Entscheidungsstichwort (Thema)
WINGAS. Weiterverkaufsverbot für Mindestabnahmemengen
Tenor
1. Die von der Beteiligten mit Schreiben an die Beschlussabteilung vom 19. Februar 2010 (beim Bundeskartellamt vorab per Fax eingegangen am selben Tage) angebotenen Verpflichtungszusagen sind bindend, mit der Maßgabe, dass die Frist zur schriftlichen Benachrichtigung der betroffenen Kunden durch die Beteiligte gemäß Ziffer 1. der Verpflichtungszusagen auf den 30. September 2010 verlängert wird.
2. Das Verfahren gegen die Beteiligte wird nach Maßgabe des § 32 b Abs. 1 Satz 2 GWB eingestellt.
3. Die Gebühr für das Verfahren einschließlich der Entscheidung beträgt EUR […].
4. Der Widerruf dieser Verfügung bleibt vorbehalten.
Tatbestand
I.
Rz. 1.
Die Beteiligte ist seit 1993 in der Gasversorgung tätig und liefert unter anderem über das inzwischen mehr als 2.100 Kilometer lange Leitungsnetz ihrer Tochtergesellschaft WINGAS TRANSPORT GmbH & Co. KG Erdgas an Stadtwerke, regionale Gasversorger, Industriebetriebe und Kraftwerke in Deutschland und im europäischen Ausland. Daneben vermarkten die verschiedenen Tochtergesellschaften der Beteiligten Transport- und Speicherkapazitäten sowie Lichtwellenleiterfasern und sind im Erdgashandel und der Erdgasbeschaffung sowie dem Betrieb von Gasleitungen und Speichern tätig. Die Beteiligte ist ein Gemeinschaftsunternehmen des größten deutschen Erdöl- und Erdgasproduzenten Wintershall Holding AG (Kapitalanteil: 50,02%) und der russischen OAO Gazprom (Kapitalanteil: 49,98%). Die Umsatzerlöse der Beteiligten beliefen sich im Jahr 2008 weltweit auf 9 Mrd. EUR.
Rz. 2.
Etliche von WINGAS mit großen Industriekunden abgeschlossene Erdgaslieferverträge sehen sogenannte Take-or-Pay-Klauseln vor, nach denen der Gaskunde eine bestimmte Menge Gas unabhängig von deren Abnahme bezahlen muss (Mindestmenge). Zumindest einige dieser Verträge verbieten den Gaskunden jede Weitergabe des Gases zum Verbrauch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Diese Klauseln lauten beispielhaft:
„§ 1 Lieferpflicht
(1) LIEFERER verpflichtet sich, KUNDE für die Erdgasversorgung seines Werkes in […] zu den Bedingungen dieses Vertrages ab Lieferbeginn folgende Mengen zur Verfügung zu stellen: […]
[…]
(3) Das von LIEFERER gelieferte Erdgas ist nur für die eigenen Zwecke des KUNDEN bestimmt; jede unmittelbare oder mittelbare Weitergabe des Gases an Dritte außerhalb des Werksgeländes zum Verbrauch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ist nicht gestattet.
[…]
§ 2 Abnahmepflicht
(1) KUNDE wird für die Dauer des Vertrages die in § 1 Ziff. (1) vereinbarte maximale Jahresmenge zu mindestens […]% abnehmen und bei Nichtabnahme die Differenz zwischen der tatsächlich bezogenen Jahresmenge und […]% der gemäß § 1 Ziff. (1) vorzuhaltenden Jahresmenge mit dem im Lieferjahr geltenden arithmetisch gemittelten Erdgaspreis gemäß §§ 5 bis 7 bezahlen. […]”
Rz. 3.
Demnach kann die Situation eintreten, dass der Kunde seiner Mindestabnahmeverpflichtung nachkommen muss, obwohl sein Gasbedarf im Abrechnungsjahr geringer ist, ohne dass ihm dabei die Möglichkeit offen stünde, das von ihm nicht benötigte und bezahlte Gas (d.h. die Mindermengen) an Dritte weiter zu veräußern.
Rz. 4.
Auf die vorgenannten Regelungen wurde die 10. Beschlussabteilung im Rahmen ihrer Sektoruntersuchung nach § 32 e GWB „Kapazitätssituation in den deutschen Gasfernleitungsnetzen” (Az. B10-7/09) aufmerksam, in die die Beteiligte als einer der befragten Transportkunden einbezogen war. In diesem Zusammenhang hat die Beteiligte Kopien ihrer Gaslieferverträge vorgelegt.
Rz. 5.
Vor diesem Hintergrund hat die 10. Beschlussabteilung am 8. Dezember 2009 im Rahmen ihres Aufgreifermessens auf der Grundlage von § 1 GWB und Art. 101 AEUV (ehemals Art. 81 EG) ein Kartellverwaltungsverfahren gegen die Beteiligte wegen des Verdachts von Wettbewerbsbeschränkungen durch Weiterverkaufsverbote in Verbindung mit Take-or-Pay-Verpflichtungen in Gaslieferverträgen eingeleitet.
Rz. 6.
Die Beteiligte wurde mit Schreiben vom 8. Dezember 2009, dort eingegangen am 11. Dezember 2009, über die Verfahrenseinleitung informiert. Die Beteiligte nahm mit Schreiben vom 13. Januar 2010, beim Bundeskartellamt per Fax eingegangen am selben Tage, zu den erhobenen Vorwürfen Stellung.
Rz. 7.
Mit ihrem Schreiben vom 13. Januar 2010 bot die Beteiligte zugleich einen ersten Entwurf von Verpflichtungszusagen gemäß § 32 b GWB an. Im Folgenden wurde dieser Entwurf im Gespräch mit der Beschlussabteilung weiter verbessert und konkretisiert. Schließlich gab die Beteiligte mit Schreiben vom 19. Februar 2010, beim Bundeskartellamt vorab per Fax eingegangen am selben Tage, die als Anlage beigefügten Zusagen ab. Soweit in bestehenden Gaslieferverträgen der Beteiligten Regelungen enthalten sind, nach deren Wortlaut dem Kunden jede Weitergabe der Menge Gas, die der Kunde unabhängig von der tatsächlichen Abnahme bezahlen muss (Mindestmenge), zum Verbrauch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland untersagt ist, verpflichtet sich die Beteiligte diese Mindestmen...