Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 16.12.2003) |
Tenor
I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 16. Dezember 2003
im Schuldspruch dahin geändert, daß dieser Angeklagte
- im Fall 2 der Urteilsgründe des schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes,
- in den Fällen 7 und 9 der Urteilsgründe jeweils des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes
schuldig ist;
- in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen 7 und 9 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall 2 der Urteilsgründe aufgehoben.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
IV. Die weiter gehenden Revisionen des Angeklagten A. … und der Staatsanwaltschaft sowie die gegen die Angeklagten G. und F. gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
V. Die Staatskasse trägt die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, soweit sich diese gegen die Angeklagten G. und F. richten, und die diesen Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in sieben Fällen, wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, wegen sexuellen Mißbrauchs einer Jugendlichen in zwei Fällen und wegen Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; im übrigen hat es ihn freigesprochen. Den Angeklagten G. hat es unter Freisprechung im übrigen wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes verurteilt und ihm auferlegt, 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu erbringen. Den Angeklagten F. hat das Landgericht vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren auf die Sachrüge gestützten – insoweit zuungunsten der Angeklagten eingelegten – Revisionen, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten werden, gegen den Freispruch des Angeklagten F. und die Teilfreisprüche der Angeklagten A. und G. sowie gegen die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten A. im Fall 2 der Urteilsgründe und gegen die Strafaussprüche bezüglich der Angeklagten A. und G.; ferner beanstandet sie – insoweit zugunsten des Angeklagten A. – die Schuldsprüche in den Fällen 7 und 9 der Urteilsgründe (soweit in der Revisionsbegründung die Fälle 8 und 9 genannt sind, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen).
Der Angeklagte A. rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Die Rechtsmittel haben in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen sind sie unbegründet.
I.
Revision der Staatsanwaltschaft
1. Soweit sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen die Teilfreisprüche der Angeklagten A. (Fall 1 der Anklageschrift) und G. (Fall 2 der Urteilsgründe) sowie den Freispruch des Angeklagten F. (Fall 7 der Urteilsgründe) richten, haben sie keinen Erfolg. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich das Landgericht in diesen Fällen nicht davon überzeugen konnte, daß die Angeklagten das Alter des geschädigten Kindes kannten oder dieses zumindest billigend in Kauf nahmen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Nach den Urteilsfeststellungen versuchte der damals 34 Jahre alte Angeklagte A. Anfang September 2001 mit der am 20. November 1987 geborenen, damals also 13 Jahre alten Mihaela M. in einem Waldgelände den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Er ließ von seinem Vorhaben jedoch ab, weil er die Annäherung einer weiteren Person befürchtete. Das Landgericht hat den Angeklagten A. vom Vorwurf des versuchten schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes freigesprochen, weil es nicht auszuschließen vermochte, daß der Angeklagte, wie dieser behauptet, das Mädchen für bereits 16 Jahre alt gehalten hat.
Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin, das Landgericht habe bei der Beantwortung der Frage, ob der Angeklagte A. das kindliche Alter Mihaelas zumindest billigend in Kauf genommen habe, nicht alle Beweisanzeichen erschöpfend gewürdigt. Nach den Feststellungen hat Mihaela M. auf der Fahrt zum Waldgelände gegenüber dem Angeklagten A. angegeben, sie sei 16 Jahre alt; erst bei einem weiteren Gespräch in derselben Nacht hat sie ihm ihr wahres Alter offenbart. Nicht ausschließbar fand dieses Gespräch aber erst nach dem Vorfall im Waldgelände statt. Daß der Angeklagte aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Mädchens mit der Möglichkeit rechnete, daß das Tatopfer noch nicht 14 Jahre alt war, läßt sich der Sachverhaltsdarstellung ebenfalls nicht entnehmen. Zwar war Mihaela M. von sehr zierlicher Gestalt; sie hatte sich jedoch an diesem Tage geschminkt, um etwas älter zu wirken und junge Männer auf sich aufmerksam zu machen. Wie auch ihr Stiefvater als Zeuge bestätigte, entsprach ihr Aussehen jedenfalls dem einer Fünfzehnjährigen. Nach alledem ist nachvollziehbar und widerspruchsfrei dargelegt und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landgericht die Einlassung des Angeklagten A. hinsichtlich seiner Vorstellung vom Alter des Mädchens für nicht widerlegt angesehen hat.
b) Entsprechendes gilt für den Freispruch des Angeklagten G. im Fall 2 der Urteilsgründe. Auch insoweit hat die Jugendkammer die Einlassung nicht widerlegen können, wonach dieser Angeklagte das Mädchen zum Zeitpunkt des ersten Sexualkontakts für 16 Jahre alt gehalten hat. Daß er das wahre Alter des Kindes schon zuvor aus einem Gespräch zwischen dem Angeklagten A. und der Zeugin S. erfahren hat, belegen die Urteilsgründe nicht.
c) Schließlich hält auch der Freispruch des zur Tatzeit 17 Jahre alten Angeklagten F. vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes rechtlicher Nachprüfung stand. Dieser Angeklagte hat sich ebenfalls damit verteidigt, er habe geglaubt, Mihaela M. sei bereits 16 Jahre alt, als er am 5. oder 6. September 2001 mit ihr im Beisein des Angeklagten A. den Geschlechtsverkehr ausgeübt hat. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich das Mädchen auch gegenüber der Mutter des Angeklagten F. als Sechzehnjährige ausgegeben, was ihr diese, wenn auch nicht vom Verhalten, so doch vom Aussehen her, geglaubt hat.
2. Mit Erfolg beanstandet die Revisionsführerin dagegen, daß das Landgericht im Fall 2 der Urteilsgründe [= Fall 9 der Anklageschrift] das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. verneint und den Angeklagten A. nur wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes, § 176 Abs. 2 StGB, verurteilt hat. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte A. die 13jährige Mihaela M., deren Alter ihm nunmehr bekannt war, dazu bestimmt, mit seinem Freund, dem damals 19 Jahre alten Angeklagten G., geschlechtlich zu verkehren. Zwar kam es letztlich nicht zum Geschlechtsverkehr, weil kein Kondom zur Verfügung stand, jedoch drang der Angeklagte G. einmal „kurz mit dem Finger in ihre Scheide, was Mihaela als schmerzhaft empfand”.
Das Landgericht ist der Auffassung, daß ein kurzes Eindringen mit dem Finger in die Scheide noch keine dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlung sei. Dies rügt die Revision zu Recht. Der Wortlaut des § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. gibt für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs, wie sie das Landgericht vertritt, nichts her. Von der Vorschrift wird – neben dem Vollzug des Beischlafs – auch die Vornahme solcher „ähnliche(n)” sexuellen Handlungen erfaßt, „die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind”. Damit ist nicht nur der Anal- und Oralverkehr gemeint, sondern auch das Eindringen mit Gegenständen oder mit dem Finger in das Geschlechtsteil (vgl. BGHR StGB § 176 a Abs. 1 Nr. 1 Eindringen 2).
Die Strafbarkeit des Angeklagten A. nach §§ 176 Abs. 2, 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. wird auch nicht dadurch berührt, daß der Angeklagte G. hinsichtlich des Alters des Mädchens irrte und sich deswegen nicht wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes strafbar gemacht hat (vgl. oben I 1 b). Für das Merkmal des Bestimmens eines Kindes im Sinne des § 176 Abs. 2 StGB ist es ohne Bedeutung, ob sich derjenige, der die sexuelle Handlung an dem Kind vornimmt oder von diesem an sich vornehmen läßt, selbst strafbar macht, da die Vorschrift die auf das Opfer und nicht auf den Dritten bezogene Bestimmungshandlung unter Strafe stellt und – unabhängig von einer grundsätzlich möglichen Teilnahme an der Tat des Dritten – eine eigene Strafbarkeit begründet.
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil dem Angeklagten in der Hauptverhandlung ein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt worden ist.
3. Ebenfalls mit Erfolg wendet sich die Staatsanwaltschaft – insoweit zu Gunsten des Angeklagten A. – gegen dessen Verurteilung wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach §§ 176 Abs. 2, 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. in den Fällen 7 und 9 der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte A. die 13jährige Mihaela M. zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit dem Mitangeklagten F. bzw. dem früheren Mitangeklagten B. bestimmt hat.
Der Qualifikationstatbestand des § 176 a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 176 Abs. 2 StGB a.F. setzt voraus, daß das Kind vom Täter dazu bestimmt war, mit einer Person über achtzehn Jahren eine der in § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. genannten sexuellen Handlungen zu begehen. Sowohl F. als auch B. waren jedoch zur Tatzeit erst siebzehn Jahre alt, so daß eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. ausscheidet, obwohl dieser zur Tatzeit volljährig war. Zwar sollte die Altersbeschränkung nach der Entstehungsgeschichte des durch das 6. Strafrechtsreformgesetz neu eingeführten § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ersichtlich nur der Privilegierung jugendlicher Täter dienen (vgl. BTDrucks. 13/8587, S. 32). Sie führt aber nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in den Fällen des § 176 Abs. 2 StGB auch zur Privilegierung des erwachsenen Täters, der ein Kind zu den sexuellen Handlungen mit einem Jugendlichen bestimmt hat. Der Angeklagte hat sich daher insoweit (nur) nach § 176 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
Der Senat ändert die Schuldsprüche daher entsprechend.
4. Soweit sich die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen gegen die Strafaussprüche bezüglich der Angeklagten A. und G. wendet und einzelne Strafzumessungserwägungen des Landgerichts als die Angeklagten zu Unrecht begünstigend beanstandet, deckt sie keine Rechtsfehler auf. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn der Tatrichter rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht läßt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Dies ist hier nicht der Fall.
5. Hinsichtlich des Angeklagten A. führt die Änderung des Schuldspruchs zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 7 und 9 der Urteilsgründe – zugunsten des Angeklagten – und im Fall 2 der Urteilsgründe – zuungunsten des Angeklagten – sowie der Gesamtstrafe. Die der Strafzumessung zugrunde liegenden, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich lediglich um Wertungsfehler handelt; ergänzende Feststellungen, die den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen, sind zulässig.
Entscheidungsgründe
II.
Revision des Angeklagten A.
Die Revision des Angeklagten A. hat mit der Sachrüge hinsichtlich der Fälle 7 und 9 der Urteilsgründe (vgl. oben I 3), der insoweit verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe Erfolg; im übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund des Revisionsvorbringens keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Revisionsangriffe erschöpfen sich weitgehend in dem unzulässigen Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen.
Der Senat schließt aus, daß sich die zumindest bedenkliche Erwägung, das Ziel seiner Taten habe für den Angeklagten darin bestanden, „seine eigene Geschlechtslust ohne Rücksicht auf die Geschädigte zu befriedigen”, auf die maßvollen Einzelstrafen ausgewirkt hat.
III.
Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGHSt 35, 267).
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2558027 |
NStZ 2005, 152 |