Leitsatz (amtlich)

›Zur Frage des gutgläubigen Erwerbs von fabrikfremden Neuwagen durch die Niederlassung eines Autoherstellers, wenn eine veräußernde Privatperson Fahrzeugbriefe ohne Haltereintragung vorlegt.‹

 

Verfahrensgang

Saarländisches OLG

LG Saarbrücken

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt einen Handel mit Neufahrzeugen und Gebrauchtwagen. Im März 1992 schloß sie mit Herrn Ma. einen schriftlichen Kaufvertrag über den gebrauchten Pkw M. Diesel zum Preis von 30.000,-- DM. Der Fahrzeugbrief wurde Herrn Ma. bei der Übergabe des Fahrzeuges ausgehändigt. Er wurde als Halter eingetragen. Ebenfalls im März 1992 verkaufte die Klägerin Herrn Ma. zwei Neuwagen Pkw A. 2,8 E zum Kaufpreis von 44.000,-- DM und Pkw G. zum Kaufpreis von 38.000,-- DM. Die Fahrzeugbriefe beider Neufahrzeuge wurden Herrn Ma. übergeben. Eine Haltereintragung erfolgte nicht. Die Zahlung des Kaufpreises für die Fahrzeuge an die Klägerin blieb aus.

Herr Ma. verkaufte Ende März/Anfang April 1992 seinerseits die von der Klägerin erworbenen drei Fahrzeuge an die Beklagte und übergab sie ihr mit den dazugehörigen Fahrzeugbriefen. Für den Gebrauchtwagen M. Diesel zahlte die Beklagte an Herrn Ma. einen Kaufpreis von 24.000,-- DM in bar aus. Die Neufahrzeuge A. 80 und V. G. wurden der Beklagten von der F. + Ma. GbR, H., mit Rechnung vom 1. April 1992 mit Beträgen von 43.000,-- DM und 28.000,-- DM berechnet. Herr Ma. erhielt auch diese Kaufpreise in bar ausgezahlt. Die Beklagte hatte sich durch ein Schreiben vom 1. April 1992 von der F. + Ma. GbR bestätigen lassen, daß an den Neufahrzeugen A. 80 und V. G. keine Rechte Dritter bestünden.

Mit der Klage hat die Klägerin von der Beklagten zunächst Herausgabe der drei Fahrzeuge verlangt. Während des Rechtsstreits hat die Beklagte den Gebrauchtwagen M. zum Preis von 23.500,-- DM und das Neufahrzeug V. G. zum Preis von 28.947,-- DM weiterverkauft. Die Klägerin hat daraufhin Schadensersatz für den Pkw M. in Höhe von 30.000,-- DM und für den Pkw G. in Höhe von 38.000,-- DM verlangt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Oberlandesgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob - was die Beklagte bestritten hat - die Klägerin die Kraftfahrzeuge an Herrn Ma. unter Eigentumsvorbehalt verkauft hat. In der Revisionsinstanz muß daher davon ausgegangen werden, daß Ma. kein Eigentum an den Fahrzeugen erworben und darüber als Nichtberechtigter verfügt hat.

II. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Beklagte beim Ankauf der drei Fahrzeuge keine weiteren Nachforschungen über die Eigentumsverhältnisse an den Fahrzeugen anstellen mußte, weil sich darunter zwei Neufahrzeuge befunden hätten, deren Fahrzeugbriefe üblicherweise keine Haltereintragungen enthielten. Es sei deshalb für die Gutgläubigkeit der Beklagten ausreichend gewesen, daß sie in den Fahrzeugbrief des dritten, als Gebrauchtwagen verkauften Fahrzeuges Einsicht genommen habe, in dem der Verkäufer als Halter eingetragen gewesen sei. Wenn sie sich als Erwerberin vom Verkäufer zusätzlich eine schriftliche Bestätigung über seine Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Neufahrzeuge habe aushändigen lassen, habe sie ihrer Erkundigungspflicht genügt.

Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsirrtum.

1. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht die vom Bundesgerichtshof allgemein entwickelten Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb von Kraftfahrzeugen und die dabei vom Erwerber zu beobachtende Sorgfaltspflicht am Maßstab der groben Fahrlässigkeit (§ 932 Abs. 2 BGB) umschrieben (BGHZ 10, 14, 16; BGH, Urt. v. 5. Februar 1975 - VIII ZR 151/73, NJW 1975, 735, 736; BGH, Urt. v. 1. Juli 1987 - VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456; BGH, Sen.Urt. v. 11. März 1991 - II ZR 88/90, NJW 1991, 1415, 1417; BGH, Sen.Urt. v. 13. April 1994 - II ZR 196/93, NJW 1994, 2022, 2023). Bei der Anwendung dieses Sorgfaltsmaßstabes auf den hier zu beurteilenden Erwerb von zwei Neufahrzeugen und einem Gebrauchtwagen sind dem Berufungsgericht jedoch revisible Rechtsfehler unterlaufen.

a) Rechtsfehlerhaft ist zunächst die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Beklagte habe beim Ankauf der zwei Neufahrzeuge A. 80 und V. G. keinen Anlaß zur weiteren Überprüfung der Rechtsstellung des Veräußerers Ma. gehabt, weil er, wie im Neuwagengeschäft üblich, Fahrzeugbriefe vorgelegt habe, in die die Halter noch nicht eingetragen waren. Die Begründung des Berufungsgerichts, die Rechtsprechung habe eine Nachprüfungspflicht nur in Fällen des Verkaufs von gebrauchten Kraftfahrzeugen durch Privatpersonen angenommen, in den der Veräußerer zwar im Besitz des Kraftfahrzeugbriefes, aber selbst nicht als Halter eingetragen gewesen sei, wird der vorliegenden Fallgestaltung nicht gerecht.

Zwar entspricht es der für den Gutglaubensschutz beim Handel mit Gebrauchtwagen entwickelten Rechtsprechung, daß der Besitz des Kraftfahrzeuges samt dem Fahrzeugschein und dem Fahrzeugbrief den Rechtsschein der Verfügungsmacht über einen gebrauchten Kraftwagen begründet und daß nur das Unterlassen der Einsicht in den Fahrzeugbrief in der Regel einen gutgläubigen Erwerb beim Käufer eines Gebrauchtwagens ausschließt (BGH, Urt. v. 5. Februar 1975 aaO., 736; Reinking-Eggert, Der Autokauf, 5. Aufl., Rdn. 1491).

b) Daraus darf indessen nicht der Schluß gezogen werden, daß beim Kauf von Neuwagen der Eintragung des Halters im Fahrzeugbrief nur untergeordnete Bedeutung zukomme. Im Streitfall ging es darum, daß beim Kauf von zwei Neuwagen Fahrzeugbriefe ohne Haltereintragung vorgelegt wurden. Das mag beim Neuwagenkauf von einem autorisierten und zuverlässigen Vertragshändler mangels sonstiger Auffälligkeiten nicht zu beanstanden sein. Das kann aber auf einen Autokauf aus Privathand nicht ohne weiteres übertragen werden. Weder Ma. noch die F. + Ma. GbR waren Vertragshändler, so daß unter den gegebenen Umständen die fehlende Eintragung des Halters im Fahrzeugbrief entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht als üblich bezeichnet werden kann. Ungewöhnlich war hier auch, daß eine Privatperson, die offenbar mit der Beklagten nicht in ständiger Geschäftsbeziehung stand, innerhalb kurzer Zeit insgesamt drei Kraftwagen veräußerte, ohne ihrerseits - jedenfalls ist das nicht festgestellt - ein Fahrzeug zu erwerben. Zudem handelt es sich bei zwei Fahrzeugen für die Beklagte um Fabrikate anderer Autohersteller. Für die Frage des guten Glaubens im Sinne des § 932 BGB ist auf das Gesamtbild der in zeitlichem Zusammenhang erfolgten Verkäufe abzustellen.

2. Waren bereits diese Umstände geeignet, Zweifel an dem Eigentum Ma.'s an den Neuwagen zu erwecken, so mußte die das Gesamtbild ebenfalls beeinflußende Preisgestaltung bei zwei von drei Wagen die Verdachtsmomente noch verstärken. Beim V. G. lag der von der Beklagten gezahlte Preis von 28.000,-- DM mit 26,31 % unter dem von der Klägerin angegebenen Mindestverkehrswert von 38.000,-- DM. Bei dem zusammen mit den beiden Neufahrzeugen von der Beklagten angekauften Gebrauchtfahrzeug M. hat der Verkäufer Ma. der Beklagten zwar den Fahrzeugbrief vorgelegt, in dem er auch als Halter eingetragen war. Aber auch die Umstände bei diesem Erwerb hätten bei der Beklagten Verdacht erregen müssen, weil der Kauf aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs Teil eines Gesamtvorgangs war und auch hier der von der Beklagten gezahlte Kaufpreis mit 24.000,-- DM 20 % unter dem dem von der Klägerin behaupteten üblichen Marktpreis lag.

Auch dieses festgestellte auffällige Mißverhältnis zwischen dem beim Ankauf an Herrn Ma. gezahlten Preis und dem üblichen "marktgerechten" Preis bei den zwei Fahrzeugen hätte Anlaß geben müssen, Nachforschungen nach dem Voreigentümer der Neufahrzeuge anzustellen. Dies hätte z.B. bei den Neuwagen anhand der Fahrgestellnummer durch Nachfrage beim Hersteller erfolgen können.

3. Ein sich auch aus beiden Umständen aufdrängender Verdacht, der Verkäufer Ma. könnte nicht Eigentümer der Neufahrzeuge sein, war auch nicht dadurch zu entkräften, daß sich die Beklagte die Erklärung vom 1. April 1992 übermitteln ließ, in der bestätigt wurde, an den beiden Neufahrzeugen bestünden keine Rechte Dritter. Die von der F. + Ma. GbR abgegebene Erklärung läßt den vom Oberlandesgericht nicht näher aufgeklärten Widerspruch zwischen der Tatsache offen, daß der Verkauf der Neufahrzeuge durch Ma. als Privatperson erfolgte, während die Erklärung durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts abgegeben wurde, die als Handelsagentur für Industriegüter und Kommunikationswesen nicht mit dem Handel von Kraftfahrzeugen befaßt war. Die Erklärung ist auch nach ihrem Inhalt nicht geeignet, einem sich auf den guten Glauben berufenden Erwerber sichere Anhaltspunkte über die Herkunft der fabrikneuen Fahrzeuge und über die Verfügungsbefugnis oder das Eigentum des Verkäufers zu geben.

Zweifel hätten um so mehr auftreten müssen, als die Beklagte den Kaufpreis für die Neufahrzeuge und das dritte hochwertige Gebrauchtfahrzeug M. in Höhe von insgesamt 95.000,-- DM nicht einmal an die F. + Ma. GbR gezahlt hat. Diese hat zwar der Beklagten für den Verkauf der beiden Neufahrzeuge und ein weiteres - nicht in diesem Rechtsstreit befangenes - Gebrauchtfahrzeug unter dem 1. April 1992 eine Rechnung erteilt. Den hohen Kaufpreis hat die Beklagte, ein eingeführtes Unternehmen der Automobilbranche, dem Verkäufer Ma. dagegen in bar ausgehändigt, was ebenso ungewöhnlich ist.

III. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist zu erneuter tatrichterlicher Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die Parteien erhalten dadurch Gelegenheit, sich zur Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts und zu den Anforderungen an die Erkundigungspflicht auch hinsichtlich der zwei Neufahrzeuge sowie zu den auffällig günstigen Kaufpreisen zu äußern und gegebenenfalls hierzu ergänzend vorzutragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993632

BB 1996, 182

DB 1996, 86

NJW 1996, 314

BGHR BGB § 932 Abs. 2 Erwerb, gutgläubiger 6

DRsp I(150)356a

WM 1996, 172

ZIP 1996, 27

DAR 1996, 52

JuS 1996, 456

MDR 1996, 148

NZV 1996, 106

VRS 90, 258

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