Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 03.09.1999) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 3. September 1999 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger macht die Räumung und Herausgabe gewerblicher Mieträume geltend. Er vermietete im Jahre 1994 dem Beklagten mit schriftlichem Vertrag eine Doppelgarage zum Betrieb einer Schilderherstellung. § 2 Abs. 4 des Mietvertrages lautet:
„Das Mietverhältnis beginnt am 01.03.1994 und endet am 28.02.1999. Der Mieter kann aber einmal die Verlängerung des Mietverhältnisses um 5 Jahre über den vereinbarten Beendigungstermin hinaus verlangen, wenn er das Optionsrecht bis spätestens 12 Monate vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit ausübt. …”
Der Beklagte sandte an den Kläger unter dem Datum vom 3. März 1998 folgendes Faxschreiben:
„Sehr geehrter Herr K.,
wie schon im Dez. 97 mit Ihnen besprochen, möchte ich der Ordnung halber nochmals schriftlich bestätigen, daß ich für das oben genannte Objekt von meinem vertraglichen Optionsrecht Gebrauch mache.
Der Mietvertrag endet somit zunächst zum 28.02.2004.”
Der Beklagte, der die Garage untervermietet hatte, verweigerte die Räumung zum 28. Februar 1999 mit der Begründung, sein Generalbevollmächtigter S. A. habe bereits mit Schreiben vom 10. Februar 1998 das Optionsrecht gegenüber dem Kläger ausgeübt. Bei zwei Treffen am 18. Februar und 4. März 1998 habe er gegenüber dem Bevollmächtigten des Klägers, A. S., mündlich wiederholt, daß er auf der Ausübung des Optionsrechts bestehe.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Doppelgarage verurteilt. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Revision, die der Senat angenommen hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, der Räumungsanspruch sei begründet, weil der Mietvertrag am 28. Februar 1999 abgelaufen sei. Dem Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, daß er sein Optionsrecht rechtzeitig ausgeübt habe. Er habe den Zugang des Schreibens seines Bevollmächtigten S. A. vom 10. Februar 1998 nicht bewiesen. Das Postausgangsbuch sei kein tauglicher Beweis für den Zugang. Einen Zeugen für den rechtzeitigen Zugang des Schreibens habe er nicht benannt. Aus der Aussage des Zeugen A. ergebe sich nicht, daß der Beklagte tatsächlich gegenüber dem Kläger sein Optionsrecht ausgeübt habe. Der Zeuge habe nicht bekundet, daß er von der Ausübung des Optionsrechts seitens des Beklagten etwas wisse bzw. mitbekommen habe. Der in zweiter Instanz vernommene Zeuge M. habe nicht ausgesagt, der Beklagte habe sein Optionsrecht rechtzeitig, also vor dem 28. Februar 1998, ausgeübt. Soweit der Zeuge bekundet habe, Anfang 1998 habe ihm Herr S. gesagt, daß der Beklagte seine Option ausgeübt habe, stehe dem die glaubhafte Aussage des Zeugen S. entgegen. Dieser habe erklärt, er habe mit dem Zeugen M. zwar mehrfach gesprochen, zu ihm aber nicht gesagt, daß der Beklagte vor dem 28. Februar 1998 sein Optionsrecht ausgeübt habe. Der Zeuge S. habe seiner Aussage zufolge bis zum Schriftverkehr zwischen den Parteien im März 1998 den Inhalt des Mietvertrages nicht gekannt und diesen auch nicht ausgehandelt. Die Aussage des Zeugen S. sei überzeugend, denn unstreitig sei der Zeuge nicht mit dem Abschluß und der Abwicklung des Mietvertrages befaßt gewesen.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Zu Recht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe entscheidungserhebliche Beweisangebote nicht erkannt und deshalb bei seiner Beweiswürdigung Teile des landgerichtlichen Beweisergebnisses unberücksichtigt gelassen. Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 561 ZPO a.F. gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozeßstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Senatsurteil vom 11. Februar 1987 – IVb ZR 23/86 – NJW 1987, 1557, 1558; Urteil vom 14. Januar 1993 – IX ZR 238/91 – NJW 1993, 935, 937). Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, der Beklagte habe keinen Zeugenbeweis für den Zugang des Schreibens vom 10. Februar 1998 angeboten. Der Beklagte hat aber in erster und zweiter Instanz vorgetragen, der Kläger habe nach dem 12. Februar 1998 geäußert, er erkenne die Optionsausübung durch den Zeugen A. nicht an. Der Beklagte hat dafür Herrn A. als Zeugen benannt. Dieses Beweisangebot bezog sich denkgesetzlich auch auf den Zugang des Schreibens, da die behauptete Äußerung des Klägers voraussetzt, daß er die Erklärung kannte. Kenntnis konnte er aber nur dadurch erlangt haben, daß ihm das Schreiben zugegangen war. Bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht hatte der Zeuge A. die Beweisbehauptung des Beklagten bestätigt; das Landgericht hat dem Zeugen allerdings nicht geglaubt. Das Berufungsgericht hat die protokollierte Aussage des in erster Instanz vernommenen Zeugen A. nicht gewürdigt, weil es nicht gesehen hat, daß diese Aussage bedeuten kann, der Kläger habe das Schreiben vom 10. Februar 1998 erhalten.
b) Auch die Feststellung des Berufungsgerichts, der Zeuge habe überhaupt nicht bekundet, daß er von der Ausübung des Optionsrechts etwas wisse bzw. mitbekommen habe, beruht, wie die Revision zu Recht rügt, auf einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hat, indem es die Aussage des vom Landgericht vernommenen Zeugen A. anders als das Landgericht gewürdigt hat, ohne die Vernehmung des Zeugen zu wiederholen, gegen §§ 398 Abs. 1, 523 ZPO a.F. verstoßen.
aa) Zwar steht es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen in erster Instanz vernommenen Zeugen ein zweites Mal vernehmen will. Das Ermessen unterliegt aber Einschränkungen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 3. Februar 2001 – XI ZR 223/00 – NJW-RR 2001, 1430, 1431 m.w.N.) ist die erneute Vernehmung eines Zeugen erforderlich, wenn das Berufungsgericht dessen protokollierte Aussage anders verstehen oder werten oder seine Glaubwürdigkeit anders beurteilen will als die Vorinstanz.
bb) So ist es hier. Das Berufungsgericht hat die Aussage des Zeugen A. dahin gewürdigt, der Zeuge habe nicht bekundet, daß er von der Ausübung des Optionsrechts seitens des Beklagten etwas wisse bzw. etwas mitbekommen habe. Das Landgericht hatte demgegenüber der Aussage unter anderem entnommen, daß der Zeuge die Ausübung des Optionsrechts durch das Schreiben vom 10. Februar 1998 bestätigt habe. Angesichts dieser vom Verständnis des Landgerichts abweichenden Würdigung der Aussage des Zeugen hätte das Oberlandesgericht den Zeugen erneut vernehmen müssen. Es ist nicht auszuschließen, daß es hierbei zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
c) Mit Erfolg beanstandet die Revision weiter, das Berufungsgericht habe unter Verstoß gegen Verfahrensrecht den Zeugen S. für glaubwürdiger erachtet als den Zeugen M.. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist insoweit fehlerhaft, weil es streitige Tatsachen als unstreitig zugrunde gelegt hat und entscheidungserheblichen Sachvortrag samt Beweisangebot des Beklagten übergangen hat. Der Zeuge M. hat ausgesagt, Anfang 1998 habe ihm der Zeuge S. gesagt, daß der Beklagte seine Option ausgeübt habe. Der Zeuge S. hat eine solche Äußerung in Abrede gestellt. Das Berufungsgericht hat dem Zeugen M. mit der Begründung nicht geglaubt, der Zeuge S. sei in seiner Aussage, er habe bis zum Schriftverkehr zwischen den Parteien im März 1998 keine Kenntnis vom Inhalt des Mietvertrages gehabt, da er ihn nicht ausgehandelt und verfaßt habe, glaubwürdiger. Denn der Zeuge S. sei unstreitig nicht mit dem Abschluß und der Abwicklung von Mietverträgen befaßt gewesen. Damit hat das Berufungsgericht bei seiner Beweiswürdigung verfahrensfehlerhaft Umstände als unstreitig zugrunde gelegt, die in Wirklichkeit streitig waren. Der Beklagte hatte nämlich vorgetragen, der Zeuge S. sei maßgeblich an der Aushandlung des Mietvertrages beteiligt gewesen, und für diesen Vortrag Herrn A. als Zeugen angeboten. Wenn das Berufungsgericht daher der Frage der (Nicht-)Beteiligung des Zeugen S. an der Aushandlung des Mietvertrages maßgebliche Bedeutung für die Bewertung der Glaubwürdigkeit des Zeugen beimessen wollte, hätte es diesem Beweisangebot nachgehen müssen.
3. Der Senat ist nicht in der Lage, abschließend zu entscheiden. Der Rechtsstreit muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit dieses nach ergänzender Beweisaufnahme die Beweise erneut würdigt.
Unterschriften
Hahne, Sprick, Weber-Monecke, Fuchs, Ahlt
Fundstellen