Leitsatz (amtlich)
Zur Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem Recht auf Äußerungs- und Pressefreiheit bei der Entscheidung über eine Klage auf Unterlassung der Veröffentlichung des von einem englischen Gericht als Scheidungsgrund genannten Ehebruchs eines Angehörigen des Hochadels in einem Zeitungsartikel.
Normenkette
BGB §§ 823, 1004; GG Art. 1-2, 5
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Aktenzeichen 7 U 33/98) |
LG Hamburg (Aktenzeichen 7 U 33/98) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 4. August 1998 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 30. Januar 1998 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, Repräsentant des Hauses Hannover sowie Prinz von Großbritannien und Irland, verlangt von der Beklagten, einer deutschen Verlagsgesellschaft, die Unterlassung der Veröffentlichung bestimmter Teile eines Berichts über seine Ehescheidung.
Die Ehe des Klägers ist am 10. September 1997 in öffentlicher Verhandlung vor dem High Court of Justice in London geschieden worden. Aus den Scheidungsakten, die nach englischem Recht der Öffentlichkeit und der Presse zugänglich zu sein pflegen, ergibt sich, daß der Kläger zugegeben hatte, Ehebruch mit einer nicht genannten Frau begangen zu haben. Über die Scheidung hat noch am selben Tage die englische Nachrichtenagentur Reuter unter Angabe des Scheidungsgrundes berichtet. Eine ebensolche Nachricht ist am 11. September 1997 von der Zeitung „Daily Mail” veröffentlicht worden. Unter dem 13. September 1997 erschien in Heft 39/97 der von der Beklagten herausgegebenen Zeitschrift „DAS NEUE” ein Bericht über die Scheidung. In dem Artikel, in dem auch mehrere Treffen des Klägers mit Prinzessin Caroline von Monaco angesprochen wurden und dem zwei darauf bezogene Fotos beigefügt waren, wurde unter Bezugnahme auf eine Presseagentur mitgeteilt, Familienrichter A. habe als Scheidungsgrund genannt, daß der deutsche Prinz Ehebruch mit einer nicht genannten Frau begangen habe.
Der Kläger fühlt sich durch die Veröffentlichung des Scheidungsgrundes seitens der Beklagten in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, unter Bezugnahme auf eine Presseagentur zu verbreiten, daß er Ehebruch mit einer nicht genannten Frau begangen habe.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht beurteilt in Anwendung deutschen (Tatort-)Rechts den mit der Klage beanstandeten Teil der Veröffentlichung als rechtswidrigen und deshalb in entsprechender Anwendung der §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB zu unterlassenden Eingriff der Beklagten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Durch die Mitteilung eines Ehebruchs als Scheidungsgrund sei beim Durchschnittsleser der Eindruck erweckt worden, daß ein solcher Ehebruch tatsächlich stattgefunden habe. Diese Mitteilung sei für den Kläger in hohem Maße beeinträchtigend. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und dem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege das Interesse des Klägers am Schutz seiner Privatsphäre. Das Interesse der Öffentlichkeit an der Person des Klägers, das sich angesichts seiner Eigenschaft als Urenkel des letzten deutschen Kaisers im wesentlichen aus der Bedeutung und Stellung seiner Vorfahren und Verwandten ergebe, vermöge die Angabe des Scheidungsgrundes nicht zu rechtfertigen. Eine andere Beurteilung sei auch weder wegen der Verbundenheit des Klägers mit Prinzessin Caroline von Monaco noch deshalb geboten, weil die Scheidung der Ehe des Klägers in öffentlicher Sitzung erfolgt, der Ehebruch dabei ausdrücklich als Scheidungsgrund genannt und die Scheidungsakten nach englischem Recht von Dritten einsehbar seien. Letzteres widerspreche den für deutsche Gerichte geltenden Maßstäben.
Entgegen dem Hilfsantrag der Beklagten sei das Verfahren auch nicht auszusetzen, um gemäß Art. 177 EGV eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die Anwendbarkeit des Art. 30 EGV auf den innergemeinschaftlichen Informationsaustausch herbeizuführen. Diese Vorschrift, die den freien Warenverkehr schütze, sei auf die Übermittlung von Nachrichten als körperlosen Informationen nicht anwendbar.
II.
Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nicht zu beanstanden sind allerdings die Erwägungen, die das Berufungsgericht in bezug auf die Grundlagen seiner Entscheidung anstellt.
a) Mit Recht hat das Berufungsgericht eine Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes gemäß Art. 177 (jetzt: Art. 234) EGV abgelehnt. Die innergemeinschaftliche Weitergabe nicht verkörperter Informationen, um die es hier geht, fällt aus den im Berufungsurteil dargelegten Gründen nicht unter den von Art. 30 (jetzt: Art. 28) EGV geschützten freien Warenverkehr. Daran, daß diese Vorschrift nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes im Streitfall nicht eingreift, besteht kein Zweifel. Dasselbe gilt für die von der Revision ins Feld geführten Normen über die Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 59, 60 (jetzt: Art. 49, 50) EGV).
b) Zutreffend hat das Berufungsgericht das Klagebegehren angesichts der von der Beklagten in Deutschland hergestellten und vertriebenen Zeitschrift nach deutschem (Tatort-)Recht beurteilt (BGHZ 131, 332, 335). Von der Anwendbarkeit deutschen Rechts gehen übereinstimmend auch beide Parteien aus.
c) In rechtlich einwandfreier Sicht hat es das Berufungsgericht ferner für geboten erachtet, über die Klage aufgrund einer Abwägung des nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers mit dem gemäß Art. 5 Abs. 1 GG ebenfalls Verfassungsrang genießenden Recht der Beklagten auf Äußerungs- und Pressefreiheit zu entscheiden (zum Erfordernis einer solchen Abwägung siehe BVerfGE 35, 202, 219 ff.; BVerfG NJW 1999, 1322, 1324; Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1289 ff.). Eine solche Abwägung ist hier nicht etwa deshalb entbehrlich, weil es bereits an einem Eingriff der Beklagten in das Persönlichkeitsrecht des Klägers fehle. Zwar war, wie ausgeführt, bereits zuvor von einer englischen Nachrichtenagentur und einer englischen Zeitung rechtmäßig über den Grund der Ehescheidung des Klägers berichtet worden. Dieser Umstand vermag aber der von der Beklagten erstmals in Deutschland vorgenommenen Veröffentlichung nicht den Charakter eines Eingriffs zu nehmen. Eine Interessenabwägung wird deshalb mit Recht auch von beiden Parteien für geboten gehalten.
d) Auch hinsichtlich der in die Abwägung einzustellenden Umstände ist dem Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu folgen.
aa) Nicht zu beanstanden ist zunächst der vom Berufungsgericht im Wege der Auslegung ermittelte Aussagegehalt des Zeitungsberichts der Beklagten. Die Würdigung, der Mitteilung, der englische Richter habe als Scheidungsgrund genannt, daß der Kläger Ehebruch begangen habe, komme der Inhalt zu, daß ein solcher Ehebruch tatsächlich stattgefunden habe, ist deshalb auch im Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Soweit die Revisionserwiderung darüber hinaus geltend macht, mit dem der Zeitungsmitteilung beigefügten Foto nebst der Bildnebenschrift „Ernst August und Caroline küssen sich” habe die Beklagte zugleich auch versteckt behauptet, der Kläger habe den Ehebruch mit Prinzessin Caroline von Monaco begangen, bedarf ein solcher Aussagegehalt hier keiner Überprüfung. Denn die Unterlassung einer dahingehenden Behauptung wird vom Kläger nicht begehrt.
bb) Ohne Rechtsverstoß geht das Berufungsgericht weiter davon aus, daß der Kläger durch die Veröffentlichung der Beklagten in seiner Privatsphäre betroffen ist. Diese Einordnung, daß nicht etwa die Intimsphäre des Klägers tangiert ist, die als solche absoluten Schutz genießen würde (BVerfG NJW 1970, 555; BGHZ 73, 120, 124; Senatsurteil vom 24. November 1987 - VI ZR 42/87 - NJW 1988, 1984, 1985), findet ihre rechtliche Grundlage darin, daß in dem Zeitungsbericht der Beklagten lediglich die Tatsache des Ehebruchs, nicht aber Einzelheiten über ihn mitgeteilt wurden (siehe dazu Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl. Rdn. 5.41; Löffler/Steffen, Presserecht, 4. Aufl., § 6 LPG Rdn. 66, 214; vgl. auch BVerfG NJW 1970, 555; Senatsurteil vom 5. Mai 1964 - VI ZR 64/63 - NJW 1964, 1471, 1472; OLG Hamburg AfP 1991, 533).
2. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht jedoch bei der Gewichtung der in die Abwägung einzustellenden Umstände und bei dem daraus hergeleiteten Vorrang des Persönlichkeitsrechts des Klägers.
a) Auf einer rechtlich unzutreffenden Sicht beruht bereits das zu Ungunsten der Beklagten in die Waagschale gelegte Argument, die Mitteilung über den Ehebruch des Klägers sei auch in Anbetracht seiner Zugehörigkeit zum deutschen und britischen Hochadel und seiner Eigenschaft als Urenkel des letzten deutschen Kaisers für die Öffentlichkeit ohne jeden tatsächlichen Belang.
aa) Das Berufungsgericht beachtet bei dieser Qualifikation nicht hinreichend, daß nicht nur „wertvolle” Informationen der Presse unter die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fallen, sondern daß diese Freiheit grundsätzlich auch zugunsten der Unterhaltungs- und Sensationspresse und damit auch für Mitteilungen besteht, die in erster Linie das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigen (vgl. BVerfGE 55, 203, 222 f.; BVerfG NJW 1973, 1221, 1224).
bb) Im Streitfall kommt hinzu, daß der Kläger nicht nur wegen seiner Abstammung, sondern auch als Begleiter der ständig im Licht der Öffentlichkeit stehenden Prinzessin Caroline von Monaco (BGHZ 131, 332, 336 f.) die Aufmerksamkeit einer breiten Leserschaft auf sich zieht. Mag auch deren Interesse nicht als besonders wertvoll zu qualifizieren sein, so kann das Bedürfnis nach seiner Befriedigung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts doch nicht als nicht berechtigt aus dem Schutzbereich der für die freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierenden Pressefreiheit (BVerfGE 35, 202, 221) ausgegrenzt werden. Gerade bei der Presse muß vielmehr die Notwendigkeit einer Einschränkung der Freiheit in der Berichterstattung überzeugend nachgewiesen werden (vgl. EGMR NJW 1999, 1315, 1316).
b) Ein zu Lasten der Beklagten erheblich zu geringes Gewicht wird vom Berufungsgericht ferner dem Umstand beigemessen, daß es sich bei der Mitteilung über den Ehebruch des Klägers auch mit dem Aussagegehalt, den ihr das Berufungsgericht beilegt, um die Behauptung einer wahren Tatsache handelt. Dies wird auch von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellt. Bei einer wahren Aussage ist zwar grundsätzlich ebenfalls eine Abwägung der beiderseitigen Grundrechtspositionen geboten (vgl. Seyfarth, NJW 1999, 1287, 1292); eine solche Aussage muß aber, auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig ist, eher hingenommen werden (BVerfGE 97, 391, 403; BVerfG NJW 1999, 1322, 1324). Dies gilt vor allem dann, wenn sie, wie die lediglich pauschale Mitteilung eines formalen Scheidungsgrundes im Streitfall, keinen sonderlich intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt.
c) Nicht hinreichend berücksichtigt wird vom Berufungsgericht schließlich der Umstand, daß die Nachricht über die Scheidung der Ehe des Klägers mit der Angabe des Ehebruchs als Scheidungsgrund vor der Veröffentlichung durch die Beklagte bereits von der Nachrichtenagentur Reuter und der Zeitung „Daily Mail” veröffentlicht worden und damit schon einer großen Zahl von Personen bekannt geworden war, die sie ihrerseits anderen weitergeben konnten. Hierdurch minderte sich das Gewicht des Eingriffs der Beklagten in die Privatsphäre des Klägers weiterhin in einem beträchtlichem Maße (vgl. dazu auch EGMR NJW 1999, 1315, 1318).
3. Nach alledem kann das Ergebnis der Abwägung der Grundrechtspositionen der Parteien durch das Berufungsgericht nicht bestehenbleiben. Da die zu beurteilenden Tatsachen feststehen, eine weitere Sachaufklärung somit nicht erforderlich ist, kann der Senat aufgrund einer eigenen Abwägung abschließend selbst entscheiden. Dabei gelangt er angesichts der unter Ziffer 2 dargelegten geringeren Gewichtung des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers gegenüber der von der Beklagten in Anspruch genommenen Äußerungs- und Pressefreiheit zu dem Ergebnis, daß sich die Mitteilung der Beklagten über den Ehebruch des Klägers als Scheidungsgrund nicht als rechtswidrig darstellt und daher vom Kläger hingenommen werden muß. Seine Klage ist deshalb abzuweisen.
Unterschriften
Groß, Bischoff, Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 29.06.1999 durch Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539005 |
FamRZ 2000, 88 |
NJW-RR 1999, 1546 |
GRUR 1999, 1034 |
Nachschlagewerk BGH |
AfP 1999, 350 |
VersR 1999, 1250 |
WRP 1999, 1043 |
ZfS 2000, 61 |