Rn 35
Eine weitergehende Differenzierung hinsichtlich der privilegierten Zins- und Tilgungszahlungen trifft der § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG nicht, insbesondere keine Unterscheidung zwischen kongruenten und inkongruenten Zahlungen. Dieser weite sachliche Umfang der Privilegierung hat bereits frühzeitig für Kritik gesorgt. Anders der Nr. 4 von § 2 Abs. 1 COVInsAG, der hinsichtlich der von ihm angeordneten Privilegierung von Sicherungen und Befriedigungen im Zusammenhang mit dem "einfachen Leistungsaustausch" sehr wohl zwischen kongruenten und bestimmten inkongruenten Zahlungen unterscheidet.
Rn 36
Die Differenzierung in § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG spricht aus systematischen Gründen auch dagegen, dass der Gesetzgeber den sachlichen Umfang der Privilegierung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG schlicht in der Eile des Gesetzgebungsprozesses planwidrig zu weit gefasst haben könnte. Man mag das rechtspolitisch für verfehlt erachten, dass auch inkongruente Zahlungen privilegiert werden. Die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion des (zu) weiten Wortlauts, der keine Unterscheidung trifft, sind jedoch nicht erfüllt. Planwidrig bedeutet: "versehentlich". Für ein solches Versehen gibt es keine Anhaltspunkte. Allein der Umstand, dass das Gesetz in Eile verfasst wurde, genügt nicht, insbesondere weil diese Eile im Hinblick auf § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG offensichtlich nicht dazu geführt hat, dass der Gesetzgeber es übersehen hat, bestimmte Differenzierungen vorzunehmen.
Rn 37
Der Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG spricht ebenfalls nicht zwingend für eine Einschränkung. So dient es durchaus der Motivation zur Kreditvergabe, wenn allein der Umstand, dass der Kredit im Aussetzungszeitraum gewährt wurde, weitestgehend von sämtlichen Anfechtungsrisiken befreit, und zwar unabhängig davon, dass hinsichtlich der Insolvenzanfechtung und der Beurteilung der gläubigerbenachteiligenden Wirkung von Tilgungsleistungen nicht auf den Zeitpunkt der Gewährung des Kredits, sondern auf den Zeitpunkt der Tilgung abgestellt wird. Die Gewährung des Kredits im Aussetzungszeitraum würde sich nach diesem weiten Verständnis auf die späteren Tilgungsleistungen wie eine Besicherung des Kredits auswirken. Ähnlich wie eine insolvenzfeste Besicherung eines Kredits zum Zeitpunkt seiner Gewährung die späteren Tilgungsleistungen insolvenzfest sein lässt, weil es sich bei unverändert werthaltiger Besicherung im Zeitpunkt der Tilgung um einen gläubigerneutralen Vorgang handelt, bewirkt nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG der bloße Umstand der Gewährung des Kredits in der aktuellen COVID-19-Krise die Insolvenzfestigkeit späterer Tilgungsleistungen so, als ob der Kredit werthaltig besichert wäre. Dieses Ergebnis kann durchaus "planmäßig" gewollt sein und eine Auslegung des Gesetzes mit "Sinn und Verstand" zwingt nicht zu anderen Schlüssen. Da die üblichen Kreditsicherheiten dem Unternehmen in der aktuellen Situation mitunter nicht zur Verfügung stehen, eröffnet § 2 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Möglichkeit, zumindest hinsichtlich der Insolvenzanfechtung denselben Effekt zu erzielen.
Rn 38
Ein solches weites Verständnis hinsichtlich der Privilegierung dürfte dem Ziel der Erleichterung der Finanzierung im Aussetzungszeitraum durchaus förderlich sein. Der Kreditgeber braucht sich z.B. nicht darum zu kümmern, ob spätere Tilgungsleistungen inkongruent erfolgen, z.B. weil die Zahlung von einem Dritten auf Anweisung des Schuldners geleistet werden oder Zahlungserleichterungen vereinbart werden und das Tilgungsprofil angepasst wird. Es ist am Gesetzgeber, nicht Rechtsanwender ein tatsächliches Versehen in dieser Hinsicht durch Klarstellung des Gesetzes zu berichtigen.
Rn 39
Versteht man den Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG hingegen enger und sieht ihn darin begründet, dass der Kreditgeber von den Rechtsunsicherheiten befreit werden soll, die sich hinsichtlich der Beurteilung der Sanierungsaussichten in der aktuellen Krise ergeben, bleiben Umstände und Kenntnisse, die sich erst nach dem Aussetzungszeitraum und mitunter völlig losgelöst von dem Zusammenhang der aktuellen COVID-19-Krise ergeben, für die Insolvenzanfechtung relevant. Rechtspolitisch können diese Überlegungen voll überzeugen. Eine teleologische Reduktion des § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG tragen sie aber nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Charakters des COVInsAG als Eilgesetz.
Rn 40
Schließlich hätte das Privileg nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG durchaus auch gut nachvollziehbar zeitlich "bis zur nachhaltigen Sanierung" begrenzt werden können, etwa in Anlehnung an das Sanierungsprivileg nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO. Dies hätte aber unstreitig weitere Unsicherheit hinsichtlich des zeitlichen Umfangs des Privilegs verursacht, die eine pauschale zeitliche Begrenzung bis zum 30. September 2023 zu vermeiden hilft.