Rn 29
Es ergibt sich unmittelbar aus dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG, nämlich dem Zweck der Motivation zur Kreditvergabe in der aktuellen COVID-19-Krise, dass nur neue Kredite privilegiert werden. Ein bislang nicht engagierter Kreditgeber, der fresh money ausreicht, fällt als eindeutiger Kandidat mit seinem neu ausgereichten Kredit unter das Privileg des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG. Doch was ist mit Ziehungen unter Kreditlinien, die vor der Covid-19-Pandemie eingeräumt wurden, aber nicht voll gezogen sind und erst in der aktuellen COVID-19-Krise in Anspruch genommen werden? Kommt ein Kreditgeber lediglich seinen bereits bestehenden vertraglichen Verpflichtungen nach, braucht es keiner weiteren Privilegien zum Zwecke der Motivation. Anders ist dies jedoch schon dann zu beurteilen, wenn der Kreditgeber sich seiner Verpflichtung zur Kreditvergabe entziehen kann, weil er ein Kündigungsrecht hat und die Kündigung ausgesprochen wird oder die Inanspruchnahme des Kredits aus vertraglichen Gründen verweigert werden kann (regelmäßig ist z.B. auch das Nicht-Bestehen von Kündigungsgründen eine Auszahlungsvoraussetzung für Kredite). Nach dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG ist das Privileg zu gewähren, wenn kein Anspruch des Kreditnehmers auf Auszahlung des Kredites nach den Regelungen des "Altvertrages" besteht, sie aber gleichwohl vorgenommen wird. Hier dürfte insbesondere der Umstand, dass § 1 COVInsAG nur die Insolvenzantragspflicht, nicht aber die materielle Insolvenz beseitigt, eine erhebliche Rolle spielen, da das Fernbleiben von Insolvenzereignissen in den allermeisten Kreditverträgen als Auszahlungsvoraussetzung vereinbart sein wird.
Rn 30
Es bleiben zahlreiche weitere Zweifelsfälle: Die Gesetzesbegründung gibt insoweit Hinweise dazu, wie die Abgrenzung zwischen Alt- und Neu-Krediten vorzunehmen ist. Nicht erfasst sein sollen die Novation oder die Prolongation und wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte, die auf ein Hin- und Herzahlen hinauslaufen, ohne dass dem Krisenunternehmen zusätzliche Liquidität zur Verfügung gestellt wird. Letzteres überzeugt, weil die Privilegierung eines einvernehmlichen bloßen Hin- und Herzahlens den Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG verfehlen würde. Die einvernehmliche Vertragsaufhebung und Umschuldung soll nach dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG nicht privilegiert sein. Die Rückzahlung des Alt-Kredits (das "Hinzahlen") unterliegt als Befriedigung der ursprünglichen Schuld ohnehin den allgemeinen Regeln der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO und fällt eindeutig nicht unter das Privileg nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG. Fraglich ist, ob das auch für die dann folgende Neuausreichung der Mittel gilt (das "Herzahlen"). Nach dem insoweit klaren Votum der Gesetzesbegründung soll der gesamte Vorgang des Hin- und Herzahlens nicht privilegiert sein, weswegen auch der neu ausgereichte Kredit (das "Herzahlen") nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG fällt. Der Umstand, dass sich durch den Vorgang des Hin- und Herzahlens die Anfechtungsrisiken gewissermaßen verdoppeln, rechtfertigt keine Ausnahme.
Rn 31
Im Hinblick auf die Prolongation gilt im Ausgangspunkt, dass mit ihr ein Kapitalnutzungsrecht verlängert bzw. aufrechterhalten wird, d.h. lediglich eine Änderung des Kreditvertrags vereinbart wird, der im Grundsatz aber bestehen bleibt. Allerdings wird mit der Prolongation sehr wohl Kredit gewährt, dessen Kern gerade die "Kapitalnutzung auf Zeit gegen Zins" ist. Die Verlängerung des Kapitalnutzungsrechts, auf die kein Anspruch besteht, deckt entsprechend einen Liquiditätsbedarf, der ohne Prolongation von dem Kreditnehmer anderweitig zu decken wäre. Das Beispiel der Gesetzesbegründung überzeugt deshalb nur bedingt. Die Praxis hat sich aber dennoch darauf einzustellen, dass Prolongationen nicht erfasst werden.
Rn 32
Was ist im Vergleich zur Prolongation dagegen etwa mit Refinanzierungen bestehender, aber auslaufender Kredite? Der Alt-Kreditgeber ist nicht zur Refinanzierung verpflichtet. Auch wenn die Refinanzierung zweckgebunden und cashless erfolgt, deckt sie einen bestehenden Liquiditätsbedarf und sollte privilegiert werden. Die Gesetzesbegründung legt dagegen nahe, dass auch die Fälle der Refinanzierung durch denselben Kreditgeber nicht als "neuer Kredit" im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG eingeordnet werden sollen (als Unterfall des "Hin- und Herzahlens"). Wenn die Refinanzierung allerdings durch einen anderen Kreditgeber erfolgt, handelt es sich um ein neues Kapitalnutzungsrecht ohne ein "Hin- und Herzahlen", sodass in dieser Konstellation das Privileg nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG greift. Anders ist diese Konstellation nur dann zu beurteilen, wenn der neue Kreditgeber kein "echter Dritter" ist, sondern wirtschaftlich dem bisherigen Kreditgeber gleichsteht. Das ist etwa der Fall, wenn dieser mit Mitteln oder für Rechnung des bisherigen Kreditgebers den neuen Kredit gewährt ("Strohmann"-Konstellationen) oder der bisherig...