Leitsatz (amtlich)
Die Tatsachenermittlung im vereinsrechtlichen Disziplinarverfahren unterliegt der Nachprüfung durch die staatlichen Gerichte.
Normenkette
BGB § 39
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 06.07.1982) |
LG Stuttgart |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Juli 1982 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner Feststellungsklage gegen den Ausschluß aus der verklagten Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, deren langjähriges Mitglied und Mandatsträger er war. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Vom 4. bis 8. Dezember 1978 fanden die Wiederholungswahlen zum Betriebsrat der Deutschen Lufthansa in Frankfurt statt, bei der der Kläger seit 1958 beschäftigt ist. Er war von der Beklagten für die Betriebsratswahlen im Jahre 1975 als Spitzenkandidat aufgestellt worden. Für die Betriebsratswahlen im Frühjahr 1978 und für die Wiederholungswahlen im Dezember 1978 hat die Beklagte den Kläger nicht mehr nominiert. Deshalb beschloß er, für die Wiederholungswahlen eine eigene Liste aufzustellen. Mit Schreiben vom 30. Oktober 1978 unterrichtete der Kläger den Hauptvorstand der Beklagten, daß er anderntags eine „Liste S.” aufstellen werde. Alle Kolleginnen und Kollegen auf dieser Liste seien Mitglieder der ÖTV und ehemalige Betriebsräte. Er hoffe, daß die Beklagte die Werbung für diese Liste finanziell unterstütze. Am 31. Oktober 1978 stellte der Kläger auf einer von ihm einberufenen Versammlung die „Liste 6” mit sich als Spitzenkandidaten auf. Von den 19 Bewerbern waren 16 Mitglied bei der Beklagten; 2 Kandidaten waren gewerkschaftlich nicht organisiert und der an 17. Stelle plazierte Siegfried K. war Mitglied bei der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Mit Schreiben vom 10. November 1978 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß die Vertrauensleute der Deutschen Lufthansa gegen ihn einen Ausschließungsantrag bei der zuständigen Kreisverwaltung der Beklagten stellen würden, wenn er nicht bis 16. November 1978 einer für beide Seiten tragbaren Lösung zustimme, die darin gesehen wurde, daß die Kandidaten der „Liste 6” die Wahl der Kandidaten der „Liste 1” empfehlen und selbst darauf verzichten, ein Betriebsratsmandat anzunehmen. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist beantragte der Kreisvorstand Frankfurt der Beklagten am 17. November 1978 beim Hauptvorstand, den Kläger aus der Beklagten auszuschließen.
Im Vorstadium der Betriebsratswahlen griff des Mitteilungsblatt der Beklagten für die Arbeitnehmer der Deutschen Lufthansa in Frankfurt den Kläger an und warf ihm vor, er kandidiere für den Betriebsrat nur im Hinblick auf die nächsten Wahlen zum Bundestag, da er „ja nur aufgrund dessen, weil er Betriebsratsvorsitzender war, in den Bundestag gewählt” worden sei. Außerdem wurde dem Kläger vorgehalten, er habe seine Listenkandidaten durch falsche Angaben veranlaßt, sich auf der „Liste 6” aufstellen zu lassen, indem er ihnen vorgespiegelt habe, diese Liste sei mit der Beklagten abgesprochen und werde von ihr getragen.
Am 13. November 1978 berichtete die Tageszeitung „R. E.” über die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, insbesondere über die Versammlung der Vertrauensleute der Deutschen Lufthansa, auf welcher der Beschluß gefaßt worden ist, gegen den Kläger einen Ausschließungsantrag zu stellen. In einem Schreiben vom 30. November 1978 an 6 hessische Landtagsabgeordnete der SPD rechtfertigte der Kläger sein Vorgehen unter anderem damit, er wolle sich darum bemühen, „die Deutsche Lufthansa in ihrer Arbeitnehmervertretung nicht zu einem Instrument der Christ-demokratischen Sozialausschüsse werden zu lassen”. Am 6. Dezember 1978 erschien im „R. E.” ein weiterer Artikel, der sich – unter der Überschrift „MDB Wolfgang S.: ÖTV will aus der Lufthansa einen CDU-Laden machen” mit den Vorgängen anlässlich der Betriebsratswahlen befaßte und den Inhalt einer angeblichen Presseerklärung des Klägers wiedergab. Danach soll der Kläger die angebliche Äußerung der Kreisverwaltung Frankfurt der Beklagten: „Allein die Tatsache, Betriebsratsvorsitzender zu sein, reiche aus, um Bundestagsabgeordneter zu werden”, als Kampfansage gegen die demokratischen Parteien gewertet haben. Außerdem wird über den Inhalt des Schreibens des Klägers vom 30. November 1978 an die 6 Landtagsabgeordneten berichtet. Der Bericht schließt damit, der Kläger, der „früheren oder derzeitigen ÖTV-Oberen Karrieredenken gegen die Arbeitnehmerinteressen” vorwerfe, habe auf Staatssekretärsebene das für Luftfahrt zuständige Bonner Verkehrsministerium mit dieser Angelegenheit befaßt.
Bei den Betriebsratswahlen wurden die ersten 3 Kandidaten der Liste 6 – darunter auch der Kläger –, die damals noch alle der Beklagten angehörten, in den Betriebsrat gewählt.
Der Hauptvorstand der Beklagten hat den Kläger, nachdem er ihn schriftlich angehört hatte, auf seiner Sitzung am 22. Juni 1979 aus der Beklagten ausgeschlossen. Dies ist dem Kläger mit Schreiben vom 25. Juni 1979 mitgeteilt worden. Darin wird der Ausschluß des Klägers im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe sich bei der Vorbereitung und Aufstellung seiner Liste nicht redlich verhalten. Obwohl nicht alle Kandidaten der ÖTV angehört hätten, habe er das Gegenteil der Hauptverwaltung der Beklagten mitgeteilt und gleichzeitig versucht, finanzielle Unterstützung für seine Liste von der Beklagten zu bekommen. Er habe fortlaufend bei den Mitarbeitern der Deutschen Lufthansa in Frankfurt den Eindruck erweckt, seine Liste werde von der ÖTV unterstützt. Mit diesem Täuschungsmanöver habe er es auch erreicht, daß weitere ÖTV-Mitglieder auf seiner Liste kandidiert hätten. In dem Wahlaufruf der Liste 6 werde ausgeführt, daß die Vertreter dieser Liste ihre Kräfte nicht im Streit mit anderen Arbeitnehmervertretern vergeuden wollten. Dies heiße, daß die anderen Arbeitnehmervertretungen, also auch die von der Beklagten unterstützten, ihre Kräfte durch Streit untereinander und nicht im Sinne einer Interessenvertretung einsetzten. Mit der Äußerung, die ÖTV wolle die Deutsche Lufthansa zu einem Instrument der CDU-Sozialausschüsse machen, habe er der Beklagten unterstellt, sie vertrete bei der Deutschen Lufthansa einseitige parteipolitische Interessen und verstoße somit gegen ihre eigene Satzung. Grob gewerkschaftsschädigend habe sich der Kläger ferner dadurch verhalten, daß er ÖTV-Funktionären „Karrieredenken gegen die Arbeitnehmerinteressen” vorgeworfen und dies auch noch veröffentlicht habe. Nach alldem könne dahingestellt bleiben, ob die Aufstellung der Liste 6 allein ein ausreichender Grund sei, den Kläger aus der ÖTV auszuschließen. Die Begleitumstände der Kandidatur führten gemeinsam mit der Tatsache der Listenaufstellung jedenfalls zu der Wertung, daß sich der Kläger gewerkschaftsschädigend verhalten habe. Dies sei mit § 6 Ziff. 1 der Satzung der Beklagten, wonach ein Mitglied wegen gewerkschaftsschädigenden oder satzungswidrigen Verhaltens ausgeschlossen werden kann, nicht vereinbar.
Die gegen diese Entscheidung beim Gewerkschaftsausschuß und dem Beirat der Beklagten eingelegten Beschwerden des Klägers blieben erfolglos. Der Kläger hat unter anderem vorgetragen, er sei von Mitgliedern der Beklagten, die mit den auf der offiziellen Liste nominierten Kandidaten nicht einverstanden gewesen seien, aufgefordert worden, eine eigene Liste aufzustellen. Sein Ziel sei es nicht gewesen, die Beklagte zu bekämpfen, sondern die mit der damaligen Politik der Gewerkschaftsfunktionäre unzufriedenen Arbeitnehmer zu gewinnen und eine Abwanderung zu anderen Gruppierungen zu verhindern. Daran habe ihn die Beklagte mit ihrer Ausschlußandrohung hindern wollen. Als er die Liste aufgestellt habe, sei er davon ausgegangen, daß alle Kandidaten Mitglieder der ÖTV seien. Insbesondere habe er nicht gewußt, daß K. der DAG angehöre. Weder bei der Kandidatenaufstellung noch während des Wahlkampfes habe er erklärt, seine Liste werde von der Beklagten gebilligt oder gar unterstützt. Für den Artikel im „R. E.” vom 6. Dezember 1978 könne er nicht verantwortlich gemacht werden; er habe die dort behauptete Presseerklärung nicht abgegeben. Der Brief vom 30. November 1978 an seine Parteifreunde sei nur für diese bestimmt gewesen. Er sei unberechtigt an die Beklagte weitergereicht worden.
Die Beklagte verteidigt die Gründe ihres Ausschließungsbeschlusses.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, daß der Ausschluß des Klägers aus der Beklagten nicht rechtswirksam ist und seine Mitgliedschaft nicht beendet hat. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil auf einem Verfahrensfehler beruhen.
1. Gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG 1972 darf niemand die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen. Hieraus ergibt sich mit Notwendigkeit, daß aus der Gewerkschaft nicht ausgeschlossen werden darf, wer bei der Betriebsratswahl auf einer Liste kandidiert, die zwar mit der von einer Gewerkschaft unterstützten Liste konkurriert, sich aber über den Wettbewerb um Stimmen hinaus nicht gegen die Gewerkschaft richtet (BGHZ 45, 314; 71, 126; Urt. v. 19.1.1981 – II ZR 20/80, LM BGB § 39 Nr. 16). Die gegen diese Rechtsprechung im Schrifttum (vgl. Anm. v. Herschel in AP BetrVG 1972 § 20 Nr. 7; Säcker/Rancke, AuR 1981, 1) und in dem von der Beklagten in der Revisionsinstanz vorgelegten Rechtsgutachten neuerdings wieder erhobene Kritik zeigt keine Gesichtspunkte auf, die der Senat nicht schon berücksichtigt hat. Die unterschiedlichen Auffassungen beruhen im wesentlichen darauf, daß nach Ansicht des Senats § 20 Abs. 2 BetrVG in der geltenden Fassung nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG verstößt (vgl. zuletzt Urt. v. 19.1.1981 a.a.O.), während im angeführten Schrifttum die Tendenz besteht, den Grundrechtsschutz der Gewerkschaft weiter auszudehnen, um auf diese Weise deren Privatautonomie der Zuständigkeit des einfachen Gesetzgebers zu entziehen. Das aber steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 50, 290), wonach der Grundrechtsschutz der Gewerkschaft auch im Bereich des Betriebsverfassungsrechts auf den Kernbereich der Koalitionsfreiheit beschränkt ist.
Entgegen der Auffassung der Revision verkennt der Senat nicht, daß die betriebsverfassungsrechtliche Regelung den verbandspolitischen Interessen der Gewerkschaften zuwiderläuft und diese die Störung der Verbandssolidarität als besondere Beeinträchtigung der gewerkschaftlichen Arbeit gerade im betriebsverfassungsrechtlichen Bereich empfinden.
Es ist aber nicht Sache der Gerichte, sich über die klare Regelung des Gesetzes hinwegzusetzen, deren rechtspolitischer Zweck zwar von den Gewerkschaften nicht gebilligt werden mag, der aber offenkundig ist.
Der Senat hat aus diesen Gründen keinen rechtlich vertretbaren Anlaß, seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben.
2. § 20 Abs. 2 BetrVG schützt (nur) die innerbetriebliche Freiheit der Betriebsratswahl, nicht aber jedes Verhalten eines Gewerkschaftsmitglieds im Wahlverfahren; nicht vom Schutz dieser Wahlfreiheit gedeckt sind daher Äußerungen und Handlungen eines Mitglieds, die sich bei der Aufstellung der Liste, bei der Kandidatur oder bei der Wahlwerbung in schädlicher Weise gegen seine Gewerkschaft richten, ohne daß dies zur Ausübung des Rechts sachlich gerechtfertigt wäre, sich frei von einschränkenden – auch verbandsrechtlichen – Bindungen zur Wahl zu stellen und um die eigene Wahl zu kämpfen. Als Beispiel eines in diesem Sinne gewerkschaftsfeindlichen, nicht von § 20 Abs. 2 BetrVG geschützten Verhaltens hat der Senat mehr beiläufig bisher nur angeführt, ein solches könne in der Kandidatur auf der Liste einer konkurrierenden Gewerkschaft liegen, weil darin das offene Bekenntnis gegen die allgemeine, nicht nur innerbetriebliche Linie seiner eigenen Gewerkschaft gesehen werde und das Mitglied sein passives Wahlrecht zur Durchsetzung eigener innerbetrieblicher Vorstellungen dadurch verfolgen könne, daß er sich auf einer Liste aufstellen lasse, die mit der gewerkschaftlich unterstützten Liste ohne eine solche generelle Frontstellung konkurriere. Es kommen aber selbstverständlich auch andere Verhaltensweisen in Betracht, die sich im Wahlverfahren gegen die eigene Gewerkschaft richten und über eine sachgerechte Wahrnehmung des Wahlrechts und den Kampf um Stimmen hinausgehen, so daß ein Verbandsstrafverfahren durch § 20 Abs. 2 BetrVG nicht ausgeschlossen ist. Ein solches Verhalten könnte hier nach dem im Ausschließungsbeschluß der Beklagten festgestellten Sachverhalt vorliegen. Das Berufungsgericht hat zwar zu Recht ausgeführt, es spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle, daß der Kläger in seine im übrigen mit Mitgliedern der Beklagten besetzten Liste von 19 Bewerbern zwei nicht organisierte Betriebsangehörige und (an aussichtsloser Stelle) ein DAG-Mitglied aufgenommen habe. Der Ausschließungsbeschluß der Beklagten ist aber nach Auffassung des Senats so zu verstehen, daß die Ausschließung des Klägers auch ohne die Tatsache, daß er auf einer eigenen Liste kandidiert hat, sich durch die Begleitumstände seiner Kandidatur derart gewerkschaftsschädigend verhalten habe, daß dies allein seinen Ausschluß rechtfertige.
Insofern steht insbesondere der Vorwurf im Vordergrund, der Kläger habe Mitkandidaten und Betriebsangehörige bei der Aufstellung seiner Liste und während des Wahlkampfes mit der unrichtigen Behauptung getäuscht, die Beklagte billige seine Liste und unterstütze sie sogar. Die Garantie der Wahlfreiheit gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG deckt nicht die Anwendung wahlbeeinflussender Täuschungsmittel zum Nachteil einer Gewerkschaft.
a) Das Landgericht und das Berufungsgericht haben zu diesem Tatsachenkomplex Zeugen vernommen und nach Würdigung der Beweisaufnahme den Täuschungsvorwurf nicht für bewiesen erachtet. Dagegen richtet sich die Revision in erster Linie mit der Rüge, die staatlichen Gerichte seien an die gegenteilige Sachverhaltsfeststellung in dem von der Beklagten durchgeführten Ausschließungsverfahren gebunden und deshalb nicht berechtigt, die dort getroffenen Feststellungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Diese Rüge ist unbegründet.
Der Revision ist allerdings zuzugeben, daß nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes vereinsrechtliche Disziplinarmaßnahmen nur einer beschränkten Kontrolle durch die staatlichen Gerichte unterliegen, die sich darauf erstreckt, ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Satzung hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet, sonst keine Gesetzes- oder Satzungsverstöße vorgekommen sind und ob die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist (BGHZ 13, 5; 21, 370; 29, 352; 36, 105; 45, 314; 47, 172 und 381). Im Urteil vom 13. Juni 1966 (WM 1966, 772, 773; insoweit in BGHZ 45, 314 nicht abgedruckt) hat der Senat in einem obiter dictum ausgeführt, aus dem Rechtssatz, daß das Gericht nur zu prüfen habe, ob sich der Beschluß auf eine Vorschrift der Satzung „stützt”, ergebe sich umgekehrt, daß die Feststellung des zu beurteilenden Sachverhalts und die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die herangezogene Vorschrift zu den Maßnahmen gehöre, die ein Verein in Ausübung seiner Verbandsgewalt eigenverantwortlich zu treffen habe und die grundsätzlich gerichtlich nicht nachgeprüft werden könne. Das Schrifttum hat sich nahezu einhellig gegen diese Rechtsprechung gewandt (vgl. statt vieler: Beuthien, Die richterliche Kontrolle von Vereinsstrafen und Vertragsstrafen, BB 1968 Beilage 12; Larenz, Zur Rechtmäßigkeit einer „Vereinsstrafe” in Gedächtnisschrift für Rolf Dietz, S. 45 f; Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, S. 103 f; Schlosser, Vereins- und Verbandsgerichtsbarkeit, S. 99 f; Wiedemann, Gesellschaftsrecht Bd. I, S. 187; RGRK-Steffen, 12. Aufl. § 25 Rdz. 21; Soergel-Schultze-v. Lasaulx 11. Aufl. § 25 Rdz. 42). Der Senat hält an ihr nicht mehr fest, soweit es um die eingeschränkte Nachprüfung der Tatsachenermittlung im vereinsrechtlichen Disziplinar-(Bestrafungs-)Verfahren geht. Die vom Reichsgericht entwickelte und vom Bundesgerichtshof übernommene Auffassung von der rechtlichen Bedeutung der autonomen Vereinsgewalt fußt in ihrem Ausgangspunkt auf der Erwägung, daß sich die Mitglieder durch den Eintritt in den Verein freiwillig der Vereinsgewalt unterwerfen und daß es angesichts dieser freiwilligen Unterwerfung auch gerechtfertigt ist, daß die Vereinsgewalt in der Vereinsphäre eine autonome Wirksamkeit entfaltet (Fischer, Anm. zu LM BGB § 25 Nr. 1). Die freiwillige Unterwerfung unter die Vereinsstrafgewalt kann jedoch nicht dahin ausgelegt werden, die Mitglieder seien bei ihrem Eintritt damit einverstanden, für Taten verantwortlich gemacht zu werden, die sie nicht begangen haben. Fischer hat schon 1956 darauf hingewiesen (a.a.O.), bei der heutigen Entwicklung des Verbandswesens sei nicht zu verkennen, daß in nicht wenigen Fällen von einer Freiwilligkeit des Eintritts nur noch bedingt gesprochen werden könne, denn nicht selten sei es aus beruflichen oder sonstigen Gründen einfach geboten, einem Berufsverband oder sonstigem Verein beizutreten. Vergegenwärtigt man sich die große gesellschaftliche Macht, die heute von Organisationen wie Gewerkschaften, Berufsvereinen, Sportverbänden über ihre Mitglieder ausgeübt werden kann (vgl. Larenz a.a.O., S. 46), läßt sich die These, die der bisherigen Rechtsprechung unausgesprochen zugrunde lag, nicht aufrechterhalten, die Mitglieder verzichteten im voraus auf die Überprüfung des im vereinsrechtlichen Disziplinarverfahrens festgestellten Sachverhalts durch staatliche Gerichte. Wiedemann (a.a.O. S. 187) weist mit Recht darauf hin, daß es einen rechtsfreien Raum insoweit nicht geben darf. Dies gilt umsomehr, als die Vereins- bzw. Verbandsautonomie durch die gerichtliche Nachprüfung der Sachverhaltsermittlung nicht beeinträchtigt wird. Was den Vereinen genommen wird, ist die Möglichkeit, ihren Disziplinarmaßnahmen Sachverhalte zugrunde zu legen, die sich bei objektiver, an rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichteter Tatsachenermittlung nicht feststellen lassen. Auf diese „Mißbrauchs”-Möglichkeit besteht aber auch im Rahmen der Vereinsautonomie kein Anspruch. Für diese ist vielmehr wesentlich, daß die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts zu den Maßnahmen gehört, die ein Verein in Ausübung seiner Vereinsgewalt eigenverantwortlich zu treffen hat und die gerichtlich nur in engen Grenzen nachgeprüft werden kann (BGHZ 47, 381, 384). Dadurch ist gewährleistet, daß die interne Gestaltung des Vereinslebens und die Vereins-Politik nicht auf staatliche Wertvorstellungen festgelegt werden (vgl. RGRK-Steffen a.a.O. Rdz. 21).
b) Obwohl sonach die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen, die die Beklagte im Ausschließungsverfahren getroffen hat, durch die Vorinstanzen gerechtfertigt war, hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Die Revision rügt mit Grund, daß die Feststellung des Berufungsgerichts, die dem Kläger vorgeworfenen Täuschungshandlungen seien nicht bewiesen, auf einem Verfahrensfehler beruht, der auf das landgerichtliche Urteil zurückgeht.
Das Landgericht hat die Behauptung der Beklagten über die Täuschungshandlungen des Klägers nicht für erwiesen gehalten. Zu diesem Ergebnis kam es aufgrund eingehender Würdigung der Beweisaufnahme. Dabei spielte eine wesentliche Rolle die Glaubwürdigkeit des Zeugen Wo.. Diese hat das Landgericht bejaht und sie mit dem persönlichen Eindruck in der Beweisaufnahme begründet. So wurde unter anderem ausgeführt, der Zeuge habe einen rechtschaffenen Eindruck gemacht und sei sichtlich bemüht gewesen, die Vorgänge wahrheitsgetreu darzustellen. Auch nach drängenden Nachfragen sei der Zeuge bei seinen vorher gemachten Angaben geblieben. Für das Gericht sei ganz offenkundig gewesen, daß es den Zeugen erhebliche Überwindung gekostet habe, gegen die Beklagte auszusagen. Als altgedientes Gewerkschaftsmitglied sei es ihm offensichtlich unangenehm gewesen, nicht auch als Zeuge seiner Gewerkschaft helfen zu können, sondern ihr möglicherweise Nachteil zufügen zu müssen. Andererseits sei deutlich erkennbar gewesen, daß der Zeuge sichtlich erleichtert gewesen sei, nunmehr den tatsächlichen Geschehensablauf mitteilen zu können. Diese Verwertung des persönlichen Eindrucks des Zeugen bei der Beweisaufnahme im Urteil des Landgerichts verstieß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 ZPO) und war daher nicht zulässig. Der Zeuge Wo. ist in der Sitzung vom 9. April 1981 von der Zivilkammer in der Besetzung mit der Vorsitzenden Richterin am Landgericht Dr. R.-Kr. und der Richter am Landgericht Wa. und Ma. vernommen worden. An der letzten mündlichen Verhandlung und am Urteil hat anstelle des Richters am Landgericht Ma. der Richter am Landgericht Me. mitgewirkt. Er hatte also keinen persönlichen Eindruck, vom Zeugen Wo.. Dieser konnte ihm auch nicht in zulässiger Weise durch die beiden anderen, an der Entscheidung mitwirkenden Richter vermittelt werden. Der persönliche Eindruck eines Zeugen darf bei einem Richterwechsel nur berücksichtigt werden, wenn er im Protokoll niedergelegt und in die Verhandlung eingeführt worden ist (BGHZ 32, 233; 53, 245, 257). Die Sitzungsniederschrift des Landgerichts enthielt jedoch keine Feststellungen über den persönlichen Eindruck, den der Zeuge Wo. hinterlassen hat. Das Landgericht hätte daher den Zeugen in der letzten mündlichen Verhandlung, als es in anderer Besetzung tagte, nochmals vernehmen müssen. Da das Berufungsgericht sich die Beweiswürdigung des Landgerichts durch Bezugnahme zu eigen gemacht hat, hat sich der Verfahrensfehler auch im Berufungsurteil ausgewirkt. Ein Verlust der Rüge gemäß § 295 ZPO ist nicht eingetreten, weil die Beklagte den Verfahrensfehler bereits in der Berufungsbegründung gerügt hat.
Aus diesem Grunde müssen das Berufungsurteil und die auf dem Verfahrensfehler beruhenden Feststellungen des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit dieses die unterlassene Vernehmung des Zeugen Wo. nachholt.
3. Sollte sich im weiteren Verfahrensverlauf das bisherige Beweisergebnis bestätigen, dann ist die Ausschließung unbegründet. Der Beurteilung der Gerichte unterliegt nur der Verbandsbeschluß mit seiner jeweiligen Begründung, und es läßt sich hier nicht feststellen, daß die Ausschließungsorgane der Beklagten zum selben Ergebnis gekommen wären, hätten sie dem Kläger die Täuschungshandlungen nicht vorwerfen (und sich auf die selbständige Aufstellung der Wahlliste nicht berufen) können. Sollte dagegen der Täuschungsvorwurf als bewiesen angesehen werden, kommt es auf die Feststellung der übrigen Tatsachen an, insbesondere ob der Kläger den Artikel im „R. E.” veranlaßt hat. Die Beurteilung der festgestellten Tatsachen ist, soweit es um Handlungen geht, die durch § 20 Abs. 2 BetrVG nicht gedeckt sind, grundsätzlich Sache des Verbandes; die Gerichte haben sie hinzunehmen, es sei denn jene Bewertung des Sachverhalts sei unter Berücksichtigung der Interessen des Verbandes und der des ausgeschlossenen Mitglieds offenbar unbillig.
Die angeblichen Äußerungen des Klägers, die „ÖTV will aus der Lufthansa, einen. CDU-Laden machen” und vom „Karrieredenken der derzeitigen ÖTV-Oberen gegen Arbeitnehmer-Interessen” sind jedenfalls nicht aus dem Gesichtspunkt des § 20 Abs. 2 BetrVG ohne weiteres gerechtfertigt.
Unterschriften
Stimpel, Fleck, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Bundschuh
Fundstellen
Haufe-Index 1237602 |
BGHZ |
BGHZ, 337 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1983, 1195 |
JZ 1984, 186 |