Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigentümerhaftung. Zustandsstörer trotz Eigentumsverzicht
Leitsatz (amtlich)
Der Eigentümer kann sich der Haftung als Zustandsstörer (§ 1004 Abs. 1 BGB) nicht durch Verzicht auf sein Eigentum entziehen.
Normenkette
BGB § 1004 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des KG in Berlin vom 19.6.2006 aufgehoben, soweit über Räumungs- und Beseitigungsansprüche erkannt worden ist. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 13 des LG Berlin vom 3.11.2005 wird insoweit zurückgewiesen.
Die weitergehende Revision des Klägers wird als unzulässig verworfen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen der Kläger 67 % und der Beklagte 33 %, von denen der Rechtsmittelinstanzen der Kläger 63 % und der Beklagte 37 %.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Das klagende Land ist Eigentümer einer Gründstücksfläche, auf dem G. M. aufgrund eines mit dem Land geschlossenen Mietvertrags eine Bootsanlage betrieben und hierzu Gebäude und andere Baulichkeiten errichtet hatte, die nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien als nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grundstück verbunden gelten und im Eigentum der Mieterin bleiben sollten. 1992 wurde die Bootsanlage an U. B. veräußert, der mit dem Land ebenfalls einen Mietvertrag abschloss. Dieser Vertrag sah unter Berücksichtigung einer ausgeübten Verlängerungsoption eine Vertragsdauer bis Ende 2001 vor. Im September 1996 veräußerte U. B. die Bootsanlage an den Beklagten. Nachdem ein Ankauf des Grundstücks durch den Beklagten gescheitert war, bemühte sich dieser Ende 2001 um den Abschluss eines Mietvertrages. Das Land lehnte dies ab. Es verlangt die Herausgabe und die Räumung des Areals, die Beseitigung von zur Bootsanlage gehörenden Bauten sowie die Zahlung einer Nutzungsentschädigung.
[2] Nach teilweiser Klagerücknahme hat das LG der Klage stattgegeben. In der Berufungsverhandlung vor dem KG hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu Protokoll erklärt, sein Mandant gebe - für den Fall, dass das Berufungsgericht von einem fortdauernden Besitz des Beklagten ausgehen sollte - einen etwaigen Besitz an der Fläche auf. Mit der Entfernung sämtlicher auf dem Grundstück vorhandenen Aufbauten durch das Land sei der Mandant einverstanden.
[3] Das KG hat das Urteil des LG geändert und die Klage abgewiesen. Das Land möchte mit der von dem KG zugelassenen Revision eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
[4] Das Berufungsgericht ist der Auffassung, einem Räumungsanspruch stehe das Fehlen eines Mietvertrages entgegen. Herausgabe könne nicht verlangt werden, weil das Land nicht bewiesen habe, dass der Beklagte wenigstens bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch Besitzer der Fläche gewesen sei. Für Ansprüche auf Nutzungsentschädigung fehle es an der von den §§ 987 f. BGB vorausgesetzten Vindikationslage. Die Voraussetzungen des § 1004 BGB lägen nicht vor. Da die Bauten nicht auf Veranlassung des Beklagten errichtet worden seien, komme eine Zurechnung als Handlungsstörer nicht in Betracht. Zustandsstörer sei der Beklagte nicht mehr, weil die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung zur Aufgabe des Eigentums geführt hätten. Die Revision sei zuzulassen, soweit es um die Frage gehe, ob die Haftung als Zustandsstörer nach § 1004 Abs. 1 BGB durch Aufgabe des Eigentums an der störenden Sache ende.
II.
[5] 1. Die Revision ist nur zulässig, soweit sich das Land gegen die Abweisung des Räumungs- und Beseitigungsverlangens wendet. Im Übrigen steht der Statthaftigkeit des Rechtsmittels die fehlende Zulassung entgegen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
[6] a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann die Revision auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines selbständig anfechtbaren Teil- oder Zwischenurteils sein könnte oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (vgl. nur Senat, Beschl. v. 29.1.2004 - V ZR 244/03, NJW-RR 2004, 1365, m.w.N.; ferner BGH v. 3.6.1987 - IVa ZR 292/85, BGHZ 101, 276, 278 = MDR 1987, 917; BGH, Urt. v. 20.5.2003 - XI ZR 248/02, MDR 2003, 1190 = BGHReport 2003, 961 = VersR 2003, 1396, 1397, v. 4.6.2003 - VIII ZR 91/02, BGHReport 2003, 1165 = MDR 2003, 1248 = NJW-RR 2003, 1192, 1193, und v. 5.11.2003 - VIII ZR 320/02, MDR 2004, 468 = BGHReport 2004, 262 = NJW-RR 2004, 426 f.; Urt. v. 12.12.2006 - VI ZR 4/06, BGHReport 2007, 359 = Rz. 4 m.w.N., zur Veröffentlichung bestimmt). Zumindest die zuletzt genannte Alternative liegt vor, weil das Land die Abweisung der Klage wegen der Ansprüche auf Herausgabe und Nutzungsentschädigung hätte hinnehmen und demgemäß sein Rechtsmittel auf das Räumungs- und Beseitigungsverlangen hätte beschränken können.
[7] b) Der Annahme einer beschränkten Revisionszulassung steht nicht entgegen, dass die Entscheidungsformel des Berufungsurteils keine Einschränkung enthält. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und demgemäß von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn sich dies aus den Gründen die Beschränkung klar ergibt (vgl. nur Senat, Beschl. v. 29.1.2004, a.a.O.; Urt. v. 8.10.2004 - V ZR 84/04, BGHReport 2005, 145 = BauR 2005, 444; BGH, Urt. v. 3.3.2005 - IX ZR 45/04, BGHReport 2005, 867 = MDR 2005, 886 = NJW-RR 2005, 715, 716; jeweils m.w.N.). So liegt es hier, weil sich die von dem Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffes stellt (vgl. dazu nur BGHZ 48, 134, 136; 153, 358, 362; Urt. v. 3.3.2005, a.a.O.). Aus den Gründen des Berufungsurteils ergibt sich deutlich, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nur mit Blick auf die Frage bejaht hat, ob die Haftung als Zustandsstörer nach § 1004 Abs. 1 BGB durch Aufgabe des Eigentums an der störenden Sache endet. Erheblich ist diese Rechtsfrage allein für die Streitgegenstände Räumung und Beseitigung. Für die weiteren - auf Herausgabe und Nutzungsentschädigung gerichteten - Klageansprüche ist sie bedeutungslos.
[8] 2. In dem zugelassenen Umfang hat das Rechtsmittel auch in der Sache Erfolg.
[9] a) Die Verneinung von Ansprüchen aus § 1004 BGB hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
[10] aa) Verfehlt ist schon der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass sich der Eigentümer einer Haftung als Zustandsstörer nicht durch Verzicht auf sein Eigentum entziehen kann (vgl. BGHZ 18, 253, 258; 41, 393, 397; Urt. v. 4.2.2005 - V ZR 142/04, MDR 2005, 745 = BGHReport 2005, 770 = NJW 2005, 1366, 1367; so auch die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum, etwa AnwKomm-BGB/Keukenschrijver, § 1004 Rz. 49; Soergel/Mühl, BGB, 12. Aufl., § 1004 Rz. 98; vgl. auch Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1004 Rz. 28, 52 m.w.N. auch zum Streitstand; ebenso für das öffentliche Recht BVerwG v. 31.7.1998 - 1 B 229.97, NJW 1999, 231 f.). Daran hält der Senat fest. Der gegenteilige Standpunkt des Berufungsgerichts führte dazu, dass die Vorschrift des § 1004 BGB die ihr zugedachte Aufgabe, zusammen mit § 985 BGB das Eigentum und die damit verbundene Sachherrschaft in umfassender Weise zu schützen (vgl. Senatsurt. v. 4.2.2005, a.a.O., m.w.N.), nur noch unvollständig erfüllen könnte. Das ist deshalb nicht hinnehmbar, weil deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche wegen des Verschuldenserfordernisses keinen dem negatorischen Beseitigungsanspruch gleichwertigen Eigentumsschutz gewährleisten (Senat, a.a.O.).
[11] Dem steht nicht entgegen, dass ein Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB infolge der Veräußerung der störenden Sache entfallen kann (vgl. BGH BGHZ 41, 393, 397 f.; Urt. v. 10.7.1998 - V ZR 60/97, MDR 1998, 1279 = NJW 1998, 3273). Denn der Wegfall der Haftung beruht in solchen Fällen zum einen darauf, dass der Störer infolge der auf den Rechtsnachfolger übergehenden umfassenden Sachherrschaft in der Regel nicht mehr in der Lage ist, die Störung zu beseitigen (vgl. Senat, a.a.O.), und zum anderen darauf, dass die Beseitigung der Störung bei Übernahme der umfassenden Sachherrschaft nunmehr Sache des Erwerbers als Ausdruck seiner Verantwortlichkeit als Zustandsstörer ist (vgl. Medicus in MünchKomm/BGB, a.a.O., Rz. 50). In den Dereliktionsfällen trifft weder das eine noch das andere zu.
[12] bb) Davon abgesehen lässt sich der Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vor dem Berufungsgericht nicht der für eine Dereliktion (§ 959 BGB) erforderliche Verzichtswille entnehmen. Einer dahin gehenden Auslegung steht entgegen, dass nur dem Land gestattet worden ist, die Sachen von dem Grundstück zu beseitigen.
[13] b) Nach allem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist i.S.v. § 563 Abs. 3 ZPO. Weitere Feststellungen kommen nicht in Betracht.
[14] aa) Die Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 BGB liegen vor. Insbesondere stellt der weitere Verbleib der als Scheinbestandteile nach § 95 BGB zu qualifizierenden Bauten auf dem Grundstück des Landes eine dem Beklagten als Zustandsstörer zurechenbare Eigentumsbeeinträchtigung dar. Zwar ist eine Störung dem Eigentümer nicht schon allein wegen seines Eigentums zuzurechnen. Erforderlich ist vielmehr darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung zumindest mittelbar auch auf seinem Willen beruht (std. Senatsrechtsprechung, vgl. nur, BGHZ 19, 126, 129 f.; 122, 283, 284; 155, 99, 105; Urt. v. 4.2.2005 - V ZR 142/04, MDR 2005, 745 = BGHReport 2005, 770 = NJW 2005, 1366, 1368 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist jedoch auch dann gegeben, wenn die Störung - wie hier - mit dem maßgebenden Willen desjenigen aufrechterhalten wird, der infolge Eigentumserwerbs die Herrschaft über die störenden Sachen übernommen hat (BGH BGHZ 29, 314, 317; Urt. v. 22.9.2000 - V ZR 443/99, MDR 2001, 25 = WM 2001, 208; Urt. v. 1.12.2006 - V ZR 112/06, BGHReport 2007, 241 = MDR 2007, 578 = Rz. 12 m.w.N., zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch Medicus in MünchKomm/BGB, a.a.O., Rz. 50 f. m.w.N.).
[15] bb) Die Eigentumsbeeinträchtigungen braucht das Land nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. Dass die Bauten mit seiner Zustimmung errichtet worden sind, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil es entscheidend darauf ankommt, ob gegenwärtig noch eine schuldrechtliche oder dingliche Grundlage für die Eigentumsbeeinträchtigung gegeben ist (Senatsurt. v. 26.1.2007 - V ZR 175/06, Rz. 9 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
[16] (1) Aus eigenem Recht steht dem Beklagten keine Duldungspflicht zur Seite. Der mit dem Land geschlossene notarielle Kaufvertrag besteht nicht mehr. Zum Abschluss eines Mietvertrages zwischen den Parteien ist es nicht gekommen.
[17] (2) Einer Duldungspflicht aus abgeleitetem Recht entsprechend § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. Senatsurt. v. 5.5.2006 - V ZR 139/05, NotBZ 2006, 240 = BGHReport 2006, 949 = MDR 2006, 1221 = NJW-RR 2006, 1160, 1161 m.w.N.) steht entgegen, dass G. M. die Errichtung der Baulichkeiten nur zum vorübergehenden Verbleib gestattet worden war. Aus dem zwischen dem Land und dem unmittelbaren Rechtsvorgänger des Beklagten, U. B., geschlossenen Mietvertrags kann der Beklagte schon deshalb nichts für sich herleiten, weil dieser Vertrag Ende 2001 ausgelaufen war.
III.
[18] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1749202 |
NJW 2007, 2182 |
BGHR 2007, 719 |
BauR 2007, 1288 |
DNotI-Report 2007, 111 |
NZM 2007, 537 |
WM 2007, 1942 |
ZAP 2007, 695 |
JuS 2007, 870 |
MDR 2007, 1008 |
VersR 2007, 1230 |
GuT 2007, 150 |
NotBZ 2007, 252 |
RÜ 2007, 356 |
GuG-aktuell 2008, 7 |
IMR 2007, 234 |