Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafsache

 

Leitsatz (amtlich)

Mit dem „leiblichen” Kind in § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nur das vom Täter blutmäßig abstammende Kind gemeint. Es genügt nicht die Feststellung, daß das betroffene Kind gemäß § 1591 BGB das eheliche Kind des Angeklagten ist.

 

Normenkette

StGB 1975 § 174 Abs. 1 Nr. 3; BGB § 1591

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 1980 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils.

1. Eine vollendete Straftat nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB kann nur derjenige begehen, der sexuelle Handlungen „an seinem … leiblichen Kind” (oder Adoptivkind) vornimmt. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn das betroffene Kind zwar gemäß § 1591 BGB rechtlich das eheliche Kind des Täters ist, in Wirklichkeit aber – was die Strafkammer im vorliegenden Fall offen gelassen hat (s. unten Nr. 2) – von einem anderen Mann abstammt.

In der ursprünglichen, durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I S. 1725) geschaffenen Fassung richtete sich § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegen denjenigen, der sexuelle Handlungen „an seinem noch nicht achtzehn Jahre alten Kind” (oder Adoptivkind) vornahm. Sie wurde dahin verstanden, daß sie sowohl das vom Täter blutmäßig abstammende (eheliche oder nichteheliche) als auch – was im Hinblick auf die Einbeziehung des Adoptivkindes folgerichtig war – das dem Täter nur rechtlich gemäß § 1591 BGB als ehelich zugeordnete Kind schütze (Lenckner in Schönke/Schröder, 18. Aufl. 1976, § 174 Rdn. 21; Lackner, 10. Aufl. 1976, § 174 Anm. 2 e; Dreher, 36. Aufl. 1976, § 174 Rdn. 7).

Den jetzigen Wortlaut, nach dem es sich als Voraussetzung für die Strafbarkeit um das „leibliche” Kind (oder das Adoptivkind) des Täters handeln muß, erhielt die Vorschrift durch das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 (BGBl. I S. 1749). Das Merkmal wurde eingefügt im Zusammenhang mit der Beratung und Neufassung des § 173 StGB, in dessen Absatz 1 der Begriff des „Verwandten absteigender Linie” durch den Begriff „leiblichen Abkömmling” ersetzt wurde. Aufschluß über Anlaß und Zweck beider Änderungen geben die (ausschließlich) zu § 173 StGB geführten Erörterungen.

§ 173 Abs. 1 StGB hatte sich – auch in älteren Fassungen – nur gegen Beischlafshandlungen mitblutsverwandten Abkömmlingen gerichtet. Die natürliche Abstammung mußte nachgewiesen werden, die Bestimmung des § 1591 BGB galt insoweit nicht (RG JW 1938, 1315; BGHST 79 245; BGH GA 1957, 218; ebenso die einhellige Auffassung im Schrifttum). Bei der Schaffung des Adoptionsgesetzes wurde von denjenigen zivilrechtlichen Neuregelungen, nach denen einerseits das Adoptivkind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden erlangt (§ 1754 BGB), andererseits sein Verwandtschaftsverhältnis zu seinen leiblichen Eltern erlischt (§ 1755 BGB), die Auswirkung befürchtet, daß sie den Verwandtschaftsbegriff und damit den Tatbestand des § 173 StGB entsprechend ändern würden. Dem wollte der Gesetzgeber mit der erwähnten Neufassung begegnen (Regierungsentwurf, Bundestags-Drucks. 7/3061 S. 61; Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses des Rechtsausschusses des Bundesrates vom 5. November 1974 – 2446 (7) – Nr. R 114/74 S. 28 bis 30; Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform des Deutschen Bundestages vom 10. März 1976 S. 2631). Die Neufassung bewirkte zugleich, daß Beischlafshandlungen des sog. „Scheinvaters” mit dem ihm nur rechtlich gemäß § 1591 BGB als ehelich zugeordneten Kind nach wie vor außerhalb des Anwendungsbereichs der Vorschrift blieben.

Auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB bestand die Besorgnis, die Vorschrift in ihrem ursprünglichen Wortlaut werde sexuelle Handlungen einer Person gegenüber ihrem leiblichen Kind in denjenigen Fällen nicht mehr erfassen, in denen das Kind von anderen Personen adoptiert und sein „Kind”schaftsverhältnis zum Täter gemäß § 1755 BGB erloschen ist. Um die Strafdrohung insoweit beizubehalten, wurde das genannte Merkmal eingefügt (Regierungsentwurf, Bundestags-Drucks. 7/3061 S. 61). Dabei wurde aber offensichtlich nicht bedacht, daß sich diese Vorschrift bis dahin – anders als § 173 Abs. 1 StGB auch auf den Scheinvater des § 1591 BGB erstreckt hatte, und daß die Einfügung den Tatbestand in diesem Punkt einengen würde. Das kann jedoch nichts daran ändern, daß das Tatbestandsmerkmal „leiblich” nunmehr auch in § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB den Inhalt hat, den der Gesetzgeber bei § 173 Abs. 1 StGB gewollt hat und der dem eindeutigen Wortlaut entspricht (Lackner, 13. Aufl. 1980, § 174 Anm. 2 c; Lenckner in Schönke/Schröder, 20. Aufl. 1980, § 174 Rdn. 11; Horn in Syst. Kommentar § 174 Rdn. 25).

2. Im vorliegenden Fall hat sich die Strafkammer zur Frage der leiblichen Abstammung des Kindes Eva-Maria vom Angeklagten ersichtlich keine Überzeugung gebildet. Zwar hat sie Eva-Maria mehrfach als Tochter oder (eigenes) Kind des Angeklagten (UA S. 49 59 89 99 129 13) sowie als aus dessen Ehe hervorgegangen (UA S. 2) bezeichnet. Die weiteren Urteilsausführungen UA S. 2,

„Beide Ehepartner nahmen es mit der ehelichen Treue nicht genau, der Angeklagte hatte Zweifel, ob er tatsächlich der Vater des letzten Kindes aus dieser Ehe ist, hat aber die Ehelichkeit der Zeugin Eva-Maria nicht angefochten”

lassen jedoch erkennen, daß der Strafkammer dabei nur der umfassende Ehelichkeitsbegriff des § 1591 BGB vorschwebte, ohne daß sie zwischen der leiblichen und der Scheinvaterschaft unterschieden hätte. Das zeigt sich auch darin, daß die Strafkammer bei der rechtlichen Würdigung (UA S. 13) das hier entscheidende Merkmal „leiblich” übersehen und in Anwendung der früheren Gesetzesfassung lediglich von „seinem noch nicht 18 Jahre alten Kind” gesprochen hat. Damit kann den Urteilsgründen die Feststellung, der Angeklagte habe sein leibliches Kind sexuell mißbraucht, nicht entnommen werden. Dieser Fehler nötigt zur Aufhebung des Urteils.

3. Falls das neu erkennende Gericht wiederum zu einer Verurteilung wegen eines (vollendeten oder versuchten) Vergehens nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB kommt, empfiehlt es sich, bei den Strafzumessungserwägungen ausdrücklich auch die Frage anzusprechen, welche schädigenden Auswirkungen die Tat auf die (damals kurz vor Erreichen des 18. Lebensjahres stehende, sexuell nicht unerfahrene) Eva-Maria hatte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609920

BGHSt, 387

NJW 1981, 1326

NStZ 1981, 138

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