Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 28.03.2008) |
Tenor
1.
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. März 2008 wird verworfen.
2. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sie beanstandet insbesondere die Annahme des mordqualifizierenden Merkmals der Tötung aus niedrigen Beweggründen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Rz. 2
Im Januar 2007 wurde die Angeklagte nach einem intimen Kontakt mit einer Diskothekenbekanntschaft schwanger. Dies wollte sie jedoch nicht wahrhaben. Vielmehr hielt sie ihre Schwangerschaft selbst gegenüber ihrer engsten Umgebung – so auch gegenüber ihrem heutigen Verlobten, der bereits seinerzeit mit ihr zusammen im Haus ihrer Eltern lebte – geheim. Als sie in der ersten Oktoberwoche Kindsbewegungen in ihrem Körper feststellte, beschloss sie für sich, dass sie dieses Kind „nicht haben wollte”. Alternative Möglichkeiten wie die Freigabe zur Adoption oder die Abgabe in einer Babyklappe verwarf sie. Dass sie bereits in diesem Zeitpunkt vorhatte, das Kind zu töten, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. In der Nacht zum 18. Oktober 2007 brachte sie im Badezimmer – ohne dass ihr heutiger Verlobter davon etwas mitbekam – einen männlichen Säugling zur Welt. Spätestens in diesem Augenblick entschloss sie sich, das Kind zu töten. „Sie befürchtete, ihr bisheriges Leben, das sich im Wesentlichen dadurch auszeichnete, dass sie keinerlei Verantwortung für sich oder andere trug, in den Tag hinein lebte und von ihren Eltern unterstützt wurde, nicht fortsetzen zu können. Sie fühlte sich zu jung für ein Kind und wollte ‚noch etwas erleben’. … Daneben spielte auch die untergeordnete und diffuse Angst davor eine Rolle, dass ihr heutiger Verlobter die Beziehung zu ihr beenden würde. Dies wollte die Angeklagte verhindern”. Sie nahm das Kind und warf es über einen hölzernen Sichtschutz hinweg in den hinter dem elterlichen Anwesen entlang führenden Mühlgraben. In diesem Zeitpunkt war das Kind nicht ausschließbar infolge Einatmens von zu viel Fruchtwasser bereits verstorben. Die Angeklagte selbst ging jedoch bis zum Schluss davon aus, dass das Kind noch lebe.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen im Sinne des Mordtatbestandes des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, begegnet entgegen der Auffassung der Revision, der der Generalbundesanwalt beigetreten ist, keinen rechtlichen Bedenken.
Rz. 4
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig” sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als ein Totschlag – verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Bei den insoweit zu treffenden Wertungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; Senatsurteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08). Danach ist die Annahme niedriger Beweggründe hier aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Rz. 5
Die Angeklagte wollte, als sie sich zur Tötung des Kindes entschloss, nach ihren eigenen Angaben „noch etwas erleben” und jetzt noch nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen. Demgegenüber war – wie das Landgericht mit tragfähiger Begründung ausgeführt hat – die diffuse Angst der Angeklagten, ihr heutiger Verlobter könne sich wegen des Kindes womöglich von ihr trennen, nur von untergeordneter Bedeutung. Vielmehr wollte die Angeklagte nach der rechtsfehlerfrei gewonnenen Überzeugung des Landgerichts „entscheidungslenkend” das Kind als „Störfaktor” beseitigen, um ihr bisheriges Leben in gewohnter Form fortsetzten zu können. Dass der Täter auch eigene Interessen verfolgt, ist zwar der Regelfall der vorsätzlichen Tötung eines Anderen und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne Weiteres die Qualifikation der Tat als Mord. Deshalb wird auch nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. durch das 6. StrRG (vgl. dazu BTDrucks 13/8587 S. 34) in den Fällen der Kindstötung die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08). Anders verhält es sich jedoch, wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht geprägt ist. So liegt es hier.
Rz. 6
b) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landgericht nicht ausdrücklich erörtert hat, dass die Angeklagte die Umstände, die die Niedrigkeit ihrer Beweggründe ausmachen, im Tatzeitpunkt in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen und erkannt hat. Näherer Ausführungen hierzu bedurfte es vorliegend nicht. Die Angeklagte war im Tatzeitpunkt trotz der Belastung durch die Geburt nach den Ausführungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen, denen die Kammer gefolgt ist und gegen die auch die Revision nichts einwendet, uneingeschränkt schuldfähig. Sie hat sich zudem im Laufe des Verfahrens mehrfach ausdrücklich zu dem festgestellten, von Eigensucht geprägten Motiv bekannt. Mag manches – wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat zu bedenken gegeben hat – in dem Verhalten und in den Äußerungen der Angeklagten auch für eine gewisse Naivität und Unreife sprechen, vermag dies gleichwohl die subjektive Tatseite nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Denn die Angeklagte hat sich auch im Nachhinein nicht etwa von ihren sie bei der Tat beherrschenden Beweggründen distanziert, sondern hat noch in der Hauptverhandlung „schnippisch und zumeist genervt” auf ihrem Standpunkt beharrt. Unter diesen Umständen hat der Umstand, dass die Angeklagte nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen eine hohe Impulsivität und eine Neigung zum Blockieren aufweist, für die innere Tatseite ersichtlich keine Bedeutung. Hinzu kommt, dass auch die Art und Weise der Tatausführung selbst (der Wurf des Kindes über die Holzbarriere hinweg in den Mühlgraben) eine erschreckende „Wegwerfmentalität” offenbart.
Rz. 7
2. Der in Anbetracht der Tatumstände vergleichsweise milde Strafausspruch weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
Rz. 8
Damit hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Athing, Mutzbauer
Fundstellen
Haufe-Index 2564990 |
NStZ 2009, 210 |