Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 25.09.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 25. September 2003 wird
das Verfahren in den Fällen II. 1., 2.2 (Taten 1 und 2 zum Nachteil Nathalia K.) und 4. (Tat zum Nachteil Sarah K.) gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt;
im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
- das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen in 32 Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen in 35 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat lediglich den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
Soweit der Angeklagte wegen der nach der Teileinstellung durch den Senat verbliebenen Taten, die jedenfalls nach dem 4. September 1997 begangen worden sind, tateinheitlich wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB) verurteilt worden ist, ist die Verfolgung unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt nicht des Eintritts der Verjährung wegen gehindert. Denn die frühestens am 5. September 1997 beginnende, nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünfjährige Verjährungsfrist ist durch die am 4. September 2002 unterzeichnete und am folgenden Tag abgefertigte schriftliche Anordnung der Mitteilung des ermittlungsrichterlichen Vernehmungstermins der Tochter des Angeklagten Nathalia als Zeugin unterbrochen worden. Diese Terminsmitteilung hat dem Angeklagten die Einleitung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens bekanntgegeben (§ 78 c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB).
Dem steht nicht entgegen, daß die schriftliche Terminsmitteilung formlos erfolgt ist und den Gegenstand der Ermittlungen nicht ausdrücklich bezeichnet hat. Denn für die Bekanntgabe sind keine bestimmte Form und kein bestimmter Inhalt vorgeschrieben. Der Beschuldigte muß allerdings ersehen können, daß und weshalb ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden ist (vgl. BGHSt 30, 215, 217). Dies kann sich auch aus der Eindeutigkeit der gegen den Beschuldigten ergriffenen Maßnahme ergeben (vgl. Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 78 c Rdn. 7 m. w. N.). Daß die Terminsmitteilung hier den Erfordernissen einer Bekanntgabe entsprochen hat, entnimmt der Senat dem Ergebnis seiner im Freibeweis durchgeführten Erhebungen und den Feststellungen des angefochtenen Urteils.
Die Terminsmitteilung hat den Angeklagten darüber ins Bild gesetzt, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Der tatsächliche Inhalt der damaligen Terminsmitteilung war zwar im einzelnen nicht zu ermitteln. Aus dem Wortlaut des vom Amtsgericht Wuppertal übersandten Musters gegenwärtig versandter Terminsmitteilungen ergibt sich die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den jeweiligen Empfänger indes eindeutig („Ermittlungsverfahren. /. Sie”). Daß die im vorliegenden Verfahren gefertigte Mitteilung denselben oder einen entsprechenden Inhalt hatte, liegt nahe und ergibt sich im übrigen daraus, daß der Schriftsatz des Verteidigers vom 12. September 2002, mit dem er – unter Vorlage einer handschriftlichen Vollmacht des Angeklagten vom 10. September 2002 – Akteneinsicht beantragt hat, den Betreff enthält: „In dem Ermittlungsverfahren gegen Bernd-Uwe K.”.
Die Mitteilung der anberaumten Vernehmung seiner Tochter Nathalia als Zeugin hat dem Angeklagten auch deutlich gemacht, welche Handlungen Gegenstand der geführten Ermittlungen waren. Daß sich die Verfahrenseinleitung und die Strafverfolgung auf die von ihm an seiner Tochter Nathalia begangenen Sexualstraftaten beziehen, war für den Angeklagten aufgrund der ihm zum Zeitpunkt der Mitteilung bekannten konkreten Einzelumstände des Falles offensichtlich: Die Feststellungen des angefochtenen Urteils ergeben insoweit, daß dem Angeklagten die Aufdeckung seiner Mißbrauchstaten bekannt wurde, unmittelbar nachdem sich Nathalia gegenüber ihrer Mutter offenbart hatte. Die nachfolgenden, mehrere Monate andauernd bestehenden Probleme des Zusammenlebens führten schließlich dazu, daß der Angeklagte – eine entsprechende Bedingung seiner zwischenzeitlich ausgezogenen Tochter Nathalia für ihre Rückkehr erfüllend – im Juni 2002 die Familienwohnung verließ. Vor diesem Hintergrund war für den Angeklagten aus der wenig später erfolgten Mitteilung der ermittlungsrichterlichen Vernehmung dieser Tochter – auch weil ein anderer Vernehmungsgegenstand nicht in Betracht kam – hinreichend klar ersichtlich, wegen welcher Handlungen gegen ihn ermittelt wurde.
Der Verfolgungswille der Strafverfolgungsorgane hat sich zum Zeitpunkt der Anordnung der Terminsmitteilung auf alle abgeurteilten sexuellen Mißbrauchstaten zum Nachteil der Tochter Nathalia erstreckt. Dies ergibt sich aus dem Sach- und Verfahrenszusammenhang, zu dessen Auslegung der Akteninhalt heranzuziehen ist (vgl. BGH NStZ 2000, 427). Den Protokollen der vorangegangenen polizeilichen Vernehmungen der Zeugin Nathalia K. und ihrer Mutter ist neben der Schilderung einzelner Taten auch zu entnehmen, daß der Angeklagte darüber hinaus verdächtig war, im Zeitraum von etwa Juli 1997 bis Anfang des Jahres 2001 eine Vielzahl sexueller Mißbrauchshandlungen zum Nachteil seiner Tochter Nathalia begangen zu haben. Da sich die Unterbrechungswirkung der Bekanntgabe in der Regel auf die gesamte Tat im prozessualen Sinn (§§ 155, 264 StPO) sowie auf alle weiteren in demselben Verfahren verfolgten Taten erstreckt und Anhaltspunkte für die Begrenzung der Unterbrechungshandlung auf einzelne Taten nicht bestehen, hat sich die Unterbrechungswirkung hier ihrem sachlichen Umfang nach auf alle abgeurteilten Taten des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen bezogen (vgl. BGH NStZ 2001, 191; BGHR StGB § 78 c Abs. 1 Handlung 5).
Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der allgemeinen Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Der Senat schließt angesichts der verbleibenden Einzelstrafen (21mal zwei Jahre und sechs Monate, siebenmal ein Jahr und sechs Monate sowie viermal ein Jahr Freiheitsstrafe) und des bei der Gesamtstrafenbildung vorgenommenen überaus straffen Zusammenzugs aus, daß das Landgericht ohne die in den eingestellten Fällen verhängten drei Einzelstrafen (acht Monate, ein Jahr sowie ein Jahr und vier Monate Freiheitsstrafe) zu einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe gelangt wäre. Die festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe kann daher entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Januar 2004 (wistra 2004, 137) – bestehen bleiben.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen