Entscheidungsstichwort (Thema)
Landfriedensbruch
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Den Angeklagten wird mit der Anklage vorgeworfen, gemeinschaftlich einen Landfriedensbruch im besonders schweren Fall in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch und Bildung bewaffneter Gruppen nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 125a, § 124, § 127, § 25 Abs. 2, § 52 StGB begangen zu haben. Der die Tat konkretisierende Teil des Anklagesatzes lautet: „Am 17. Februar 1999 gegen 13.30 Uhr versammelten sich die (Angeklagten) sowie die gesondert verfolgten … in mehreren Gruppen von insgesamt mindestens 50 bis 60 Personen kurdischer Herkunft im Bereich Bismarckplatz/Schinkelstraße in Berlin-Wilmersdorf, um entsprechend vorheriger Vereinbarung aus Protest gegen die Inhaftierung des Führers der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei ‚PKK’ gewaltsam auf das Gelände und in das Gebäude des israelischen Generalkonsulates in der Schinkelstraße 10 einzudringen. Ein großer Teil der Menge war zum Einsatz gegen Personen und Sachen mit mitgeführten Schlagwerkzeugen, unter anderem Eisenstangen, Holzknüppeln, Ästen und Erdnägeln bewaffnet. Unter gewaltsamer Überwindung der Umzäunung sowie der zum Schutz des Konsulates eingesetzten Polizeibeamten drang die Menge, in der sich weiterhin auch die (Angeklagten) befanden, auf das Gelände des Konsulates vor. Auf der Zugangstreppe zum Gebäude sowie in dessen unmittelbarem Eingangsbereich drängte sich ein Teil der Menge, darunter auch die (Angeklagten), um in das Haus einzudringen. Durch Fußtritte sowie unter Einsatz von Schlagwerkzeugen wurde die Eingangstür aufgebrochen, worauf ein Teil der Menge in das Haus gelangte.
Um die Angreifer zurückzudrängen und ein weiteres Eindringen zu verhindern, setzten Sicherheitskräfte des Konsulates ihre Schußwaffen ein, wodurch vier Personen tödliche Verletzungen erlitten sowie die Angeklagten selbst verletzt wurden.”
Das Landgericht hat die Angeklagten „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen” freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Anläßlich der Festnahme des Anführers der (in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten) kurdischen Arbeiterpartei PKK Öcalan kam es am 17. Februar 1999, nachdem bereits am Vortage bundesweit Protestaktionen stattfanden, zu einer Ansammlung von Kurden im Bereich vor und auf dem Gelände des israelischen Generalkonsulats in der Schinkelstraße 10 in Berlin-Wilmersdorf. Es handelte sich hierbei um mehrere Gruppierungen von Kurden – insgesamt mindestens 70 bis 90 Personen. Ein Teil der sich vor dem Gelände des israelischen Generalkonsulats aufhaltenden Kurden hatte sich mit Schlagwerkzeugen wie Ästen, aber auch Holzstangen und stählernen Erdnägeln bewaffnet. Da zum Schutz des israelischen Generalkonsulats zunächst nur drei Polizeiangestellte des Objektschutzes vor Ort waren, wurden weitere Polizeikräfte vor Ort zum Einsatz berufen, so drei Einsatzhundertschaften, die sukzessive eintrafen und jeweils nicht ihre volle Mannschaftsstärke aufwiesen. Die eintreffenden Einsatzkräfte errichteten im Straßenbereich in der Nähe des Geländes des Generalkonsulats Schutzgitter, die jedoch von einzelnen Kurden oder kurdischen Gruppierungen überwunden oder umgangen werden konnten. Hierbei kam es zu gewalttätigen Übergriffen von Kurden gegenüber den eingesetzten Polizeikräften, wobei letztere – vereinzelt nicht unerheblich – verletzt wurden. Ob die Angeklagten oder einzelne von ihnen an diesen gewaltsamen Ausschreitungen bzw. Übergriffen teilnahmen oder sich in solchen kurdischen Gruppierungen aufhielten, von denen diese Gewalt ausging, ist unklar.
Trotz der eingesetzten Polizeikräfte und der von diesen errichteten Absperrungen gelang es einigen Kurden, auf das Gelände des israelischen Generalkonsulats vorzudringen. Auf diesem befindet sich ein mehrstöckiges Gebäude mit einem kleineren Vorgarten. Eine etwa 8 m lange Treppe führt zu der erhöhten Gebäudeeingangstür. Das Konsulatsgelände ist umzäunt. Die Eingänge waren verschlossen. Die Kurden gelangten auf das Konsulatsgelände durch Überklettern des Zaunes. Einigen Kurden gelang es auch, in das Konsulatsgebäude zu kommen. Spätestens um 13.42 Uhr gelang es auch den Angeklagten – möglicherweise einzeln – durch Überklettern des Konsulatszaunes auf das Gelände des israelischen Generalkonsulats vorzudringen. Sie begaben sich auf die Treppe; dort befanden sich nun etwa 20 Kurden. Sie wirkten auf Beobachter unschlüssig. Von ihnen ging keinerlei Gewalttätigkeit aus. Teilweise standen sie mit dem Gesicht zum Konsulatsgebäude gewandt, teilweise von diesem abgewandt. Lediglich eine Person im unteren Bereich der Treppe hielt erkennbar ein Schlagwerkzeug (Holzstange oder ähnliches) in der Hand. Dieses Schlagwerkzeug wurde jedoch nicht eingesetzt. Die auf der Treppe befindlichen Kurden befanden sich insgesamt in einer abwartenden Haltung. In dieser Situation wurde um 13.47 Uhr von innen die Eingangstür des Konsulatsgebäudes geöffnet und zwei israelische Konsulatssicherheitsbeamte eröffneten ohne Vorwarnung mit Handfeuerwaffen das Feuer. Unter anderem die Angeklagten wurden hierbei von Schüssen getroffen und verletzt.
Die Angeklagten mußten aufgrund ihrer Verletzungen zur Versorgung ins Krankenhaus gebracht werden.
II.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht jedwede Strafbarkeit der Angeklagten verneint: Unter dem Gesichtspunkt des Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB fehle die „unmittelbare ‚Teilnahme’ an gewalttätigen Kurdengruppierungen”. Unter dem Aspekt der Bildung bewaffneter Gruppen nach § 127 StGB mangele es objektiv wie subjektiv an der Feststellung einer Gruppe mit einer militärischen oder militärähnlichen Organisation mit Befehls- und Kommandostrukturen. Eine Verurteilung wegen schweren Hausfriedensbruchs nach § 124 StGB sei deshalb nicht möglich, weil nicht auszuschließen sei, „daß die Angeklagten einzeln über den Konsulatszaun auf das Konsulatsgelände gelangten”, und zudem ein „Zusammenrotten … den Angeklagten persönlich nicht (habe) nachgewiesen werden” können.
Außer Betracht blieben etwaige Verstöße der Angeklagten gegen das Vereinsgesetz und gegen das Versammlungsgesetz, weil das Verfahren insoweit gemäß § 154a Abs. 1 StPO beschränkt worden ist. Eine Verfolgung wegen Hausfriedensbruchs scheidet mangels eines Strafantrags (§ 123 Abs. 2 StGB) aus.
III.
Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, so daß es auf die Verfahrensrüge nicht ankommt.
Die Begründung eines Freispruchs aus tatsächlichen Gründen muß die getroffenen Feststellungen unter allen nach der konkreten Sachlage naheliegenden Gesichtspunkten würdigen (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 267 Rdn. 150 m.w.N.). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Beweiswürdigung beschränkt sich auf den Gesichtspunkt des Aufenthalts der Angeklagten am Tatort: Es wird belegt, daß die drei Angeklagten sich von 13.42 Uhr bis 13.47 Uhr auf der Konsulatstreppe befanden („andernfalls wären sie nicht angeschossen worden”); zudem wird referiert, daß ein längerer dortiger Aufenthalt nicht habe festgestellt werden können, zumal da keiner der Zeugen einen der Angeklagten (hinreichend sicher) als Täter habe identifizieren können. Diese alleinige Betrachtung des sechsminütigen Aufenthalts der Angeklagten auf der Treppe greift zu kurz.
Die Feststellungen weisen eine Massenaktion aus, bei der mindestens 70 Personen, zum Teil mit massiven Schlagwerkzeugen bewaffnet, unter gewalttätigen Übergriffen gegen Polizeibeamte, die – vereinzelt nicht unerheblich – verletzt wurden, durch Überklettern des Zaunes auf das Konsulatsgelände und teilweise auch in das Konsulatsgebäude eindrangen. Bei diesem Bild des Gesamtgeschehens durfte das Landgericht die Beweiswürdigung nicht damit abschneiden, daß es allein auf den sechsminütigen Aufenthalt der Angeklagten auf der Treppe abstellte. Vielmehr war eine Erörterung der möglichen Intentionen und Wahrnehmungen der Angeklagten geboten. Dabei war zunächst der unfriedliche Charakter der Gesamtaktion in Rechnung zu stellen. Daß die Angeklagten durch Überklettern des Zaunes auf das Konsulatsgelände vordrangen, kann Indizwirkung haben. Nach den Feststellungen liegt es zudem nahe, daß die Angeklagten während ihres Aufenthalts auf der Treppe wahrnahmen, in welcher Weise „einigen Kurden es auch (gelang), in das Konsulatsgebäude zu kommen” (UA S. 5). Schließlich war zu bedenken, daß am Vortag der hier in Rede stehenden Ereignisse anläßlich der Festnahme des Öcalan eine Vielzahl von Kurden das griechische Generalkonsulat in Berlin über längere Zeit hinweg besetzt gehalten und im Inneren schwere Verwüstungen angerichtet hatte. Zu alledem schweigt das Urteil.
Es kommt folgendes hinzu: Am Ende der Beweiswürdigung ist im Urteil ausgeführt: „Der von der Kammer festgestellte Sachverhalt wurde von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht abweichend gesehen. Auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft konnten sämtlichen Angeklagten keine Gewalthandlungen oder aufwiegelnden Handlungen persönlich nachgewiesen werden. Sie beantragte dennoch deren Verurteilung, weil ihnen das – unstreitige – gewalttätige Verhalten kurdischer Demonstranten im zeitlichen Vorfeld und vor dem Konsulatsgelände zuzurechnen sei. Diese Rechtsauffassung wird von der Kammer nicht geteilt” (UA S. 10). Diese Ausführungen verstärken die Besorgnis des Senats, daß das Landgericht die Indizwirkung von objektiven Umständen für das Vorliegen weiterer Merkmale, hier insbesondere der subjektiven Voraussetzungen der in Betracht kommenden Massendelikte, übersehen hat, nämlich statt dessen vom Vorliegen allein einer Rechtsfrage ausgegangen ist.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Tepperwien, Brause
Fundstellen
Haufe-Index 512761 |
NStZ-RR 2001, 239 |