Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Verfügung eines Vorerben über Gegenstände der Vorerbschaft
Normenkette
BGB § 2113 Abs. 2, §§ 2039, 985, 2287
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 9. Februar 1989 aufgehoben, soweit es den Beklagten zur Herausgabe, zur Berichtigungsbewilligung und zur Zahlung verurteilt und soweit es über die Kosten entscheidet.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der am 11. Mai 1981 verstorbene Erblasser war Inhaber eines Werks für Kiesausbeutung und Mörtelherstellung. Durch gemeinschaftliches Testament vom 16. Februar 1978 setzten er und seine Ehefrau sich gegenseitig zu befreiten Vorerben ein. Nacherben nach dem Tode des Längstlebenden und Erben des Längstlebenden sollten der gemeinsame Sohn Gustav und ein weiterer Sohn der Ehefrau (Kläger zu 2)) zu gleichen Teilen werden. Für den Sohn Werner (Beklagten) und die Tochter Hanna setzten die Eheleute nur noch Vermächtnisse in Höhe von je 5.000,00 DM aus.
I.
Die Vorerbin führte das Unternehmen des Erblassers nach dem Erbfall zunächst selbst fort. Durch Vertrag vom 1. März 1983 verpachtete sie es dann auf die Dauer von 30 Jahren gegen Zahlung eines monatlichen Pachtzinses von zunächst 2.500,00 DM an den Beklagten.
Aufgrund notariellen Vertrages vom 18. Oktober 1983 übertrug die Vorerbin den Betrieb dann unter Aufhebung des Pachtvertrages - mit allen Aktiven und Passiven - einschließlich der Betriebsgrundstücke, Flurstücke 8/2, 10/9 "unentgeltlich" auf den Beklagten, der ihr eine lebenslange Rente von monatlich 2.500,00 DM zusagte. Durch weiteren Vertrag vom gleichen Tage übertrug die Vorerbin ein weiteres, 4.101 qm großes Grundstück (Flurstück 10/8, jetzt Flurstücke 10/12 und 10/13) nebst darauf errichtetem Einfamilienhaus unter Nießbrauchsvorbehalt auf den Beklagten. Diese Grundstücke hatten sämtlich im Miteigentum der Eheleute zu je 1/2 gestanden.
Nach dem Tode der Vorerbin am 13. November 1983 wurde der Erblasser nach dem gemeinschaftlichen Testament von seinem Sohn Gustav und dem Kläger zu 2) beerbt. An die Stelle des am 22. April 1984 nachverstorbenen Sohnes Gustav traten dessen Erben, nämlich seine Ehefrau (Klägerin zu 1)) zu ein Halb und deren fünf Kinder zu je einem Zehntel.
Die Kläger halten die Verträge vom 18. Oktober 1983 für unwirksam gemäß § 2113 Abs. 2 BGB. Sie beanspruchen den Betrieb des Erblassers und die Grundstücke für sich (und die Kinder der Klägerin). Sie haben Klage erhoben auf Erteilung von Auskunft und Vorlage von Unterlagen über das Unternehmen, Abtretung von Forderungen aus dem Betrieb, Herausgabe des Inventars, Übertragung des Betriebs und der Grundstücke (hilfsweise Zustimmung zur Grundbuchberichtigung).
II.
Am 5. März 1983 hatte die Vorerbin mit dem Beklagten und dessen Schwester Hanna schriftlich vereinbart, daß deren Pflichtteilsansprüche nach dem Erblasser durch Zahlungen von je 95.000,00 DM abgegolten werden sollten; die Zahlungen sollten erst mit dem Verkauf eines weiteren Grundstücks in Habighorst fällig werden. Zur Sicherung dieser Ansprüche bestellte die Vorerbin zugunsten des Beklagten eine Gesamtgrundschuld über 190.000,00 DM an den in G., R. 61, und H. gelegenen Grundstücken aus dem Nachlaß des Erblassers. Der Beklagte trat diese Grundschuld am 16. März 1983 mit Zustimmung seiner Schwester zur Sicherung eines Kredits an seine Bank ab. Am 12. Juli 1983 verkaufte die Vorerbin das Grundstück in H. an den Beklagten für 195.000,00 DM. Dabei übernahm der Beklagte die Grundschuld in Anrechnung auf den Kaufpreis und verpflichtete sich, die Verkäuferin von sämtlichen Ansprüchen aus dieser Belastung freizustellen. Die Nacherben stimmten dem Verkauf zu.
Die Kläger halten den Beklagten für verpflichtet, 190.000,00 DM zur Ablösung der auf dem Grundstück in G., Rietkamp 61, lastenden Gesamtgrundschuld zu zahlen. Das Grundstück stehe der Klägerin zu 1) und ihren Kindern als Erben des Nacherben Gustav als ein von den Eltern angeordnetes Vorausvermächtnis lastenfrei zu.
III.
Das Landgericht hat der Klage wegen des unter I. genannten Grundbesitzes stattgegeben und hat sie im übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Der Berufung der Kläger hat es teilweise stattgegeben; es hat den Beklagten weiter verurteilt, Inventar und Geschäftsunterlagen des Unternehmens herauszugeben, Auskunft zu erteilen und der Grundbuchberichtigung bezüglich des unter I. genannten Grundbesitzes zuzustimmen. Ferner hat es den Beklagten zur Zahlung von 190.000,00 DM nebst Zinsen an die Klägerin und deren Kinder verurteilt. Über den Antrag der Kläger, den Betrieb auf die jetzigen Erben des Erblassers zu übertragen, hat das Berufungsgericht nicht entschieden. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Wegen der Verurteilung des Beklagten zur Erteilung von Auskunft hat der Senat die Revision nicht zur Entscheidung angenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht versteht die beiden Verträge vom 18. März 1983 als ein einheitliches Vertragswerk. Es bewertet das gesamte übertragene Grundvermögen einschließlich der nicht zur Vorerbschaft gehörigen, eigenen Miteigentumsanteile der Vorerbin mit 630.000,00 DM und das übrige Anlagevermögen mit 250.000,00 DM und gelangt dementsprechend zu einem Substanzwert des Betriebsvermögens von 880.000,00 DM. Hiervon setzt es die vom Beklagten übernommenen Verbindlichkeiten aus dem Betrieb in Höhe von 392.655,72 DM ab und errechnet so einen Nettosubstanzwert von 424.844,28 DM. Mit diesem Betrag vergleicht das Berufungsgericht die Verpflichtungen des Beklagten aus beiden Verträgen (Leibrente, Nießbrauch), die es mit insgesamt "allenfalls 93.000,00 DM" bewertet. Diese Ungleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, so stellt das Berufungsgericht fest, habe die Vorerbin erkannt. Infolgedessen seien die getroffenen Verfügungen der Vorerbin über das Erblasservermögen unentgeltlich und gemäß § 2113 Abs. 2 BGB unwirksam; die Kläger könnten daher das Betriebsinventar und die Geschäftsunterlagen gemäß §§ 985, 2039 BGB herausverlangen und Grundbuchberichtigung verlangen. Das gelte gemäß § 139 BGB auch für die Verfügungen der Vorerbin über ihre eigenen, nicht der Nacherbschaft unterliegenden Miteigentumsanteile an dem am 18. März 1983 veräußerten Grundbesitz.
Mit dieser Begründung kann das angefochtene Urteil insoweit nicht bestehen bleiben.
1.
Mit Recht unterscheidet das Berufungsgericht allerdings bei der Beurteilung der Verfügungen der Vorerbin aufgrund der Verträge vom 18. März 1983 danach, inwieweit es sich bei dem Gegenstand der Verfügungen um (der Nacherbschaft unterliegendes) Vermögen aus dem Nachlaß des Erblassers oder um eigenes, der Nacherbschaft nicht unterliegendes Vermögen der Vorerbin handelt. Die Vorschrift des § 2113 Abs. 2 BGB, um deren Anwendung es hier geht, schützt Nacherben nur gegen bestimmte Verfügungen des Vorerben über Gegenstände der Vorerbschaft. Verfügt der Vorerbe dagegen über sein eigenes, freies Vermögen und beeinträchtigt er dadurch seine eigenen, bindend eingesetzten Erben, dann sind diese nur im Rahmen des § 2287 BGB geschützt und genießen insoweit nicht auch den Schutz des § 2113 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1972 - IV ZR 123/70 - WM 1973, 41, 42). Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt.
Ebenfalls unbedenklich ist es, wenn das Berufungsgericht die beiden Verträge vom 18. März 1983 als ein einheitliches Vertragswerk auffaßt und für die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine unentgeltliche Verfügung über Erbschaftsgegenstände handelt, die beiderseitigen Gesamtleistungen einander gegenüberstellt. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist schließlich auch unentgeltlichkeit im Sinn von § 2113 Abs. 2 BGB rechtlich zutreffend bejaht. Indessen sind die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen andere, als das Berufungsgericht annimmt.
2.
Das Berufungsgericht hat das Senatsurteil vom 10. Oktober 1984 (IVa ZR 75/83 - NJW 1985, 382 = LM BGB § 2113 Nr. 22; bestätigt durch Urteil vom 3. Juni 1987 - IVa ZR 273/85 - unveröffentlicht) nicht berücksichtigt. Dort ist im Anschluß an frühere höchstrichterliche Rechtsprechung (RG WarnR 1938, 91 Nr. 37; BGH, Urteil vom 16. März 1977 - IV ZR 182/75 - LM BGB § 2113 Nr. 15) entschieden, daß die Gegenleistungen des durch eine teilweise unentgeltliche Verfügung Begünstigten in die durch § 2113 Abs. 2 BGB gebotene Abwicklung einzubeziehen sind. Der tragende Grund für diese Einbeziehung liegt darin, daß die Nacherben zu gut dastünden, wenn sie teilentgeltlich weggegebene Erbschaftsgegenstände zurückerlangten, ohne das - wenn auch unzureichende - Entgelt auskehren zu müssen. Demgemäß werden die Nacherben dem Beklagten jedenfalls die geleistete Leibrente zugute kommen lassen müssen. Herausgabe und Umschreibungsbewilligung haben die Kläger daher gegebenenfalls von vornherein nur in der Weise zu beanspruchen, daß die Gegenleistungen des Beklagten an diesen Zug um Zug zurückerstattet werden; der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts durch den Beklagten bedarf es insoweit nicht (Senatsurteil vom 3. Juni 1987 aaO).
3.
Darüber hinaus geht es nicht an, von dem Beklagten Herausgabe sämtlicher Aktiva des Unternehmens zu verlangen und die von ihm übernommenen Betriebsverbindlichkeiten in Höhe von 392.665,72 DM gänzlich unberücksichtigt zu lassen.
Unwirksamkeit gemäß § 2113 Abs. 2 BGB tritt nur dann ein, wenn die Verfügung das Recht des oder der Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Auch wenn diese Voraussetzung vorliegt, tritt die Unwirksamkeit nur in dem Maße ein, daß die von der Verfügung drohende Vereitelung oder Beeinträchtigung vermieden wird und das Recht des Nacherben ungeschmälert erhalten bleibt (BGHZ 7, 274, 279). Nur um die Abwehr dieser Gefahr geht es § 2113 Abs. 2 BGB. Weitergehende Eingriffe in die Verfügung des Vorerben, die darüber hinaus gingen und die Stellung des Nacherben sogar noch verbesserten, liefen auf unangemessene Vorteile zu seinen Gunsten hinaus und wären von dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gedeckt.
4.
Unter diesen Umständen muß das Berufungsurteil, soweit es den Beklagten zur Herausgabe und zur Berichtigungsbewilligung verurteilt, aufgehoben werden. Das Berufungsgericht wird Gelegenheit haben, die von ihm vorgenommenen Bewertungen unter Berücksichtigung der dagegen gerichteten Angriffe der Revision einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Auf die von der Revision in den Vordergrund gestellte Frage, ob das gemeinschaftliche Testament dahin auszulegen ist, daß die Vorerbin über die Grundstücke nicht verfügen durfte (§ 2113 Abs. 1 BGB), kommt es nur dann an, wenn § 2113 Abs. 2 BGB nicht eingreifen sollte.
5.
Mit Recht beanstandet die Revision ferner, daß das Berufungsgericht nicht über den auf Rückgabe des Unternehmens gerichteten Klageantrag zu 1) entschieden hat. Der Antrag hatte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durchaus eine selbständige Bedeutung; das folgt schon daraus, daß ein lebendes Unternehmen mehr umfaßt als nur die ihm zugeordneten, in der Bilanz verzeichneten Aktiva. Indessen kann der Senat die Klage nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens entgegen dem Antrag der Revision insoweit nicht als unbegründet abweisen. Vielmehr wird das Berufungsgericht hierüber im Zusammenhang mit den übrigen Berufungsanträgen mitzuentscheiden haben.
II.
Auch soweit das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung verurteilt hat, ist die Revision begründet.
Das Berufungsgericht hält den Anspruch auf Zahlung von 190.000,00 DM nebst Zinsen an die Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen Sohn Gustav des Erblassers aus §§ 812 Abs. 1 Satz 2 BGB, 818 Abs. 2 BGB für begründet, weil der Sicherungszweck der Grundschuld mit dem Verkauf des Grundstücks in Habighorst an den Beklagten und mit der darin liegenden Erfüllung der Pflichtteilsansprüche des Beklagten und seiner Schwester Hanna nach dem Erblasser weggefallen sei und der Beklagte die Grundschuld daher an die Vorerbin habe herausgeben müssen.
Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Es ist allerdings richtig, daß die Grundschuld zunächst dem Zweck diente, Pflichtteilsansprüche des Beklagten und seiner Schwester zu sichern und daß die genannten Pflichtteilsansprüche jedenfalls für die Vorerbin seit dem Kaufvertrag vom 12. Juli 1983 erledigt sind. Gleichwohl konnte die Vorerbin die Grundschuld von dem Beklagten nicht zurückfordern. In dem Kaufvertrag war nämlich ausdrücklich vereinbart, daß der Beklagte die Grundschuld "in Anrechnung auf den Kaufpreis ... mit schuldrechtlicher und dinglicher Wirkung" übernahm. Daß die Grundschuld, soweit sie auf dem Grundstück ruhte, das der Beklagte gekauft hatte, bestehen blieb, konnte die Vorerbin nicht stören. Lästig war die Grundschuld für die Vorerbin (und den Nachlaß nach dem Erblasser) nur insofern, als sie eine Gesamtgrundschuld darstellte und gleichzeitig auf dem zur Vorerbschaft gehörigen (und dem Sohn Gustav vermachten) Grundstück in Garßen, Rietkamp 61, ruhte. Dementsprechend verpflichtete sich der Beklagte in dem Kaufvertrag mit der Vorerbin vom 12. Juli 1983 ausdrücklich, die Verkäuferin "von sämtlichen Ansprüchen aus dieser Belastung zu befreien". Dieser "Entlastungsanspruch" gegen den Beklagten gehörte als Surrogat im Sinne von § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB für den entsprechenden "Substanzverlust" des belasteten Nachlaßgrundstücks zur Vorerbschaft und ist mit dieser an die Nacherben gelangt. Dementsprechend können die Kläger von dem Beklagten verlangen, daß dieser das Grundstück in Garßen, Rietkamp 61, von der Haftung für die Grundschuld befreit. Wie der Beklagte diese Befreiung herbeiführt, muß ihm - zunächst - selbst überlassen bleiben.
Das Berufungsgericht hat dies nicht erkannt. Es wird eine entsprechende Änderung des Klageantrages anzuregen haben.
Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, daß keine Bedenken bestehen, hier mit dem Berufungsgericht § 2165 Abs. 1 Satz 2 BGB heranzuziehen und den Anspruch auf "Entlastung" des Grundstücks als an den Sohn Gustav des Erblassers mitvermacht anzusehen; daß der Anspruch gemäß § 2174 BGB bereits an Gustav oder die Erbengemeinschaft nach ihm abgetreten sei, ist nicht ersichtlich.
Unterschriften
Rottmüller
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Zopfs
Dr. Ritter
Römer
Fundstellen