Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 12.11.2008) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12. November 2008 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; ferner hat es eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren getroffen. Mit dem wirksam auf den Strafausspruch beschränkten, zu Lasten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Die Revision hat Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am 22. August 2008 auf Grund eines spontan gefassten Entschlusses in die Mädchentoilette des Förderzentrums in S., um sich einer der jüngeren Schülerinnen in sexueller Weise zu nähern. Als die am … 1999 geborene Geschädigte … Se. die Toilettenkabine verlassen wollte, ergriff er das völlig überraschte Mädchen an beiden Armen, drückte es in die Kabine zurück und veranlasste es, sich auf die Toilette zu setzen. Er öffnete seine Hose, holte seinen Penis hervor und forderte das verängstigte Kind, das keine Möglichkeit hatte, sich aus der engen Toilettenbox zu entfernen, auf, „ihm einen zu blasen”. Das Mädchen ergriff den Penis des Angeklagten und steckte dessen vorderen Teil – nicht von einem Kondom geschützt – für wenige Augenblicke in ihren Mund; zu einer Ejakulation gelangte der Angeklagte nicht. Als er bemerkte, dass das Kind zu weinen begann, ließ er sofort von ihm ab.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Strafe gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB dem Strafrahmen des § 176 a Abs. 4 Fall 2 StGB entnommen; die Voraussetzungen des Regelbeispiels in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB hat das Landgericht verneint, weil der erzwungene Oralverkehr das Opfer nicht besonders erniedrigt habe; insoweit liege ein minder schwerer Fall gemäß § 177 Abs. 5 Fall 1 StGB vor.
Rz. 4
2. Die Strafrahmenwahl des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 5
a) Die Begründung, mit der das Landgericht die Voraussetzungen des Regelbeispiels in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB verneint hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Nach dieser Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall unter anderem dann in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung). Dem das Regelbeispiel einschränkenden Merkmal der „besonderen Erniedrigung” kommt in Fällen des Oral- und Analverkehrs regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu, weil sich hierbei der erniedrigende Charakter der sexuellen Handlung im Regelfall von selbst versteht; der Gesetzgeber wollte neben dem Beischlaf als Regelbild besonders schwerer Fälle die orale und anale Penetration erfassen (BGH NJW 2000, 672, 673). Jedenfalls in den Fällen des Anal- und Oralverkehrs ist eine ausdrückliche Erörterung der besonders erniedrigenden Wirkung im tatrichterlichen Urteil entbehrlich (vgl. BGH NStZ 2000, 254, 255; Fischer, StGB 56. Aufl. § 177 Rdn. 68).
Rz. 6
Anhaltspunkte, die dem erzwungenen Oralverkehr hier die erniedrigende Wirkung nehmen könnten, ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Im Gegenteil belegt das festgestellte Tatbild, dass der Angeklagte die Geschädigte zum bloßen Objekt seiner sexuellen Willkür herabgewürdigt hat (vgl. auch Schönke/Schröder-Lenckner/Peron/Eisele, StGB 27. Aufl. § 177 Rdn. 20): Er überfiel sein kindliches Opfer an einem Ort, wo es sich keines Angriffs versah und zwang es dort zur Vornahme des ungeschützten Oralverkehrs. Die von der Strafkammer angeführten Umstände – die geringe Tiefe des Eindringens, dessen kurze Dauer sowie das Ausbleiben eines Samenergusses – sind nicht geeignet, dem Tatgeschehen die erniedrigende Wirkung für das Tatopfer zu nehmen. Der von der Strafkammer zum Beleg seiner gegenteiligen Auffassung herangezogene Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 20. März 2001 (NStZ 2001, 369) betraf den Fall eines grundsätzlich gegen Entgelt zu sexuellen Handlungen bereiten Tatopfers. Schon diese Auffassung teilt der Senat nicht (vgl. Senat, Beschl. vom 10. Dezember 2008 – 2 StR 517/08); ein Vergleich mit der hier gegebenen Konstellation eines sexuell motivierten Überfalls auf eine neunjährige Schülerin in der Toilettenanlage ihrer Schule erscheint dem Senat darüber hinaus unangebracht.
Rz. 7
b) Zwar kann der Tatrichter auch dann, wenn die Voraussetzungen für die Annahme des Regelbeispiels der Vergewaltigung in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB erfüllt sind, ausnahmsweise nach umfassender Prüfung des gesamten Tatbilds einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit von der Regelwirkung abweichen; eine solche Ermessensentscheidung (vgl. BGH, Beschl. vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08 Tz. 18) hat der Tatrichter hier jedoch nicht getroffen. Der Senat kann sie als Revisionsgericht nicht nachholen. Nur in einem solchen Fall, in dem ausnahmsweise die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB entfällt, kann sich die weitere Frage eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 Fall 1 StGB überhaupt stellen (vgl. BGH StV 2000, 557; 2008, 81; Urt. vom 26. Oktober 2000 – 4 StR 319/00; Fischer aaO Rdn. 74). Daher beruht die Annahme des Landgerichts, es sei in Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB der Strafrahmen des § 176 a Abs. 4 Fall 2 StGB zu Grunde zu legen, auf einem zum Strafausspruch durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Rothfuß, Appl, Cierniak, Schmitt
Fundstellen
Haufe-Index 2560792 |
NStZ-RR 2009, 363 |
StraFo 2009, 296 |