Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 31.05.2002) |
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 31. Mai 2002 mit den Feststellungen aufgehoben, auch soweit es die Angeklagte Ma. betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten M. „wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigen Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen in 14 Fällen, wovon es in einem Fall beim Versuch blieb, davon in 7 Fällen in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Einschleusen von Ausländern, wovon es in einem Fall beim Versuch blieb” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die nichtrevidierende Mitangeklagte Ma. hat es der „Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigen Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen in 5 Fällen, davon in 2 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern” schuldig gesprochen und gegen sie eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Die gegen den Angeklagten M. gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft greift die Schuldsprüche an und erstrebt eine Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Der Angeklagte M. beanstandet mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts.
Beide Rechtsmittel haben mit den Sachrügen Erfolg.
I. Nach den Feststellungen organisierte der Angeklagte M. in 14 Fällen Schleusungen von iranischen Staatsangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland, in andere Schengener Vertragsstaaten sowie in Drittstaaten, um sich dadurch eine Einnahmequelle von längerer Dauer zu verschaffen. Er hatte sich deshalb mit seinem in der Türkei wohnhaften Bruder und einem weiteren dort lebenden unbekannt gebliebenen Mittäter zusammengeschlossen, um künftig fortlaufend Pässe oder sonstige Ausweise für die schleusungswilligen Iraner zu fälschen. Die gefälschten Ausweispapiere erhielt er von seinem Bruder, die dieser zusammen mit dem unbekannt gebliebenen Mittäter hergestellt hatte. Der Angeklagte beschaffte sodann die Flug- und Fährtickets und übernahm die Betreuung der Iraner. Die Mitangeklagte Ma. unterstützte die Taten in fünf Fällen dadurch, daß sie Pakete mit gefälschten Ausweisen annahm und die mit den iranischen Staatsangehörigen vereinbarten Entgelte eintrieb.
II. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten M. ist das Urteil mit den Feststellungen insgesamt aufzuheben, da diese aufgrund von Widersprüchen keine tragfähige Prüfungs- und Entscheidungsgrundlage für das Revisionsgericht bilden.
Zum arbeitsteiligen Zusammenwirken zwischen dem Angeklagten, seinem Bruder und dem unbekannten Bandenmitglied in der Türkei hat das Landgericht bezogen auf alle Fälle folgendes festgestellt (UA S. 6 f.): Nachdem er von seinem Bruder die Schleusungsaufträge entgegengenommen habe, habe er diesem die für die Ausweise erforderlichen Fotos sowie das von den Iranern gezahlte Entgelt nach Abzug seines Anteils übersandt. Der Bruder habe sodann in Absprache mit ihm die passenden Personaldokumente ausgesucht und zusammen mit dem unbekannt gebliebenen Mittäter in diese die Personalien und die Fotos der zu schleusenden Personen eingefügt. Nachdem ihm die gefälschten Ausweise zurückgeschickt worden seien, habe er die Flug- und Fährtickets besorgt und die Betreuung der schleusungswilligen Iraner übernommen. Nach den Feststellungen zu den Fällen II. A. 6., 9. und 14. der Urteilsgründe organisierte der Angeklagten die Einreise von iranischen Staatsangehörigen mit dem Flugzeug aus der Türkei oder über die Türkei – vorwiegend über Österreich – in die Bundesrepublik Deutschland.
In der Beweiswürdigung hat die Strafkammer ohne nähere Begründung ausgeführt, daß die getroffenen Feststellungen auf den glaubhaften Geständnissen der Angeklagten beruhen, die sich mit den Ergebnissen im Ermittlungsverfahren decken. Dabei hat es übersehen, daß das Geständnis des Angeklagten widersprüchlich ist, weil die Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und seinen Mittätern in den Fällen II. A. 6., 9. und 14. der Urteilsgründe nicht entsprechend dem Geständnis erfolgt sein kann. Da sich die Iraner vor den Schleusungen nicht in der Bundesrepublik, sondern in der Türkei aufhielten, ist es nicht nachvollziehbar, daß der Angeklagte seinem Bruder die für die Ausweisfälschungen erforderlichen Fotos und den Schleuserlohn in die Türkei übersandt haben soll. Vor allem gibt es keinen Sinn, daß dem Angeklagten die gefälschten Pässe von seinem Bruder zugeschickt worden sein sollen, weil diese von den Iranern für die Einreise nach Deutschland oder Österreich benötigt wurden. Im Fall II. A. 6. sollen die iranischen Staatsangehörigen mit dem Flugzeug ohne die erforderlichen Papiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein und die gefälschten Pässe erst hier erhalten haben, was ohne weitere Erläuterungen unverständlich ist.
Erklärt der Tatrichter vom Angeklagten eingestandene Tatsachen, die sich widersprechen, ohne nähere Erläuterungen pauschal für glaubhaft, so liegt darin ein sachlichrechtlicher Mangel der Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 3, 213 für ein Urteil, das widersprüchliche Zeugenaussagen ohne weiteres als miteinander vereinbar bezeichnet). Dieser Mangel erfaßt hier die gesamte Beweiswürdigung. Denn bei einem Vergleich der Formulierungen in den Urteilsgründen mit denen der Anklageschrift drängt sich in Verbindung mit den dargestellten Widersprüchen auf, daß das Landgericht die Sachverhaltsschilderungen aus der Anklageschrift aufgrund eines pauschalen Geständnisses ungeprüft in das Urteil übernommen hat (vgl. BGHSt 43, 195, 204). Damit ist den Feststellungen insgesamt die Grundlage entzogen.
III. Darüber hinaus leidet das Urteil – wie die Revision der Staatsanwaltschaft zu Recht bemängelt – an weiteren Rechtsfehlern zu Gunsten des Angeklagten.
1. In den Fällen, in denen das Landgericht den Angeklagten auch wegen tateinheitlich begangenen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (Fälle II. A. 4., 6., 9., 10., 12. und 14. der Urteilsgründe) bzw. des Versuchs dazu (Fall II. A. 5.) verurteilt hat, hat es sich nicht mit der sich aufdrängenden Möglichkeit auseinandergesetzt, daß die Bandenabrede zwischen dem Angeklagten, seinem Bruder und dem unbekannten dritten Bandenmitglied sich nicht nur auf die Urkundsdelikte, sondern auch auf das Einschleusen von Ausländern bezog. Mangels näherer Feststellungen hierzu bzw. eines Hinweises, warum sie nicht getroffen werden konnten, kann der Senat nicht prüfen, ob sich der Angeklagte – wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision u. a. geltend macht und was nach den getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht fernliegt – über den Schuldspruch hinaus auch wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 92 b Abs. 1 i. V. m. § 58 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 92 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6, § 92 a Abs. 1 und 4 AuslG) strafbar gemacht hat (vgl. BGHR AusIG § 92 a Einschleusen 3). Dabei würde es der Annahme einer Bande i. S. d. § 92 b Abs. 1 AuslG, für die der Zusammenschluß von mindestens drei Personen erforderlich ist (BGHSt 46, 321), nicht entgegenstehen, wenn dem unbekannt gebliebenen Fälscher nach der Bandenabrede lediglich Aufgaben zugefallen sein sollten, die sich bei wertender Betrachtungsweise in Bezug auf das Einschleusen lediglich als Gehilfentätigkeit darstellen (BGH NStZ 2002, 318).
2. Im Fall II. A. 8. der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte die Ausreise eines noch vor Erhalt des gefälschten Reisepasses festgenommenen iranischen Staatsangehörigen nach Großbritannien organisiert hatte, sind die Feststellungen unvollständig, weil das Urteil nicht mitteilt, wie weit das Fälschungsvorhaben tatsächlich abgewickelt worden ist. Das Landgericht hat damit auch die naheliegende Möglichkeit offengelassen, daß der gefälschte Paß bereits hergestellt und – wie in den anderen Fällen – dem Angeklagten übersandt worden war. Bei einem solchen Sachverhalt wäre der Angeklagte nicht nur der versuchten, sondern der vollendeten gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB) schuldig.
3. Weiterhin ist die Bewertung der Konkurrenzverhältnisse nicht bedenkenfrei. In den Fällen, in denen für mehrere Personen Ausweise gefälscht wurden, liegt nicht nur ein Fall der gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in Tateinheit mit gewerbs- und (richtig: „oder”, vgl. § 276 Abs. 2 StGB im Gegensatz zu § 267 Abs. 4 StGB) bandenmäßigem Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen vor. Es können je nach den Umständen mehrere tatmehrheitlich oder tateinheitlich zusammentreffende Fälle gegeben sein.
4. Im übrigen wäre auch der Strafausspruch in allen Fällen rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht ist jeweils von minder schweren Fällen der gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB) ausgegangen. Es hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten u. a. angenommen, daß das hauptsächliche Motiv für die Begehung der Straftaten sein Wille gewesen sei, den iranischen Landsleuten ein schweres persönliches Schicksal im Iran zu ersparen.
Dieses altruistische Motiv wird von den Feststellungen nicht getragen und liegt schon angesichts der Absicht des Angeklagten, sich durch eine umfangreiche Schleusertätigkeit eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, sowie der hohen Entgelte, welche von den iranischen Staatsangehörigen für die Hilfeleistungen bezahlt werden mußten, fern. Außerdem läßt sich den Feststellungen nicht entnehmen, daß die geschleusten Personen im Iran ein schweres persönliches Schicksal befürchten mußten, da sie sich in der Bundesrepublik Deutschland oder in anderen sicheren Staaten aufhielten.
IV. Die auf die Sachrüge veranlaßte Aufhebung des gegen den Angeklagten M. ergangenen Urteils erstreckt sich auch auf die Verurteilung der Mitangeklagten Ma., die keine Revision eingelegt hat (§ 357 StPO). Da die Feststellungen zu den vom Angeklagten M. begangenen Taten auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruhen und aufgehoben werden müssen, entbehrt auch die Verurteilung der Mitangeklagten wegen Beihilfe zu diesen Taten in fünf Fällen einer tragfähigen Grundlage.
V. Die Urteilsgründe geben im übrigen Anlaß zu folgenden Hinweisen:
1. Es erschwert die Verständlichkeit der Darstellung, wenn zwischen den Ordnungsziffern gemäß Anklage und gemäß Urteilsgründe gewechselt wird und bei der Schilderung der Beihilfehandlungen eine ziffernmäßige Zuordnung zu den entsprechenden Haupttaten fehlt.
2. Bei Fällen mit Auslandsbezug sind die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts zu prüfen (§§ 3 ff. StGB). Aus den (aufgehobenen) Feststellungen zu den Fällen II. A. 6., 9. und 14. der Urteilsgründe ergeben sich diese für die Urkundsdelikte nicht, da ein von einem der Mittäter im Inland begangener Teilakt der Urkundenfälschung (§ 9 Abs. 1 StGB) nicht ersichtlich ist.
3. Wegen der mit dem Einschleusen von Ausländern verbundenen Rechtsprobleme verweist der Senat auf die Entscheidungen BGHSt 45, 103; BGHR AuslG § 92 a Hilfe 1 und BGH NJW 2002, 3642. Sollte in der neuen Hauptverhandlung wiederum festgestellt werden, daß mehrere Personen geschleust wurden, wird auch bezüglich der Delikte nach dem Ausländergesetz auf die zutreffende Bewertung der Konkurrenzverhältnisse Bedacht zu nehmen sein. Zur Vereinfachung des Verfahrens könnte sich aber auch eine Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 a Abs. 1 und 2 StPO empfehlen. Gleiches gilt auch für das Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen gemäß § 276 StGB.
4. Im Hinblick auf das von den schleusungswilligen Personen bezahlte Entgelt hätte Anlaß bestanden, die Voraussetzungen des Verfalls (§ 73 StGB) oder des Verfalls von Wertersatz (§ 73 a StGB) zu erörtern. Die Weiterleitung von Teilbeträgen an andere Tatbeteiligte führt lediglich zu der Prüfung, ob die Anordnung wegen der Härteregelung des § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB ganz oder teilweise unterbleiben kann (vgl. BGHR StGB § 73 Vorteil 3; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 73 Rdn. 10).
5. Urteilsgründe, die gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzt sind, müssen die erwiesenen Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil hinsichtlich der Nichtrevidentin Ma. nicht andeutungsweise gerecht. Die Feststellung, sie habe ein Paket mit gefälschten Ausweisen angenommen, vermag den Vorwurf der Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung ebenso wenig zu tragen wie die Mitteilung, sie habe einen Teil des für die Schleusungen vereinbarten Entgelts kassiert. Die Bandenmitgliedschaft und das gewerbsmäßige Handeln, die strafschärfende persönliche Merkmale i. S. d. § 28 Abs. 2 StGB sind (Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 138. ErgLfg. AuslG § 92 a Rdn. 12, 16), sind für die Mitangeklagte Ma. nicht festgestellt. Unklar bleibt auch, in welchen zwei Fällen das Landgericht sie wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern verurteilt hat. Wie sich aus den bei der Sachverhaltsschilderung erwähnten Namen der schleusungswilligen Iraner ergibt, nehmen drei Fälle (Fälle II. B. 2., 3. und 4. der Urteilsgründe) auf entsprechende Haupttaten Bezug.
Unterschriften
Tolksdorf, Pfister, von Lienen, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2558934 |
wistra 2003, 351 |
NStZ-RR 2004, 227 |