 Abs. 2 und 125 Abs. 3 AktG) nur bestimmte formelle Rechte auf Erteilung von Informationen, Teilnahme an Versammlungen oder deren Einberufung ein. Zwar seien die in diesen Bestimmungen enthaltenen Regelungen nicht abschließend. Es überschreite aber den Rahmen zulässiger Gesetzesauslegung, einzelnen oder einer Gruppe von Aufsichtsratsmitgliedern die Befugnis zuzuerkennen, die Geschäftsführung des Vorstandes anstelle des zur Kontrolle berufenen Organs Aufsichtsrat zu überwachen und gegebenenfalls in rechtlich erheblicher Weise zu beeinflussen. Der Umstand, daß sich das einzelne Aufsichtsratsmitglied bei einer Verletzung der ihm obliegenden Pflichten gemäß §§ 116, 93 AktG gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen könne, rechtfertige keine andere Beurteilung, weil ein überstimmtes Aufsichtsratsmitglied nur dann wegen schuldhafter Verletzung seiner Pflichten auf Schadensersatz hafte, wenn es die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats in vorwerfbarer Weise nicht auf seine berechtigten Bedenken hingewiesen habe. Daran fehle es im gegebenen Fall, da die Kläger ihre Einwendungen gegen die umstrittene Geschäftsführungsmaßnahme des Beklagten zu 2 in mehreren Aufsichtsratssitzungen geltend gemacht hätten. Ein Klagerecht ergebe sich auch nicht aus dem Mitbestimmungsgesetz vom 4. Mai 1976, weil es den Klägern als Arbeitnehmervertretern keine weiteren Rechte als das Aktiengesetz einräume. Die Begründung einer Klagebefugnis mit Hilfe der actio pro socio komme schon deshalb nicht in Betracht, weil sich die Kläger auf diese Klageart ausdrücklich nicht berufen hätten. Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Aus den Bestimmungen des Aktiengesetzes kann kein Recht eines Aufsichtsratsmitglieds oder einer Gruppe von Aufsichtsratsmitgliedern hergeleitet werden, gegen eine Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes mit der Begründung gerichtlich vorzugehen, diese verstoße gegen geltendes Recht und müsse deshalb unterbleiben oder – soweit dies rechtlich möglich ist – wieder rückgängig gemacht werden.
a) Mit der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Aufsichtsrat gegen Handlungen des Vorstandes im Klagewege vorgehen kann, war der erkennende Senat bislang noch nicht befaßt. Im Schrifttum werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten:
aa) Aus der Sicht einiger Autoren ist eine prozessuale Auseinandersetzung der Organe über Rechte und Pflichten schon im Grundsatz nicht anzuerkennen, weil nur die Organmitglieder und die juristische Person fähig seien, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, während die Organe als solche für die juristische Person handelten und für sie Rechte und Pflichten begründeten (vgl. Flume, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts I/2 1983 § 11 S. 405; Harry Westermann, FS Bötticher, 1969 S. 369ff). Der Vorschrift des § 90 AktG, nach der der Vorstand dem Aufsichtsrat zu berichten hat, sei nichts anderes zu entnehmen. Zwar lasse ihr Wortlaut die Deutung zu, daß es sich hierbei um ein Recht des Aufsichtsrats handele. Richtig sei auch, daß die Aufsichtsratsmitglieder mit dem Einfordern des Berichts ihre persönliche Pflicht zwecks Vermeidung einer Schadensersatzhaftung erfüllten. Eine am Normzweck ausgerichtete Auslegung ergebe jedoch, daß die Bestimmung in erster Linie dem Interesse der Aktiengesellschaft an einer ordnungsgemäßen Überwachung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat diene. Da hinter diesem Interesse das Interesse des Aufsichtsrats an einer umfassenden Berichterstattung zurücktrete, sei die Aktiengesellschaft Träger des Rechts i.S. des § 90 AktG und daher allein aktivlegitimiert, dieses Recht, vertreten durch den Aufsichtsrat, im Klagewege gegen den Vorstand durchzusetzen (Harry Westermann aaO S. 378; vgl. auch Flume aaO S. 405f).
bb) Hingegen sieht die in der neueren gesellschaftsrechtlichen Literatur vorherrschende Ansicht in der Vorschrift des § 90 AktG einen Beweis dafür, daß das Gesetz dem Aufsichtsrat selbst gegenüber dem Vorstand einklagbare Rechte einräumt. Denn wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Bestimmung ergebe, stehe das Recht auf Information und Berichterstattung dem Aufsichtsrat selbst zu (dazu eingehend Hommelhoff, ZHR 143 (1979) S. 288, 291f). Da sich der Anspruch gegen den Vorstand persönlich richte, müsse dieser auch insoweit als parteifähig i.S. des § 50 ZPO angesehen werden (dazu und zu den von der Lehre vom Organstreit weiter behandelten prozessualen Fragen vgl. Bork, ZGR 1989, 1, 22ff). Umstritten ist allerdings, für welche weiteren Fälle dem Aktienrecht eine Klagebefugnis des Aufsichtsrats entnommen werden kann.
Nach Lewerenz (Leistungsklagen zwischen Organen und Organmitgliedern der Aktiengesellschaft, 1977) ist nach der Gesetzeslage bei Verstößen des Vorstandes gegen besondere Verbotsnormen – wie etwa gegen das Wettbewerbsverbot oder die Verschwiegenheitspflicht – eine Klagebefugnis des Aufsichtsrates anzuerkennen. Soweit es um Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstandes geht, wird ein Unterlassungsanspruch des Aufsichtsrats allerdings nur in Betracht gezogen, wenn die Hauptversammlung unter der Voraussetzung des § 119 Abs. 2 AktG oder der Aufsichtsrat im Fall des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG der betreffenden Handlung nicht zugestimmt hat (vgl. Lewerenz aaO S. 117 ff). In dieselbe Richtung weisen die Beiträge von Karsten Schmidt (ZZP 92 (1979) S. 212ff), Teichmann (FS Mühl, 1981 S. 663ff) und Bauer (Organklagen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, 1986), die im Grundsatz darin übereinstimmen, daß der Organstreit nicht als Mittel zu einer allgemeinen Verhaltenskontrolle des Vorstandes dienen dürfe. Damit vergleichbar sind für Bork (aaO) Organklagen nur zum Zweck der Durchsetzung sekundärer Hilfsrechte und des kompetenzbezogenen Störungsverbots zulässig. Ebenso beschränkt Häsemeyer (ZHR 144 (1980) S. 265ff) den Anwendungsbereich der Organklage auf die Fälle, in denen ein gerichtliches Einschreiten zum Schutz des eigenen Kompetenzbereichs notwendig erscheint. Auch Hommelhoff (aaO S. 307ff) geht es unter Berufung auf Lewerenz um den Schutz der den einzelnen Gesellschaftsorganen zugewiesenen Kompetenzen.
Abweichend von diesen Ansichten hält hingegen Raiser (ZGR 1989, 43, 62ff) ein Klagerecht des Aufsichtsrats auch bei rechtswidrigen Handlungen des Vorstandes für gegeben. Zwar lasse das in § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG normierte Verbot, Maßnahmen der Geschäftsführung auf den Aufsichtsrat zu übertragen, Eingriffe in die Geschäftsführung nicht zu. Davon müsse aber der Fall rechtswidrigen Handelns des Vorstandes unterschieden werden; denn billige der Aufsichtsrat ein derartiges Verhalten, so sei der Beschluß gleichfalls rechtswidrig, da der Aufsichtsrat nicht weniger als der Vorstand an das geltende Recht gebunden sei.
cc) Nach der zuletzt genannten Ansicht hätte der Aufsichtsrat vor dem Hintergrund des Vorbringens der Kläger gegen die umstrittene Geschäftsführungsmaßnahme des Beklagten zu 2 einschreiten müssen, da bei gegen die Vorschrift des § 76 Abs. 1 AktG verstoßenden Maßnahmen des Vorstandes für den Aufsichtsrat kein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Entscheidung über die Erhebung einer Unterlassungsklage bestehe (so für den vorliegenden Fall Raiser aaO S. 64f). Dasselbe Ergebnis könnte sich aber auch auf der Grundlage der oben angeführten Ansicht ergeben, nach der ein Klagerecht des Aufsichtsrats grundsätzlich nur bei in seinen Kompetenzbereich eingreifenden Maßnahmen des Vorstandes in Betracht zu ziehen ist. Denn der Vorwurf der Kläger erschöpft sich nicht darin, daß die Maßnahme des Beklagten zu 2 wegen Verstoßes gegen die Norm des § 76 Abs. 1 AktG rechtswidrig sei. Vielmehr stützen die Kläger ihr Klagebegehren – wie bereits erwähnt – auch darauf, daß der Aufsichtsrat durch die Maßnahme bei der Wahrnehmung der ihm obliegenden Überwachungsaufgabe i.S. des § 111 Abs. 1 AktG beeinträchtigt werde, weil der Beklagte zu 2 in Zukunft außerstande sei, die für eine ordnungsmäßige Überwachung erforderlichen Informationen nach § 90 AktG zu erteilen. Es könnte daher eine Konstellation gegeben sein, bei der ein Klagerecht des Aufsichtsrats auch von den übrigen Vertretern der Lehre vom Organstreit durchweg anerkannt wird.
Diese Frage bedarf aber keiner abschließenden Erörterung. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob der Lehre vom Organstreit, in welcher Form auch immer, gefolgt werden könnte. Denn den Klägern steht als einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern auf keinen Fall ein Klagerecht zu. Die Kläger können ihr Klagebegehren auch nicht, wie noch im einzelnen darzulegen sein wird, aus einem etwaigen Recht des Aufsichtsrats mit Hilfe der actio pro socio durchsetzen.
b) Zwar regelt das Aktiengesetz nicht nur Rechte und Pflichten des Gesamtaufsichtsrats, sondern räumt in den vom Berufungsgericht aufgeführten Vorschriften auch dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied eigene mit einer Klage durchsetzbare Rechte ein (vgl. dazu auch Säcker, NJW 1979, 1521ff m.w.N.). Richtig ist auch, daß das Recht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds auf Berichterstattung durch den Vorstand (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AktG) und auf Kenntnisnahme der von ihm erstatteten Berichte (§ 90 Abs. 5 AktG) als Eigenrecht des Mitglieds ausgestaltet ist (allg. Ansicht, vgl. u.a. Hefermehl in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG 1973/1974 § 90 Rdnr. 21 und 26; Harry Westermann aaO S. 379; Flume aaO S. 406). Damit wird das einzelne Aufsichtsratsmitglied in die Lage versetzt, die seiner Ansicht nach für die Erfüllung der ihm obliegenden Überwachungspflicht i.S. des § 111 Abs. 1 AktG erforderlichen Informationen zu erlangen. Aus der Tatsache, daß das Gesetz neben dem Aufsichtsrat auch dem einzelnen Mitglied ein Recht auf Berichterstattung gegen den Vorstand einräumt, kann eine Klagebefugnis der Kläger aber nicht hergeleitet werden. Zwar könnte erwogen werden, ein Klagerecht damit zu begründen, daß die Maßnahme des Beklagten zu 2 zu einer Aushöhlung der den Klägern selbst zustehenden Informationsrechte führe und damit eine in ihren Kompetenzbereich eingreifende Maßnahme darstelle. Die Ansicht, nach welcher der Aufsichtsrat berechtigt ist, Eingriffe des Vorstandes in seinen Kompetenzbereich im Wege der Klage abzuwehren, kann hier aber nicht zum Tragen kommen. Der Grund hierfür liegt darin, daß das Überwachungsrecht i.S. des § 111 Abs. 1 AktG, um dessen Schutz es bei Eingriffen in die Informationsrechte nach § 90 AktG geht, dem Aufsichtsrat als Kollegialorgan zusteht. Da der Gesamtaufsichtsrat mithin Träger des Überwachungsrechts ist, kann auch nur er sich auf ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen des Vorstandes berufen, die geeignet erscheinen, seine insoweit gesetzlich geschützte Kompetenz zu beschneiden (vgl. auch § 111 Abs. 2 AktG). Eine gegenteilige Betrachtungsweise ergibt sich – anders, als die Revision meint – auch nicht daraus, daß jedem einzelnen Mitglied des Aufsichtsrats gemäß § 116 AktG eine eigenverantwortliche Amtsausübung obliegt (vgl. dazu BGHZ 85, 293, 295). Ein Anspruch der Kläger gegen den Beklagten zu 2, eine rechtswidrige Maßnahme zu unterlassen, kann hieraus nicht hergeleitet werden. Denn die Überwachung des Vorstandes und die Geltendmachung gegen ihn gerichteter Ansprüche ist nach § 112 AktG Sache des Gesamtaufsichtsrats (vgl. auch Raiser aaO S. 68).
Entgegen der Ansicht der Revision bietet auch die Bestimmung des § 245 Nr. 5 AktG keinen Anhaltspunkt, der für ein Klagerecht der einzelnen Kläger sprechen könnte. Nach dieser Vorschrift kann ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied Hauptversammlungsbeschlüsse anfechten, sofern die materiellen Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt sind, ein Mitglied des Vorstandes oder Aufsichtsrats durch die Ausführung des Beschlusses eine strafbare Handlung oder eine Ordnungswidrigkeit begehen und es sich aufgrund dessen schadensersatzpflichtig machen würde. Zwar mag es auf den ersten Blick naheliegen, in Anlehnung an diese Norm allgemein die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds gegen rechtswidrige Maßnahmen des Vorstandes zu begründen. Die Erwägung, daß ein Aufsichtsratsmitglied, das Beschlüsse der Hauptversammlung anfechten kann, deren Kontrolle ihm nach § 111 Abs. 1 AktG nicht obliegt, erst recht imstande sein müsse, gegen rechtswidrige Maßnahmen des Vorstandes vorzugehen, deren Überwachung nach dem Gesetz dem Aufsichtsrat zugewiesen ist, erweist sich aber als nicht stichhaltig. Dadurch, daß die Bestimmung des § 245 Nr. 5 AktG für die Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses Ausführungshandlungen des Vorstandes oder des Aufsichtsrats verlangt, durch die sich ihre Mitglieder strafbar oder schadensersatzpflichtig machen, trägt sie dem Umstand Rechnung, daß die betroffenen Mitglieder in eine unzumutbare Zwangslage gedrängt würden, wenn sie ohne ein Mittel der Gegenwehr an den Hauptversammlungsbeschluß gebunden wären. In eine entsprechende Zwangssituation können die Mitglieder des Aufsichtsrats bei gesetzwidrigen Handlungen des Vorstandes aber nicht kommen, weil der Aufsichtsrat die Beschlüsse des Vorstandes nicht ausführt (so auch Raiser aaO S. 53f).
Der Ansicht der Revision, eine Klagebefugnis der Kläger sei im Wege der Rechtsfortbildung aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 25. Februar 1982 (BGHZ 83, 122ff) herzuleiten, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Nach diesem Urteil ist der einzelne Aktionär in der Lage, mit Hilfe der Abwehrklage gegen eine Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes vorzugehen, durch die in schwerwiegender Weise in die Rechte und Interessen der Aktionäre eingegriffen wird. Zwar sieht das Gesetz ein derartiges Klagerecht nicht ausdrücklich vor. Es ist jedoch in derartigen Fällen daraus herzuleiten, daß der Vorstand bei Durchführung solcher Geschäfte die Hauptversammlung in unzulässiger Weise ausschaltet und auf diese Weise in die Mitgliedsstellung der betroffenen Aktionäre eingreift. Dem steht der vorliegende Fall schon deshalb nicht gleich, weil die Maßnahme des Beklagten zu 2 die Rechtsstellung der Kläger als Aufsichtsratsmitglieder nicht beeinträchtigt. Daran ändert auch der Hinweis der Revision nichts, daß die Hauptversammlung im vorliegenden Fall als „Kontrollorgan” ausscheide, weil die Beklagte zu 1 eine 100%ige Tochter von GMC sei und die Geschäftsführungsmaßnahme auf deren Weisung durchgeführt habe. Denn auch in einem solchen Fall kann dem Aufsichtsrat nicht die Aufgabe zukommen, die der Hauptversammlung zustehenden Rechte wahrzunehmen. Das Gesetz sieht auch für den faktischen Konzern eine derartige Kompetenzverlagerung nicht vor, sondern beschränkt sich in den §§ 311ff AktG auf die Normierung bestimmter Schutzvorschriften.
2. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere aus dem Mitbestimmungsgesetz vom 6. Mai 1976.
In diesem Gesetz findet sich keine Rechtsgrundlage, die das Klagebegehren der Kläger stützen könnte. Es verweist in der einschlägigen Generalklausel des § 25 MitbestG lediglich auf das Aktiengesetz. Das von jedem Kläger für sich persönlich in Anspruch genommene Klagerecht könnte daher allein aus einer kraft Richterrechts vorzunehmenden Erweiterung des Mitbestimmungsgesetzes hergeleitet werden. Angesichts der eindeutigen Gesetzeslage besteht hierfür aber kein Raum (vgl. dazu auch Raiser aaO S. 52). Das Mitbestimmungsgesetz hat – wie schon wiederholt vom Senat (vgl. BGHZ 64, 325, 330f; BGHZ 83, 144, 147) und auch vom Berufungsgericht zum Ausdruck gebracht – kein „Bänkeprinzip”, sondern vielmehr einen homogen zusammengesetzten Aufsichtsrat geschaffen, der aus gleichberechtigten und gleichverpflichteten Mitgliedern besteht. Der Widerstreit der Interessen zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern kann daher nur durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der auf das Unternehmensinteresse verpflichteten Aufsichtsratsmitglieder gelöst werden. Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß ein Klagerecht der im Aufsichtsrat tätigen Arbeitnehmervertreter nicht aus den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes und des Datenschutzgesetzes hergeleitet werden kann. Einen hiervon abweichenden Standpunkt vertritt selbst die Revision nicht.
3. Der Angriff der Revision wird ferner von der Erwägung getragen, das Berufungsgericht hätte der Klage unter dem Gesichtspunkt der actio pro socio stattgeben müssen. Auch dem kann nicht gefolgt werden.
Allerdings durfte das Berufungsgericht eine Anwendung der actio pro socio nicht mit dem Hinweis darauf ablehnen, die Kläger hätten diese Klageform nicht für sich in Anspruch genommen. Zwar haben sie bereits in ihrer Klageschrift darauf verwiesen, ihr Klagebegehren sei inzwischen allgemein anerkannt, so daß sich das Gericht nicht mit der umstrittenen Frage auseinandersetzen müsse, ob ihnen als Arbeitnehmervertretern auch das Recht zustehe, „im Namen des Aufsichtsrats der … AG, d.h. im Wege der ‚actio pro societate’” zu klagen. Hieraus durfte das Berufungsgericht – wie die Revision zu Recht geltend macht – aber nicht den Schluß ziehen, daß die Klage in gar keinem Fall auf die im Bereich des Organstreits erörterte actio pro socio (bzw. „pro societate”) gestützt werden soll. Vielmehr ist der prozessualen Erklärung der Kläger im Wege der vom Revisionsgericht selbständig vorzunehmenden Auslegung (vgl. BGHZ 4, 328, 334f; vgl. auch Sen.Urt. v. 12. Oktober 1987 – II ZR 21/87, WM 1988, 635, 638 m.w.Nachw.) bei verständiger Würdigung zu entnehmen, daß der Frage der actio pro socio nur dann keine Beachtung geschenkt werden sollte, wenn sich die Klage schon nach dem übrigen Vorbringen der Kläger als zulässig und begründet erweist.
In der Sache selbst hat der Angriff der Revision aber keinen Erfolg.
Zwar hat sich unter den Verfechtern der Lehre vom Organstreit weitgehend die Ansicht durchgesetzt, das einzelne Aufsichtsratsmitglied sei grundsätzlich berechtigt, Rechte des Gesamtaufsichtsrats mit Hilfe der Regeln der actio pro socio gegenüber dem Vorstand geltend zu machen (vgl. Hommelhoff/Timm, AG 1976, 330, 333; ebenso Hommelhoff, ZHR aaO S. 314f; vgl. ferner Lutter, AcP 180 (1980) S. 84, 143f; Karsten Schmidt aaO S. 230; Bork aaO S. 39ff; Raiser aaO S. 68f; a.A. Lewerenz aaO S. 131; Krieger, EWiR § 111 AktG 1/1988, 211; zurückhaltend auch Kort, AG 1987, 193, 198). Die Rechtsfigur der actio pro socio darf jedoch, worauf Hommelhoff (aaO S. 314) zutreffend hinweist, nicht dazu dienen, Konflikte, die zwischen Mehrheit und Minderheit im Aufsichtsrat auftreten, über den Umweg einer gerichtlichen Inanspruchnahme des Vorstandes auszutragen. Im gegebenen Fall kann nichts anderes gelten, da der Aufsichtsrat die Angelegenheit beraten und durch Mehrheitsbeschluß vom 6. März 1985 eine Mißbilligung der umstrittenen Geschäftsführungsmaßnahme des Beklagten zu 2 abgelehnt hat. Wenn unter diesen Umständen für eine actio pro socio überhaupt ein Bedürfnis anzuerkennen sein sollte, so könnte das allenfalls unter der Voraussetzung geschehen, daß die klagewilligen Aufsichtsratsmitglieder zuvor den Aufsichtsratsbeschluß im Klagewege erfolgreich angegriffen haben (Raiser aaO). Ob hiervon eine Ausnahme gemacht werden könnte, wenn der Aufsichtsratsbeschluß nichtig ist (so Bork aaO S. 42), kann dahingestellt bleiben. Denn nach dem Vorbringen der Kläger ergibt sich eine derartige Nichtigkeit des Beschlusses vom 6. März 1985 im vorliegenden Fall nicht.
Nach alledem können die Kläger weder mit ihrem Hauptantrag noch mit den hilfsweise gestellten Anträgen durchdringen. Dasselbe gilt für die Kläger, die beantragt haben, den Rechtsstreit im Hinblick auf ihr Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat in der Hauptsache für erledigt zu erklären.
Fundstellen
Haufe-Index 649164 |
BGHZ, 54 |
NJW 1989, 979 |
ZIP 1989, 23 |