Rn 22
§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ergänzt und modifiziert § 1 Abs. 3, 5 KSchG. Für die Auslegung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO gelten daher die gleichen Grundsätze wie für § 1 Abs. 3 KSchG, etwa dass die revisionsgerichtliche Prüfung begrenzt ist, weil die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriff in erster Linie Aufgabe des Tatrichters ist.
4.2.1 Allgemeines
Rn 23
Im Einzelnen schränkt § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sowohl die zu berücksichtigenden Sozialdaten als auch die gerichtliche Prüfungsdichte ein.
4.2.1.1 Unterschiede zu § 1 Abs. 3 KSchG
Rn 24
Dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat eröffnet § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 weitergehende Möglichkeiten bei der Sozialauswahl als dies nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG außerhalb der Insolvenz der Fall ist. Die wesentlichen Unterschiede sind, dass zum einen mit dem Interessenausgleich auch angestrebt werden kann, eine ausgewogene Personalstruktur nicht nur zu erhalten, sondern erst zu schaffen. Zum anderen muss eine Schwerbehinderung der Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl nicht als eigenständiges Kriterium berücksichtigt werden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Gleichwohl darf die Schwerbehinderung nicht zum tragenden Grund der Kündigungsentscheidung gemacht werden. Denn mit Blick auf die auch im Rahmen von § 125 erfolgende gerichtliche Missbrauchskontrolle ist die Kündigung trotz namentlicher Bezeichnung des schwerbehinderten Arbeitnehmers im Interessenausgleich unwirksam, wenn er beweisen kann, dass die Kündigungsentscheidung getroffen wurde, um sich den Belastungen zu entziehen, welche aus den besonderen Rechten schwerbehinderter Menschen folgen.
4.2.1.2 Sonderkündigungsschutz
Rn 25
Keinen Einfluss hat § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 hingegen auf den vertraglichen oder gesetzlichen Sonderkündigungsschutz bestimmter Arbeitnehmer. Sie sind auch im Rahmen des § 125 von vornherein nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen.
4.2.1.3 Darlegungslast
Rn 26
Dass der klagende Arbeitnehmer auf der Namensliste steht, ändert nichts daran, dass der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens nach § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 KSchG verpflichtet bleibt, die Gründe, die zu der Sozialauswahl geführt haben, mitzuteilen. Erst nach Erfüllung dieser Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 KSchG die volle Darlegungs- und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Auch im Rahmen der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG muss der Insolvenzverwalter die für die Sozialauswahl maßgeblichen Erwägungen mitteilen.
4.2.2 Zu berücksichtigende Sozialdaten
Rn 27
Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kann im Kündigungsschutzprozess die Sozialauswahl nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten nachgeprüft werden. Bei der Gewichtung dieser drei Sozialdaten besteht aber keine Rangfolge zu Gunsten eines dieser Kriterien, da der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat einen Wertungsspielraum haben sollen.
Rn 28
Die Berücksichtigung der Unterhaltspflichten darf auf die im Rahmen der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) erfassten unterhaltsberechtigten Kinder beschränkt werden, weil die andernfalls erforderlichen Nachforschungen den Abschluss des Interessenausgleichs verzögern und so den Normzweck, Kündigungen zu beschleunigen (vgl. Rn. 1), vereiteln würden.
4.2.3 Grobe Fehlerhaftigkeit
Rn 29
Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kann im Kündigungsschutzprozess die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
4.2.3.1 Voraussetzungen eines groben Fehlers
Rn 30
Der Begriff der groben Fehlerhaftigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Das Gesetz räumt den Betriebspartnern einen weiten Spielraum bei der Sozialauswahl ein und geht davon aus, dass durch die Gegensätzlichkeit der von den Betriebspartnern vertretenen Interessen und durch die auf beiden Seiten vorhandene Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse gewährleistet ist, dass dieser Rahmen angemessen und vernünftig genutzt wird. Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt.