Leitsatz (amtlich)
›Wird ein Patient anläßlich einer Sterilisation (Durchtrennen der Samenleiter) darauf hingewiesen, daß der Erfolg der Operation nach sechs Wochen durch eine Samenuntersuchung (Spermiogramm) kontrolliert werden müsse, so kann es ein Mitverschulden darstellen, wenn er sich zu einer solchen Untersuchung nicht einfindet und es später zur Zeugung eines Kindes kommt, für dessen Unterhalt der Arzt in Anspruch genommen wird.‹
Tatbestand
c. ›Der Arzt kann sich auch bei Verletzung einer ärztlichen Fürsorgepflicht grundsätzlich auf § 254 BGB berufen, wenn sich der zu schützende Patient durch mitursächliches schuldhaftes Verhalten selbst einen Schaden zufügt ... . Dieser Grundsatz gilt auch für den vorl. Fall, in dem der Arzt die Sterilisation eines Mannes übernommen hat und es nach Mißlingen dieses Eingriffs zur Zeugung eines Kindes kommt. Da ein Mitverschulden i.S.des § 254 Abs. 1 BGB zu bejahen ist, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außeracht läßt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (ständ. Rechtspr. ...), könnte es ein Mitverschulden darstellen, wenn der Patient den ärztlichen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Kontrolluntersuchung nach sechs Wochen nicht beachtet, und zwar insbesondere dann, wenn ihm hinreichend klar gemacht worden ist, daß bis zum Ergebnis der Kontrolluntersuchung vorsichtshalber vom Fortbestand seiner Zeugungsfähigkeit ausgegangen werden müsse.
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung konnte das BerGer. ... ein Mitverschulden des Ehemannes der Kl. bei unterstelltem ärztlichen Hinweis nicht mit der Erwägung verneinen, eine etwaige Unterlassung des Ehemannes sei für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich gewesen. ... Diese Auffassung beruht auf einer Verkennung des Begriffs der Ursächlichkeit. Ist nämlich nach der tatrichterlichen Würdigung des BerGer. davon auszugehen, daß es angesichts des festen Entschlusses der Eheleute ›zur Familienplanung‹, d.h. zur Vermeidung weiterer Kinder, nicht zur Zeugung und Geburt des Kindes gekommen wäre, wenn der Ehemann vom Mißlingen des Eingriffs rechtzeitig unterrichtet worden wäre, so wäre das Kind auch dann nicht zur Welt gekommen, wenn der Ehemann nach - unterstellter - Kontrolluntersuchung über den Befund unterrichtet worden wäre. Sollte mithin der Operationserfolg durch zwei voneinander unabhängige Maßnahmen, nämlich durch eine Gewebeuntersuchung im Pathalogischen Institut sowie durch Spermiogramm, kontrolliert werden und sind beide Kontrollen ausgefallen, wäre jedoch durch jede einzelne Kontrolle die Erfolglosigkeit des Eingriffs aufgedeckt worden, so war jede der beiden Unterlassungen für sich eine Ursache für den eingetretenen Erfolg.
Infolgedessen konnte das BerGer. nicht dahinstehen lassen, ob der Ehemann auf die Notwendigkeit einer Kontrolluntersuchung hingewiesen worden ist. In diesem Fall war es auch seine Aufgabe, mit dafür zu sorgen, daß ein Mißerfolg des Sterilisationseingriffs rechtzeitig aufgedeckt wurde. Da die grundsätzliche Verantwortung der Bekl. [Ärzte] für das Fehlschlagen der Operation außer Streit steht und die Revision auch nicht in Zweifel zieht, daß sich eine Einstandspflicht des Bekl. zu 1 für die wirtschaftliche Belastung der Eltern durch das Kind ... jedenfalls aus der Vernachlässigung des Befundberichts ergibt ..., war das Verhalten des Ehemannes unter dem Blickpunkt eines Mitverschuldens zu würdigen.‹
Fundstellen
Haufe-Index 2993143 |
NJW 1992, 2961 |
BGHR BGB § 254 Abs. 1 Sterilisation 1 |
BGHR BGB § 823 Abs. 1 Arzthaftung 69 |
DRsp I(123)367c |
MDR 1992, 1130 |
VersR 1992, 1229 |