Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der unzulässigen Bezugnahme von außerhalb des Testaments liegenden Umständen für die Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung der unzulässigen Bezugnahme in einem eigenhändigen Testament von der für die Auslegung gebotenen Heranziehung von außerhalb des Testaments liegenden Umständen.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 2247, 2084

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen dem Beklagten zur Last.

 

Tatbestand

Der Beklagte ist Alleinerbe seines am 5. Mai 1976 verstorbenen Bruders, des Kaufmanns Popeus Johannes S.. Der Erblasser hinterließ mehrere Verfügungen von Todes wegen.

Am 28. Januar 1965 hatte der Erblasser durch notarielles, in amtliche Verwahrung gegebenes Testament seine damalige Ehefrau zu seiner Vorerbin und deren Kinder aus erster Ehe zu Nacherben eingesetzt und außerdem den Kläger und seine Schwester Petra H. bedacht. Der Kläger und seine Schwester sollten Je zur Hälfte das Hausgrundstück E. straße 22 in O.-S. als Vermächtnis erhalten. Weiterhin vermachte der Erblasser dem Kläger und seiner Schwester Ansprüche aus einem bestimmten Bausparvertrag über 10.000,- DM.

Am 10. August 1965 errichtete der Erblasser ein eigenhändiges Testament, in dem er das notarielle Testament vom 28. Januar 1965 widerrief und seine Ehefrau wegen bestimmter Eheverfehlungen enterbte. Über das Vermächtnis zugunsten des Klägers und seiner Schwester heißt es dort:

"Den Teil meines Testamentes, in welchem ich ein Vermächtnis zugunsten der beiden Kinder H. ausgesetzt habe, halte ich aufrecht ..."

Am 13. Januar 1971 nahm der Erblasser das notarielle Testament vom 28. Januar 1965 aus der amtlichen Verwahrung.

Am 2. Januar 1973 errichtete der Erblasser, der in der Zwischenzeit rechtskräftig geschieden worden war und seit 1969 von Frau Karla B. als Haushälterin betreut wurde, ein weiteres eigenhändiges Testament, mit dem er Frau B. bedachte und außerdem den Beklagten zum Erben einsetzte.

Der Kläger begehrt die Auflassung eines Hälfteanteils an dem in der E. straße 22 gelegenen Grundstück und stützt sich dabei auf das Testament vom 10. August 1965. Der Beklagte läßt dieses Testament nicht als wirksame Verfügung zugunsten des Klägers gelten. Durch das Testament vom 2. Januar 1973 seien zudem alle früheren letztwilligen Verfügungen aufgehoben.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage für begründet gehalten. Der Beklagte verfolgt seinen Klageabweisungsantrag mit der Revision weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.

1.

Zutreffend gehen das Berufungsgericht und die Parteien davon aus, daß der Kläger den eingeklagten Anspruch aus §§ 2174, 2147 BGB nicht auf das notarielle Testament vom 28. Januar 1965 stützen kann; dieses Testament gilt jedenfalls infolge Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung gemäß § 2256 Abs. 1 Satz 1 BGB als widerrufen.

2.

a)

Das Berufungsgericht hält die Klage aber auf der Grundlage des eigenhändigen Testaments vom 10. August 1965 für begründet. Es führt hierzu sinngemäß aus: In diesem Testament sei eine neue selbständige Vermächtnisanordnung zugunsten des Klägers und seiner Schwester zu sehen. Der Erblasser habe hier das notarielle Testament vom 28. Januar 1965 seinem gesamten Inhalt nach einschließlich der Vermächtnisse aufgehoben und nicht etwa die Vermächtnisanordnung von dem Widerruf ausgenommen. Es sei deshalb notwendig geworden, entweder die Vermächtnisanordnungen in allen Einzelheiten zu wiederholen oder aber diese Anordnungen neu zu begründen und nur wegen der weiteren Einzelheiten auf das widerrufene Testament Bezug zu nehmen. Den letzten Weg habe der Erblasser gewählt; er habe nicht nur auf die früheren Vermächtnisanordnungen verwiesen, sondern eindeutig und ausdrücklich seinen Willen erklärt, daß die frühere Vermächtnisanordnung aufrechterhalten bleiben solle. Damit sei diese aufrechterhaltene Vermächtnisanordnung neben dem Widerruf des notariellen Testaments zu einem selbständigen Teil seiner letztwilligen Verfügung gemacht. Der Wille des Erblassers ergebe sich aus dem Inhalt des privatschriftlichen Testaments selbst. Sinn und Zweck des Testamentes vom 10. August 1965 sei es gewesen, sicherzustellen, daß die damalige Ehefrau des Erblassers nichts erhielt, daß es aber andererseits bei den Vermächtnissen zugunsten des Klägers und seiner Schwester bleibe. Daß Art und Umfang des Vermächtnisses sich erst durch Heranziehung des notariellen Testaments vom 28. Januar 1965 ergebe, stehe nicht entgegen. Im Rahmen der Auslegung gem. § 2084 BGB seien auch Umstände außerhalb des Testaments zu berücksichtigen. Gegen die ergänzende Heranziehung des notariellen Testaments bestünden hier umso weniger Bedenken, als der Erblasser den aufrechterhaltenen Teil ausdrücklich bezeichnet habe. Die spätere Rücknahme des notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung sei hierauf ohne Einfluß.

b)

Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind unbegründet.

aa)

Die Revision räumt ein, daß der Erblasser am 10. August 1965 die Möglichkeit gehabt habe, das notarielle Testament in vollem Umfang zu widerrufen und die Vermächtnisse zugunsten des Klägers und seiner Schwester neu anzuordnen. Das Berufungsgericht habe aber die naheliegende andere Möglichkeit übersehen, das notarielle Testament nur insoweit zu widerrufen, wie es Regelungen zugunsten der damaligen Ehefrau des Erblassers enthielt, und es wegen der Vermächtnisse bestehen zu lassen.

Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung ist, wie die Revision nicht verkennt, grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Seine Feststellungen über den Inhalt des Testaments sind der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur in beschränktem Umfang zugänglich (BGH LM § 133 BGB (B) Nr. 1), und zwar darauf, ob die Auslegung gegen gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Die Nachprüfung durch den Senat hat einen derartigen Verstoß nicht ergeben. Die Auslegung, das eigenhändige Testament enthalte eine neue, selbständige Vermächtnisanordnung, ist möglich; ob die andere Deutung, wie die Revision sie vornimmt, näher liegt, ist rechtlich ohne Belang. Der Vorwurf der Revision, das Berufungsgericht habe diese andere Möglichkeit übersehen, ist nicht gerechtfertigt, wie die Ausführungen auf Seite 11 des Berufungsurteils ergeben.

bb)

Die Revision hält das eigenhändige Testament vom 10. August 1965 hilfsweise für formnichtig, soweit der Erblasser darin ein neues Vermächtnis zugunsten des Klägers und seiner Schwester habe anordnen wollen. Der Gegenstand des Vermächtnisses sei in dem Testament auch nicht andeutungsweise bestimmt, sondern nur durch Bezugnahme auf das widerrufene notarielle Testament vom 28. Januar 1965 bezeichnet.

Der Senat folgt der Revision auch insoweit nicht.

Richtig ist allerdings, daß der Erblasser einem anderen ein Vermächtnis wirksam nur zuwenden kann, wenn er dabei eine der gesetzlichen Arten der Verfügung von Todes wegen auswählt und deren Förmlichkeiten einhält. Dazu gehört, daß der Verfügung außer der Person des Bedachten auch der Gegenstand des zugewendeten Vermögensvorteils hinreichend zu entnehmen ist. Fehlt in einem sonst formgerechten eigenhändigen Testament die Angabe des vermachten Gegenstandes und läßt sich dieser Gegenstand auch im Wege der Auslegung nicht zweifelsfrei ermitteln, dann ist die vorgeschriebene Form nicht eingehalten, und ein wirksames Vermächtnis liegt nicht vor.

Dem Erfordernis, daß der zugewendete Gegenstand dem Testament hinreichend zu entnehmen ist, kann auch nicht, wie der Revision zuzugeben ist, lediglich durch Bezugnahme auf eine andere, der Testamentsform nicht entsprechende Urkunde Genüge getan werden (vgl. BayObLG 1973, 35, 38 f; RGRK - Kregel, 12. Aufl. § 2247 BGB Rdn. 7, 12, 18; Kipp Coing Erbrecht, 13. Bearb. § 26 I 1; Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 1972 § 2257 Rdn. 8; Palandt/Keidel, 39. Aufl. § 2247 BGB Anm. 2 a; vgl. auch Soergel/Müller, 10. Aufl. § 2247 BGB Rdn. 36, § 2257 BGB Rdn. 2; Leipold, Grundzüge des Erbrechts, 3. Aufl. 1979 S. 113; Vogels/Seybold, Testamentsgesetz, 4. Aufl. 1949, § 21 Rdn. 4; von Lübtow, Erbrecht, Band 1 S. 160, 250). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Bezug genommen hat der Erblasser seinerzeit keineswegs auf eine der Testamentsform nicht entsprechende Urkunde, sondern auf ein - jedenfalls bis dahin - voll gültiges und noch nicht aus der öffentlichen Verwahrung zurückgenommenes notarielles Testament. Auf der Grundlage der Gedankenführung der Revision würde daher zu fragen sein, ob eine solche Bezugnahme in einem eigenhändigen Testament zulässig und wirksam ist und ob sie darüber hinaus auch dann wirksam bleibt, wenn das notarielle Testament später aus der amtlichen Verwahrung zurückgenommen wird. Dennoch bedürfen diese Fragen hier aber keiner Entscheidung; denn das eigenhändige Testament des Erblassers vom 10. August 1965 bestimmt den Gegenstand des Vermächtnisses nicht "lediglich" durch Bezugnahme, sondern bietet entgegen der Meinung der Revision auch selbst einen gewissen Anhalt für die nähere Bestimmbarkeit des vermachten Gegenstandes.

Das eigenhändige Testament vom 10. August 1965, welches das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß als neue, selbständige Vermächtnisanordnung zugunsten des Klägers und seiner Schwester versteht, bringt zum Ausdruck, daß der Erblasser an ganz bestimmte Vermögensvorteile dachte. In dem Testament selber erklärt der Erblasser, daß der Kläger und seine Schwester gerade diese Vorteile (trotz der Aufhebung des notariellen Testaments vom 28. Januar 1965 auch weiterhin) als Vermächtnis erhalten sollten. Um welche Gegenstände es sich dabei handelte, bleibt, solange nur das Testament vom 10. August 1965 betrachtet wird, freilich unklar. Wenn das Berufungsgericht aber unter diesen Umständen zur Klarstellung dessen, was der Erblasser mit seiner testamentarischen Erklärung meinte und dem Kläger und seiner Schwester zuwenden wollte, auf das vom Erblasser sogar ausdrücklich in Bezug genommene notarielle Testament vom 28. Januar 1965 zurückgriff, dann ist das nicht nur nicht zu beanstanden, sondern war gem. §§ 133, 2084 BGB sogar geboten (vgl. IM § 133 BGB (B) Nr. 1; BGH NJW 1966, 201 f; RG WarnRspr 1917 Nr. 59; 1938 Nr. 51; BayObLG 1932, 114, 118; 1979, 215, 218; Johannsen WM 1972, 62; 1977, 270, 273). Denn Aufgabe der Testamentsauslegung ist es, den unter Umständen verborgenen Sinn einer testamentarischen Verfügung zu ermitteln, und zwar auch unter Heranziehung von Umständen außerhalb der Testamentsurkunde. Daß das Oberlandesgericht den Willen des Erblassers hier zutreffend festgestellt hat, wird von dem Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Die Auffassung der Revision, dem so ermittelten Willen des Erblassers komme die Wirkung eines Vermächtnisses nicht zu, weil er in dem Testament auch nicht andeutungsweise enthalten sei, trifft nicht zu. Vielmehr hat der Wille des Erblassers in dem Testament vom 10. August 1965, wenn auch unvollkommen, seinen Ausdruck gefunden. Bietet aber das Testament eine Grundlage für die Auslegung, und sei sie auch noch so gering, dann kann dem Ergebnis der gebotenen Auslegung Formnichtigkeit nicht entgegengehalten werden (vgl. RG WarnRspr 1917 Nr. 59; BayObLG 1932, 114, 118).

Da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils durch den Senat auch im übrigen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten ergeben hat, muß seiner Revision der Erfolg versagt bleiben.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Wolf

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456560

DNotZ 1980, 761

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