Tatbestand
Die Klägerin, eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, verlangt aus abgetretenem Recht von den beklagten Rechtsanwälten Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten.
Die l Gesellschaft I M O C die der Klägerin am 22. Mai 1979 ihre gegen die Beklagten bestehenden Ansprüche abgetreten hat (im folgenden Zedentin genannt), wurde im August 1974 zu dem Zweck gegründet, ein Schiff zu bereedern. Sie ist wirtschaftlich der in Genf ansässigen Reederei "I M M" (im folgenden IMM genannt) verbunden und hatte ferner Beziehungen zu der I M M C mit Sitz in M (L). Bereits am 9. Juli 1974 hatte die IMM, handelnd "on account of a L C to be nominated" mit der H Deutsche Werft AG (im folgenden Werft genannt) einen vorläufigen Schiffbauvertrag geschlossen, der durch einen am 23. Juli 1974 zwischen der I M C "or its Nominee" und der Werft geschlossenen Vertrag ersetzt wurde.
In Nr. 18 des Vertrages war folgendes vereinbart:
"Arbitration
(1) Disputes arising on the interpretation and execution of this Contract shall first tried to be settled by negotiations. If such settlement proves te be impossible the disputes shall be referred to three Arbitrators in Hamburg for making an award ...
(2) The arbitration tribunal thus constituted to determine its own procedure, to give parties the opportunity to state their case orally in at least one hearing, to render the award, to state the reasons and to dicide on costs.
(3) The award of the arbitration tribunal to be final and binding on both parties."
Nachdem die Durchführung der vorgesehenen Zwischenfinanzierung durch die Deutsche Schiffsbeleihungs-Bank in H. ins Stocken geraten und die Zedentin schließlich von dem Zwischenfinanzierungs- und Darlehensvertrag zurückgetreten war, verlangte sie von der Werft die Rückzahlung der bereits geleisteten Beträge nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten mit der Begründung, daß der Schiffbauvertrag unter der auflösenden Bedingung des Scheiterns der Finanzierungsdurchführung gestanden habe. Mit Schreiben vom 28. April 1975 bat der Beklagte zu 2) die Werft um Bestätigung und Mitteilung, ob diese in Abänderung der Schiedsgerichtsklausel mit der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte einverstanden sei, die nach seiner Ansicht für die Entscheidung über die im Streit befindliche Rechtsfrage kompetenter als ein Schiedsgericht seien. Die Werft erwiderte mit Schreiben vom 14. Mai 1975:
"In dem Bauvertrag ist seinerzeit eine Schiedsgerichtsklausel vereinbart worden. Wir sehen gar keinen Anlaß dazu, hiervon abzuweichen und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zu vereinbarten."
Unter dem 21. Mai 1975 gab der Beklagte zu 2) gegenüber der Zedentin eine schriftliche gutachtliche Stellungnahme dazu ab, ob das Schiedsgericht oder das ordentliche Gericht für die Streitentscheidung zuständig sei. Ohne die in der Entscheidung BGHZ 53, 315 aufgezeigte Entwicklung der Rechtsprechung mit der Tendenz zu erwähnen, den Kompetenzbereich der Schiedsgerichte in zunehmendem Maße auch auf die Entscheidung über die Wirksamkeit der jeweils vereinbarten Schiedsklausel auszudehnen, riet er dazu, eine Feststellungsklage gegenüber der Werft zu erheben. Am 30. Juni 1975 erstellte der Landgerichtsdirektor a.D. J. L. auf Veranlassung der Zedentin ein Rechtsgutachten unter anderem über die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges. Auch er kam - ebenfalls ohne Berücksichtigung von BGHZ 53, 315 - zu dem Ergebnis, daß die Entscheidung über die Frage der Wirksamkeit des Vertrages dem Schiedsgericht entzogen und dem ordentlichen Gericht vorbehalten sei. Diese Stellungnahme übermittelten die Beklagten der Zedentin.
Daraufhin ließ diese durch die Beklagten bei dem Landgericht Hamburg eine Klage gegen die Werft einreichen, mit der sie die Feststellung begehrte, daß der Schiffbauvertrag vom 23. Juli 1974 unwirksam sei. Das Landgericht wies die Klage als unzulässig ab, weil der Rechtsstreit durch ein Schiedsgericht zu entscheiden sei. Die Berufung der Zedentin hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Rückzahlung der an die Beklagten gezahlten Honorare und Vorschüsse wegen Verletzung ihrer Anwaltspflichten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 760.000 DM nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (Urt. v. 16. Oktober 1984 - VI ZR 304/82, ZIP 1985, 35). Ohne die von beiden Parteien zur Pflichtverletzung und zum Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden angetretenen Beweise zu erheben, hat das Berufungsgericht die Berufung nunmehr zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
1. Die Beklagten haben der Zedentin geraten, die Unwirksamkeit des gesamten Schiffbauvertrages gerichtlich feststellen zu lassen und sich nicht auf eine Leistungsklage gerichtet auf Rückzahlung der Anzahlung zu beschränken. Das Berufungsgericht sieht in diesem Rat keine Pflichtverletzung der Beklagten. Das ist richtig. Allein eine Feststellungsklage - ihre Zulässigkeit vorausgesetzt (vgl. Nr. 2) - konnte den Streit der Vertragsparteien über die Wirksamkeit des Schiffbauvertrages mit der erforderlichen Sicherheit beseitigen. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Beklagten die Zedentin über die Vor- und Nachteile der Feststellungsklage sowie das Kostenrisiko umfassend belehrt. Die Rüge der Revision greift nicht durch, das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, daß die Zedentin infolge ihrer Vermögenslage auch ohne Erhebung der umfassenden Feststellungsklage nicht zu befürchten brauchte, von der Werft auf Erfüllung oder Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Ohne irgendwelche Anhaltspunkte, die das Berufungsgericht nicht festgestellt hat und die von der Klägerin auch nicht behauptet werden, bestand für die Beklagten keine Pflicht, ihre Mandantin um Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse zu ersuchen, um daraus gegebenenfalls Gesichtspunkte für eine begrenzte Zahlungsklage herzuleiten. Allein die Rechtsform der Zedentin zwang die Beklagten dazu nicht.
2. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Beklagte zu 2) seiner Mandantin, der Zedentin des Schadensersatzanspruchs, zwar zu einer Klage vor dem ordentlichen Gericht raten durfte, daß er sie aber über die Risiken hätte aufklären müssen, die sich aufgrund der bestehenden Schiedsgerichtsabrede im Hinblick auf die sich aus BGHZ 53, 315 ergebende Entwicklung der Rechtsprechung für eine solche Klage abzeichneten. Dabei hat sich das Berufungsgericht an den Inhalt des ersten Revisionsurteils gehalten. In diesem Urteil (aaO ZIP 1985, 35, 37) hat der Bundesgerichtshof unter anderem ausgeführt, daß die Beklagten nicht verpflichtet gewesen seien, der Zedentin von der Anrufung des Landgerichts abzuraten. Sie hätten sich Erfolgschancen vor dem Landgericht ausrechnen können, weil die vereinbarte Schiedsklausel nicht allgemein gefaßt war und von den vorgesehenen Schiedsrichtern keiner die Befähigung zum Richteramt haben mußte, so daß die Beklagten eine restriktive Auslegung der Klausel durch das Landgericht für möglich halten konnten.
Dem folgt der Senat nicht.
a) Der in dem schriftlichen Gutachten der Beklagten vom 21. Mai 1975 erteilte Rat war - wie auch der Ausgang des Vorprozesses zeigt - nicht zutreffend. Er war nur dann vertretbar, wenn die Beklagten die Zedentin darauf hingewiesen hätten, daß eine Klage vor den ordentlichen Gerichten im Hinblick auf die Schiedsgerichtsabrede kaum Erfolgsaussichten hatte, und sie der Zedentin die Klage nur für den Fall anheimgestellt hätten, daß diese sich vor dem Schiedsgericht ohnehin keinen sachlichen Erfolg versprach und bereit war, das Kostenrisiko einer möglicherweise unzulässigen Klage vor den ordentlichen Gerichten trotz aller Bedenken auf sich zu nehmen.
b) Soweit diese Überlegung in Widerspruch zu den Entscheidungsgründen des ersten Revisionsurteils steht, wird an ihnen nicht mehr festgehalten. Eine Bindung des Revisionsgerichts nach § 565 Abs. 2 ZPO analog (vgl. dazu Zöller/ Schneider, ZPO 15. Aufl. § 565 Rdnr. 4, 6) ist schon deshalb nicht eingetreten, weil das erste Berufungsurteil nur wegen der Ausführungen des Berufungsgerichts zur Beweislast der Beklagten über die Erfüllung ihrer Anwaltspflichten aufgehoben worden ist. Nur insoweit ist das Revisionsgericht nach § 565 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Ausführungen des ersten Revisionsurteils über den Inhalt der Beratungspflichten der Beklagten im Zusammenhang mit der Schiedsgerichtsklausel waren als nur mittelbare Grundlagen der Aufhebung nicht bindend (vgl. RG HRR 1942, Nr. 498; BGH, Urt. v. 14. März 1951 - II ZR 2/50, LM ZPO § 565 Abs. 2 Nr. 1; BGHZ 3, 321, 325 f; BGH, Urt. v. 18. Januar 1952 - I ZR 105/51, LM BGB § 675 Nr. 3; BGHZ 6, 76, 79; 22, 370, 373 f; BGH, Urt. v. 7. Februar 1969 - V ZR 115/65, LM ZPO § 565 Abs. 2 Nr. 12 = NJW 1969, 661; Urt. v. 3. April 1985 - IVb ZR 18/84, NJW 1985, 2029, 2030).
c) Nach den bisher getroffenen Feststellungen kann eine Pflichtverletzung der Beklagten weder angenommen noch ausgeschlossen werden. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Beklagten die Zedentin in der dargelegten Weise beraten haben oder nicht. Das Berufungsgericht hat die streitige Behauptung, der Beklagte zu 2) habe die Zedentin umfassend mündlich über die Risiken des ordentlichen Rechtsweges belehrt, nicht durch eine Beweisaufnahme geklärt. Die Aufhebung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, dies nachzuholen und die von beiden Parteien zur Pflichtverletzung angebotenen Beweise zu erheben.
II.
Zur Beantwortung der Frage, welchen Schaden eine Verletzung der Belehrungspflicht zur Folge hatte, ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten und wie die Vermögenslage des Mandanten sein würde, wenn der Rechtsanwalt die Pflichtverletzung nicht begangen, sondern pflichtgemäß gehandelt hätte.
1. Dazu führt das Berufungsgericht aus: Die Frage, ob die Zedentin bei vollständiger Aufklärung über das Prozeßrisiko eine Veranlassung gesehen hätte, dem Rat der Beklagten zuwider vor dem Schiedsgericht zu klagen, müsse auch unter Zugrundelegung des klägerischen Sachvortrages verneint werden. Auch wenn die Zedentin auf die in der Rechtsprechung erkennbare Tendenz hingewiesen worden wäre, den Kompetenzbereich der Schiedsgerichte in zunehmendem Maße auch auf die Entscheidung über die Wirksamkeit der jeweils vereinbarten Schiedsklausel auszudehnen, hätte sie sich gute Erfolgschancen vor dem ordentlichen Gericht ausgerechnet, jedenfalls in der Anrufung des Schiedsgerichts keinen Vorteil gesehen, der sie hätte bewegen können, sich dem Rat der Beklagten zu widersetzen. Zum einen hätte ihr angesichts der nachdrücklichen und begründeten Empfehlung der Beklagten das mit der Anrufung des Schiedsgerichts verbundene Risiko der Abweisung der Schiedsklage als unzulässig erheblich größer erscheinen müssen. Zum anderen hätten die Beklagten die sachlichen Erfolgsaussichten eines vor dem Schiedsgericht anhängig zu machenden Verfahrens viel schlechter eingeschätzt als die vor dem ordentlichen Zivilgericht, das durch von kaufmännischen Gesichtspunkten unbeeinflußte Richter entscheide. Schließlich habe die Klägerin in ihrem gesamten Prozeßvortrag deutlich werden lassen, daß die Zedentin, weil sie nicht selbst rechtskundig sei, immer der Empfehlung der Beklagten gefolgt sei. Es sei sonach kaum vorstellbar - jedenfalls habe die Klägerin dafür keine einleuchtenden Gründe genannt -, daß die Zedentin sich bei vollständiger Aufklärung über das Prozeßrisiko ausnahmsweise dem Rat der Beklagten widersetzt hätte.
2. Mit dieser Begründung läßt sich ein Schaden der Zedentin nicht verneinen.
a) Der Bundesgerichtshof hat in verschiedenen Zusammenhängen den Grundsatz entwickelt, daß bei Verletzung einer Aufklärungs-, Warnungs- oder Beratungspflicht der Verletzer die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, daß sich der Verletzte bei pflichtgemäßer Belehrung nicht anders verhalten hätte, als er sich ohne die Belehrung tatsächlich verhalten hat (BGHZ 61, 118, 122; 64, 46, 51; 72, 92, 106; 89, 95, 103; BGH, Urt. v. 6. April 1981 - II ZR 84/80, WM 1981, 552, 553). Dieser Grundsatz gilt auch für die Verletzung anwaltlicher Aufklärungspflichten. Davon geht auch das Berufungsgericht aus.
b) Um einer mißbräuchlichen Ausnutzung dieses Grundsatzes bei Verletzungen der weit ausgedehnten ärztlichen Aufklärungspflicht vorzubeugen, hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Anwendbarkeit des Grundsatzes im Arzthaftungsprozeß mittelbar dadurch eingeschränkt, daß er dem wegen Verletzung der Aufklärungspflicht Schadensersatz fordernden Patienten unter bestimmten Voraussetzungen eine gesteigerte Substantiierungspflicht für seine Behauptung auferlegt, er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung anders entschieden. Diese gesteigerte Substantiierungspflicht hat der VI. Zivilsenat dann angenommen, wenn die Gründe des Patienten für eine Ablehnung der vom Arzt empfohlenen Behandlung angesichts der Schwere der Erkrankung und der angewendeten, als Methode der Wahl anerkannten Therapie mit einer günstigen Erfolgsprognose und im Regelfall verhältnismäßig geringen Belastungen für den Patienten nicht ohne weiteres zutage liegen. In solchen Fällen sei es geboten, daß der Patient plausibel darlege, weshalb er bei Kenntnis der aufklärungsbedürftigen Umstände die Behandlung gleichwohl abgelehnt haben würde. Zwar seien seine persönlichen Gründe für eine solche Ablehnung zu respektieren; sie müßten aber erkennen lassen, daß der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung aus seiner Sicht vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, aus dem heraus die behauptete Ablehnung der Behandlung im damaligen Zeitpunkt verständlich werde, und er nicht das Aufklärungsversäumnis nachträglich ausschließlich zur Begründung seiner Schadensersatzklage benutze (BGH, Urt. v. 7. Februar 1984 - VI ZR 174/82, NJW 1984, 1397, 1399 m. Anm. Deutsch; vgl. auch BGHZ 89, 97, 103 a.E.).
Diese Überlegungen überträgt das Berufungsgericht auf die Verletzung der anwaltlichen Aufklärungspflicht. Ob dies allgemein möglich ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls der vorliegende Fall ist nicht mit den Sachverhalten vergleichbar, für die der VI. Zivilsenat seine Rechtsprechung entwickelt hat. Hier endete der von den Beklagten geschuldete Rat gerade nicht mit der Empfehlung, einen erfolgversprechenden und mit geringen Risiken verbundenen Weg einzuschlagen. Wenn man nur die Rechtswegfrage betrachtete, war es erheblich sicherer, eine Klage zum Schiedsgericht zu empfehlen, zumal die Werft bereits in der Vorkorrespondenz erklärt hatte, daß sie auf die vereinbarte Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht verzichten wolle. Es war daher zu erwarten, daß sie die Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht gerügt hätte. Unter diesen Umständen ergibt sich aus dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt ein plausibler Grund für die Behauptung der Klägerin, die Zedentin hätte bei ordnungsgemäßer Belehrung durch den Beklagten zu 2) nicht die Klage vor dem ordentlichen Gericht gewählt, sondern sich für die Schiedsgerichtsklage entschieden. Ihrer Substantiierungslast hat die Klägerin mithin genügt.
Es spricht sogar eine tatsächliche Vermutung dafür, daß sich die Zedentin bei richtiger Beratung den Argumenten der Beklagten nicht verschlossen und das Schiedsgericht angerufen hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 2993028 |
NJW 1990, 2127 |
NJW 1990, 2128 |
WM 1990, 1301 |