Rn 29
Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kann im Kündigungsschutzprozess die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
4.2.3.1 Voraussetzungen eines groben Fehlers
Rn 30
Der Begriff der groben Fehlerhaftigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Das Gesetz räumt den Betriebspartnern einen weiten Spielraum bei der Sozialauswahl ein und geht davon aus, dass durch die Gegensätzlichkeit der von den Betriebspartnern vertretenen Interessen und durch die auf beiden Seiten vorhandene Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse gewährleistet ist, dass dieser Rahmen angemessen und vernünftig genutzt wird. Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Solange gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die Sozialauswahl sprechen, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit deutlich unterschritten.
4.2.3.2 Reichweite des Prüfungsmaßstabs
Rn 31
Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit bezieht sich nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst. Vielmehr kann die gesamte Sozialauswahl, auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen, nur auf grobe Fehler überprüft werden. Dies gilt auch für die Herausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe, sodass auch die Festlegung des Kreises der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer allein auf grobe Fehler überprüft werden kann.
Rn 32
Die Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs auf grobe Fehler gilt aber nicht, wenn die Betriebsparteien in einer Auswahlrichtlinie (§ 1 Abs. 4 Var. 2 KSchG i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) auf Sozialdaten abgestellt haben, die über die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten hinausgehen. In diesem Fall ist die Sozialauswahl uneingeschränkt gerichtlich nachprüfbar.
4.2.3.3 Begriff des groben Fehlers
Rn 33
Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt oder tragende Gesichtspunkte nicht in die Bewertung einbezogen worden sind. Die getroffene Auswahl muss sich mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen; nicht entscheidend ist, ob das Auswahlverfahren zu beanstanden ist. Auch ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen, jedenfalls aber vertretbarem Auswahlergebnis führen, dass nicht grob fehlerhaft ist.
4.2.3.3.1 Verkennung der maßgeblichen Sozialdaten, insbesondere des Lebensalters
Rn 34
Ein grober Fehler liegt vor, wenn einzelne Sozialdaten überhaupt nicht, eindeutig unzureichend oder mit eindeutig überhöhter Bedeutung berücksichtigt worden sind.
Rn 34a
Allerdings können die Betriebsparteien im Rahmen der Sozialauswahl zulasten des Arbeitnehmers bedenken, dass die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter und den damit typischerweise verbundenen geringeren Chancen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, zunimmt, sich diese Entwicklung aber umkehrt, je näher die versorgungsrechtliche Absicherung durch eine Rente wegen Alters rückt. Dieser Ambivalenz des Kriteriums "Lebensalter" darf bei dessen Gewichtung Rechnung getragen werden.
Rn 34b
So ist es nach der Rechtsprechung zulässig, in der Grupp der älteren Arbeitnehmer zwischen Arbeitnehmern, die zeitnah versorgungsrechtlich abgesichert sind und Arbeitnehmern, bei denen das noch nicht der Fall ist, zu differenzieren, beispielsweise indem ein Arbeitnehmer, der Regelaltersrente beziehen kann oder eine solche tatsächlich bezieht, jedenfalls hinsichtlich des Sozialauswahlkriteriums "Lebensalter" als deutlich weniger schutzbedürftig eingestuft wird als ein Arbeitnehmer ohne einen solchen Anspruch.
Rn 34c
Mit § 125 ist es ebenfalls vereinbar, den Umstand, dass der Arbeitnehmer nach den jeweiligen rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses abschlagsfrei Rente wegen Alters beziehen kann, zulasten des Arbeitnehmers zu werten. Dies gilt unabhängig von der konkret zu erwartenden Rentenhöhe. Bei Zugrundelegung eines Punkteschemas können bei in diesem Sinne rentennahen Arbeitnehmern...