Rn 1

§ 133 Abs. 1 erklärt diejenigen Rechtshandlungen des Schuldners für anfechtbar, die dieser in der dem anderen Teil bekannten Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorgenommen hat, wenn jene Handlungen längstens zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag oder nach dessen Stellung vorgenommen worden sind.

1.1 Anfechtungsrelevante Rechtshandlungen

 

Rn 2

Anfechtbar sind nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern jede Rechtshandlung (§ 129 Rn. 4 ff.) des Schuldners. Rechtshandlungen Dritter, die ohne oder sogar gegen den Willen des Schuldners vorgenommen worden sind, werden nicht erfasst.[1] Jedoch kann auch ein bloßes Mitbewirken einer Dritthandlung durch das Verhalten des Schuldners genügen. Ein solches anfechtungsrelevantes Mitbewirken durch den Schuldner liegt z.B. vor, wenn dieser es unterlassen hat, Widerspruch gegen einen Mahnbescheid einzulegen.[2] Der Eigentumserwerb in der Zwangsversteigerung durch den Gläubiger ist dagegen nicht anfechtbar, da der Verlust des Grundeigentums des Schuldners in diesem Fall nicht auf einer Rechtshandlung des Schuldners, sondern auf der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt beruht.[3]

[1] Kilger/K. Schmidt, KO § 31 Anm. 3.
[2] Kuhn/Uhlenbruck, § 31 Rn. 4; vgl. auch BGH WM 1959, 891 (893).
[3] BGH WM 1986, 945 (946).

1.2 Anfechtungszeitraum

 

Rn 3

§ 133 Abs. 1 modifiziert die alte Regelung insoweit, als die in der Praxis nahezu bedeutungslos lange Frist des § 41 Abs. 1 Satz 2 KO von 30 Jahren seit Vornahme der Handlung durch einen Zehnjahreszeitraum vor Antragstellung sowie den Zeitraum nach der Antragstellung bis zur Verfahrenseröffnung ersetzt wird.

1.3 Gläubigerbenachteiligung

 

Rn 4

Jene Rechtshandlungen müssen gemäß dem in § 129 aufgestellten Grundsatz objektiv eine unmittelbar oder doch zumindest mittelbar gläubigerbenachteiligende Wirkung (§ 129 Rn. 13 ff.) nach sich ziehen. Selbst bei absichtlicher Benachteiligungshandlung scheidet daher eine Anfechtung dann aus, wenn die Gläubiger im wirtschaftlichen Ergebnis (ex post betrachtet) ohnehin keine Befriedigung erlangt hätten,[4] etwa wenn ein einzelner Gläubiger eine Befriedigung oder Deckung erhält, die auch der Insolvenzverwalter wegen bestehender Aus- oder Absonderungsrechte hätte gewähren müssen.[5]

[4] LG Düsseldorf ZIP 1981, 601 (604); Hess/Weis, Rn. 415.
[5] BGH WM 1960, 377 (379 f.); BGH WM 1985, 733 (734); Hess/Weis, Rn. 430.

1.4 Subjektive Anfechtungsvoraussetzungen

 

Rn 5

Hinsichtlich der subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen stellt die Neuregelung – schon in der amtlichen Überschrift des Paragraphen – klar, dass auf Seiten des Schuldners Vorsatz nötig ist, damit aber auch bedingter Vorsatz hinsichtlich der gläubigerbenachteiligenden Wirkung seines Handelns genügt. Dies entspricht der bisherigen nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zum alten Recht, die den in § 31 Nr. 1 KO enthaltenen Absichtsbegriff entsprechend weit ausgelegt hat.[6] Für Leistungen an Dritte im Rahmen einer versuchten Unternehmenssanierung wird ein solcher Vorsatz nur dann angenommen werden können, wenn der Unternehmer das Scheitern dieser Bemühungen zum Handlungszeitpunkt bereits voraussieht und die damit verbundene Benachteiligung der Gläubiger zumindest billigend in Kauf nimmt.[7] Die nur entfernt liegende Möglichkeit eines Fehlschlags vermag dafür jedoch nicht auszureichen.

 

Rn 6

Hat der Schuldner dem Anfechtungsgegner nur das gewährt, was jener nach der (vermeintlich wirksam) getroffenen Vereinbarung zu beanspruchen hatte, so sind an das Vorliegen der Benachteiligungsabsicht besonders hohe Anforderungen zu stellen, da sich in diesen Fällen der Wille des Schuldners i.d.R. darin erschöpft, seine (vermeintliche) Verbindlichkeit zu erfüllen.[8]

 

Rn 7

Ferner verlangt § 133 Abs. 1 Satz 1 die positive Kenntnis vom Vorsatz des Schuldners beim Anfechtungsgegner. Ein bloßes Kennenmüssen genügt nicht. Bedient sich der Anfechtungsgegner eines Vertreters, so kommt es gemäß § 166 Abs. 1 BGB auf dessen Kenntnis an. Sowohl der Benachteiligungsvorsatz als auch die Kenntnis davon beim Anfechtungsgegner müssen zum Zeitpunkt der Vollendung der Rechtshandlung (§ 140) vorliegen.[9] Wird eine künftige Forderung im Voraus abgetreten, so kommt es auf ihren Entstehungszeitpunkt an.[10]

[6] Vgl. zum alten Recht BGH ZIP 1993, 276 [BGH 12.11.1992 - IX ZR 236/91] (279 f.); Kuhn/Uhlenbruck, § 31 Rn. 8 m.w.N.; zum neuen Recht: Häsemeyer, Rn. 21.78.
[7] BGH ZIP 1993, 276 (280) [BGH 12.11.1992 - IX ZR 236/91].
[8] BGH ZIP 1991, 807 (809) [BGH 18.04.1991 - IX ZR 149/90].
[9] Kilger/K. Schmidt, KO § 31 Anm. 5.
[10] Hess/Weis, Rn. 429.

1.5 Beweislastverteilung

 

Rn 8

Grundsätzlich obliegt es dem Insolvenzverwalter, die benachteiligende Rechtshandlung, die Beeinträchtigung der Gläubiger, den Vorsatz des Schuldners sowie die Kenntnis beim Anfechtungsgegner und den Kausalzusammenhang zwischen der Rechtshandlung und der Masseschädigung im Anfechtungsprozess zu beweisen.[11]

 

Rn 9

Eine Erleichterung der Beweislast enthält die Regelung des § 133 Abs. 1 Satz 2, indem sie die Kenntnis beim Anfechtungsgegner vermutet, wenn dieser die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte und er um die benachteiligende Wirkung der Rechtshandlung des Schuldners für d...

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