Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 01.08.2012) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 1. August 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung eine Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
I.
Rz. 2
Der Angeklagte und sein Freund I.-L. fuhren am 15. Februar 2012 zu einem Garagengelände, wo sich der Angeklagte nach der Möglichkeit eines Ölwechsels für sein Fahrzeug erkundigte. Aus unbekannten Gründen kam es zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und dem dort anwesenden H.. Hierauf begaben sich der Angeklagte und sein Freund zurück zum Fahrzeug, während H. ihnen folgte, auf den Angeklagten einredete und bei dessen Versuch, ins Auto einzusteigen, die Tür zudrückte, so dass ein Fuß des Angeklagten für kurze Zeit eingeklemmt war. Deshalb wurde der Angeklagte wütend. Er versetzte H. mit erheblicher Wucht einen kräftigen Faustschlag an die Schläfe. Anschließend trat der 1,85 m große Angeklagte den mit 1,65 m Körperlänge kleineren Geschädigten mit erheblicher Wucht gegen die rechte obere Brustseite, so dass der Geschädigte umfiel und mit dem Hinterkopf auf den Boden aufschlug, wo er bewusstlos liegen blieb.
Rz. 3
Dem Angeklagten war bekannt und bewusst, dass ein solch massiver Schlag in das Gesicht und ein derart wuchtiger Fußtritt gegen den Oberkörper geeignet waren, das Leben des Geschädigten zu gefährden, zumal ihm seine besondere Trittkraft als Amateurfußballspieler bekannt war.
Rz. 4
Aufgrund des Schlags erlitt der Geschädigte eine Felsenbein- und Kalottenfraktur, ferner Kontusionsblutungen und eine Blutung zwischen Schädeldach und harter Hirnhaut aufgrund der Zerreißung einer Schlagader. Die Verletzungen mussten chirurgisch versorgt werden. Der Geschädigte leidet auch danach unter erheblichen Konzentrations- und Sehstörungen sowie Kopfschmerzen und Schlafstörungen und einer Sprachfindungsstörung.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Die Revision ist unbegründet.
Rz. 6
1. Dies gilt zunächst für den Rechtsmittelangriff gegen den Schuldspruch.
Rz. 7
Das Landgericht hat die rechtsfehlerfrei festgestellte Tat zu Recht als gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB bewertet. Sowohl der heftige Faustschlag gegen die Schläfe des Opfers als auch der wuchtige Tritt gegen den Oberkörper, der den Geschädigten zu Fall brachte und mit dem Hinterkopf hart auf den Boden aufschlagen ließ, waren jeweils lebensgefährliche Handlungen, die in natürlicher Handlungseinheit zusammengetroffen sind. Für eine Bewertung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell dazu geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 2 StR 520/12). Tritte oder heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12). Dabei ist aber die konkrete Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des jeweiligen Verletzten im Einzelfall zu berücksichtigen. Die Größenunterschiede zwischen Täter und Opfer, die Wucht des aus Wut ausgeführten Schlags und des Tritts, sowie die Zielrichtung begründen hier die Bewertung als lebensgefährliche Handlungen. Mit dem Faustschlag gegen den Kopf und mit dem Tritt, der mittelbar durch Sturz und Aufprall des Geschädigten mit dem Kopf auf den Boden jeweils gegen eine vitale Körperregion gewirkt haben, wurde eine zumindest potenzielle Lebensgefährdung verursacht.
Rz. 8
Subjektiv muss der Täter einer Tat nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB die Umstände der Tat erkennen, aus denen sich die Lebensgefährlichkeit ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2001 – 3 StR 175/01). Da der Angeklagte wusste, dass er massive Gewalt gegen den Kopf des Opfers ausübte, was er auch wollte, hat er die Tat mit dem Vorsatz einer das Leben des Geschädigten gefährdenden Handlung begangen.
Rz. 9
2. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts begegnet auch die Bemessung der Jugendstrafe keinen rechtlichen Bedenken.
Rz. 10
a) Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Jugendstrafe so zuzumessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Dies bedeutet nicht, dass die Erziehungswirkung als einziger Gesichtspunkt heranzuziehen ist. Vielmehr sind daneben andere Strafzwecke zu beachten, insbesondere bei Gewaltdelikten mit erheblichen Folgen für das Opfer auch das Erfordernis gerechten Schuldausgleichs. Das Gewicht des Tatunrechts muss gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Verurteilten abgewogen werden. Erziehungsgedanke und Schuldausgleich stehen dabei regelmäßig nicht im Widerspruch. Hier stehen sie miteinander im Einklang, weil die charakterliche Haltung und das Persönlichkeitsbild, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, für das Erziehungsbedürfnis und für die Bewertung der Schuld gleichermaßen von Bedeutung sind.
Rz. 11
b) Die Jugendkammer hat nach Aufzählung der Strafbemessungsgründe betont, sie habe unter „Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände und unter zentraler Berücksichtigung des Erziehungsgedankens” die verhängte Jugendstrafe „für angemessen und notwendig erachtet”. Danach ist, anders als in Fällen, in denen das Tatgericht die Jugendstrafe in ihrer Höhe ausschließlich als „tat- und schuldangemessen” bezeichnet (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juni 2013 – 2 StR 498/12), nicht zu besorgen, das Tatgericht könne diesen Maßstab des Jugendstrafrechts übersehen haben.
Rz. 12
Eine lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens in den Urteilsgründen würde zwar nicht den Anforderungen genügen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 3 StR 14/12, StraFo 2012, 241). Ein solcher Fall liegt aber nicht vor. Bei der Erläuterung der Strafbemessungskriterien hat die Jugendkammer nicht nur Gesichtspunkte verwendet, die ausschließlich gemäß § 46 Abs. 1 StGB von Bedeutung wären. Sie hat vielmehr einer „positiven Entwicklung” des Angeklagten Rechnung getragen, der in der Untersuchungshaft über „seinen bisherigen persönlichen und schulischen Werdegang sowie insbesondere über die Tat reflektiert und sich damit auseinandergesetzt hat.” Dies sind Aspekte, die für die Bewertung des erzieherischen Einwirkungsbedarfs von Bedeutung sind.
Rz. 13
Wenn die Strafhöhe ferner mit den schweren Folgen der Tat für den Nebenkläger und den einschlägigen Vorbelastungen sowie der lediglich fünf Wochen vor der vorliegenden Tat erfolgten Verhängung eines einwöchigen Dauerarrests gegen den Angeklagten begründet wurde, lässt dies auch als Mitbewertung von Unrecht und Schuld nicht besorgen, dass das Landgericht den Erziehungsgedanken aus dem Blick verloren hat. Diese Aspekte, insbesondere die Erwägung, dass sich der Angeklagte durch den gegen ihn verhängten Dauerarrest nicht ausreichend hat beeindrucken lassen, enthalten auch Kriterien, die für die Einschätzung der notwendigen erzieherischen Einwirkung von Bedeutung sind.
Rz. 14
c) Es stellt entgegen der Annahme der Revision ferner keinen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht bei der Bemessung der Jugendstrafe den Rechtsgedanken des § 213 1. Alt. StGB nicht ausdrücklich erwähnt hat. Dabei kann offen bleiben, ob der Nebenkläger den Angeklagten durch Einklemmen eines Fußes in die Autotür im Sinne von § 213 1. Alt. StGB erheblich misshandelt und dies den Angeklagten auf der Stelle zur Tat hingerissen hat.
Rz. 15
Der Rechtsgedanke des § 213 1. Alt. StGB in Verbindung mit § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB kann in Fällen einer gefährlichen Körperverletzung schon bei Anwendung von allgemeinem Strafrecht nur mittelbar Bedeutung erlangen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 – 3 StR 206/12, NStZ-RR 2012, 308). Ein eigener gesetzlicher Strafrahmen wird dadurch bei der Anwendung von Jugendstrafrecht nicht eröffnet. Das Landgericht hat aber bei der
Bemessung der Jugendstrafe innerhalb des Strafrahmens aus den §§ 18 Abs. 1 Satz 1, 105 Abs. 3 Satz 1 JGG auch berücksichtigt, dass es sich „um eine Spontantat aus einer besonderen Situation heraus” gehandelt hat.
Unterschriften
Fischer, Appl, Eschelbach, Ott, Zeng
Fundstellen
Haufe-Index 5291964 |
ZAP 2013, 1149 |
NStZ-RR 2013, 342 |