Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenkapitalersatzcharakter eines Gesellschafterdarlehens zum Stichtag. Unwiderlegbare Vermutung
Leitsatz (amtlich)
Ist im letzten Jahr vor Anbringung des Insolvenzantrags von der Gesellschaft eine Leistung auf ein Gesellschafterdarlehen erbracht worden, das zuvor eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt hat, ist dem Gesellschafter der Nachweis abgeschnitten, dass im Zahlungszeitpunkt das Stammkapital der Gesellschaft nachhaltig wieder hergestellt und damit die Durchsetzungssperre entfallen war; vielmehr wird der Eigenkapitalersatzcharakter zum Stichtag unwiderleglich vermutet (Bestätigung von BGH v. 26.3.1984 - II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 [380 f.] = GmbHR 1984, 313 = MDR 1984, 737).
Normenkette
GmbHG § 32a a.F., § 32b; InsO § 135 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des OLG Hamm vom 28.10.2003 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist Gesellschafterin der S. GmbH, über deren Vermögen auf ihren eigenen Antrag vom 7.3.2000 das Insolvenzverfahren eröffnet und in dem der Kläger zum Insolvenzverwalter berufen worden ist. Am 7.3. und 5.5.1999 hat die Gemeinschuldnerin Teilrückzahlungen auf von der Beklagten gewährte Darlehen geleistet. Hierin sieht der Kläger einen Verstoß gegen die Eigenkapitalersatzregeln und fordert Erstattung des gezahlten Betrages.
Das von der Beklagten im Jahr 1988 gewährte Darlehen hatte ursprünglich eigenkapitalersetzenden Charakter. Nach von dem Kläger bestrittener Behauptung der Beklagten soll sich die Gemeinschuldnerin in der Folgezeit erholt haben, so dass die nach den Eigenkapitalersatzregeln ursprünglich bestehende Durchsetzungssperre bei den hier in Rede stehenden Zahlungen entfallen sei; erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 sei eine neue Krisensituation entstanden, die schließlich zur Stellung des Insolvenzantrags genötigt habe.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung der Beklagten darauf gestützt, dass jedenfalls die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 135 Nr. 2 InsO i.V.m. §§ 32a, b GmbHG erfüllt seien. Es hat angenommen, dass die von dem Senat zu § 32a KO aufgestellten Grundsätze (BGH v. 26.3.1984 - II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 [380 f.] = GmbHR 1984, 313 = MDR 1984, 737) auch nach der Ersetzung der KO durch die InsO Geltung beanspruchen. Demnach komme es allein darauf an, dass die Gesellschaft auf ein früher als eigenkapitalersetzend einzustufendes Gesellschafterdarlehen im letzten Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrages Leistungen erbracht habe. Dann nämlich werde unwiderleglich vermutet, dass die Gesellschaft sich auch im Zahlungszeitpunkt in der Krise i.S.v. § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG befunden habe.
II. Dies hält den Angriffen der Revision stand. Der Senat sieht keinen Grund, mit Rücksicht auf das In-Kraft-Treten der InsO, durch die § 32a Satz 2 KO durch § 135 Nr. 2 InsO ersetzt worden ist, von der in der genannten Leitentscheidung entwickelten Auslegung der Novellenregeln abzugehen; dazu geben entgegen der Ansicht der Revision auch die in Teilen des Schrifttums (Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., §§ 32a, 32b Rz. 54; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., § 32a Rz. 51; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl., § 32a Rz. 66; zust. hingegen u.a. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., § 32a/b Rz. 93, 101; Stodolkowitz in MünchKomm/Inso, § 135 Rz. 59; s.a. v. Gerkan in Röhricht/v. Westphalen, HGB, § 172a Rz. 31; Gerkan in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl., Rz. 3.97; Michalski/Heidinger, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 89) angeführten Gründe keinen Anlass, die der Senat im Kern bereits seinerzeit (vgl. die Zitate von K. Schmidt, ZGR 1980, 567 [577 f.] und Geßler, ZIP 1981, 228 [233]) gewürdigt hat. Ist danach im letzten Jahr vor Anbringung des Insolvenzantrags - oder dem nach § 6 AnfG gleichstehenden Zeitpunkt - von der Gesellschaft eine Leistung auf ein Gesellschafterdarlehen erbracht worden, das zuvor eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt hat, ist dem Gesellschafter - anders als im Geltungsbereich der sog. Rechtsprechungsregeln (BGH, Urt. v. 27.11.1989 - II ZR 43/89, GmbHR 1990, 122 = MDR 1990, 603 = ZIP 1990, 98 [100]; BGH v. 26.3.1984 - II ZR 14/84, BGHZ 90, 370 [381] = GmbHR 1984, 313 = MDR 1984, 737) - der Nachweis abgeschnitten, dass im Zahlungszeitpunkt eine Krise nicht mehr bestanden hat; im Interesse des von dem Gesetzgeber mit der Schaffung der §§ 32a und b GmbHG und der zugehörigen Anfechtungsvorschriften beabsichtigten Gläubigerschutzes wird in diesem Fall der Eigenkapitalersatzcharakter der Gesellschafterhilfe für den Zeitpunkt der Leistung unwiderleglich vermutet.
Mit den Novellenregeln hat der Gesetzgeber typisierend die Fallgestaltungen erfassen wollen, in denen regelmäßig bestimmte Finanzierungsfolgenentscheidungen der Gesellschafter den Todeskampf der Gesellschaft verlängern. Dem Insolvenzverwalter als dem Vertreter der Gläubigergesamtheit soll durch das Anfechtungsrecht die Möglichkeit eröffnet werden, in einem zügigen und effektiven Verfahren Zahlungen der jetzigen Gemeinschuldnerin an den Gesellschafter zugunsten der Masse rückabzuwickeln. Aus diesem Grund sind in pauschalierender Weise die Zahlungen im letzten Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrags in voller Höhe in den Anwendungsbereich der Novellenregeln einbezogen worden. Das Ziel des Gesetzgebers würde nur unvollkommen erreicht werden, wenn dem Gesellschafter zwar der Einwand abgeschnitten wäre, dass die in dem entscheidenden Zeitraum erbrachte Leistung nur teilweise zu Lasten des gebundenen Kapitals der Gesellschaft gegangen ist, ihm aber die Möglichkeit eröffnet würde nachzuweisen, dass sich die spätestens zwölf Monate später fallierte Gesellschaft nicht nur nicht mehr in der Krise befunden hat, sondern dass ihr Stammkapital zwischenzeitlich nachhaltig wieder hergestellt war (BGH, Urt. v. 8.11.2004 - II ZR 300/02, BGHReport 2005, 511 = GmbHR 2005, 232 m. Anm. Blöse = MDR 2005, 284 = ZIP 2005, 82 [84], m.w.N.). Gerade der hier zu entscheidende Fall belegt die Schwierigkeiten, die sich bei einer Zulassung des Nachweises der Entsperrung durch den Gesellschafter für die zügige Durchsetzung des Anfechtungsrechts ergeben würden. Hier müssten die Auswirkungen der Kapitalerhöhung und Fragen des Rangrücktritts geklärt werden. Ferner wäre unabhängig davon dem Einwand nachzugehen, ob die zur Insolvenzantragstellung führende Krise der Gesellschaft tatsächlich erst in der zweiten Jahreshälfte 1999 völlig unerwartet eingetreten ist.
Gerade angesichts der Kürze der Zeiträume, innerhalb derer der Insolvenzverwalter mit Aussicht auf Erfolg anfechten kann, ist es gerechtfertigt, dem Gläubigerschutz durch die Unwiderleglichkeit der Vermutung der Eigenkapitalersatzfunktion Vorrang einzuräumen ggü. der - selbst nach Ansicht der Kritiker ohnehin selten aussichtsreichen (Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., § 32a Rz. 51) - Möglichkeit des durch den Gesellschafter zu führenden Nachweises der Entsperrung. Bestätigt wird diese Beurteilung des Senats schließlich durch die jüngst veröffentlichten Vorschläge zur Neugestaltung des Eigenkapitalersatzrechts, nach denen - auch im Interesse größerer Rechtssicherheit und einfacherer Handhabbarkeit der Eigenkapitalersatzgrundsätze - die Novellenregeln ausgebaut werden sollen (Huber/Habersack, BB 2006, 1 ff.).
Eine abweichende Beurteilung ist, anders als die Revision meint, auch nicht deswegen veranlasst, weil es nach § 135 Nr. 2 InsO nunmehr nicht auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ankommt (so noch § 32a KO), sondern die beschriebene Vermutung bereits den Zeitraum von einem Jahr vor Stellung des Insolvenzantrags erfasst. Die Anknüpfung an den Zeitpunkt des Antrags auf Insolvenzeröffnung in § 135 Nr. 2 InsO diente nur dazu, den insolvenzrechtlichen Anfechtungszeitraum für alle Anfechtungsarten zu vereinheitlichen (BT-Drucks. 12/2443, 161 zu § 150 RegEntw.). Den Gesetzesmaterialien kann indessen nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber damit etwa auch die Unwiderlegbarkeit der Vermutung hat beseitigen wollen; im Gegenteil spricht der Umstand, dass in § 135 Nr. 2 InsO keine dem § 136 Abs. 2 InsO vergleichbare Bestimmung aufgenommen worden ist, dafür, dass es bei der dem Gesetzgeber bekannten Handhabung durch die Rechtsprechung bleiben sollte.
Fundstellen
Haufe-Index 1487689 |
BB 2006, 627 |
DB 2006, 606 |
DStR 2006, 478 |
DStZ 2006, 280 |