Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährungsbeginn bei Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung
Leitsatz (amtlich)
Zum Beginn der Verjährung des Schadensersatzanspruchs wegen Beitragsbetrugs zum Nachteil der Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge und wegen Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung.
Normenkette
BGB § 852 Abs. 1, § 823 Abs. 2; StGB § 263; RVO § 529
Verfahrensgang
Tatbestand
Die klagende Ortskrankenkasse nimmt den Beklagten als ehemaligen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der F. GmbH & Co. KG (im folgenden: KG) wegen vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge auf Schadensersatz in Anspruch.
Nach dem Prüfbericht der Klägerin vom 23. September 1980 hat die KG von 1972 bis 1978 Sozialversicherungsbeiträge für Schwarzarbeiter in Höhe von 1.025.928,76 DM an die Klägerin nicht abgeführt. Der Beklagte hat die Richtigkeit dieses Berichts als Geschäftsführer und Bevollmächtigter der KG am 2. Juli 1981 anerkannt. In der Zeit vom 8. April 1980 bis 24. April 1981 hat die KG an die Klägerin insgesamt 698.600,78 DM auf die rückständigen Beiträge gezahlt. Von dem Rest macht die Klägerin 327.327,08 DM mit der vorliegenden Klage geltend.
Außerdem verlangt die Klägerin von dem Beklagten Schadensersatz, weil die KG in der Zeit vom 1. Januar 1981 bis zum 27. Juni 1983 Arbeitnehmeranteile für ordnungsgemäß gemeldete Arbeitnehmer in Höhe von 70.098,85 DM nicht an die Klägerin abgeführt hat.
Die KG hat am 24. Juni 1983 Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt. Das Konkursverfahren ist am 29. Juli 1983 eröffnet und am 25. Juni 1984 mangels Masse eingestellt worden.
Die Klägerin hat die Klageansprüche mit einem am 4. Februar 1986 beim Amtsgericht beantragten, am 13. Februar 1986 erlassenen und am 18. Februar 1986 zugestellten Mahnbescheid geltend gemacht.
Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 327.327,08 DM nebst Zinsen stattgegeben und die Klage im übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin die Klageansprüche in voller Höhe zuerkannt.
Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen auf Klageabweisung gerichteten Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht den Klageansprüchen, die im zweiten Rechtszug unstreitig waren, die Verjährungseinrede des Beklagten nicht entgegen. Da es sich um deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 529 RVO a.F. handele und der die Verjährung unterbrechende Mahnbescheid unter dem 4. Februar 1986 beantragt und dem Beklagten am 18. Februar 1986 zugestellt worden sei, greife die Verjährungseinrede nach §§ 852 Abs. 1, 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 693 Abs. 2 ZPO nur durch, wenn die Klägerin bereits vor dem 4. Februar 1983 von ihrem Schaden Kenntnis erlangt hätte. Dies habe der Beklagte nicht zu beweisen vermocht. Der Schaden, um den es hier gehe, sei noch nicht durch die Nichtabführung der Beiträge entstanden; er habe vielmehr erst vorgelegen, als die KG zur Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen nicht mehr in der Lage gewesen sei. Kenntnis von dem Schaden habe die Klägerin deshalb erst gehabt, als ihr habe bewußt werden müssen, daß die KG die Beitragsrückstände nicht mehr begleichen könne und auch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ohne Erfolg bleiben würden. Eine solche Kenntnis habe sich nicht schon aus dem Prüfbericht vom 23. September 1980 ergeben. Zwar habe dieser Bericht der Klägerin die Kenntnis von den ihr vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen vermittelt, jedoch sei damals noch nicht abzusehen gewesen, daß sich diese Rückstände zum Teil als uneinbringlich erweisen würden. Immerhin habe die KG in der Zeit vom 8. April 1980 bis zum 24. April 1981 fast 70% der Rückstände bezahlt. Auch in der Folgezeit bis zum 4. Februar 1983 habe die Klägerin die Uneinbringlichkeit der Beitragsrückstände noch nicht erkannt. Der Beklagte und seine Ehefrau hätten der Klägerin auf ihrem Grundbesitz Grundschulden von 400.000 DM eingeräumt, deren späterer Ausfall bei der Zwangsversteigerung damals noch nicht vorhersehbar gewesen sei; außerdem habe die Klägerin darauf vertrauen dürfen, daß ihr der Verkaufserlös einer Eigentumswohnung des Beklagten zufließen werde. Ferner habe der Beklagte der Klägerin noch im Juni 1983 Forderungen in Höhe von 138.600 DM abgetreten und ihr einen – später allerdings nicht eingelösten – Verrechnungsscheck über 21.482,90 DM übergeben. Angesichts dieser Umstände habe die Klägerin vor dem 4. Februar 1983 noch nicht damit rechnen müssen, daß die KG die Beitragsrückstände endgültig schuldig bleiben werde.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
Das Berufungsgericht geht zwar im Ansatz zutreffend davon aus, daß die Verjährungseinrede des Beklagten nur durchgreift, wenn die Klägerin schon vor dem 4. Februar 1983 von dem mit der Klage geltend gemachten Schaden Kenntnis erlangt hat (§§ 852 Abs. 1, 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 693 Abs. 2 ZPO). Es zieht jedoch als Anspruchsgrundlage allein § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 529 RVO a.F. und damit lediglich die Vorenthaltung von Beitragsteilen in Betracht. Damit bleibt unberücksichtigt, daß es hier um zwei Klageansprüche geht, die auf verschiedenen Haftungsgründen beruhen, mit denen für die Verjährung unterschiedliche Rechtsfolgen verbunden sind.
1. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Zahlung von 327.327,08 DM darauf, daß die KG für Schwarzarbeiter keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hat. Sie hat der Klägerin bewußt unvollständige Beitragsnachweise vorgelegt. Hierdurch wurde die Klägerin über die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer getäuscht, so daß die Geltendmachung der fälligen Sozialversicherungsbeiträge unterblieb. Damit war – wovon das Landgericht zutreffend ausgeht – in der Person des Beklagten, dem die Geschäftsführung oblag und der die mit der Beschäftigung der „Schwarzarbeiter” zusammenhängende Irreführung der Klägerin zu verantworten hatte, bereits im Zeitpunkt der Vorlage der unvollständigen Beitragsnachweise nicht nur der Tatbestand des Betruges erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1984 - 3 StR 278/83 - NJW 1984, 987, 988). Vielmehr war in diesem Zeitpunkt auch bereits der nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu ersetzende Schaden entstanden, zu dessen Geltendmachung die Klägerin als die Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge berechtigt ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 1988 - VI ZR 145/88 - VersR 1989, 303); die späteren Zahlungen auf die rückständigen Beträge führten nur zu einer teilweisen Schadensbeseitigung, die für die Verjährung nach § 852 BGB ohne Bedeutung ist. Die Klägerin hat von diesem Schaden spätestens durch den Prüfbericht vom 23. September 1980 Kenntnis erlangt. Dies bedeutet, daß die Verjährung des auf der Täuschung beruhenden Klageanspruchs bei Beantragung des Mahnbescheides nach § 852 Abs. 1 BGB bereits eingetreten war.
Auf die Verjährung dieses Anspruchs blieb es ohne Einfluß, daß der Beklagte die Richtigkeit des Prüfberichts am 2. Juli 1981 anerkannt hat. Hierin liegt nicht ein die Verjährung des Klageanspruchs unterbrechendes Anerkenntnis i.S. von § 208 BGB. Denn der Beklagte hat den Prüfbericht „in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und Bevollmächtigter” der KG anerkannt. Die Erklärung des Beklagten bezog sich also auf den gegen die KG gerichteten Erstattungsanspruch, nicht aber auf den gegen ihn gerichteten Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, um den es hier geht.
2. Die Klägerin stützt ihren weiteren Anspruch auf Zahlung von 70.098,85 DM darauf, daß die KG in der Zeit vom 1. Januar 1981 bis zum 27. Juni 1983 für ordnungsgemäß gemeldete Arbeitnehmer Arbeitnehmeranteile vorsätzlich nicht an sie abgeführt hat. Hierzu führt das Berufungsgericht zutreffend aus, daß sich der Beklagte damit nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. (dem damals noch geltenden) § 529 RVO schadensersatzpflichtig gemacht hat (st. Rspr., vgl. zuletzt Senatsurteil vom 20. Dezember 1988 - VI ZR 145/88 - a.a.O. S. 303, 304 m.w.N.).
Der Senat teilt indes nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, daß durch die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile ein Schaden der Klägerin erst eingetreten sei, als sich die Beitragsforderung endgültig als uneinbringlich erwiesen hat. Vielmehr lag der Schaden schon in der Vorenthaltung der Beitragsteile; er trat schon ein, als die Arbeitnehmeranteile nicht fristgerecht an die Klägerin abgeführt wurden, und schon in diesem Zeitpunkt war der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten entstanden. Wie der Senat wiederholt klargestellt hat, will der Gesetzgeber den Arbeitnehmer und die für seine Existenzsicherung geschaffene Sozialversicherung durch die Strafvorschrift des § 529 RVO a.F. (heute § 266a StGB) nicht erst vor dem Risiko der Uneinbringlichkeit der Beitragsforderungen bei dem säumigen Arbeitgeber schützen, sondern schon vor der Störung im Versicherungsaufbau durch Vorenthaltung der Beiträge, die wegen dessen existentieller Bedeutung schon im Zeitpunkt der Störung ein gegenwärtiger Vermögensschaden ist. Deshalb besteht auch der Zweck des aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 529 RVO herzuleitenden Schadensersatzanspruchs gerade darin, der Einzugsstelle zur Vermeidung von Beitragsausfällen bei Vorenthaltung von Beitragsteilen den sofortigen Zugriff auf den dafür Verantwortlichen persönlich als Deliktsschuldner zu eröffnen und sie insoweit von der Verfolgung der Beitragsforderung gegen den Arbeitgeber und dem damit verbundenen Liquiditätsrisiko freizustellen (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 1988 - VI ZR 145/88 - aaO. S. 304; vgl. ferner Senatsurteil vom 12. Februar 1985 - VI ZR 68/83 - VersR 1985, 590, 591).
Dies bedeutet, daß nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand mit Sicherheit nur der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der nach dem 4. Februar 1983 vorenthaltenen Arbeitnehmeranteile von der Verjährungseinrede des Beklagten nicht erfaßt wird. Da das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, wann der Klägerin die Vorenthaltung der vor diesem Zeitpunkt fälligen Arbeitnehmeranteile bekannt geworden ist, bedarf es hierzu noch weiterer Feststellungen.
3. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben, und die Klage war unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils hinsichtlich des auf die Täuschung der Klägerin gestützten Klageanspruchs von 327.327,08 DM nebst Zinsen abzuweisen, weil insoweit schon jetzt feststeht, daß die Verjährungseinrede durchgreift. Hinsichtlich des weiteren Klageanspruchs von 70.098,85 DM war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Insoweit hat das Berufungsgericht festzustellen, in welchem Umfang es hinsichtlich der auf den Zeitraum vom 1. Januar 1981 bis zum 4. Februar 1983 entfallenden Arbeitnehmeranteile, für die Verjährung infrage kommt, neben den der Klägerin von Anfang an bekannten Fällen der Säumnis, hinsichtlich derer nach § 852 BGB die Verjährung eingetreten ist, auch um auf unrichtigen Angaben beruhende Nachforderungen geht, von denen die Klägerin erst nach dem 4. Februar 1983 – etwa bei der weiteren Betriebsprüfung vom 29. September 1983 – Kenntnis erlangt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 60204 |
BB 1990, 1352 |
BB 1990, 1352 (L) |
DB 1990, 1034 (LT) |
GmbH-Rdsch 1990, 173 (S) |
LM BGB § 852, Nr. 105 (LT) |
BGH-DAT Zivil |
BGHR BGB § 823 Abs. 2, Beitragsbetrug 1 (LT) |
BGHWarn 1989, Nr. 301 (LT) |
NJW-RR 1990, 288-289 (LT) |
BR/Meuer BGB § 823, 31-10-89, VI ZR 54/89 (ST) |
BR/Meuer BGB § 852, 31-10-89, VI ZR 54/89 (LT) |
BR/Meuer BGB § 852, 31-10-89, VI ZR 54/89 (LT1) |
EWiR 1990, 49 (L) |
NZA 1990, 311-312 (LT) |
USK, 89123 (LT1-2) |
ZIP 1990, 466 |
ZIP 1990, 466-468 (LT) |
MDR 1990, 533 (LT) |
SGb 1990, 431-435 (ST) |
VersR 1990, 166-167 (LT) |
GmbHR 1990, 173 |