Entscheidungsstichwort (Thema)
Stadtwerke Kiel. Weiterverkaufsverbot für Mindestabnahmemengen
Tenor
1. Die von der Beteiligten mit Schreiben an die Beschlussabteilung vom 9. Juni 2010 angebotenen Verpflichtungszusagen sind bindend.
2. Das Verfahren gegen die Beteiligte wird nach Maßgabe des § 32 b Abs. 1 Satz 2 GWB eingestellt.
3. Die Gebühr für das Verfahren einschließlich der Entscheidung beträgt EUR […].
4. Der Widerruf dieser Verfügung bleibt vorbehalten.
Tatbestand
I.
Rz. 1.
Die Beteiligte und ihre Tochtergesellschaften sind in den Bereichen des Vertriebs von Strom, Erdgas, Fernwärme und Wasser, der Energieerzeugung, des Netzbetriebs sowie des Betriebs von Erdgasspeichern tätig. Die Beteiligte wird von der MVV Energie AG mit Sitz in Mannheim kontrolliert, die 51% der Anteile an der Beteiligten hält. Die übrigen Anteile an der Beteiligten werden von der Landeshauptstadt Kiel gehalten. Die Umsatzerlöse der MVV Energie Gruppe beliefen sich im Geschäftsjahr 2008/2009 auf ca. 3,2 Mrd. EUR.
Rz. 2.
In bestimmten laufenden Gaslieferverträgen (Sonderverträgen) der Beteiligten mit gewerblichen Kunden sind folgende Varianten von Weiterverkaufsverboten in Kombination mit einer Mindestabnahmeverpflichtung (Take-or-Pay-Klausel) enthalten:
a) Weiterverkaufsverbot:
„Der Kunde versichert, das gelieferte Erdgas ausschließlich zur eigenen Versorgung zu Zwecken seiner gewerblichen Tätigkeit zu nutzen; eine Weiterleitung oder Weiterveräußerung an Dritte ist unzulässig.”
bzw.
„Der Kunde wird das gelieferte Erdgas nur für seine eigenen Zwecke verwenden. Eine Weiterleitung des Erdgases an Dritte ist nur mit Zustimmung der Stadtwerke gestattet.”
b) Take-or-Pay-Klausel:
„Der Kunde zahlt einen Arbeitspreis für den tatsächlichen Lieferumfang Erdgas, mindestens jedoch für 80 % der vorgehaltenen Jahreserdgasmengen für die jeweiligen Abnahmestellen. Der Arbeitspreis beträgt […] Cent/kWh. In dem Fall, dass die Mindestabnahmemenge gemäß […] nicht erreicht wird, wird dem Kunden die Differenzmenge zwischen dem tatsächlichen Lieferumfang und der Mindestabnahmemenge mit dem arithmetischen Durchschnitt der tatsächlich abgenommenen Erdgasmengen und die dafür gültigen und abgerechneten Energiepreise […] mit der Jahresendabrechnung in Rechnung gestellt.”
Rz. 3.
Falls der Kunde seiner Mindestabnahmeverpflichtung nachkommen muss, obwohl sein Gasbedarf im Abrechnungsjahr geringer ist, kann demnach die Situation eintreten, dass die Beteiligte dem Kunden ihre Zustimmung zur Weiterveräußerung des von ihm nicht benötigten und bezahlten Erdgases (d.h. der Mindermenge) an Dritte verweigert. Einem Teil der gewerblichen Sonderkunden der Beteiligten ist die Weiterleitung des Erdgases sogar vertraglich untersagt. Das Erfordernis der Zustimmung des Gas- bzw. Stromversorgungsunternehmens zur Weiterleitung des Gases bzw. des Stromes an Dritte durch den Kunden war ursprünglich in § 22 Abs. 1 AVBGasV bzw. § 22 Abs. 1 AVBEltV vorgesehen und wurde auf dieser Grundlage vielfach in die AGB bzw. in die Lieferverträge der Energielieferanten aufgenommen. Hierauf beruft sich auch die Beteiligte ausdrücklich. Allerdings wurden die AVBGasV und die AVBEltV bereits im Jahr 2006 mit der Verkündung der Gas-Grundversorgungsverordnung (GasGVV), der Gasnetzanschlussverordnung (GasNDAV), der Strom-Grundversorgungsverordnung (StromGVV) sowie der Stromnetzanschlussverordnung (StromNAV) aufgehoben. Diese Nachfolgeregelungen sind mit der AVBGasV bzw. mit der AVBEltV nicht inhaltsgleich und eröffnen Gas- und Stromlieferanten insbesondere nicht die Möglichkeit, die Erlaubnis zur Weiterleitung des Gases bzw. Stromes an Dritte durch den Abnehmer wegen entgegenstehender überwiegender versorgungswirtschaftlicher oder sonstiger Gründe zu verweigern. Die Beteiligte hat vorgetragen, dass sie es lediglich versäumt habe, ihre Verträge mit Inkrafttreten der GasGVV entsprechend anzupassen.
Rz. 4.
Auf vergleichbare vertragliche Regelungen wurde die 10. Beschlussabteilung im Rahmen ihrer Sektoruntersuchung nach § 32 e GWB „Kapazitätssituation in den deutschen Gasfernleitungsnetzen” (Az. B10-7/09) aufmerksam, bei der die befragten Transportkunden (Gasvertriebsunternehmen) Kopien ihrer Gaslieferverträge vorlegten. Im Nachgang dazu hat die Beschlussabteilung ihre Untersuchung auf den Stromsektor und weitere große Strom- und Gasanbieter ausgedehnt, darunter die MVV Energie AG als Obergesellschaft der Beteiligten. Die MVV Energie AG hat die erbetenen Auskünfte für sich selbst sowie für die mit ihr nach § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Unternehmen erteilt.
Rz. 5.
Vor diesem Hintergrund hat die 10. Beschlussabteilung am 18. Mai 2010 im Rahmen ihres Aufgreifermessens auf der Grundlage von § 1 GWB und Art. 101 AEUV (ehemals Art. 81 EG) ein Kartellverwaltungsverfahren gegen die Beteiligte wegen des Verdachts von Wettbewerbsbeschränkungen durch Weiterverkaufsverbote in Verbindung mit Take-or-Pay-Verpflichtungen in Gaslieferverträgen eingeleitet.
Rz. 6.
Die Beteiligte wurde mit Schreiben vom 18. Mai 2010 über die Verfahrenseinleitung i...