Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 21. Oktober 1999 wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Schwurgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Ihre Revision hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts tötete die Angeklagte bei einem nächtlichen Spaziergang ihren Ehemann; sie versetzte dem Tatopfer, das in der Tatsituation von ihrem Angriff völlig überrascht war, mehr als 40 Stiche mit einem Messer, das sie zur Verwirklichung ihres Tötungsplanes eingesteckt hatte. Die Angeklagte wollte ihren Mann beseitigen, weil er ihren Zukunftsplänen entgegenstand; sie wollte nämlich ohne den Mann – der mit einer Scheidung nicht einverstanden war – gemeinsam mit einer Freundin und den jeweiligen Kindern in dem bisherigen ehelichen Haus zusammenleben.
2. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts greift die auf § 338 Nr. 5 StPO in Verbindung mit § 247 StPO gestützte Verfahrensrüge nicht durch. Die Revision beanstandet, daß das Schwurgericht während der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ohne Beschlußfassung nach § 247 StPO deren 16jährige Tochter W über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und die Erklärung der Zeugnisverweigerung entgegengenommen habe.
a) Ob die Rüge von vornherein daran scheitern muß, daß die Angeklagte einverständlich den Sitzungssaal verlassen hat, läßt der Senat offen. Zwar hat der Bundesgerichtshof ein derartiges Einverständnis bei Rügen dieser Art unter Hinweis auf die Unverzichtbarkeit des – mit einer Anwesenheitspflicht korrespondierenden – Anwesenheitsrechts des Angeklagten wiederholt für unerheblich erachtet (vgl. BGHR StPO § 247 – Ausschließungsgrund 1; § 338 Nr. 5 – Angeklagter 10, 18; vgl. demgegenüber BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 – Mißbrauch 1; Basdorf StV 1997, 488, 492). Das sollte aber – zur gebotenen Vermeidung überspannter Formstrenge bei Anwendung der absoluten Revisionsgründe – jedenfalls dann nicht gelten, wenn die Voraussetzungen für eine Abwesenheitsverhandlung zweifelsfrei vorliegen, entsprechend das Einverständnis des auf sein Anwesenheitsrecht verzichtenden Angeklagten – wie das sämtlicher Prozeßbeteiligter – auf der Anerkennung dieser verfahrensrechtlich eindeutigen Situation beruht (vgl. zum Meinungsstand BGHR StPO § 338 Nr. 5 – Angeklagter 18; BGH NJW 1976, 1108; BGH NStZ 1983, 36; BGH, Beschluß vom 6. Dezember 1977 – 5 StR 724/77; jeweils m.w.N.; so jedenfalls für das Fehlen einer Beschlußbegründung: BGHSt 22, 18, 20; BGHR StPO § 247 Satz 2 – Begründungserfordernis 1; vgl. auch BGHSt 45, 117 m. Anm. Rieß JR 2000, 253; a.A. Diemer in KK 4. Aufl. § 247 Rdn. 16). Daß dies hier der Fall war, liegt im Blick auf eine zu erwartende schwere psychische Belastung der Zeugin durch eine Konfrontation mit ihrer Mutter in der Situation einer Hauptverhandlung gegen die Mutter wegen Ermordung des Vaters auf der Hand (§ 247 Satz 2, zweite Alternative StPO; vgl. BGHR StPO § 247 Satz 2 – Begründungserfordernis 1 und 2).
Die Frage bedarf keiner abschließenden Entscheidung; denn das Rügevorbringen genügt nicht den – bei Formalrügen dieser Art besonders strikt zu beachtenden (vgl. BGHR StPO § 247 – Abwesenheit 10, 18; BGH NStZ 2000, 328) – formalen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
b) In der Revisionsbegründung wird die Wesentlichkeit einer Anwesenheit der Angeklagten bei der Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht und der Berufung der Zeugin hierauf mit der sonst vereitelten Chance der Angeklagten begründet, die Zeugin zur Aussage zu veranlassen. Ferner wird ein Verstoß auch in der Abwesenheit der Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung der Zeugin gesehen, da die Angeklagte die Zeugin noch in diesem Stadium um die Nichtausübung des Zeugnisverweigerungsrechts hätte bitten können. In diesem Zusammenhang erwähnt die Revisionsbegründung noch nicht das Einverständnis aller Prozeßbeteiligter – also auch der Angeklagten selbst – mit deren Entfernung; es wird vielmehr zunächst argumentiert wie für einen Fall, in dem die Entfernung der Angeklagten gegen ihren Willen erfolgt wäre. Erst im Zusammenhang mit der Beanstandung des fehlenden Beschlusses erwähnt die Revisionsbegründung dann das Einverständnis aller Prozeßbeteiligten eher beiläufig. Dabei läßt sie den besonderen prozessualen Hintergrund gänzlich unerwähnt, vor dem es zu jenem – ersichtlich auch von der Angeklagten getragenen – Einverständnis gekommen ist.
aa) Wie sich aus den Akten ergibt, hatten der Bruder des Getöteten – einer der Nebenkläger – und seine Ehefrau als Vormünder der Zeugin, ihrer Nichte, zwischen deren Zeugenladung und dem Beginn der Hauptverhandlung durch ein persönliches Schreiben an das Gericht und über wiederholte Eingaben des Nebenklägervertreters (Bl. 1288, 1291 ff., 1311 f., 1317 d.A.) einer Vernehmung der Zeugin widersprochen. Dabei hatten sie das Zeugnisverweigerungsrecht der Tochter erwähnt und auf deren schwere emotionale Belastung für den Fall einer Konfrontation mit der Mutter in der Hauptverhandlungssituation hingewiesen. Als das Gericht auf einem Erscheinen der Zeugin bestand, hatten sie den dringenden Wunsch organisatorischer Absicherung zur Vermeidung einer persönlichen Begegnung zwischen Angeklagter und Zeugin hervorgehoben. Vor diesem prozessualen Hintergrund verließ dann – nachdem der vorige Zeuge um 16.35 Uhr entlassen worden war – „die Angeklagte im Einverständnis sämtlicher Verfahrensbeteiligter für die Erörterung der Frage, ob sich die Zeugin W auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht beruft, den Sitzungssaal”. Nach Belehrung „gemäß §§ 57 und 52 StPO” erklärte die Zeugin – ohne zur Person vernommen worden zu sein (§ 68 StPO) –, daß sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache; sie wurde „im allseitigen Einverständnis um 16.40 Uhr entlassen” (S. 5 der Sitzungsniederschrift, Bl. 1332 d.A.).
Nur bei vollständiger Kenntnis des Vorlaufs und Ablaufs dieser Zeugnisverweigerung läßt sich beurteilen, ob jener Vorgang, wie die Revision geltend macht, ein – zudem wesentlicher – Teil der Hauptverhandlung gewesen ist oder vielmehr die Durchführung eines Freibeweisverfahrens am Rande der Hauptverhandlung, das gerade nicht deren wesentlicher Teil ist und für welches das durch den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gesicherte grundsätzliche Anwesenheitsgebot für den Angeklagten nicht gilt (vgl. BGHR StPO § 247 – Abwesenheit 17; vgl. ferner BGHR StPO § 338 Nr. 6 – Öffentlichkeit 2). Letzteres anzunehmen, läge hier nahe. Dies belegt das Erfordernis des vollständigen Sachvortrags zu jenen Verfahrensvorgängen, ohne den eine abschließende Prüfung durch den Senat nicht zu erfolgen hat.
bb) Erklärt ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge vor einer Hauptverhandlung, daß er unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht aussagen wolle, ist das Gericht – wenn es keine Hinweise auf eine unzureichende Information des Zeugen über seine Rechtsstellung und Interessenlage oder über eine möglicherweise noch bestehende Unentschlossenheit des Zeugen über die Zeugnisverweigerung hat – nicht gehalten, den Zeugen zur Hauptverhandlung zu laden; ist die Zeugnisverweigerung eindeutig erklärt, ist das Gericht mit Rücksicht auf die Belange des Zeugen sogar gehindert, ihn zu laden. Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines derart eindeutig berechtigt das Zeugnis verweigernden Zeugen wäre unzulässig (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß 5. Aufl. S. 452 f.; ferner BGHSt 21, 12; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 – Unerreichbarkeit 17; BGH NStZ 1982, 126). Das Gericht, das sich so freibeweislich über die Zeugnisverweigerung unterrichten läßt, kann folglich fraglos etwa noch bestehende Zweifel über Willensmängel des Zeugen ebenfalls außerhalb der Hauptverhandlung freibeweislich beseitigen.
Angesichts dessen, daß sich die Tochter der Angeklagten hier noch nicht ausdrücklich selbst über die Wahrnehmung ihres höchstpersönlichen Rechts auf Zeugnisverweigerung erklärt hatte, war es nicht unvertretbar, daß das Gericht zunächst noch auf ihrer Ladung bestand. Die vom Gericht zu wahrenden Interessen des Zeugenschutzes legten es hier indes nach den Eingaben der Vormünder der Zeugin nahe, eine – im Freibeweis mögliche – abschließende Klärung dieser Frage außerhalb der Hauptverhandlung herbeizuführen. Das Gericht hat zwar weder eine eindeutige schriftliche Erklärung der Zeugin über ihre Zeugnisverweigerung angefordert noch die Frage der Zeugnisverweigerung im Rahmen einer informatorischen richterlichen Anhörung oder kommissarischen Vernehmung vor der Hauptverhandlung geklärt; es hat sich nicht einmal, um der psychisch ersichtlich gefährdeten jugendlichen Zeugin wenigstens das Betreten des Schwurgerichtssaales im Rahmen der Verhandlung über die Ermordung ihres Vaters zu ersparen, dazu entschlossen, die Anhörung zur Frage der Zeugnisverweigerung – über deren Berechtigung das Mädchen ersichtlich zutreffend unterrichtet war – in einem getrennten Raum ohne Öffentlichkeit – und selbstverständlich in Abwesenheit der Angeklagten – freibeweislich zu klären. Es liegt aber auf der Hand, aus der verbliebenen Rücksichtnahme des Gerichts auf die psychischen Belange der Zeugin, wonach es wenigstens – im allseitigen Einverständnis der Prozeßbeteiligten – eine Konfrontation zwischen Mutter und Tochter im Gerichtssaal zu vermeiden suchte, darauf zu schließen, daß das Schwurgericht in zulässiger Weise die Frage der Zeugnisverweigerung durch informatorische Anhörung im Freibeweisverfahren selbst vor Vernehmung zur Person abschließend klären wollte. Danach konnte die Frage einer Entfernung der Angeklagten gemäß § 247 StPO zunächst bis zum Abschluß jenes Freibeweisverfahrens zurückgestellt werden. Es gilt hier nichts anderes als im Fall freibeweislicher Klärung der Vernehmungsfähigkeit eines Zeugen oder seiner psychischen Belastung bei Konfrontation mit dem Angeklagten, bei welcher der Angeklagte, da jene Freibeweiserhebung nicht notwendiger Teil der Hauptverhandlung ist, nicht anwesend sein muß (BGHR StPO § 247 – Abwesenheit 17). Nach solcher Verfahrensweise wäre erst nach Eintritt des eher unwahrscheinlichen – tatsächlich nicht eingetretenen – Falles einer Aussagebereitschaft der verweigerungsberechtigten Zeugin formell unerläßlich eine Beschlußfassung nach § 247 StPO geboten gewesen.
Jene Abwesenheitsverhandlung stellte sich durch ihre besondere prozessuale Vorgeschichte hier eben nicht – wie es nach dem Revisionsvortrag erscheint – als „Normalfall” des Beginns der Befragung eines geladenen zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen, dessen Zeugnisverweigerung offen ist, dar, die regelmäßig Teil der Hauptverhandlung wäre. Daher war die Revision zum Vortrag über jene Vorgeschichte nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet.
3. Die übrigen Verfahrensrügen sind offensichtlich unbegründet. Die sachlichrechtliche Nachprüfung des angefochtenen Urteils ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Tepperwien, Brause
Fundstellen
Haufe-Index 512541 |
NStZ 2001, 48 |