2.1 Tatbestandsvoraussetzungen
Rn 4
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 104 Abs. 1 ist zunächst das Vorliegen eines gegenseitigen Vertrags, der von beiden Vertragspartnern nicht bzw. noch nicht vollständig erfüllt ist und der die Lieferung von Waren zum Gegenstand hat, die einen Markt- oder Börsenpreis haben. Des Weiteren muss für die Lieferung eine festbestimmte Zeit oder festbestimmte Frist vereinbart sein.
2.1.1 Waren
Rn 5
Entsprechend der früheren Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Nr. 1 HGB a.F. sind Waren bewegliche Sachen, so dass für den Anwendungsbereich des Abs. 1 Forderungen und sonstige Rechte als Liefergegenstände ebenso ausscheiden wie Grundstücke.
Zum früheren Recht wurden darüber hinaus "Wertpapiere im engeren Sinn", d.h. solche Papiere, bei denen das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier folgt, unter den Warenbegriff des § 18 KO subsumiert. Durch die spezielle Regelung in Abs. 2 Nr. 2 kommt eine solche Ausdehnung des Warenbegriffs nunmehr praktisch nicht mehr in Betracht. Im Hinblick auf das Erfordernis eines Markt- oder Börsenpreises für die Waren kommen nur vertretbare Sachen in Betracht.
2.1.2 Markt- oder Börsenpreis
Rn 6
Für den Börsenpreis existiert in § 24 BörsG eine Legaldefinition, für den Anwendungsbereich des § 104 Abs. 1 kommen nur Preise in Betracht, die an einer Warenbörse ermittelt werden. Der Begriff des Marktpreises ist weit auszulegen, es ist kein amtlich geregelter Markt erforderlich, jedoch müssen Waren bestimmter Art täglich in gewissem Umfang tatsächlich gehandelt werden, so dass sich jeweils ein Durchschnittspreis bilden kann, ohne dass es einer förmlichen, amtlichen Feststellung des Preises bedarf. Es genügt vielmehr, wenn sich der Marktpreis durch Sachverständigengutachten feststellen lässt. Nicht erforderlich ist des Weiteren, dass das Liefergeschäft über einen amtlich geregelten Markt abzuwickeln ist.
2.1.3 Genaue Lieferzeit oder -frist
Rn 7
Bei dem Liefergeschäft muss es sich um ein Fixgeschäft gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB, § 376 HGB handeln, d.h., es muss im Vertrag ein fest bestimmter Liefertermin oder eine fest bestimmte Frist für die Lieferung vereinbart sein und der Warengläubiger muss sein Leistungsinteresse an die Einhaltung des Termins oder der Frist gebunden haben. Die Einhaltung des Lieferzeitpunkts oder der Lieferfrist muss mithin wesentlicher Inhalt der Leistungspflicht des Lieferanten sein; das Geschäft soll "stehen und fallen" mit der zeitgerechten Leistung.
Rn 8
Zu differenzieren sind relative und absolute Fixgeschäfte: Die vorgenannten Maßgaben gelten für das relative Fixgeschäft, bei Nichteinhaltung der Leistungszeit hat der Warengläubiger ein Rücktrittsrecht, ohne dass es einer weiteren Fristsetzung bedarf; im Handelsrecht (§ 376 HGB) kann der Käufer Erfüllung nur noch beanspruchen, wenn er sofort nach Frist- oder Zeitablauf auf Erfüllung besteht. Bei dem absoluten Fixgeschäft ist die Einhaltung der Lieferzeit oder -frist so entscheidend, dass nach dem Zeitablauf dauernde Unmöglichkeit gegeben ist, eine Erfüllung ist nicht mehr möglich. Die Formulierung des Abs. 1 stellt auf relative Fixgeschäfte ab, absolute Fixgeschäfte werden jedoch auch erfasst.
Allein aus der Vereinbarung einer fest bestimmten Lieferzeit folgt noch nicht, dass mit Nichteinhaltung des Termins das Leistungsinteresse entfällt, hierauf müssen sich die Vertragsparteien besonders verständigt haben, vgl. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Rn 9
Durch § 104 Abs. 1 werden auch solche Fixgeschäfte erfasst, die am Tag der Insolvenzeröffnung zu erfüllen wären. Liegt der Ablauf der Leistungszeit noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bleibt es grundsätzlich bei der Regelung des § 103, wonach der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht hat, Erfüllung zu verlangen oder diese abzulehnen, soweit noch kein Rücktritt gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfolgt ist bzw. gemäß § 376 HGB überhaupt noch Erfüllung verlangt werden kann.
2.2 Rechtsfolgen
Rn 10
Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 vor, werden und bleiben die Erfüllungsansprüche nicht mehr durchsetzbar, es kann keine Erfüllung mehr verlangt werden, ein entsprechendes Wahlrecht des Insolvenzverwalters besteht nicht.
Das Vertragsverhältnis ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens umgewandelt in ein reines Abrechnungsverhältnis, es können nur noch Forderungen wegen Nichterfüllung geltend gemacht werden, die zu saldieren sind. Die Differenzforderung ist gemäß Abs. 3 nach dem objektiven Maßstab des vereinbarten und des Markt- oder Börsenpreises zu ermitteln. Die Forderung steht entweder der Insolvenzmasse oder dem Vertragspartner zu, der seinen Anspruch nur als Insolvenzforderung geltend machen kann.