Tenor

1. Die in den in Anlage 1 aufgeführten Gaslieferverträgen der Betroffenen enthaltenen Vereinbarungen hinsichtlich langjähriger Bezugsverpflichtung und Grad der tatsächlichen Vertriebsbedarfsdeckung verstoßen in ihrer Kombination gegen Art. 81, 82 EG und § 1 GWB.

2. Die Betroffene wird verpflichtet, die Durchführung solcher Vereinbarungen in den in Anlage 1 aufgeführten Gaslieferverträgen bis spätestens zum 30. September 2006 abzustellen.

3. Der Betroffenen wird ab sofort der Abschluss von Vereinbarungen in Gaslieferverträgen mit den an ihre in Deutschland gelegenen Versorgungsleitungen angeschlossenen Regional- und Ortsgasunternehmen mit einem Gesamtvertriebsbedarf von mehr als 200 GWh pro Jahr insoweit untersagt, als

  1. die Laufzeit von Verträgen mit einer Deckung des tatsächlichen Vertriebsbedarfs des Abnehmers von über 50 % bis einschließlich 80 % vier Jahre überschreitet oder die Laufzeit von Verträgen mit einer Deckung des tatsächlichen Vertriebsbedarfs des Abnehmers von über 80 % zwei Jahre überschreitet,
  2. im Falle der Belieferung des Abnehmers durch mehrere Lieferanten die Bereitschaft der Betroffenen zur Risikoabdeckung, d.h. die auf einem prozentualen Anteil am tatsächlichen Vertriebsbedarf basierende vertragliche Lieferverpflichtung mit einer mengenmäßig und zeitlich schwankenden Nachfrage in Einklang zu bringen, nicht mindestens der Höhe ihres Lieferanteils entspricht, es sei denn ihr Lieferanteil übersteigt nicht 50 %.

Dabei sind

  1. mehrere Lieferverträge zwischen Lieferant und Kunde hinsichtlich ihrer Lieferanteile oder Laufzeiten als ein Vertrag anzusehen,
  2. Liefermengen von im Sinne der Verbund- und Mehrmütterklausel des § 36 Abs. 2 GWB zusammen zu betrachtenden Unternehmen mit demselben Kunden zu addieren,
  3. Lieferverträge, deren Laufzeit sich über einen zunächst festgelegten Zeitraum hinaus stillschweigend verlängern kann, als auf unbestimmte Dauer vereinbart anzusehen.

4. Die unter Ziffer 3 ausgesprochene Untersagung gilt bis zum Ende des Gaswirtschaftsjahres 2009/2010 (30. September 2010).

5. Der Widerruf von Ziffer 3 und 4 dieser Verfügung bleibt vorbehalten.

 

Tatbestand

Die gegenwärtige Praxis der Betroffenen, einen Großteil ihrer Regional- und Ortsgaskunden langfristig mit der Abnahme von mehr als 80 % ihres Gas-Vertriebsbedarfs, d.h. der benötigten Gasmenge zum Zwecke der Weiterverteilung, an sich zu binden, verstößt gegen europäisches und deutsches Kartellrecht.

A.

Sachverhalt

I. Die Betroffene

1. Die Betroffene ist in Europa eines der führenden und in Deutschland das größte Ferngasunternehmen mit einem Jahresumsatz in 2004 von 12,75 Mrd. EUR.[1] Sie erreichte im Jahr 2003 [2] mit einem inländischen Absatz in Höhe von rd. 640 Mrd. kWh knapp 65 % des gesamten inländischen Erdgasaufkommens von 992 Mrd. kWh. Das genannte inländische Erdgasaufkommen umfasst die Produktion in Deutschland, die nach Deutschland importierten Mengen abzüglich der exportierten Mengen, die Einspeisemengen in Speicher und den Eigenverbrauch der Lieferanten.

Das Versorgungssystem der Betroffenen besteht nach eigenen Angaben [3] aus Erdgasleitungen mit einer Länge von über 11.000 Kilometern Hochdruckleitung sowie Übernahmestellen zu den wichtigsten Gasförderländern. Hinzu kommen noch 12 Erdgasuntertagespeicher und 26 Verdichterstationen. Damit verfügt die Betroffene über das in Deutschland größte Netz und die größten Speicherkapazitäten. [4]

Die Betroffene beliefert auf der Absatzseite neben anderen Ferngasunternehmen insbesondere regionale und lokale Gasversorgungsunternehmen, Industriebetriebe sowie Kraftwerke mit Gas. Die Betroffene ist unter den Ferngasunternehmen bei jeder dieser Kundengruppen deutschlandweit der nach Liefermengen mit Abstand größte Lieferant. [5]

2. Die Betroffene verfügt nach eigenen Angaben über langfristige und flexibel gestaltete Bezugsverträge mit den wichtigsten in- und ausländischen Erdgasproduzenten; sie ist darüber hinaus an der Förderung von Erdgas im Ausland beteiligt. Die Betroffene bezieht ihren Gesamtbedarf aus heimischen Vorkommen, aus den Niederlanden, aus Russland, Norwegen sowie aus Dänemark und Großbritannien.

Für die Betroffene war 2003 Russland mit 31 % die größte Erdgasbezugsquelle. Bezogen wurde das russische Erdgas ausschließlich von der Gazprom-Tochtergesellschaft Gazexport. Die Lieferungen erfolgten im Rahmen von langfristigen Lieferverträgen, die überwiegend bis zum Jahre 2020 laufen. Die Betroffene ist darüber hinaus an der OAO Gazprom direkt und indirekt mit insgesamt 6,43 % beteiligt und ist damit größte ausländische Aktionärin der Gazprom. Im September 2005 unterzeichneten die Gazprom, der E.ON Konzern – zu dem auch die Betroffene gehört – und die BASF eine Grundsatzvereinbarung über den gemeinsamen Bau der Nordeuropäischen Erdgasleitung, mit der die Gastransportkapazitäten nach Europa und Deutschland erheblich ausgedehnt werden sollen.

Norwegisches Erdgas hat im Bezugsportfolio der Betroffenen mit 26 % den zweitgrößten Anteil aller Lieferländer. Die Gaslieferungen aus Norwegen b...

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