Rn 37
In Bezug auf die Wirkung der Kündigung ist nach dem Regelungsgegenstand der gekündigten Betriebsvereinbarung zu differenzieren:
4.1.8.1 Kündigung erzwingbar mitbestimmter Betriebsvereinbarungen
Rn 38
In Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann (sogenannte "erzwingbare" Betriebsvereinbarungen), gelten die Regelungen der Betriebsvereinbarung nach Ablauf der Kündigungsfrist weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Im Rahmen von § 120dürften derartige Betriebsvereinbarungen in erster Linie bei mittelbar massebelastenden Regelungen nach § 87 Abs. 1 Nrn. 2, 3 BetrVG eine Rolle spielen, beispielsweise Betriebsvereinbarungen über Schichtpläne und die Lage der Arbeitszeit, die zum Anfall von Überstundenvergütung oder Schichtzuschlägen führen. Zwar widerspricht die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung dem Regelungsziel des § 120, die Insolvenzmasse zu entlasten. Gleichwohl wurde im Gesetzgebungsverfahren zu § 120 auf einen Anwendungsausschluss des § 77 Abs. 6 BetrVG bewusst verzichtet.
Soweit die Nachwirkung in der Betriebsvereinbarung – was zulässig ist – ausgeschlossen wurde, ändert die Eröffnung des Insolvenzverfahrens daran nichts. Dass die Gesamtbindungsdauer des Arbeitgebers aufgrund der kurzen Kündigungsfrist des § 120 Abs. 1 Satz 2 gegenüber der ursprünglichen Absicht der Betriebspartner reduziert wird, ist hinzunehmen.
4.1.8.2 Kündigung freiwilliger Betriebsvereinbarungen
Rn 39
In Angelegenheiten, die nicht durch Spruch der Einigungsstelle erzwungen werden können (sogenannte "freiwillige" Vereinbarungen), endet die Betriebsvereinbarung mit Ablauf der Kündigungsfrist.
Dies gilt auch dann, wenn die Betriebspartner – was nach der Rechtsprechung zulässig ist – die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung vereinbart haben, deren Regelungsgegenstand Angelegenheiten der freiwilligen Mitbestimmung betrifft. Eine Kündigung nach § 120 Abs. 1 Satz 2 durchbricht die Nachwirkungsvereinbarung mit der Folge, dass die durch die Betriebsvereinbarung gewährten Leistungen mit dem Ende der Kündigungsfrist entfallen. Der Fall einer vereinbarten Nachwirkung ist nicht der gesetzlichen Nachwirkung des § 77 Abs. 6 BetrVG gleichzusetzen, sondern entspricht in der Wirkung eher der Konstellation, dass die Kündigung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein soll.
4.1.8.3 Kündigung teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen
Rn 40
Betriebsvereinbarungen, die zum Teil mitbestimmungspflichtig, zum Teil aber auch der Mitbestimmung des Betriebsrats entzogen sind (z.B. Betriebsvereinbarungen über Sonderboni oder übertarifliche Zahlungen), wirken im Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist nur gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach, wenn der Insolvenzverwalter eine Herabsetzung der Leistung beabsichtigt, die eine Neuverteilung der verbliebenen Mittel auf die begünstigten Arbeitnehmer erforderlich macht. Derartige teilweise Kürzungen dürften in der Insolvenz allerdings selten sein. Soweit der Insolvenzverwalter, was typischerweise der Fall sein wird, die Leistung vollständig einstellen möchte, scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und damit auch eine Nachwirkung aus.
4.1.8.4 Besonderheiten im Bereich der betrieblichen Altersversorgung
Rn 41
Besonderheiten bestehen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Entsprechende, durch Betriebsvereinbarung gemachte Zusagen gehören hinsichtlich des "Ob" der Leistung gemäß § 88 Nr. 2 BetrVG zum Bereich der freiwilligen Mitbestimmung. Sie unterliegen lediglich insoweit der Mitbestimmung des Betriebsrats, als es um die Verteilung der zur Verfügung gestellten Mittel geht. Gleichwohl wird die Wirkung einer Kündigung nach der Rechtsprechung des BAG mithilfe der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Danach kann durch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung der bereits erdiente und nach den Grundsätzen des § 2 BetrAVG errechnete Teilbetrag nur in seltenen Ausnahmefällen, nämlich aus zwingenden Gründen, gekürzt oder entzogen werden. Zuwächse, die sich – wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen – dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), dürfen nur aus triftigen Gründen verringert werden. Soll die Kündigung nur in künftige und damit noch nicht erdiente dienstzeitabhängige Zuwachsraten eingreifen, genügen sachlich-proporti...