Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendigkeit des Vorliegens einer objektiven Benachteiligung der Insolvenzgläubiger für eine Insolvenzanfechtung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Insolvenzanfechtung unterliegen nach § 129 I InsO Rechtshandlungen, welche die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligen. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert hat, mithin wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten.
2. Tritt der Insolvenzschuldner eine Forderung an einen Gläubiger ab, die er vorher bereits im Rahmen einer Globalzession an eine Bank zur Sicherheit abgetreten hatte, und wird daraufhin nach Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zahlung an diesen Gläubiger geleistet, so unterliegt dieses Geschäft der Insolvenzanfechtung.
3. Das Recht zur Einziehung oder anderweitigen Verwertung steht jbei einer Sicherungsabtretung ausschließlich dem Insolvenzverwalter zu (§ 166 II InsO), solange er die Forderung nicht dem Sicherungsgläubiger zur Verwertung überlässt (§ 170 II InsO). Das der Insolvenzmasse zustehende Recht verkörpert einen selbständigen, im Kern geschützten Vermögenswert.
4. Dieser Vermögenswert entgeht der Masse, wenn der Schuldner des Insolvenzschuldners durch die Zahlung an einen Gläubiger des Insolvenzschuldners von seiner Leistungspflicht frei wird. Wird eine abgetretene Forderung von dem ursprünglichen Gläubiger nochmals an einen Dritten abgetreten, muss der Erstzessionar eine Leistung, die der Schuldner nach der erneuten Abtretung an den Dritten bewirkt, gegen sich gelten lassen, es sei denn, dass der Schuldner die Globalabtretung bei der Leistung kennt.
5. Ein Insolvenzverwalter kann die Zahlung an den einen Gläubiger des Insolvenzschuldners als inkongruente Deckung nach § 131 I S. 1 Nr. 1 InsO anfechten und von diesem Rückgewähr der erlangten Zahlung nach § 143 I InsO verlangen. Der Gläubiger erhält in solchen Fällen eine Befriedigung, die er nicht in der Art zu beanspruchen hat. Auch die Abtretung der Forderung scheidet als kongruenzbegründender Schuldgrund für die Zahlung aus, weil sie wegen der zeitlich vorgehenden Globalzession ins Leere ging und zudem vom Insolvenzverwalter als inkongruente Deckung wirksam angefochten worden ist.
6. Ein Anspruch des Gläubigers auf die Abtretung der Forderung ergab sich insbesondere auch nicht aus § 648a BGB in der hier noch anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (Art. 229 § 19 I EGBGB). Diese Vorschrift gab einem Unternehmer ein Leistungsverweigerungsrecht, jedoch keinen durchsetzbaren Anspruch auf Gewährung einer Sicherheit.
Normenkette
InsO § 50 Abs. 1, § 51 Nr. 1, § 129 Abs. 1, § 166 Abs. 2; BGB § 407 Abs. 1, § 409 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Urteil vom 01.04.2009; Aktenzeichen 7 U 662/08) |
LG Mühlhausen (Urteil vom 08.07.2008; Aktenzeichen 3 O 317/07) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 1. April 2009 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 8. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtsmittelzüge zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. Dezember 2006 auf einen Gläubigerantrag vom 13. September 2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der I. GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin hatte ihre Kundenforderungen mit Verträgen vom 8. Mai 1996 (Buchstaben L bis Z) und vom 16. Februar 2004 (Buchstaben A bis K) im Wege der Globalzession an die S. V. zur Sicherung von deren Ansprüchen aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung abgetreten. Am 20. September 2006 vereinbarte die Schuldnerin mit der Beklagten zur Erfüllung eines Vergütungsanspruchs, welcher der Beklagten gegen die Schuldnerin zustand, die Abtretung einer Werklohnforderung der Schuldnerin gegen das Straßenbauamt P. in Höhe eines Teilbetrags von 75.500 EUR. Das Straßenbauamt zahlte auf eine entsprechende Abtretungsanzeige am 26. Oktober 2006 an die Beklagte einen Betrag von 58.000 EUR.
Rz. 2
Der Kläger hat die Abtretung und die Zahlung an die Beklagte angefochten und verlangt von der Beklagten die Erstattung des vereinnahmten Betrags zur Masse. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat Erfolg. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagte keinen insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch, weil es an der hierfür erforderlichen objektiven Gläubigerbenachteiligung fehle. Die Zahlung des Straßenbauamtes habe das den Gläubigern der Schuldnerin haftende Vermögen nicht verkürzt, weil die Forderung aufgrund der Globalzession der S. V. zugestanden habe. Die Forderung sei durch die Zahlung an die Beklagte auch nicht erloschen, weil die Ermächtigung der Schuldnerin, an einen Dritten zu leisten, mangels Verfügungsbefugnis der Schuldnerin nicht wirksam gewesen sei.
II.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 6
1. Der Insolvenzanfechtung unterliegen gemäß § 129 Abs. 1 InsO nur Rechtshandlungen, welche die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligen. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert hat, mithin wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten (BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 – IX ZR 58/10, WM 2011, 371 Rn. 12; vom 17. März 2011 – IX ZR 166/08, WM 2011, 803 Rn. 8; jeweils mwN).
Rz. 7
2. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Insolvenzgläubiger der Schuldnerin wurden durch die Zahlung des Straßenbauamts an die Beklagte benachteiligt, weil dadurch die Forderung gegen das Straßenbauamt aus dem Werkvertrag mit der Schuldnerin erlosch.
Rz. 8
a) Inhaberin der Forderung, auf welche das Straßenbauamt zahlte, war zwar aufgrund der Globalzession die S.V.. Die spätere Abtretung an die Beklagte vermochte daran mangels Verfügungsberechtigung der Schuldnerin nichts zu ändern. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schließt dies eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger der Schuldnerin aber nicht aus. Bei der Globalzession handelte es sich um eine Sicherungsabtretung. In der Insolvenz der Schuldnerin war die S. deshalb gemäß § 51 Nr. 1, § 50 Abs. 1 InsO zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Das Recht zur Einziehung oder anderweitigen Verwertung steht jedoch ausschließlich dem Insolvenzverwalter zu (§ 166 Abs. 2 InsO), solange er die Forderung nicht dem Sicherungsgläubiger zur Verwertung überlässt (§ 170 Abs. 2 InsO). Das der Insolvenzmasse zustehende Recht verkörpert einen selbständigen, im Kern geschützten Vermögenswert (BGH, Urteil vom 5. April 2001 – IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233, 239; vom 2. Juni 2005 – IX ZR 181/03, ZIP 2005, 1651, 1652; vom 9. Februar 2006 – IX ZR 121/03, ZIP 2006, 818 Rn. 16; entsprechend für den Fall einer Sicherungsübereignung: BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370, 2372; vom 29. März 2007 – IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126 Rn. 26).
Rz. 9
b) Dieser Vermögenswert entging der Masse, weil das Straßenbauamt durch die Zahlung an die Beklagte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts von seiner Leistungspflicht frei wurde. Wird eine abgetretene Forderung von dem ursprünglichen Gläubiger nochmals an einen Dritten abgetreten, muss der Erstzessionar eine Leistung, die der Schuldner nach der erneuten Abtretung an den Dritten bewirkt, gegen sich gelten lassen, es sei denn, dass der Schuldner die Abtretung bei der Leistung kennt (§ 408 Abs. 1, § 407 Abs. 1 BGB). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dass das Straßenbauamt zum Zeitpunkt der Zahlung an die Beklagte von der Sicherungszession an die S. gewusst habe, ist weder festgestellt noch von der hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten vorgetragen. Auch im Verhältnis zur Schuldnerin wurde das Straßenbauamt frei, weil jene ihm die – unwirksame – Abtretung der Forderung an die Beklagte angezeigt hatte (§ 409 Abs. 1 Satz 1 BGB).
III.
Rz. 10
Das Berufungsurteil beruht danach auf einem Rechtsfehler (§ 562 Abs. 1 ZPO). Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig; vielmehr ist die Klage in vollem Umfange begründet (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Kläger kann die Zahlung an die Beklagte als inkongruente Deckung gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO anfechten und von ihr Rückgewähr der erlangten Zahlung nach § 143 Abs. 1 InsO verlangen.
Rz. 11
1. Die gläubigerbenachteiligende Zahlung des Straßenbauamts verschaffte der Beklagten eine Befriedigung, die sie nicht in der Art zu beanspruchen hatte. Aus ihrem Werkvertrag mit der Schuldnerin hatte sie keinen Anspruch auf eine Direktzahlung durch das Straßenbauamt (BGH, Urteil vom 8. Oktober 1998 – IX ZR 337/97, WM 1998, 2345, 2348; vom 9. Januar 2003 – IX ZR 85/02, WM 2003, 398, 400; vom 21. April 2005 – IX ZR 24/04, WM 2005, 1033, 1034; vom 16. Oktober 2008 – IX ZR 2/05, ZIP 2008, 2324 Rn. 13). Auch die Abtretung der gegen das Straßenbauamt gerichteten Forderung an die Beklagte scheidet als kongruenzbegründender Schuldgrund für die Zahlung aus, weil sie wegen der zeitlich vorgehenden Globalzession an die S. ins Leere ging und zudem vom Kläger als inkongruente Deckung nach § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wirksam angefochten wurde.
Rz. 12
Ein Anspruch der Beklagten auf die Abtretung der Forderung ergab sich insbesondere nicht aus § 648a BGB in der hier noch anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (Art. 229 § 19 Abs. 1 EGBGB). Diese Vorschrift gab dem Unternehmer ein Leistungsverweigerungsrecht, jedoch keinen durchsetzbaren Anspruch auf Gewährung einer Sicherheit (BGH, Urteil vom 9. November 2000 – VII ZR 82/99, BGHZ 146, 24, 28). Sie begründet nicht die Kongruenz einer nachträglichen Vereinbarung über die Abtretung einer Werklohnforderung des Hauptunternehmers gegen den Bauherrn an den Subunternehmer (BGH, Urteil vom 18. November 2004 – IX ZR 299/00, WM 2005, 804, 806; vom 10. Mai 2007 – IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1162 Rn. 8).
Rz. 13
2. Die Zahlung erfolgte nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Weiteres setzt die Anfechtbarkeit nach § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht voraus.
Fundstellen
Haufe-Index 2935052 |
NJW-RR 2012, 687 |
EWiR 2012, 291 |
IBR 2012, 24 |
WM 2011, 2293 |
WM 2011, 2293, 2294 |
WuB 2012, 107 |
NZI 2011, 855 |
NZI 2011, 855, 856 |
ZInsO 2011, 1979 |
ZInsO 2011, 1979, 1980 |
ZInsO 2012, 1149 |
InsbürO 2012, 78 |
KSI 2012, 42 |
NJW-Spezial 2011, 758 |
StBW 2011, 1127 |
StBW 2011, 1127, 1128 |